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Full text of "Jahrbücher für Philologie und Paedagogik"

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JAHRBUCHER 

FÜR 

PHILOLOGIE  und  PÄDAGOGIK. 


Eine  kritische  Zeitschrift 
in  Verbindung  mit  einem  Verein  von  Gelehrten 

herausgegeben 
von 

M.  Joh.  Christ.  Jahn. 


Dritter      Jahrgang. 


Erster    Band.     Erstes   Heft. 

Oder  der  ganzen  Folge 
Se  chster   Band.     Erstes   Heft. 


Leipzig, 

Druck  und  Verlag  von  B.  G.  Teubner. 
18     2     8. 


IT 


Si  quid  novlsti  rcctius  isti», 
Candidas  imperti ;  si   non ,  his  uterc  mecnm. 


i  n 


d.  Blbu- 
x-Gv 

omge- 


ü 


Mythologie, 


Pr  olegomena  zu  einer  wissenschaftlichen  My- 
thologie, von  Carl  Otfried  Müller.  Mit  einer  antikritischeu 
Zugabe.  Göttingen,  Vandenhück  u.  Ruprecht.  1825.  XII  u.  434 
S.  gr.  8.  lThlr.  12  Gr. 
[Eine  Inhaltsanz.  steht  in  Beck's  Repert.  1825  Bd.  III  S.  300  —  306,  u. 
einen  ausführlichen  Inhaltshericht  hat  Thorbecfce  in  d.  Bibl.  crit. 
nova  III  S.  146 — 58  geliefert.  Eine  scharf  tadelnde  und  leiden- 
schaftliche Rec.  von  Lange  in  der  Jen.  Lit.  Zeit.  1825  Nr.  161 
— 168  liefert  sehr  viel  Lesenswerthes  und  Gutes,  kann  aber  nicht 
als  gnügende  Beurtheilung  des  Buchs  gelten  ,  weil  sie  nicht  eine 
ruhige  Prüfung  desselben  anstellt,  sondern,  von  andern  Principien 
ausgehend ,  Meinung  gegen  Meitfriyig  setzt.  Eine  ebenfalls  lei- 
denschaftliche Rec.  von  VölckeVjn  d.  Hall.  Lit.  Zeit.  1827  E. 
Bl.  121  — 124  rühmt  MüHer's  Buch' ausserordentlich  und  giebt 
dessen  allgemeinen  Inhalt  an ,  liefert  aber  keineswegs  eine  kriti- 
sche Würdigung  desselben ,  sondern  sucht  Müller's  Grundsätze 
gegen  Lange's  Ein«>S'irfe.  zu  schützen  und  gegen  die  Vossische 
Schule  zu  rechtfertigen.  'VBaher  wird  auch  an  mehrern  Stellen 
gegen  Voss  gekämpft.  Doch  enthält  auch  diese  Rec.  manches 
Beachtenswerthe  und  ist  bei  Benutzung  der  Müller'schen  Schrift 
zu   vergleichen.] 

"er  Verf.  hat  bei  der  gegenwärtigen  Schrift  nach  der  Vorrede 
die  Absicht,  die  Begriffe  vom  Wesen  und  von  der  Entstehung 
der  Griechischen  Mythen,  die  er  für  die  Mahren  und  richtigen 
hält,  auch  denen  verständlich  darzulegen,  welche  von  dem 
Fache  nur  eine  geringe  Kerihfuiss  haben,  und  auf  diese  Weise 
die  Grundsäze,  die  er  bey  seinen  bisherigen  mythologischen 
Untersuchungen  mehr  unbewusst  befolgt  habe ,  nun  auch  me- 
thodisch zu  entwickeln. 

Die  Schrift  zerfällt  in  fünfzehn  Kapitel,  deren  Idecngang  wir, 
wie  es  die  Beurtheilung  einer  wissenschaftlichen  Schrift  erfor- 
dert, zuerst,  soviel  möglich,  mit  den  eigenen  Worten  des  Verf. 
kurz  bezeichnen  wro!len. 

In  dem  ersten  Kapitel ,  das  die  Untersuchung  an  den  äu- 
ssern Begriff  des  Mythus  anknüpft,  bestimmt  der  Verf.  den  My~ 

l* 


4  Mythologie. 

thus  in  dieser  Hinsicht  nach  folgenden  drey  Hauptmerkmalen : 
dass  der  Mythus  die  Erzählung  einer  Handlung  oder  Begeben- 
heit ist,  dass  persönliche  Wesen  in  ihm  auftreten,  und  dass 
die  Begebenheiten,  von  welchen  die  Mythen  reden,  ihrem  Zu- 
sammenhang und  ihrer  Verflechtung  nach  alle  eine  frühere, 
von  der  Geschichte  ziemlich  genau  abgegrenzte  Zeit  betreffen. 
Schritte  zum  innern  Begriff  des  Mythus  thut  der  Verf.  im  zwei- 
ten Kapitel  durch  die  Unterscheidung  des  Geschehenen  und  Ge- 
dachten im  Mythus,  oder  des  Reellen  und  Ideellen,  welche 
beide  Elemente  bey  den  meisten  Mythen  sehr  enge  verknüpft 
seyen.  Von  den  weitern  Bestimmungen  über  die  Art ,  wie  je- 
des dieser  beiden  Elemente  im  Mythus  sey,  wird  nachher  die 
Rede  seyn.  Im  dritten  Kapitel  überblickt  der  Verf.  die  verschie- 
denen Klassen  der  Schriftsteller,  aus  welchen  unsere  Kenntnis» 
der  Griechischen  Mythen  zu  schöpfen  ist,  um  im  vierten  hier- 
aus das  Resultat  zu  ziehen ,  dass  wir  bei  keiner  derselben  auf 
die  eigentlichen  und  ursprünglichen  Quellen  des  Mythus 
kommen,  dass  wir  zwar  die  Mythen  häufig  durch  pottische 
und  wissenschaftliche  Behandlung  modificirt  sehen,  diese  Mo- 
dificationen  aber  doch  immer  einen  Kern  des  Mythus  vorfanden, 
und  stehen  Hessen.  Daher  der  Hauptsaz  dieses  Kapitels,  das 
die  Frage  von  den  Quellen  der  Mythen  selbst  oder  die  Entste- 
hung derselben  zum  Gegenstand  hat,  „dass  der  ganze  Begriff 
der  Erfindung,  d.  h.  einer  freien  und  absichtlichen  Handlung, 
durch  welche  etwas  von  dem  Handelnden  als  unwahr  Erkanntes 
mit  dem  Scheine  der  Wahrheit  umkleidet  werden  soll,  als  un- 
passend für  die  Entstehung  des  Mythus  von  unserer  Betrach- 
tung zu  entfernen  ist.  Oder  mit  andern  Worten:  dass  bey  der 
Verbindung  des  Ideellen  und  Reellen,  welche  im  Mythus  ver- 
einigt liegen,  eine  gewisse  Nothwendigkeit  obwaltete,  dass  die 
Bildner  des  Mythus  durch  Antriebe,  die  auf  Alle  gleich  wirk- 
ten, darauf  hingeführt  wurden,  und  dass  im  Mythus  jene  ver- 
schiednen  Elemente  zusammenwuchsen ,  ohne  dass  diejenigen, 
durch  welche  es  geschah,  selbst  ihre  Verschiedenheit  erkannt, 
zum  Bewusstseyn  gebracht  hätten,  dass  es  der  Begriff  einer  ge- 
wissen Nothwendigkeit  und  Unbewusstheit  im  Bilden  der  alten 
Mythen  ist,  worauf  zu  dringen  ist."  Mit  dem  hier  aufgestell- 
ten Hauptbegriff  verbindet  der  Verf.  die  Unterscheidung  von 
zwei  verschiedenen  Klassen  von  Mythen,  von  welchen  die  eine 
bey  genauerer  Betrachtung  sehr  mannigfache  und  verschieden- 
artige Stoffe  zu  einem  Ganzen  verbunden  hat,  die  andere  aber 
einen  der  Allegorie  näher  verwandten  Character  zeigt,  und  eine 
durchgeführte  Gedankenreihe  in  mythischer  Rede  dargelegt 
zu  erkennen  gibt,  eine  Unterscheidung,  auf  die  hier  deswegen 
aufmerksam  gemacht  wird,  um  auch  von  den  Mythen  der  zwei- 
ten Klasse  den  Begriff  einer  eigentlichen  Allegorie  fern  zu  hal- 
ten, und  auf  sie,  wenn  sie  auch  offenbar  einem  Jüngern  Zeital- 


Müller:  Prolegomena  zu  e.  wisscnsch.  Mythologie.  5 

ter  angehören,  als  die  der  erstem  Klasse,  im  Ganzen  doch 
denselben  allgemeinen  Begriff  anzuwenden.  Die  folgenden  Ka- 
pitel, Kap.  V:  Ueher  die  Bestimmung  des  Alters  eines  Mythus 
nach  der  Erwähnung  desselben  in  Schriftstellern,  Kap.  VI: 
Bestimmung  des  Alters  von  Mythen  nach  historischen  Ereig- 
nissen, Kap.  VII:  Ausdehnung  dieses  Verfahrens  bis  In  die 
mythische  Zeit,  treffen  Kap.  VIII:  Ueber  das  Alter  der  Haupt- 
masse der  Mythen,  in  das  Ergehniss  zusammen:  dass  die  grö- 
ssere Masse  der  Mythen  ihre  Wurzel  in  der  mythischen  Zeit 
seihst  (welche  die  Griechen  selbst  von  der  historischen  be- 
stimmt trennten)  gehabt  haben  müsse,  oder  dass  die  Mythen 
der  Mehrzahl  nach  in  der  Zeit,  von  der  sie  im  Ganzen  reden, 
entstanden  sind,  und  sich  von  da  an  stetig  fortgebildet  haben. 
Wie  die  zunächst  vorhergehenden  Kapitel  den  Mythus  rück- 
wärts verfolgten ,  so  gibt  das  unmittelbar  folgende  neunte  eine 
ungefähre  Bestimmung  der  Zeit,  in  welcher  die  Mythenbildung 
thätig  zu  seyn  aufhörte.  Die  zusammengestellten  Data  stim- 
men in  das  Ergehniss  zusammen,  dass  bis  Olymp.  50  und  viel- 
leicht etwas  weiter  herab,  d.  h.  bis  prosaische  Schriftstellerei 
in  Aufnahme  kam,  Gedanken  und  Meinungen  mit  Fakten  ver- 
schmolzen unter  dem  Griechischen  Volke  häufig  die  Gestalt 
mythischer,  wirklich  geglaubter  Erzählungen  annahmen,  spä- 
ter aber  nicht  leicht  mehr.  Die  Einwendung,  weiche  gegen 
diesen  Saz  von  den  sogenannten  astronomischen  Mythen  herge- 
nommen werden  könnte,  die  wohl  Manchem  als  theilweise  Er- 
findung Alexandrinischer  Gelehrten  und  Dichter  gelten,  und 
doch  von  den  Alten  als  Mythen  behandelt  werden  ,  beantwor- 
tet ein  Anhang  zu  diesem  Kapitel  dahin:  Die  Sagen  von  den 
Pleiaden,  von  Orion,  von  Sirius,  und  vielleicht  noch  von  den 
Hyaden  seyen  die  einzigen  astronomischen,  d.h.  aus  Verhält- 
nissen, Eigenschaften,  geglaubten  Wirkungen  von  Sternbil- 
dern zu  erklärenden  Mythen,  welche  die  Mythologie  der  Grie- 
chen uns  darbietet:  in  der  folgenden  Zeit  seyen  weder  astrono- 
mische Mythen,  die  man  so  nennen  könne,  entstanden,  noch 
überhaupt  Mythologie  und  Astronomie  Hand  in  Hand  gegangen, 
und  wenn  auch  das  Leztre  desto  meL"  in  den  Schulen Alexan- 
drinischer  Grammatiker  statt  gefunden  habe,  so  habe  man 
doch  nicht  aus  der  Gestalt  des  Sternbildes  oder  den  Verhält- 
nissen desselben  zu  andern  mit  fertiger  Hand  eiuen  Mythus  ge- 
macht ,  sondern  nur  alte  mythische  Sagen  zur  Erklärung  von 
Sternbildern  augewandt.  (Einfacher  und  natürlicher  scheint 
dem  Rec. ,  um  dies  hier  sogleich  zu  bemerken,  diese  ganze 
Frage  so  gefasst  werden  zu  können,  von  welcher  Periode  an 
bei  der  Tradition  und  der  Bildung  der  Mythen,  welche  leztere 
eigentlich  so  gut  wie  jene  durch  das  ganze  Alterthum  fort- 
dauerte, ein  helleres  durch  Reflexion  bestimmtes  Bewusstseyn 
statt  gefunden  habe ;  welche  Zeit  allerdings  mit  dem  Anfang 


6  Mythologie. 

der  prosaischen  Schriftstellerei,  dem  sprechendsten  Erzeugniss 
der  jezt  besonders  hervortretenden  Verstandesthätigkeit ,  zu- 
sammenfällt.) Nach  diesen  Betrachtungen  über  den  Begriff,  die 
Quellen,  die  Entstehungsart ,  das  Alter  des  Griechischen  My- 
thus versucht  der  Verf.  Kap.  X  den  Weg  näher  zu  zeichnen, 
auf  welchem  man  mit  einiger  Sicherheit  zur  Entzifferung  des- 
selben gelangen  und  seine  erste  und  ursprüngliche  Gestalt  ken- 
nen lernen  kann.  Dies  kann  nur  dadurch  geschehen ,  dass  wir 
abzulösen  suchen,  was  die  Schriftsteller  als  Ueb erlief erer  des 
Mythus  hinzugethan  haben,  die  poetische  Ausschmückung,  die 
pragmatische  Verbindung,  die  philosophische  Deutung,  wozu 
allein  die  Kenntniss  der  verschiedenen  Schriftsteller  und  ihrer 
Verfahrungsweise  führen  kann.  In  dieser  Beziehung  folgen 
einige  Bemerkungen  über  das  psychologische  Motiviren  der  Be- 
gebenheiten bey  den  Dichtern  von  Homer  an  und  über  den 
Einfluss,  den  die  Dichter  gehabt  haben,  um  eine  gewisse 
Gleichmässigkeit  und  Uebereinstimmung  in  allen  Theilen  der 
Griechischen  Mythologie  zu  bewirken,  so  wie  über  die  von  den 
alten  pragmatisirenden  Historikern  behandelten  Mythen. 
Weiter  fortgesezt  wird  die  Erörterung  dieses  Geschäfts  der 
Trennung  in  Kap.  XI :  Wie  der  mythische  Stoff  in  seine  ur- 
sprünglichen Bestandteile  aufzulösen  sey;  wobei  als  entschie- 
dene Sache  vorausgesezt  wird ,  dass  im  Alterthum  das  Bestre- 
ben herrschte,  Sagen  zu  verbinden,  um  zusammenhängende 
Ganze  daraus  zu  bilden.  Daher  haben  wir  vor  allen  andern 
Dingen  den  Zusammenhang  zu  vernichten  und  aufzulösen.  Soll 
aber  dies  Verfahren  nicht  mit  Recht  ein  atomistisches ,  das 
Leben  des  Mythus  zerstörendes  genannt  werden ,  so  kann  das 
Auflösen  des  Mythus  nicht  wohl  geschehen ,  wenn  ihm  nicht 
gleich  das  Verständniss  desselben  zu  Hülfe  kommt ,  und  wenn 
nicht,  noch  vor  der  vollständigen  Deutung,  drei  Punkte  eine 
Bestimmung  erhalten:  Wo  ist  diese  und  jene  mythische  Erzäh- 
lung entstanden  (d.  h.  man  muss  jeden  Mythus  localisiren,  weil 
jeder  Mythus  an  irgend  einem  Orte  entstanden  seyn  muss), 
durch  welche  Personen  (wie  es  z.  B.  nicht  immer  die 
geschichtlich  bekannten  Einwohner  einer  Landschaft,  sondern 
oft  frühere  und  durch  nachfolgende  Völkerstämme  verdrängte 
sind)  und  woran  (die  meisten  Sagen  beziehen  sich  auf  einen 
bestimmten  vorhandenen  Gegenstand)  hat  sie  sich  gebildet. 
Der  leztere  Punkt,  welcher  darauf  aufmerksam  macht,  wie 
wichtig  es  sey ,  das  Vorhandene ,  seiner  Natur  nach  nicht  my- 
thische zu  kennen,  an  welches  der  Mythus  sich  anschliesst, 
veranlasst  die  Behauptung:  Es  scheine  kaum  einem  Zweifel 
unterworfen,  dass  die  Geschichte  der  Griechischen  Götter- 
dienste die  bedeutendste  Hülfswissenschaft  für  die  Mythologie 
sey,  und  in  der  Behandlung  von  ihr  kaum  getrennt  werden 
könne,    obgleich   sie  nur  zum  Theile    in  mythischem  Boden 


Müller:  Prolegomcna  zu  e.  wissenschaftlichen  Mythologie.         K 

wurzelt.  Daher  werden  nun  Kap.  XII  die  nach  der  Ansicht 
dos  \  erf.  flu* die  Mythologie  unthigeii  Ilülfs  -  undLehrsäze  üher 
den  Gottesdienst  und  die  Symbolik  der  Griechen  in  32  l'aragg. 
aufgestellt,  auf  deren  Inhalt  wir  liier  nicht  weiter  Rücksicht  zu 
nehmen  haben.  Da  sieh  die  vorhergehenden  Kapitel  zwar  mit 
der  Angabe  der  Methode  beschütteten,  durch  welche  der  My- 
tliu>  auf  seine  ursprünglichen  Bestandteile  zurückgeführt  und 
die  Umstände  und  Beziehungen,  unter  denen  derselbe  entstan- 
den, aufgefunden  werden  können,  damit  aber  der  Mythus  selbst 
noch  nicht  erklärt  ist;  so  ist  nun  hap.  XIII  noch  von  der  My- 
thendeutuug  selbst  die  Rede.  Der  Ilauptsaz ,  der  hier  aufge- 
stellt wird,  ist:  Im  Mythus  spricht  sich  durchweg  die  Grund- 
ansicht  aus,  dass  Wesen  den  Menschenseelen  analog,  und  von 
ihnen  nur  durch  mehr  Einheit  und  innern  Zusammenhang  des 
Thuns  verschieden,  in  der  physischen  wie  ethischen  Welt  leben- 
dig und  thätig  sind,  weswegen  die  gewöhnlichen  menschlichen 
Verhältnisse  auf  alle  nicht  menschlichen  Wesen  übertragen  wer- 
den, vor  allen  die  Verhältnisse  derGeschlechts-Verwandtschäft, 
durch  welche  erstaunlich  viel  bezeichnet  wird,  das  Verhältniss  der 
Kitern,  Geschwister,  Gatten.  Die  beiden  noch  übrigen  Kapitel, 
Kap.  XIV:  Beispiele  des  angegebenen  Verfahrens ,  Kap.  XV: 
Vergleiehung  anderer  Ansichten  mit  den  dargelegten,  enthal- 
ten nichts,  was  wir  hier  für  den  wissenschaftlichen  Zusam- 
menhang der  Schrift  noch  besonders  hervorheben  müssten. 

Beim  Ueberblick  der  hiemit  dargelegten  Ideenreihe  des 
Verf.  dringt  sich  uns  sogleich  als  Mittelpunkt  und  Kern  dersel- 
ben der  wichtige  Saz  auf,  dass  der  Mythus  nicht  als  Produkt 
selbstbewusster  Reflexion  und  wiilkührlicher  Dichtung  oder 
wohl  gar  als  „Erfindung  einer  Caste  und  Sekte  von  Schlaukö- 
pfen1' angesehen  werden  dürfe,  sondern  nur  aus  einer  gewis- 
sen Mothwendigkeit,  Unbewusstheit ,  Absichtlosigkeit  be- 
griffen werden  könne,  oder,  wie  wir  dasselbe  auch  ausdrücken 
können,  dass  demselben  kein  individuelles  Bewusstseyn,  son- 
dern ein  höheres  allgemeines  Vo'lksbewusstseyn  zu  Grunde 
liege.  Diesen  Saz,  die  notwendigste  Bedingung  eines  richti- 
gen Verständnisses  des  alten  Mythus ,  dessen  Anerkennung 
oder  Verwerfung  alle  Ansichten  über  Mythologie  sogleich  von 
vorn  herein  in  zwei  durchaus  entgegengesezte  scheidet,  hat 
der  Verf.  wenn  auch  keineswegs  zuerst ,  do<ch  aufs  neue  von 
verschiedenen  Seiten  auf  eine  so  lehrreiche  und  überzeugende 
Weise  auseinandergesezt,  dass  wir  eben  dies  vor  jed-er  andern 
Bemerkung  als  ein  sehr  wesentliches  Verdienst  dieser  Schrift 
um  die  wissenschaftliche  Mythologie  rühmen  müssen.  Je  mehr 
wir  aber  diesen  Vorzug  zu  schäzen  wissen  und  dem  Verf.  in 
der  angegebenen  Hinsicht  unsere  volle  Zustimmung  geben;  de- 
sto weniger  glauben  wir  auf  der  andern  Seite  unser  Befremden 


8  Mythologie. 

darüber  zurückhalten  zu  dürfen,  dass  der  Verf.  von  dem  Stand- 
punkte aus ,  auf  welchen  er  sich  gestellt  hat ,  nicht  tiefer  in 
die  wissenschaftliche  Erörterung  des  Wesens  des  Mythus  ein- 
gedrungen ist,  und  die  Untersuchung  hierüber  nicht  so  weit 
fortgeführt  hat ,  wie  man  doch  mit  Recht  in  Prolegomena  zu 
einer  wissenschaftlichen  Mythologie  erwarten  muss. 

Der  Verf.  hat  durchaus  den  Weg  der  empirischen  Ab- 
straction  eingeschlagen ,  er  geht  von  gegebenen  Beispielen  aus, 
hebt  aus  diesen  einzelne  Hauptbegriffe  hervor,  um  so  auf  all- 
gemeine Folgerungen  über  das  Wesen  des  Mythus  zu  gelangen. 
Auf  demselben  Wege  ergab  sich  nun  auch  dem  Verf.,  indem  er 
die  Spuren  des  Mythus  rückwärts  verfolgte,  dass  der  Ursprung 
desselben  aus  keiner  literarisch  bekannten  Periode  schriftstel- 
lerischer Thätigkeit  abgeleitet  werden  könne,  sondern  nur  das 
Erzeugiiiss  einer  über  jede  individuelle  Willkühr  hinausliegen- 
den innern  Nothwendigkeit  sey.  Allein,  genauer  betrachtet, 
ist  dies  zunächst  eine  blos  negative  Bestimmung :  wir  wissen 
nur,  was  der  Mythus  nicht  ist ,  und  haben  somit  auch  solange 
noch  einen  inhaltsleeren  Begriff,  solange  nicht  zu  dem  Negati- 
ven auch  ein  Positives  hinzugekommen  ist.  Dass  nun  aber  die- 
ses Positive  nicht  auf  demselben  Wege  der  empirischen  Abstra- 
ction  zu  finden  ist,  ergibt  sich  unmittelbar  daraus,  dass  jener 
nur  zu  etwas  Negativem  geführt  hat.  Was  aus  der  Thätigkeit 
einzelner  Individuen  nicht  zu  begreifen  ist,  gleichwohl  aber 
als  eine  periodisch  allgemeine  und  characteristische  Erschei- 
nung sich  kund  gibt,  kann  nur  aus  dem  innern  Wesen  des 
menschlichen  Geistes  selbst  abgeleitet  werden,  und  der  Begriff 
des  Mythus  kann  demnach ,  wenn  er  auch  gleich  als  ein  be- 
stimmter historisch  gegebener  Begriff  nur  historisch  aufgefasst 
werden  kann ,  dennoch  gewissermassen  nur  a  priori  deducirt 
werden ,  eine  Behauptung ,  die  niemand  misverstehen  wird, 
wer  überhaupt  einen  richtigen  Begriff  einer  philosophischen 
Deduction  hat.  Es  liesse  sich  sogar ,  wenn  wir  schon  hinzu- 
nehmen wollten,  was  der  Verf.  S.  336  sq.  über  den  Glauben 
an  das  Göttliche  sagt,  aus  den  eigenen  Behauptungen  desselben 
leicht  darthun ,  dass  der  Begriff  des  Mythus ,  wenn  auch  nur 
historisch  aufgefunden,  doch  nicht  blos  historisch  oder  empi- 
risch erklärt  werden  kann.  Betrachten  wir  nun  nach  dem  hier 
bezeichneten  Gesichtspunkt  den  Mythus  im  Allgemeinen,  so 
gibt  sich  uns  als  das  allgemeinste  Merkmal  des  Mythus  dies  zu 
erkennen,  dass  er  Ideen  in  einer  eigenthümlichen  Form  dar- 
stellt. Biese  eigenthümliche  üarstellungsweise  ist  aber  keine 
andere,  als  die  indirecte  oder  bildliche,  im  Gegensaz  gegen 
die  directe  oder  logische.  Der  Begriff  des  Mythus  muss  dem- 
nach ,  wenn  wir  uns  auch  nur  an  dasjenige  halten ,  was  auch 
unser  Verf.  so  wenig ,  als  irgend  ein  anderer ,  der  das  Wesen 


Müller:  Prolegomena  zu  e.  wissenschaftlichen  Mythologie.        ö 

des  Mythus  zum  Gegenstand  seines  Nachdenkens  gemacht  hat, 
verkennt,  dass  nemlich  der  mythische  Ausdruck  eine  eigeuthüm- 
liche  Art  der  Darstellung  ist  (S.  279),  auf  den  Begriff  des 
Bildes  führen.  Dem  Bilde  aberliegt,  wir  mögen  es  nehmen, 
wie  wir  wollen,  nothwendig  immer  eine  Anschauung  zu  Grunde. 
Somit  gelangen  wir  auf  diesem  Wege  zu  dem  einfachen  Haupt- 
saze ,  dass  die  mythische  oder  indirecte  Darstellung  sich  zur 
logischen  oder  directen  auf  dieselbe  Weise  verhält ,  wie  sich 
überhaupt  das  ganze  menschliche  Erkenntniss-  und  Darstel- 
lungs- Vermögen  in  Begriff  und  Anschauung,  als  seine  beiden 
nothwendigen  oder  apriorischen  Formen,  theilt.  Daraus  ergibt 
sich  auch  sogleich  die  Folgerung,  dass  nach  demselben  Ent- 
wickelungsgeseze  des  geistigen  Organismus  des  Menschen,  nach 
welchem  überhaupt  dem  Begriffe  immer  die  Anschauung  voran- 
geht ,  auch  die  mythische  Form  der  Darstellung  als  die  ältere 
und  älteste  gesezt  werden  muss.  Verfolgen  wir  den  auf  diese 
Weise  eingeschlagenen  Weg  weiter ,  so  ist  das  Nächste ,  wor- 
auf wir  unsere  Aufmerksamkeit  richten  müssen,  die  Unter- 
scheidung des  Bildes  von  der  Anschauung.  Das  Bild  ist  zwar 
auch  eine  Anschauung,  aber  keine  sinnliche  Anschauung  im  ge- 
wöhnlichen Sinne.  Die  sinnliche  Anschauung  ist  ein  unmittel- 
bar Gegebenes,  eine  für  sich  abgeschlossene  Sphäre,  über 
welche  hinauszugehen  wir  zunächst  keine  Nöthigung  haben; 
die  bildliche  Anschauung  aber  nöthigt  uns ,  da  ja  das  Bild  sei- 
ner Natur  nach  immer  nur  von  etwas  anderem  abhängig  seyn 
kann,  sogleich  zu  einem  Höheren  aufzublicken,  wovon  eben 
sie  der  sinnliche  Reflex,  die  in  der  Anschauung  gegebene  Form 
ist.  Diese  formelle ,  oder  bildliche  Anschauung  ist  es ,  was 
man  in  der  Mythologie  mit  dem  Namen  des  Symbols  bezeich- 
net ,  und  der  Mythus  kann  demnach ,  wenn  er  nach  den  Ele- 
menten seiner  Entstehung,  d.  h.  wissenschaftlich  betrachtet 
werden  soll,  ebensowenig  vom  Symbol  getrennt  werden ,  als 
in  der  psychologischen  Analyse  des  Erkenntniss-Vermögens  der 
logische  Begriff  von  der  Anschauung  zu  trennen  ist. '  Daher 
musste  es  auch  bey  unserm  Verf.  von  durchgehendem  und  we- 
sentlichem Nachtheil  für  die  Behandlung  des  Gegenstandes 
seyn ,  dass  er  den  Mythus  nicht  von  vorn  herein  im  Zusammen- 
hang mit  dem  Symbol  aufgefasst ,  vielmehr  alles ,  was  er  über 
die  Beziehung  des  Symbols  zum  Mythus  zu  bemerken  sich  ver- 
anlasst sah ,  erst  Kap.  XII  unter  die  Hülfs  -  und  Lehrsäze  über 
den  Gottesdienst  und  die  Symbolik  der  Griechen  aufgenommen 
hat  (S.  258—266).  Es  hat  dies  vors  erste  die  Folge  gehabt, 
dass  auf  diese  Weise  nicht  einmal  das  mit  allem  Recht  voran- 
gestellte Hauptmerkmal  des  Mythus,  der  Begriff  der  Nothwen- 
digkeit  und  Unbewusstheit  in  das  rechte  Licht  gesezt  werden 
konnte.  Dass  die  mythische  Form  der  Darstellung  keine  blos 
zufällige  und  wiilkührliche,  sondern  nothwendige  und  in  lezter 


10  Mythologie. 

Beziehung  a  priori  gegebene  ist,  kann  doch  dann  erst  vollkom- 
men eingesehen  werden,  wenn  sie  aus  der  JNatur  und  Gesez- 
mässigkeit  des  menschlichen  Geistes,  aus  dem  Weehselverhält- 
niss  der  beiden  Elemente  aller  Erkenntnis« ,  des  Begriffs  und 
der  Anschauung,  des  Ideellen  und  Reellen  construirt  wird.  Ebenso 
natürlich  ist  dann  zweitens,  dass  dem  Verf.  nicht  einmal  die 
Bestimmung  des  Begriffs  des  Mythus  auf  eine  durchgreifende 
und  erschöpfende  Weise  gelingen  konnte.  Es  wird  zwar  vor 
allem  ganz  richtig  auf  die  Unterscheidung  der  beiden  Elemente 
des  Mythus,  des  Geschehenen  und  Gedachten,  des  Beeilen 
und  Ideellen  hingewiesen;  vergleichen  wir  aber  die  verschie- 
denen Erklärungen,  welche  hierüber  gegeben  werden,  so  bleibt 
im  Ganzen  doch  immer  etwas  Schwankendes  und  Unbestimmtes 
zurück.  Der  Verf.  spricht  nemlich  von  dem  Verhältnis«  des 
Ideellen  und  Reellen  im  Mythus  bald  so,  als  gehörte  es  über- 
haupt zum  Wesen  des  Mythus ,  dass  in  ihm  überall  sowohl  ein 
Ideelles  als  ein  Reelles  ist,  bald  aber  auch  wieder  so,  als  gäbe 
es  auch  solche  Arten  von  Mythen,  in  welchen  entweder  nur  ein 
Ideelles,  oder  nur  ein  Reelles  zu  erkennen  ist.  S.  100  wird 
gesagt:  „Das  Ideelle  ist  mit  dem  Reellen  im  Mythus  oft  so  eng 
verwoben,  so  unzerreisslich  verknüpft,  dass  man  deutlich  sieht, 
der  Mythus  ist  von  Anfang  an  durch  die  Vereinigung  und  ge- 
genseitige Durchdringung  beider  entstanden,  und  wir  müssten 
dem  Dichter,  wenn  das  Ideelle  darin  sein  Werk  seyn  sollte,  so- 
gleich auch  das  Reelle  zutheilen.u  —  „Ein  Mythus  ist  oft  durch- 
aus ideell,  und  enthält  keine  Nachricht  von  faktischen  Begeben- 
heiten, und  doch  ist  er  deutlich  an  einem  bestimmten  Orte  ent- 
standen, und  Werk  der  Bewohner  einer  einzelnen  Land- 
schaft." Dagegen  gleich  nachher  S.  110:  „Die  eigenthümliche 
Mischung  von  Idee  und  Faktum  die  das  Characteristische  in 
der  Mythologie  ist,  gehört  zum  ursprünglichen  Wesen  der 
Mythen."  Damit  vergleiche  man  S.  70:  „In  der  That  findet 
diese  Verknüpfung  (des  Gedachten  und  Faktischen)  bey  den 
meisten  Mythen  statt,  und  es  möchten  nicht  viele  seyn,  in  wel- 
chen nicht  etwas  Reelles  und  etwas  Ideelles  nachgewiesen  wer- 
den könnte.  —  Daher  auch  die  Unterscheidung  der  histori- 
schen und  philosophischen  Mythen,  auf  die  man  früher  oft 
sehr  grossen  Werth  legte ,  von  verhältnissmässig  geringer  An- 
wendbarkeit ist,  und  nur  Weniges  dadurch  aus  der  ganzen 
Masse  herausgeschieden  und  classificirt  werden  kann."  in  dem- 
selben Zusammenhang  wird  sodann  zuerst  nach  dem  Gedach- 
ten, dem  Ideellen  im  Mythus  besonders  gefragt  und  für  die 
Beantwortung  dieser  Frage  nothwendig  der  theogonische  Theil 
der  Mythologie  von  der  übrigen  Masse  abgesondert,  da  in  je- 
nem dem  Betrachtende/i  sogleich  eine  Menge  Ideen  in  ziemlich 
klarem  Ausdruck  entgegen  treten,  in  dem  andern  weit  weniger. 
Auf  dieselbe  Weise  wird  S.  80  das  Faktische  besonders  be- 


Müller:  Prolegomcna  zu  e.  wissenschaftlichen  Mythologie.        11 

trachtet.     Von  welcher  Art  dies  seyn   müsse,     sey  keine  so 
schwierige  Frage.     Denn  da  der  Mythus  die  Form  der  Erzäh- 
lung habe,  faktische  Begebenheiten  aber  in  keiner  andern  Form 
vorgetragen  werden   können,    Ausdruck  also  und  Inhalt  sich 
bey  diesem  Element  der  Mythologie  weit  mehr  entsprechen  als 
bey  dem  andern,  so  sey  auch  weit  leichter  abzunehmen,  was 
für  Classen  von  Begebenheiten  vorgetragen  werden ,  Genealo- 
gien von  Heroen,  Abentheuer,    Wanderungen,  Vermählungen 
derselben  u.  s.  w.     Fassen  wir  alles  dies  zusammen  ,  so  scheint 
der  Verf.  mit  der  Unterscheidung  des  Ideellen  und  Reellen,  für 
welches  leztere  er  wiederholt  das  Faktische  [gleichbedeutend 
sezt,  eigentlich  nur  dies  sagen  zu   wollen,  es  gebe  zwei  ver- 
schiedene Classen  von  Mythen,    die  eine  enthalte  Gedachtes 
oder  Ideen  ,  die  andere  Fakta  oder  Reelles :  im  Grunde  also 
doch  dasselbe,  was  man  auch  durch  die  Unterscheidung  phi- 
losophischer und  historischer  Mythen    mit  Recht  bezeichnet. 
Damit  erhalten  wir  aber  noch  keinen  deutlichen  Begriff  über 
das  innere  Wesen  des  Mythus,  und  alles,  Avas  im  zweiten  Ka- 
pitel, welches  dem  innern  Begriff  des  Mythus   näher  führen 
soll,  gesagt  wird,  fällt  im  Grunde  wieder  ganz  mit  dem  Inhalt 
des    ersten  Kapitels  zusammen,   welches  vom  äussern  Begriff 
des  Mythus  handelt,  und  diesen  so  bestimmt:  der  Mythus  rede 
zwar  von  Handlungen  und  handelnden  Personen,  betreffe  aber 
eine  frühere  von  der  eigentlichen  Geschichte  getrennte  Zeit, 
d.  h.  er  sey  in  einer  Hinsicht  historisch,  in  einer  andern  nicht- 
historisch.    Oder  wenn  wir  diese  Bestimmung  des  Begriffs  in 
einem  andern  Sinne  nehmen,     als  die  vorige  Unterscheidung 
des  Ideellen  und  Faktischen,   und  sie  so  verstehen,  wie  sie 
nach  Kap.  I    allerdings  verstanden  werden  zu  müssen  scheint, 
dass  nemlich  jeder  einzelne  Mythus  in  gewissem  Sinne  sowohl 
historisch  als  nicht  historisch  sey,  so  führt  vielmehr  eben  dies, 
was  der  Verf.  über  den  äussern  Begriff  des  Mythus  sagt,  dem 
innern  Begriffe  desselben  weit  näher  als  dasjenige,  was  er  im 
zweiten  Kap.  unter  die  Schritte  zum  innern  Begriffe   des  My- 
thus rechnet.     Zum  innern  Begriffe  des  Mythus  gelangen  wir 
nur  dadurch ,  dass  wir  die  beiden  äusserlich  gesonderten  Ar- 
ten des  Mythus ,  wie  es  jede   wissenschaftliche  Deduction  er- 
fordert, unter  einen  höhern  gemeinschaftlichen  Begriff  zusam- 
menfassen, und  es  muss  daher  allerdings  das  Ideelle  und  Reelle 
als  gemeinschaftlicher  Character  jeder  Art  von  Mythen  aner- 
kannt werden:    woraus  sich  die  Folgerung   ergibt,  dass  ver- 
schiedene Arten  von  Mythen  nur  so  statt  finden  können ,  dass 
sich  das  Verhältniss  des  Ideellen  und  Reellen  in  den  einzelnen 
Mythen  bald  so  bald  anders  modificirt,  bald  das  eine,  bald 
das  andere  Element  das  Uebergewicht  hat.     Da  wir  nun  aber 
bereits  als  wesentliches  Merkmal  des  Mythus  die  Beziehung 
desselben  auf  eine  bildliche  Anschauung  gefunden  haben,  das 


12  Mythologie. 

Bild  aber  eben  dadurch  Bild  ist,  dass  es  an  und  für  sich  nichts 
ist,  sondern  seine  Bedeutung  nur  durch  die  Beziehung  auf  et- 
was anders  erhält;  so  wird  hieraus  von  selbst  klar,  dass  jenes 
Reelle ,  das  Wir  im  Mythus  vom  Ideellen  unterscheiden ,  eben 
das  Bildliche  sey.  Wie  wenig  sich  die  Untersuchung  des  Verf. 
dem  Punkte  genähert  hat,  auf  welchem  das  Reelle  des  Mythus 
in  das  Bildliche  desselben  zu  sezen  ist ,  erhellt  am  besten  aus 
dem  S.  100  angeführten  Beispiel  eines  durchaus  ideellen  My- 
thus. Dass  nemlich  Kallisto,  die  Artemis  als  die  INährerin  des 
Wildes  in  Feld  und  Wald ,  als  die  Göttin  blühender  Kraft  dar- 
stellend, in  Arkadien  in  Gestalt  einer  Bärin  erscheine,  dies 
sey  etwas  blos  Gedachtes;  denn  es  habe  im  Kreise  sinnlicher 
Erfahrung  weder  eine  solche  Göttin  gegeben ,  noch  sey  sie  je 
als  Bärin  erschienen.  Das  Leztere  ist  allerdings  auch  die  Mei- 
nung des  Rec. ,  da  aber  nun  doch  einmal  die  Artemis  -Kallisto 
in  Arkadien  die  Gestalt  einer  Bärin  hatte,  so  muss  sie  doch 
wenigstens  bildlich  als  Bärin  erschienen  seyn:  der  Mythus  ist 
demnach  eigentlich  ein  Symbol,  oder  er  enthält  neben  dem 
Ideellen  ein  Reelles ,  weil  jede  aus  der  Natur  genommene  An- 
schauung, durch  welche  eine  Idee  bildlich  versinnlicht  wird, 
wie  die  Anschauung  überhaupt ,  etwas  Reelles  ist.  Wir  kön- 
nen aber  auch  bey  dem  bisher  Bemerkten  noch  nicht  stehen 
bleiben,  da  wir  ja  das  Bild,  oder  die  bildliche  Anschauung 
auch  das  Symbol  genannt  haben,  Symbol  aber  und  Mythus  so- 
gleich als  wesentlich  verschiedene  Formen  erscheinen.  Es  muss 
daher  zu  dem  Merkmale  der  bildlichen  Anschauung,  sofern  es 
dem  Mythus  zuzueignen  ist,  noch  etwas  hinzukommen,  wo- 
durch erst  der  Mythus  von  der  bildlichen  Anschauung,  wie  sie 
im  Symbol  statt  findet,  characteristisch  unterschieden  werden 
kann.  Dieses  neue  Merkmal  wird  uns  dadurch  gegeben,  dass 
wir  auf  dieselbe  Weise,  wie  der  sinnlichen  Anschauung  der 
logische  Begriff  entgegen  steht ,  auf  die  bildliche  Anschauung 
den  Gegensaz  zwischen  Raum  und  Zeit,  zwischen  Momenta- 
nem und  Successivem,  zwischen  einer  ruhenden  Erscheinung 
und  einer  fortschreitenden  Handlung  übertragen.  Dadurch  er- 
halten wir  die  bestimmtere  Unterscheidung  zwischen  Symbol 
und  Mythus.  Das  Reelle  oder  Bildliche  im  Mythus  muss  nun 
nothwendig  als  ein  Faktisches  aufgefasst  werden,  d.  h.  die 
Handlungen  und  Personen,  die  den  eigenthümlichen  Character 
des  Mythus  ausmachen,  sind  nichts  eigentlich  Historisches, 
sondern  eine  blose  Form,  die  zur  Darstellung  des  Ideellen 
dient.  Mit  dieser  historischen  Form  kann  nun  zwar  allerdings 
auch  wirklich  Historisches  sich  verbinden,  woraus  sich  uns 
die  in  der  JNatur  der  Sache  gegründete  Unterscheidung  zwi- 
schen historischen  und  philosophischen  Mythen  ergibt,  oder 
jenes  oben  bemerkte  auf  mannigfache  Art  sich  modificirende 
Verhältniss  des  Ideellen  und  Reellen  im  Mythus ;  aber  von  hi- 


Müller:  Prolegoniena  zu  e.  wissenschaftlichen  Mythologie.        13 

storischen  Mythen  kann  demungeachtet ,  wenn  nicht  ohne 
Grund  für  Mythisches  gehalten  werden  soll,  was  eigentlich 
historisch  ist,  nur  dann  die  Rede  seyn,  wenn  wir  bey  irgend 
einer  gegebeneu  Erzählung  zum  wenigsten  darüber  im  Zweifel 
sind,  wie  vieles  in  derselben  wirklich  historisch  ist ,  oder  als 
blose  äussere  Form  zur  Darstellung  einer  Idee  dient.  Der 
HauptbegrifF  jedoch  ,  an  welchem  wir  hier  festzuhalten  haben, 
ist,  dass  die  mythischen  Personen  immer  nur  eine  bildliche  Be- 
deutung haben  können,  dass  sie  sich,  sofern  sie  Personen  sind, 
auf  das  Wesen  des  Mythus,  und  sofern  sie  symbolische  Per- 
sonen sind,  auf  den  Zusammenhang  des  Mythus  mit  dem  Sym- 
bol und  somit  auch,  da  das  Symbol  immer  eine  Naturanschau- 
ung  ist,  mit  der  Natur  beziehen.  Haben  aber  die  Personen, 
die  die  Träger  der  ganzen  mythischen  Handlung  sind ,  selbst 
nur  eine  bildliche  Bedeutung,  so  versteht  es  sich  von  selbst, 
dass  auch  alles,  was  von  ihnen  gesagt  wird,  nur  in  demselben 
uneigentlichen  Sinne  verstanden  werden  kann,  und  es  hängt 
daher  alles,  was  der  Verf.  erst  Kap.  XIII  über  die  Mythendeu- 
tung und  den  in  der  gewöhnlichen  Mythologie  durchgehenden 
Grundsazsagt  (S.210),  dass  die  gewöhnlichen  menschlichen  Ver- 
hältnisse auch  auf  alle  nicht  menschlichen  Wesen  übertragen 
werden,  mit  der  Deduction  des  Begriffs  des  Mythus  selbst  aufs 
engste  zusammen. 

Das  Bisherige  betrifft  übrigens  nur  die  Form  des  Mythus, 
die  Form  aber  wird  überall  nothwendig  durch  den  Inhalt  be- 
dingt. Wir  können  daher  selbst  das  obige  Merkmal  der  Unbe- 
wusstheit  und  Notwendigkeit  der  mythischen  Form  der  Dar- 
stellung solange  nicht  mit  wissenschaftlicher  Ueberzeugung 
zuerkennen ,  solange  wir  nicht  die  Frage  näher  untersucht  ha- 
ben, wie  der  Inhalt  des  im  Mythus  Darzustellenden  gerade 
diese  eigenthümliche  Form  der  Darstellung  als  eine  nothwen- 
dige  herbeygeführt  habe.  Dem  Verf.  ist  dieselbe  schwankende 
und  unbestimmte  Unterscheidung  des  Ideellen  und  Reellen  im 
Mythus ,  von  welcher  so  eben  gesprochen  wurde,  einer  tiefern 
Untersuchung  wie  der  Form  so  auch  des  Inhalts  des  Mythus  im 
Wege  gestanden.  Sehen  wir  jedoch,  wie  der  Verf.  sich  hier- 
über äussert.  Nach  S.  71  machen  theogonische  Ideen  einen 
Theil  der  Mythologie  aus,  Gedanken  über  Welt  und  Gott  und 
über  der  Menschen  Verhältniss  zu  einer  höhern  Natur,  Gedan- 
ken, deren  Zusammenhang,  wenn  wir  das  Religiöse  darin  zur 
Seite  lassen,  eine  Art  Philosophie  bildet.  Nach  S.  VI  ist  es 
klar,  dass  die  mythischen  Erzählungen  „ein  Ausdruck  des  Glau- 
bens an  die  Götter  des  Landes,  der  Religion  sind,  wenn  wir 
auch  immer  die  Quellen  dieser  Religion  noch  ganz  unbestimmt 
lassen,  und  nicht  einmal  darüber  entscheiden  wollen,  ob  die 
Götter  etwa  aus  Philosophemen  entstanden  seyen.  So  ist  Reli- 
gion neben  der  Geschichte  das  einzige  Element ,  welches  bey 


14  Mythologie. 

der  ersten  Betrachtung  der  heroischen  oder  lokalen  Mythologie 
hervortritt.  Für  den  aber,  der  tiefer  einzudringen  sucht ,  ge- 
winnt der  Götterglaube  in  der  Mythologie  bald  immer  mehr 
Raum  und  Bedeutung."  Doch  will  der  Verf.  nicht  blos  auf 
Ideen  der  Religion  den  Inhalt  der  Mythologie  beschrankt  wis- 
sen. Wir  haben  nach  S.  77  „überhaupt  keinen  Grund,  von  der 
mythischen  Darstellung  irgend  eine  Klasse  von  Ideen  und  Gedan- 
ken zum  voraus  auszuschliessen,  wenn  irgend  denkbar  ist,  dass 
sie  innerhalb  des  Kreises  der  geistigen  Thätigkeit  jener  frü- 
hern Menschen  gelegen  haben  hönne.  Ganz  im  Gegentheil  ist 
es  sehr  wahrscheinlich,  dass  eine  Gesammtheit  von  Wissen 
und  Denken  in  der  Mythologie  enthalten  ist.  Denn  auf  jeden 
Fall  ist  der  mythische  Ausdruck,  der  alle  Wesen  zu  Personen 
und  alle  Beziehungen  zu  Handlungen  macht,  ein  so  eigeu- 
thümlicher,  dass  wir  zu  seiner  Ausbildung  eine  besondere 
Epoche  der  Cultur  eines  Volks  annehmen  müs;  en."  Diese  lez- 
tere  Bemerkung  über  die  Allgemeinheit  des  Inhalts  der  Mytho- 
logie ist  in  gewisser  Hinsicht  ganz  ricbtig,  bedarf  aber  doch 
einer  Modifikation.  Bey  genauerer  Betrachtung  kann  uns  nicht 
entgehen,  dass  der  Mythus ,  so  mannigfaltig  und  verschieden- 
artig auch  sein  Inhalt  seyn  mag,  doch  immer  irgend  eine  Be- 
ziehung auf  das  Göttliche  ausdrückt,  wie  derVevf.  selbst  auch 
anzuerkennen  scheint ,  wenn  er  S.  72  sagt :  „Lesen  wir  die 
Mythen  einfach  mit  einer  gewissen  Beseitigung  des  Bestrebens 
zu  erklären:  so  ist  es  besonders  nur  ein  Punkt,  wo  uns  das  Ge- 
dachte übei-all  in  die  Augen  fällt,  das  beständige  Einwirken 
der  Götter."  Dieses  beständige  Einwirken  der  Götter,  wel- 
ches sich  nicht  blos  auf  die  Form,  sondern  auf  den  innern  Zu- 
sammenhang zwischen  Form  und  Inhalt  bezieht,  ist  es  eben, 
was  die  mythische  Handlung  characteristisch  von  der  histori- 
schen unterscheidet.  Das  Uebernatürliche  und  Wundeibare 
ist  das  wahre  Element  des  Mythus,  die  Götterwelt  reflectirt 
sich  in  der  sichtbaren  Ordnung  der  Dinge,  eine  persönliche 
und  absichtliche  Causalität  ist  bald  offener  bald  versteckter  die 
Urheberin  und  Lenkerin  aller  Handlungen  und  Ereignisse. 
Selbst  die  Genealogien,  deren  die  Mythologie  eine  so  grosse 
Menge  enthält,  tragen  neben  der  Aufstellung  idealer  Personen 
Statt  wirklicher  Personen  den  Character  des  Mythischen  nur 
deswegen  an  sich,  weil  sie  die  ganze  Reihe  der  Geschlechter 
in  lezter  Beziehung  immer  an  einen  göttlichen  Stammvater  an- 
knüpfen, und  nicht  eher  einen  festen  Punkt  gefunden  zu  haben 
glauben,  als  bis  sie  zur  höchsten  Einheit  gekommen  sind. 
Halten  wir  uns  demnach  auch  blos  an  die  empirische  /Vbstra- 
ctiou,  so  können  wir  unmöglich  verkennen,  dass  die  Idee  der 
Keligion  oder  das  Göttliche  ^cn  allgemeinsten  und  eigenthi'im- 
lichsten  Inhalt  der  Mythologie  ausmacht.  Aber  von  diesem 
Punkt  aus  muss  nun  erst  die  wissenschaftliche  Untersuch  uns: 


Müller :  Prolcgomena  zu  e.  wissenschaftlichen  Mythologie.        15 

eine  höhere  Richtung  nehmen,  und  das  empirisch  Gegebene  an 
das  Apriorische  angeknüpi't  Meiden,  d.  h.  eben  an  die  Idee  der 
Religion  im  allgemeinsten  Sinne,  die  auch  der  Verf.  S.  236  aut 


eine  überzeugende  Weise  aus  sinnlichen  Eindrücken  und  darauf 
gebauten  Schlüssen  abzuleiten  für  unmöglich  hält.  Haben  wir 
uns  aber  einmal  zu  diesem  Standpunkt  erhoben,  den  Glauben 
an  das  Göttliche  als  eine  in  dem  unmittelbaren  Bewusstseyn 
des  Menschen  mit  innerer  Notwendigkeit  sich  aussprechende 
Idee  anzusehen ,  so  können  wir  auch  die  in  der  Mythologie  er- 
scheinende Religion  nur  als  eine  besondere  Form  betrachten, 
in  welcher  sich  die  Idee  der  Einen  und  allgemeinen  Religion 
auf  eine  eigentümliche  Weise  abspiegelt.  Daraus  ergibt  sich 
sodann  für  den  wissenschaftlichen  Begriff  des  Mythus  und  der 
Mythologie  zweierlei:  1)  Das  obige  in  dem  Mythus  anerkannte 
Merkmal  der  Notwendigkeit  und  Unbewusstheit  erhält  jezt 
erst,  da  die  Form  durch  den  Inhalt  bestimmt  ist,  seinen  be- 
stimmtem Sinn  und  seine  feste  Haltung.  Ist  das  religiöse  Be- 
wusstseyn von  clemSelbsibewusstseyn  überhaupt  nicht  zu  tren- 
nen, so  müssen  die  Ideen  der  Religion  auch  auf  jeder  Stufe  des 
sich  entwickelnden  menschlichen  Geistes  ihren  eigenthümli- 
chen  Ausdruck  finden,  und  die  symbolisch-mythische  Form  ist 
diejenige,  die  als  die  concreto  und  sinnliche  der  abstracten 
und  logischen  Erkenntniss-  und  Darstellungswcise  vorangeht. 
Es  ist  ein  innerer  unabweisbarer  Drang,  der  den  Menschen 
nöthigt,  was  das  ahnungsvolle  Gemüth  und  die  fühlende  Brust 
bewegt,  auch  äusserlich  auszusprechen  und  darzustellen;  aber 
durch  welche  andere  Mittel  sollte  ihm  dies  gelingen,  als  nur 
durch  solche,  an  welche  er  nach  dem  Crrade  seiner  ganzen 
geistigen  Bildung  gebunden  ist*?  Das  Uebersinnliche  hüllt  sich 
ihm  in  sinnliche  Form,  und  die  Natur,  mit  welcher  sein  ei- 
genes Leben  noch  so  innig  zusammengewachsen  ist,  bietet  ihm 
die  Typen  des  Göttlichen  dar.  Daher  die  in  der  mythischen 
Ansicht,  wie  auch  der  Verf.  S.  2(19  bemerkt,  durchaus  er- 
scheinende Identität  des  Menschengeistes  mit  dem  Naturgeiste, 
daher  dann  auch,  indem  ja  die  Symbole,  obgleich  verhüllt, 
doch  nichts  anders  ausdrücken ,  als  wozu  jeder  den  Schlüssel 
in  seinem  eigenen  Innern  findet,  die  Macht  der  Tradition  und 
der  Glaube  an  die  Ueberlieferung  als  eine  göttliche  Offenba- 
rung. 2)  Wie  sich  aus  der  blosen  Entwickelung  des  Begriffs 
der  Religion  der  allgemeine  Inhalt  derselben  nach  den  einzel- 
nen Lehren  a  priori  ableiten  lässt,  so  gewinnen  wir  nun  hier- 
aus auch,  da  das  Allgemeine  immer  auch  in  dem  Besondern 
enthalten  Seyn  muss,  die  formelle  Grundlage,  auf  welcher  ein 
gewisses  System  der  Mythologie  errichtet,  und  jedem  einzel- 
nen Mythus,  sobald  wir  einmal  darüber  Gewissheit  haben,  wie 
sein  Inhalt  zu  deuten  ist,  die  ihm  gebührende  durch  den  wis- 
senschaftlichen Zusammenhang   des  Ganzen  bestimmte  Stelle 


16  Mythologie. 

angewiesen  werden  kann.  Nach  unserer  Ueberzeugung  ist  dies 
eine  der  wichtigsten  Aufgaben,  welche  in  Prolegomena  zu  je- 
der Wissenschaft,  und  somit  auch  in  Prolegomena  zu  einer 
wissenschaftlichen  Mythologie  zur  Sprache  kommen  muss ;  sie 
kann  aber  natürlicher  Weise  nicht  gelöst  werden,  so  lange  man 
den  Begriff  des  Mythus  blos  als  einen  historischen  durchaus 
nur  von  der  äussern  Erfahrung  gegebenen  betrachtet ,  und  den 
Begriff  des  Apriorischen  dadurch  verwirrt  und  aufhebt,  dass 
man  zwischen  der  in  unserm  höhern  Bewusstseyn  sich  ausspre- 
chenden Idee  und  den  einzelnen  allerdings  nur  historisch  er- 
kennbaren Formen  einer  solchen  Idee  nicht  gehörig  unterschei- 
det. Rec.  glaubt  diese  Bemerkung  um  so  mehr  machen  zu 
dürfen,  da  der  Verf.  Vorrede  S.  V  selbst  gesteht,  der  Leser 
werde  ihm  wohl  glauben,  dass  er  nicht  im  Geringsten  die  Mei- 
nung von  sich  hege ,  durch  diese  Schrift  etwas  Aehnliches  für 
die  Mythologie  geleistet  zu  haben ,  was  ein  bekanntes  philoso- 
phisches Werk  von  grosser  Bedeutung  unter  demselben  Namen 
leistete,  sondern  nur  etwa  die :  etwas  Sehnliches  thue  der  My- 
thologie gerade  jezt  am  meisten  Noth. 

Wissenschaftlich  in  strengem  Sinne  soll  also  nach  der  ei- 
genen Forderung  des  Verf.  der  Begriff  der  Mythologie  be- 
stimmtwerden. Jede  wissenschaftliche  Bestimmung  ist  aber  nur 
dadurch  möglich,  dass  wir  den  gegebenen  Begriff,  um  dessen  wis- 
senschaftliche Bestimmung  es  uns  zu  thun  ist,  auf  den  höhern  Be- 
griff, unter  welchem  er  enthalten  ist,  zurückführen.  Auf  diesem  al- 
lein möglichen  Wege  müssen  wir  nun  auch  den  Begriff  der  Mytho- 
logie auf  den  der  Religion  zurückführen,  und  aus  dieser  einfachen 
aber  nothwendigen  Voraussezung  ergeben  sich  uns  alle  bisher 
entwickelten  Bemerkungen ,  gegen  welche  Jeder  einer  solchen 
Aufgabe  und  des  sie  betreffenden  Gegenstandes  kundige  nicht 
wohl  einen  bedeutenden  Widerspruch  wird  erheben  können. 
Dem  Verf.  aber  konnte  sich  auf  dem  von  ihm  eingeschlagenen 
Wege,  so  wahr  und  trefflich  auch  alles  ist,  was  er  im  Einzel- 
nen ausführt,  die  Lösung  der  wissenschaftlichen  Aufgabe  we- 
nigstens, die  er  sich  zum  Ziele  gesezt  hat,  auf  eine  befriedi- 
gende Weise  aus  dem  Grunde  nicht  ergeben,  weil  er,  was  uns 
das  Unbegreiflichste  in  dem  ganzen  Inhalte  dieser  Schrift  ist, 
Religion  und  Mythologie  völlig  trennt,  und  die  Griechische 
Religion  als  eine  blose  Hülfswissenschaft  der  Griechischen 
Mythologie  betrachtet.  Man  vergleiche  wie  sich  der  Verf. 
S.  234  sq.  hierüber  äussert,  um  darauf  aufmerksam  zu  machen,  wie 
wichtiges  sey,  dasVorhandene  seiner  Natur  nach  nicht  mythische 
zu  kennen,  an  welches  der  Mythus  sich  anschliesst.  „Es  scheint 
mir  nach  allem  diesen  kaum  einem  Zweifel  unterworfen,  dass 
die  Geschichte  der  Griechischen  Götterdienste  die  bedeutendste 
Hülfsivissenschaft  für  die  Mythologie  sey,  und  in  der  Behand- 
lung von  ihr  kaum  getreuut  werden  könne,  obgleich  sie  nur 


Müller:  Prolegomcna  zu  c.  wissenschaftlichen  Mythologie.        17 

zumTheile  in  mythisch  cm  Boden  wurzelt.  Und  so  liegt  es  wohl 
auch  diesem  Versuche  oh,  eine  bestimmte  Ansicht  davon  auf- 
zustellen, die  freilich  nicht  in  allen  Punkten  gleich  ausführlich 
dargelegt  werden  kann,  eben  weil  die  Geschichte  des  Cultus 
doch  blos  Hilfswissenschaft  ist.  Nur  muss  ich  bemerken, 
dass  die  Richtigkeit  der  bisher  entwickelten  mythologischen 
Methode  ganz  unabhängig  ist  von  der  Richtigkeit  der  hier  an 
der  Spize  stehenden  Ansichten,  indem  der  Mythus  den  Götter- 
glauben im  Ganzen  als  etwas  Gewordenes  voraussezt,  und  wie 
er  ursprünglich  geworden ,  für  dessen  Deutung  beinahe  gleich- 
gültig ist,"  worauf  sodann  wirklich  eine  Reihe  von  Ilülfs-  und 
Lehrsäzen  über  den  Gottesdienst  der  Griechen  folgt.  Um 
davon  nichts  weiter  zu  sagen ,  dass  diese  Behauptung  mit  an- 
dern Stellen  der  Schrift,  nach  welchen  ja  vorzugsweise  Reli- 
gion Inhalt  des  Griechischen  Mythus  ist,  man  vergl.  z.  B.  S. 
269,  nicht  übereinstimmt ;  so  erhellt  die  Unrichtigkeit  dieser 
Ansicht  auch  schon  unmittelbar  aus  der  Natur  der  Sache  selbst, 
selbst  abgesehen  von  den  bisherigen  Erörterungen.  Wie  sollte 
denn  der  Mythus  in  allem  demjenigen,  was  er  über  die  Götter 
des  alten  Glaubens  zu  erzählen  weiss,  nur  an  etwas  Vorhan- 
denes, seiner  Natur  nach  nicht  mythisches  sich  anschliessend 
Wie  sollte  nur  das,  wobey  die  Götter  handelnd  erscheinen, 
mythisch  zu  nennen  seyn,  und  nicht  vielmehr  ihr  persönliches 
Wesen  selbst  seiner  Natur  nach  eben  das  eigentlich  Mythische 
seyn?  Person  und  Handlung  fallen  ja  ohnedies  bey  jeder  Be- 
trachtung wieder  in  Eins  zusammen.  Nach  der  Ansicht  des 
Verf.  müsste  man  also,  wenn  man  auch  bereits  das  Wesen 
und  den  Begriff  des  Mythus  vollkommen  erkannt  zu  haben 
glaubt ,  doch  erst  ganz  unabhängig  von  allen  diesen  Untersu- 
chungen über  den  Mythus  sich  die  Frage  beantworten,  wie  der 
Glaube  der  Griechen  auf  die  religiöse  Idee  eines  Zeus ,  eines 
Apollon,  einer  Athene,  Demeter  u.  s.  w.  gekommen  sey?  Aber 
welche  Antwort  könnte  darauf  gegeben  werden  '?  Können  alle 
diese  persönlichen  Götterwesen  aus  einer  andern  geistigen 
Thätigkeit  abgeleitet  werden,  als  eben  aus  derjenigen,  welche 
die  Quelle  der  mythischen  Erkenntniss  und  Darstellungsweise 
ist?  Versuche  es  Jeder,  der  die  Ansicht  des  Verf.  theilt,  er 
wird  bey  jedem  Schritte  an  einer  in  sich  selbst  widersprechen- 
den Aufgabe  anstossen.  Alle  jene  Götterwesen  des  alten  Glau- 
bens überhaupt  und  des  Griechischen  insbesondere  müssen, 
wenn  wir  sie  in  den  Elementen  ihrer  Entstehung  ergreifen  wol- 
len ,  ebenso  auf  eine  bestimmte  bildliche  Natur -Anschauung 
zurückgeführt  werden,  wie  der  Mythus  immer  in  dem  Grund 
und  Boden  des  Symbols  wurzelt.  Was  bey  solchen  Götterwe- 
sen, wie  z.B.Poseidon,  Hephästos,  Demeter  sind ,' sogleich 
von  selbst  klar  ist,  die  Beziehung  auf  eine  gegebene  Natur - 
Anschauung,  gilt  von  allen  diesen  Wesen  überhaupt,  und  die 

Jahrb.  f.  Phil.  u.  Fädag.  Jahrg.  111.  Heft  1.  O 


18  Mythologie. 

erste  Aufgabe  des  Mythologen  bey  der  Erklärung  derselben 
ihuss  immer  darin  bestehen,  den  freilich  oft  versteckten  und 
auf  verschiedene  Weise  modificirten  Natur-Anschauungen  nach- 
zugehen, welche  der  alte  Glaube  bey  seinen  Göttergestalten 
zuerst  fixirt  hat.  Und  wie  der  Mythus  zwar  einerseits  im 
Symbol  wurzelt,  auf  der  andern  Seite  aber  ebendadurch  My- 
thus ist,  dass  zum  Elemente  des  Symbols  ein  neues  Element 
hinzukommt ,  nemlich  der  Begriff  der  persönlichen  Thätigkeit 
und  Handlung,  so  sind  auch  aus  jenen  religiösen  Natur-An- 
schauungen durch  die  Personification  persönlich  lebendige  und 
ethische  Wesen  hervorgegangen,  und  je  mehr  der  Mythus  gerade 
diese  Seite  seines  Wesens  wenigstens  in  Einer  Klasse  seiner 
Göttergestalten  vorzugsweise  hervorgehoben  und  ausgebildet 
hat,  desto  mehr  kommt  darauf  an,  beide  Elemente  seines  We- 
sens und  das  verschiedene  auf  vielfache  Weise  modificirte  Ver- 
hältniss  derselben  in  genauere  Erwägung  zu  ziehen.  Es  ist 
völlig  dieselbe  Methode,  wir  mögen  einen  Mythus  oder  irgend 
eine  Gottheit  des  alten  Glaubens,  oder  die  Mythologie  und  die 
alte  Religion  im  Ganzen  zu  erklären  versuchen.  Der  Verf. 
hat  auch  in  der  That,  so  sehr  er  Religion  und  Mythologie 
trennt,  dennoch  die  Identität  beider  selbst  auch  in  seinen  Sä- 
zen  über  die  Griechische  Religion  wieder  ausgesprochen,  wenn 
er  S.  237  sagt :  „Erklären ,  warum  eine  besondere  Gestalt  des 
Glaubens  bey  einem  Volke  eigenthümlicher  Bildung  gefunden 
werde,  heisst  nichts  anders,  als  den  Grund  der  gesammten 
geistigen  Beschaffenheit  dieses  Volkes  angeben."  Was  werden 
wir  nun  aber  über  den  Grund  der  gesammten  geistigen  Beschaf- 
fenheit des  Griechischen  Volkes  in  dieser  Hinsicht  anders  sagen 
können ,  als  nur  dies :  Es  ist  ein  Gesez  der  Entwickelung  der 
geistigen  Thätigkeit  des  Menschen,  dass  er  auf  einer  bestimm- 
ten Stufe  derselben  die  Ideen  des  Uebersinnlichen  und  Göttli- 
chen sich  nur  unter  der  sinnlich  -  anschaulichen  Hülle  des  Bil- 
des, d.  h.  des  Symbols  und  des  Mythus,  zum  Bewusstseyn  brin- 
gen und  darstellen  kann.  Ebenso  kommt  auch  alles  dasjenige, 
was  der  Verf.  S.  238  f.  über  die  in  der  alten  Griechischen 
Religion  nachzuweisende  entgegengesezte  Tendenz  sowohl  zum 
Polytheismus  als  zum  Monotheismus  ausführt,  neben  der  histo- 
rischen Betrachtung,  auf  die  immer  festzuhaltende  Unter- 
scheidung des  Bildes  und  der  Idee  im  Mythus  zurück. 

Es  wäre  leicht  zu  zeigen ,  wie  der  Mangel  einer  tieferen 
Untersuchung  der  beiden  die  Form  und  den  Inhalt  betreffenden 
Hauptpunkte  des  Mythus  auch  im  Einzelnen  Behauptungen  und 
Erklärungen  zur  Folge  gehabt  hat,  von  deren  Wahrheit  man 
sich  nicht  so  leicht  überzeugen  kann.  Wir  berühren  dies  je- 
doch nur  ganz  kurz.  Die  Trennung  der  Älythologie  von  der 
Religion  veranlasste  den  Verf.  zu  der  sonderbaren  Behauptung, 
dass  ein  Cultus  nicht  aus  einem  Mythus ,  sondern  ein  Mythus 


Müller:  Prolcgomena  zu  e.  wissenschaftlichen  Mythologie.      19 

aus  einem  Cultus  zu  erklären  sey.  So  wird  z.  B.  S.  108  gesagt: 
„Wir  wissen  bestimmt ,  dass  die  Fabel  (diesen  vom  Verf.  eini- 
gemal gebrauchten  Ausdruck  wünschten  wir  nicht  mit  dem 
Ausdruck  Mythus  verwechselt)  von  Herakles  geliebtem  Knaben 
Ilylas,  den  die  Nymphen  rauben  und  der  Held  umsonst  in  Ber- 
gen und  Thälern  ruft,  aus  einem  in  der  Gegend  von  Kios  in 
Bithynien  herrschenden  Cult  entstanden  ist,  bey  dem  ein  in 
das  Wasser  versunkener  Gott  au  den  Quellen  im  Gebürg  geru- 
fen und  beklagt  wurde.  Denn  dass  etwa  der  Gebrauch  des  Cul- 
tus aus  der  Fabel  entstanden  sey,  kann  durchaus  nicht  ange- 
nommen werden ,  da  auch  die  weiterhin  wohnenden  Mariandy- 
nen,  ein  alteinheimisches  Volk  Kleinasiens,  genau  denselben 
Gebrauch  hatten,  und  die  religiöse  Bedeutung  durch  Analogien 
sehr  deutlich  wird.  Wenn  nun  also  der  Mythus  aus  dem  Cul- 
tus hervorgebildet  ist,  so"  u.  s.  w.  Es  ist  völlig  undenkbar, 
wie  ein  Cultus  entstehen  konnte  ohne  eine  bestimmte  Idee,  die 
dem  Cultus  voranging,  und  denselben  veranlasst  hat.  Der 
Verf.  spricht  ja  eben  in  der  angeführten  Stelle  von  der  reli- 
giösen Bedeutung  des  Cultus.  Worin  anders  aber  wird  diese 
ausgedrückt  gewesen  seyn ,  als  in  einem  Mythus  ?  Die  mythi- 
sche Handlung  verhält  sich  zu  der  Handlung  eines  Cultus  ganz 
so,  wie  sich  das  Innere  zum  Aeusseren  verhält;  wie  sich  die 
Ideein  dem  Mythus  objeetivirt,  so  objeetivirt  sich  nach  dem- 
selben Zuge  zur  sinnlichen  Darstellung  die  mythische  Hand- 
lung in  einer  ganz  nach  aussen  gekehrten  Handlung,  und  es  ist 
eigentlich  eine  Verkehrung  von  Ursache  und  Wirkung,  wenn 
der  Mythus  vom  Cultus  abgeleitet  wird.  Auf  dieselbe  Weise 
verfährt  der  Verf.  S.  235,  wo  er  von  dem  Mythus  des  Atha- 
mas  spricht:  Von  der  Bildung  des  Mythus  habe  die  dichteri- 
sche Ausbildung  fast  nichts  übrig  gelassen.  Dies  werde  dem 
Leser  erst  deutlich,  wenn  er  erfahre,  dass  es  einen  alten  Cul- 
tus des  Zeus  im  Lande  der  Minyer  gab,  und  wenn  er  die  Man- 
nigfaltigkeit der  Sagen  erwogen,  werde  er  auch  einsehen,  dass 
der  gesammte  Mythus  aus  dem  Cultus,  nicht  der  Cultus  aus 
dem  Mythus  entstanden  ist.  Aber  aus  welcher  Idee  entstund 
denn  der  Cultus  selbst,  und  wie  kann  die  religiöse  Idee,  die 
wir  voraussezen  müssen,  anders  auf gefasst  gewesen  seyn,  als 
mythisch'?  Somit  kann  nur  die  mythische  Idee  den  Cultus  er- 
zeugt haben ,  nicht  aber  der  Cultus  den  Mythus. 

Die  zulezt  gemachte  Bemerkung  betrifft  den  Inhalt.  Nicht 
minder  scheint  dem  Verf.  auch  in  Hinsicht  der  Form  der  rich- 
tige Gesichtspunkt  für  die  Behandlung  des  Mythus  öfters  da- 
durch verrückt  worden  zu  seyn,  dass  er  die  Form  nicht  be- 
stimmt in  das  Bildliche,  d.  h.  die  Einheit  einer  Naturanschau- 
ung, sezte.  Damit  hängt  nemlich  offenbar  zusammen,  dass  der 
Verf.  bey  der  Erklärung  und  Deutung  der  Mythen  die  Tren- 
nung und  Zerlegung  des  Mythus  in  verschiedene  Bestandteile 

9* 


20  Mythologie. 

gar  zu  sehr  als  Hauptgeschäft  des  Mythologen  hervorlieht.  Es 
ist  allerdings  wahr,  die  fortgehende  Tradition  hat  in  dem  Mythus 
häufig  sehr  Verschiedenartiges  verbunden  und  der  deutende 
Mytholog  hat  demnach  den  gerade  entgegengesezten  Weg  zu 
gehen,  den  die  Alten  genommen  haben.  Auf  der  andern  Seite 
aber  liegt  der  Irrthum  ebenso  nahe ,  wenn  man  über  dem  Be- 
strehen zu  trennen' in  Gefahr  kommt,  auch  die  ursprüngliche 
Einheit  aufzulösen  und  somit  das  organische  Leben  des  31y- 
thus  zu  zerstören.  Es  muss  ein  festes  Kriterium  geben ,  das 
uns  der  Trennung  des  im  Mythus  Verbundenen  die  gehörige 
Grenze  sezen  heisst,  und  dieses  besteht  nicht  blos  in  den  drei 
Punkten:  Wo  ist  diese  und  jene  mythische  Erzählung  entstan- 
den, durch  welche  Personen  (nach  Personen  scheint  uns  ohne- 
dies hier  nicht  richtig  gefragt  zu  werden)  und  woran  hat  sie 
sich  gebildet'?  wie  sie  der  Verf.  S.  226  bestimmt  und  ausführt. 
Es  kommt  nach  der  obigen  Deduction  vor  allem  darauf  an,  dass 
wir  bei  einem  Mythus  die  bildliche  Grundanschauung  festhal- 
ten ,  welche  als  die  W  urzel  eines  Mythus  anzusehen  ist.  Die 
Anschauung  gibt  immer  eine  momentane  Einheit.  Was  daher 
mit  dieser  nothwendig  zusammenhängt,  kann  nicht  erst  etwas 
zufällig  Hinzugekommenes  seyn,  sondern  nur  das  ursprünglich 
Vorhandene,  der  Kern  und  Mittelpunkt  des  Mythus.  Richten 
wir  nicht  darauf  vorzüglich  unsere  Aufmerksamkeit,  so  kön- 
nen wir  gar  zu  leicht  verleitet  werden ,  was  auch  dem  Verf. 
gewissermaassen  begegnet  ist ,  das  Merkmal  der  innern  Noth- 
wendigkeit,  welches  doch  als  Grundbegriff  des  Mythus  anzu- 
erkennen ist ,  einer  vorausgesezten  freien  Willkühr  der  Dich- 
ter, von  welchen  jeder  folgende  immer  etwas  neues  und  eigenes 
zum  ursprünglichen  Mythus  hinzugesezt  habe,  wieder  aufzuo- 
pfern. Es  ist  dies  in  der  That  ein  sehr  bedeutender  Punkt, 
der  hauptsächlich  auch  dazu  beiträgt ,  die  Mythologen  unserer 
Zeit  in  zwei  entgegengesezte  Partheien  zu  theilen.  Die  Einen 
wollen  überall  trennen  und  auflösen ,  weil  sie  im  Mythus  das 
Symbol  als  festen  Punkt  der  Einheit  nicht  achten,  die  Andern 
sind  bemüht ,  auch  das  dem  Anschein  nach  Verschiedene  im 
Mythus  auszugleichen  und  auf  Einheit  zurückzufuhren,  weil  sie 
vor  allem  auf  die  Ausmittelung  einer  den  Mittelpunkt  eines  My- 
thus bildenden  symbolischen  Anschauung  losgehen  zu  müssen 
glauben.  So  mag  z.  B.  allerdings  in  die  Sagen  von  der  Argo- 
nautenfahrt,  von  den  Thaten  des  Herakles,  vomTroischen  Krieg 
sehr  vieles  aufgenommen  worden  seyn,  wovon  die  älteste  Ue- 
berlieferung  noch  nichts  wusste.  Die  ursprüngliche  Aea  der 
Argonauten  war  vielleicht  eine  andre  als  die  Kolchische  am 
Phasis ,  aber  dennoch  behaupten  wir,  auch  schon  in  dem  älte- 
sten Aea  lag  ein  Merkmal,  welches  von  selbst  die  Veranlas- 
sung enthielt,  dasselbe  in  eine  immer  entferntere  örtliche  Lo- 
kalität zu  verlegen  ,  und  es  zulezt  in  dem  dieser  Voraussezung 


Müller :  Prolegoincna  zu  e.  ■wissenschaftlichen  Mythologie.       21 

zu  Folge  erst  später  bekannt  gewordenen  Kolchischen  Aea  wie 
historisch  zu  fixircn.  Ueppiger  gewuchert  hat  nicht  leiclit  ein 
anderer  Sagenkreis  als  der  Troische  und  Herakleische,  und 
doch  wird  sich  auch  hiebei  nicht  leicht  ein  bedeutender  My- 
thus aufweisen  lassen,  dessen  wesentlicher  Inhalt  nicht  schon 
durch  die  ursprüngliche  Tendenz  der  ältesten  Sage  bedingt  und 
veranlasst  war.  Es  kommt  hier  ganz  darauf  an,  den  Mythus 
als  einen  organischen  Keim  zu  betrachten,  dessen  spätere  Er- 
scheinung nicht  als  eine  blos  äusserliche  Anhäufung  verschie- 
denartiger erst  mit  der  Zeit  in  eine  solche  zufällige  Verbin- 
dung gebrachter  Elemente  anzusehen  ist,  sondern  vielmehr  als 
eine  vom  Innern  herausgehende  Entfaltung,  als  eine  naturge- 
mässe  Ausbildung  einer  schon  ursprünglich  vorhandenen  Anlage; 
und  dadurch  erst  erhält  das  obige  Merkmal,  auf  welches  wir 
immer  wieder  zurückkommen  müssen,  dass  der  Mythus  der  Ge- 
gensaz  gegen  die  freie,  absichtliche,  zufällige  Poesie  der 
Dichter  ist ,  seine  wahre  Bedeutung.  Ist  der  Mythus  ganz  als 
ein  organisch  sich  entwickelndes  Naturgewächs  zn  nehmen,  so 
konnte  die  Ueberlieferung  und  die  mit  dieser  allmälig  sich  ver- 
bindende Reflexion  grossentheils  nur  das  innerlich  Verschlos- 
sene äusserlich  hervorheben,  und  das  unbewusst  Gegebene 
mehr  und  mehr  zum  Bewusstseyn  bringen.  Das  Unbestimmte 
wurde  bestimmter,  individueller,  und  der  Mythus  zulezt  wohl 
gar  historisch  fixirt.  Durch  die  meisten  Mythen  zieht  sich  in 
der  That  ein  innerer  organischer  Zusammenhang  so  deutlich 
hindurch,  dass  es,  wenn  wir  nur  auf  die  Idee  in  ihrem  Ver- 
hältniss  zum  Bilde  genau  achten,  nicht  schwer  ist,  das  Ur- 
sprüngliche von  dem  Fremdartigen  und  bedeutungslos  Hinzu- 
gekommenen zu  trennen.  Als  ein  Beispiel  eines  solchen  innern 
Zusammenhangs  zwischen  scheinbar  sehr  abweichenden  altern 
und  neuern  Sagenformen  würden  wir  hier,  wenn  es  der  Raum 
gestattete,  die  Helena  der  Uias  und  des  Euripides  wählen. 
Aus  demselben  Gesichtspunkt  ist  zu  beurtheilen,  was  der  Verf. 
S.  20S  über  das  psychologische  Motiviren  der  Begebenheiten 
bey  den  Dichtern  von  Homer  an  sagt.  Der  Verf.  bemerkt  da- 
bey  Manches ,  was  uns  der  Wilikühr  der  Dichter  in  der  Be- 
handlung des  Mythus  einen  zu  grossen  Spielraum  zu  gewähren 
und  mit  der  vom  Verf.  selbst  anerkannten  Voraussezung  nicht 
recht  zusammenzustimmen  scheint,  dass  das  Ideelle  des  My- 
thus nichts  Hinzugethanes  sey  (S.  167).  Es  kommt  auch  hier 
auf  eine  genauere  Betrachtung  des  Wesens  des  lVIythus  an,  und 
im  Allgemeinen  kann  durchaus  nicht  behauptet  werden,  dass 
der  lyrische ,  wie  der  tragische  Dichter  die  Motivirung  ganz  in 
seiner  Gewalt  gehabt  habe  (S.  209).  Es  kann  dies  nicht  ein- 
mal von  Euripides,  von  welchem  man  doch  gewöhnlich  die 
grösste  Freiheit  hierin  annimmt,  gesagt  werden.   Als  eines  der 


22  Mythologie. 

augenscheinlichsten  Beispiele  einer  solchen  dichterischen  Moti- 
virung ,  wie  sie  der  Verf.  hier  meint,  könnte  man  in  dem  My- 
thus von  Zeus  und  Semele  den  Zug  ansehen ,  dass  der  Semele 
die  Gewährung  des  Wunsches  verderblich  wird,  den  Zeus  auf 
dieselbe  Weise  zu  sehen,  wie  er  derHere  am  Tage  der  Ver- 
mählung nahte.  Und  doch  würden  wir  den  grössten  Irrthum 
begehen ,  wenn  wir  diese  Motivirung  von  dem  ursprünglichen 
Mythus  als  spätere  Dichterzugabe  ausscheiden  wollten ,  da  uns 
eben  hierin  die  symbolisch  -  mythische  Grundanschauung,  auf 
welcher  der  ganze  Mythus  ruht,  gegeben  ist.  Denn  die  Ver- 
mählung der  Here  mit  Zeus ,  als  EQiydovnos  izoCig  Hgrjg  bey 
Homer,  geschieht  in  der  Majestät  des  Gewitters,  das  die  Erde 
im  neuen  Frühjahr  befruchtet,  und  Semele  ist  gerade  dadurch, 
was  sie  auch  nach  dem  übrigen  Inhalt  des  Mythus  seyn  muss, 
am  deutlichsten  als  die  Erde  bezeichnet.  Dass  Aeschyios  zu 
seinem  Prometheus  vonllesiodos  nur  die  scheinbaren  Fakta,  den 
Feuerraub,  die  Anfesselung,  die  Rettung  durch  Herakles  und 
Einiges  der  Art  genommen,  die  Beweggründe  der  Handelnden 
und  somit  die  innere  Bedeutung  der  Handlung  aus  eignem  Gei- 
ste geschöpft  habe  (S.  209)  ist  eine  ganz  ungegründete  Behaup- 
tung. Auch  bey  Hesiod  ist  Prometheus  keineswegs  nur  der  Be- 
triebsame und  Gewerbfleissige,  der  erst  im  Kopf  eines  Aeschy- 
ios zu  einer  ganz  andern  Person  von  mehr  speculativer  Bedeu- 
tung umgeschaffen  werden  musste  (S.  123).  Audi  bey  Hesiod 
ist  Prometheus  doch  wenigstens  der  Feuerräuber,  und  eben 
dieser  symbolisch -mythische  Begriff  ist  der  innere  Kern,  aus 
welchem  sich  der  ganze  Mythus  sowohl  bey  Hesiod  als  bei  Ae- 
schyios sehr  natürlich  entwickelt  hat.  In  demselben  Zusammen- 
hang S.  209  sagt  der  Verf. :  „Was  dieWeise  betrifft,  in  welcher  die 
Dichter  zu  motiviren  pflegen,  so  scheint  mir  kein  Zweifel  zu  seyn, 
dass  sie persönlicheWünsche,  individuelle  Neigungen  gern  auch  da 
als  Beweggründe  sezen,  wo  sie  es  dem  ursprünglichen  Sinne  der 
Fabel  nach  nicht  seyn  konnten."  Als  Beispiel  statt  anderer 
wird  dann  der  Homerische  Hymnus  auf  Apollon  Pythios  ange- 
führt. Aber  auch  hier  können  wir  nicht  blos  eine  von  Dich- 
tern herrührende  Motivirung  erblicken,  aus  dem  einfachen 
Grunde:  Wenn  einmal  symbolisch  -  mythische  Wesen  schon 
nach  dem  ursprünglichen  Begriffe  des  Mythus  die  stehenden 
Charactere  desselben  seyn  müssen,  so  versteht  es  sich  von  selbst, 
dass  sie  auch  als  persönliche  von  individuellen  Wünschen 
und  Neigungen  bestimmte  Wesen  handeln.  Es  müssen  in  je- 
dem Fall  erst  noch  andere  Betrachtungen  hinzukommen ,  wenn 
hieraus,  was  der  Verf.  meint,  folgen  soll.  Der  Beisaz,  dass 
in  dem  Homerischen  Hymnus  persönlicheWünsche,  individuelle 
Neigungen  dem  ursprünglichen  Sinne  der  Fabel  nach  nicht  Be- 
weggründe seyn  konnten,  sagt  eigentlich  nichts,  da  dies  bei 


Müller :  Prolcgoiur.na  zu  o.  wissenschaftlichen  Mythologie.        23 

jeilem  Mythus  deswegen  der  Fall  ist,  weil  seine  Götterwesen 
keine  wirkliche,  historische,  sondern  hlos  mythische  Personen 
Kind.  Wir  kommen  auch  hier  nur  auf  die  für  den  Mythus  we- 
sentliche Personitication  zurück.  Der  Grund ,  sagt  der  Verf. 
S.  211,  welchen  derselbe  Hymnus  von  dem  Beinamen  desApol- 
lon  jdsX(pLViog  angebe,  sey  natürlich  durchaus  mythisch,  wo- 
durch ohne  Zweifel  dieser  Maine  und  Mythus  gleichfalls  als  ein 
späterer  unwesentlicher  Zug  der  Sage  bezeichnet  werden  soll. 
Aber  eben,  wenn  Apollon,  wie  der  Verf.  selbst  nachweist,  auch 
in  Knossos  als  Delphinios  verehrt  wurde,  kann  der  Name  nicht 
hlos  so  zufällig  entstanden  seyn,  und  es  möchte  auch  hier, 
wenn  wir  den  Mythus  auf  seine  Maturanschauung  beziehen, 
nicht  schwer  seyn,  den  Zusammenhang  des  Namens  und  My- 
thus mit  dem  Begriffe  des  Apollon  zu  entdecken.  Man  denke 
nur  an  die  Verbindung,  in  welche  Apollon  auch  sonst  mit  Po- 
seidon gesezt  wird. 

Die  Aufgabe,  von  welcher  wir  hier  reden,  erfordertauch 
noch  kurz ,  die  Ansichten  des  Verf.  über  die  ältesten  Völker- 
verhältnisse ,  sofern  davon  ein  richtiger  BegrifF  des  Mythus  ab- 
hängt, zu  berühren.  Es  wird  in  der  ganzen  Schrift  still- 
schweigend vorausgesezt ,  dass  unter  dem  Mythus,  dessen 
wissenschaftliche  Behandlung  untersucht  wird ,  nur  der  Grie- 
chische Mythus  zu  verstehen  sey.  Erst  S.  281  erklärt  der  Verf. 
ausdrücklich,  dass  er  nur  von  der  Mythologie  der  Griechen  als 
einer  bestimmten  historischen  Wissenschaft  handeln  wollte. 
„Dass  man  diese  überhaupt  nicht  in  dieser  Absonderung  treiben 
könne,  wäre  so  viel,  oder  eigentlich  noch  mehr  gesagt,  als 
man  könne  die  Griechische  Sprache  nicht  ohne  Sanskrit  und 
Hebräisch  erlernen."  Der  Verf.  stellt  sich  also  auf  die  Seite 
derjenigen  Mythologen,  welche  die  Griechische  Mythologie 
rein  für  sich  betrachtet  wissen  wollen.  Was  zuerst  den  zur 
Rechtfertigung  dieser  Ansicht  von  der  Sprache  genommenen 
Grund  betrifft,  so  wird  er  eigentlich  durch  das,  was  der  Verf. 
selbst  auf  die  angeführten  Worte  folgen  lässt,  so  ziemlich  wie- 
der entkräftet.  Ueberdies  kommt  dabey  noch  zweierlei  in  Be- 
tracht. 1)  Fragt  es  sich  vor  allem,  was  man  unter  der  Er- 
lernung einer  Sprache  versteht.  Versteht  man  eine  solche  Er- 
lernung einer  Sprache,  welche  soviel  möglieh  auf  die  ersten 
Elemente  der  Sprache  zurückgeht,  und  darauf  gerichtet  ist, 
aus  einer  einzelnen  gegebenen  Sprache  die  in  der  Bildung  der 
Sprache  sich  äussernde  geistige  Thätigkeit  selbst  zu  begreifen ; 
so  ist  doch  wohl  klar,  dass  dies  nur  auf  einem  universelleren, 
den  Blick  in  den  iunern  Geist  und  Organismus  mehrerer  Spra- 
chen eröffnenden  Standpunkt  gelingen  kann.  Das  Geschäft  des 
Sprachforschers  hat  in  der  That  iu  dieser  Hinsicht  die  grösste 
Aehnlichkeit  mit  dem  des  Mythologen,  oder  ist  vielmehr  das- 
selbe.    Wie  der  Mytholog,  um  die  Bedeutung  eines  Mythus  zu 


24  Mythologie. 

erforschen,  vor  allem  die  bildliche  Form  desselben,  die  sym- 
bolische Naturanschauung,  aus  welcher  er  erwachsen  ist,  ins 
Auge  fassen  muss ,  so  kann  auch  der  Sprachforscher  in  den  in- 
nern  Geist  und  Character  einer  Sprache  nur  dann  eindringen, 
wenn  er  aus  den  Sprachformen  soviel  möglich  die  Wurzeln  aus- 
scheidet, und  diese  auf  die  sinnlichen  Anschauungen  zurück- 
führt, aus  welchen  sie  grösstentheils  als  Zeichen  für  abstracte 
Begriffe  entstanden  sind.  Etymologie  ist  daher  ein  wesentli- 
cher Bestandtheil  wie  der  Grammatik,  so  der  Mythologie.  Sol- 
che Sprachwurzeln  aber  können  mit  Sicherheit  nur  durch  Ver- 
gleichung  mehrerer  Sprachen  aufgefunden  werden.  2)  Bey  der 
Behauptung,  die  Griechische  Mythologie  könne  ebenso  rein  ab- 
gesondert werden,  wie  man  auch  die  Griechische  Sprache  ohne 
eine  andere  erlernen  könne ,  übersieht  man  gar  zu  leicht  eine 
bedeutende  Verschiedenheit  des  Mythus  und  der  Sprache.  Die 
Sprache  besteht  zwar  auch,  wie  der  Mythus,  aus  Zeichen  und 
bildlichen  Formen,  deren  Bedeutung  erforscht  werden  muss. 
Aber  die  Bedeutung  derselben  ist  hei  jeder  uns  bekannten  Spra- 
che ein  durch  die  Ueberlieferung  unmittelbar  Gegebenes,  das 
insofern  nicht  philosophisch,  sondern  nur  empirisch,  historisch 
aufzufassen  ist.  Der  Mythus  aber  besteht  aus  Zeichen  und 
Bildern,  deren  Bedeutung  keinesweges  durch  sie  selbst  klar 
ist,  sondern  erst  auf  vielfachen  Umwegen  gefunden  werden 
kann,  und  zugleich  dient  er  nicht  blos  als  ein  Mittel ,  wie  die 
Sprache ,  sondern  hat  einen  selbstständigen  Zweck.  Er  ist  ent- 
weder gar  nichts ,  oder  nur  insofern  etwas ,  sofern  er  seinem 
wahren  und  ursprünglichen  Wesen  nach  erkannt  wird,  d.  h. 
seine  philosophische  Bedeutung  liegt  eben  darin,  dass  wir  ihn 
eigentlich  nicht  als  ein  Gegebenes  und  Vorhandenes  oder  als 
ein  Gewordenes  betrachten  können ,  sondern  nur  als  ein  Wer- 
dendes. Der  Begriff  seines  Wesens  geht  uns  erst  mit  seiner 
philosophischen  Deduction  auf,  während  die  Sprache  auch  dem 
befriedigende  Rede  und  Antwort  gibt,  der  von  den  Elementen 
ihrer  Entstehung  nichts  weiss.  Je  mehr  wir  aber  mit  dem  My- 
thus auf  seine  Genesis  zurückgehen  müssen,  desto  weniger 
kann  er  eine  so  enge  Beschränkung  seiner  Sphäre  ertragen. 
Dies  führt  uns  auf  den  Punkt ,  von  welchem  aus  dieser  Gegen- 
stand noch  weitere  Betrachtungen  darbietet. 

1)  Auch  der  Griechische  Mythus  ist  nach  den  Untersu- 
chungen des  Verf.  nicht  als  Erfindung  einzelner  Individuen, 
sondern  nur  als  Erzeugnis»  des  geistigen  Volkslebens  zu  be- 
trachten. Es  gehört  dies  sosehr  zum  Character  des  Mythus, 
dass  derselbe  durch  nichts  mehr  aufgehoben  wird ,  als  die  An- 
nahme des  Gegentheils.  Tradition  ist  das  Element  des  My- 
thus, Tradition  aber  geht  ihrer  Natur  nach  in  eine  unbestimm- 
bare Zeitferne  zurück,  die  über  alle  Geschichte  hinausliegt, 
indem  ja  die  Geschichte  im  gewöhnlichen  Sinn  und  im  Gegen- 


Müller;  Prolegonicna  zu  c.  wissenschaftlichen  Mythologie.        25 

saz  gegen  die  volksthümlichc Tradition  erst  indem  Grade  mehr 
zum  Leben  kommt,  je  mehr  einzelne  Individuen  faktisch  her- 
vortreten.    Wir  werden  demnach  schon  wenn  wir  den  Spuren 
der  mythischen  Tradition  nachgehen,  bey  jedem  Volke  in  eine 
vorhistorische  Periode  versezt,   in  welcher  es  erst  das  wird, 
was  wir  in  der  Zeit  seiner  historischen  Erscheinung  als  ein  Ge- 
wordenes erblicken.     Die  Zeit  aber,  in  welcher  ein  Volk  sich 
erst  zu  seinem  historischen  Character  ausbildet ,  ist  nothwen- 
dis  zugleich  auch  diejenige ,   in  welcher  es  noch  mit  andern 
Völkern,  deren  Trennung   erst  seinen  individuellen  Character 
bestimmt ,  am  meisten  zusammenhängt.   Diese  Annahme  ist  um 
so  nothwendiger,  da  auch  der  Inhalt  der  mythischen  Tradition 
von  der  Art  ist,  dass  er  als  das  unveräusserlichste  geistige  Ei- 
genthum  eines  Volkes  von  dem  geistigen  Character  desselben 
gar  nicht  getrennt  werden  kann.     Die  Ideen  der  Religion  sind 
es  ja,  die  hier  in  bildlicher  Form  niedergelegt  sind;  Religion 
aber  ist  so  sehr   der  eigentlich  menschliche  Character  und  so 
wenig  etwas  erst  später  und  von  aussen  Hinzugekommenes  und 
Zufälliges,  dass  jedes  geistige  Bewusstseyn ,  sey  es  das  indivi- 
duelle,   oder    das    gemeinsame   des  Geschlechts,    nothwendig 
gleich  anfangs  auch  ein  religiöses  ist.     Was  der  Verf.  in  der 
genannten  Stelle  sagt:  „Die  Götter,  Culte  und  Mythen  der  Grie- 
chen in  ihrer  Bestimmtheit  gehören  sicher  einer  ganz  andern 
Zeit  an  (als  der  ältesten  Vorzeit) ,  einer  Zeit  gesonderter  Ent- 
wickelung,  in  der  es  selbst  kein  äusserlich  zusammengehalte- 
nes  Nationalganzes  gab,"   ist  sehr  unbestimmt  und   schwan- 
kend.    Die  Griechische  Religion  und  Mythologie  hatte  aller- 
dings in  der  Zeit  der  volksthttmlichen  Entwickelung  einen  fest- 
bestimmten selbstständigen  Character;  aber  keineswegs  dürfen 
wir,  so  wenig  die  Nation  schon  Anfangs  war,  was  sie  nachher 
ward,  diesen  als  den  ursprünglichen  voraussezen,  und  es  ent- 
hält vielmehr  die  Griechische  Religion    auch  noch    in  dieser 
Zeit  die  deutlichsten  Merkmale  eines  aus  verschiedenen  fremd- 
artigen Elementen  entstandenen  Uebergangs  zu   dem  spätem 
entschiedenen  Character.     Dass  es   eine  Athenäische  Jungfrau 
nicht   eher  gab ,   als  es  ein  Athen  in  der  Kopaischen  Niedrung 
oder  an  der  Akte  gab,  und  dass  die  Argivische  Herrin  schwer- 
lich älter  als  Argos  ist,  S.  282,  sind  Beispiele,  die  so  deutlich 
als  irgend  andere   das  Gegentheil  von  der  Meinung  des  Verf. 
beweisen  können. 

2)  Hat  uns  einmal  die  Untersuchung  des  innern  Wesens 
des  Mythus  auf  den  Punkt  geführt,  wo  wir  die  im  Einzelnen 
gegebene  historische  Erscheinung  an  die  Geseze  der  geistigen 
Tbätigkeit  des  Menschen  anknüpfen  müssen;  so  ist  damit  un- 
mittelbar auch  die  Nothwcndigkeit  ausgesprochen ,  mit  jener 
Erscheinung  über  das  Einzelne  hinauszugehen  und  sie  als  eine 
allgemein  menschliche  aufzufassen,  indem  ja  die  Geseze  des 


26  Mythologie. 

menschlichen  Geistes  überall  dieselben  sind.  Davon  überzeugt 
uns  auch  sogleich  die  Geschichte  selbst.  Oder  sind  denn,  um 
von  den  übrigen  Europäischen  Völkern  nichts  zu  sagen,  die  Re- 
ligionen der  Orientalischen  Völker,  mit  Ausnahme  des  Jüdischen, 
das  die  Verwerfung  des  Bildes  ausdrücklich  zum  Grundsaz 
macht,  nicht  ebenso  symbolisch  und  mythisch,  wie  die  des  Grie- 
chischen? Wie  sollte  daher  der  Begriff  der  Mythologie  wis- 
senschaftlich bestimmt  werden  können ,  wenn  in  prolegomena 
zu  einer  wissenschaftlichen  Mythologie  unter  Mythologie  im- 
mer nur  die  Griechische  Mythologie  verstanden  und  der  nur 
durch  Zusammenfassung  aller  gleichartigen  Erscheinungen  zu 
gewinnende  Begriff  nur  aus  einer  einzelnen  einseitig  abstrahirt 
wird?  Dieser  Nachtheil  muss  eben  bey  einem  so  empirischen 
Verfahren,  wie  das  des  Verf.  ist,  um  so  sichtbarer  seyn,  und 
er  zeigt  sich,  wie  in  der  ganzen  Ausführung,  so  besonders  da- 
durch, dass  über  dem  Begriffe  des  Mythus  der  Begriff  des  Sym- 
bols, ohne  welchen  auch  jener  niemals  richtig  bestimmt  weiden 
kann,  so  gut  als  ganz  übersehen  worden  ist.  Nur  auf  diesem 
universelleren  von  der  Wissenschaft  gefoderten  Standpunkt 
kann  die  zuvor  schon  begründete  Ueberzeugung  ihre  Bestäti- 
gung erhalten,  dass  die  symbolisch-mythische  Form  einer  gro- 
ssen Periode  der  Entwicklung  des  menschlichen  Geistes  eigen- 
tümlich angehört ,  und  nur  auf  diesem  Wege  ist  es  dann  auch 
möglich,  die  beiden  Hauptformen ,  die  sich  uns  in  derselben 
selbst  wieder  darstellen ,  nach  ihren  characteristischen  Merk- 
malen zu  unterscheiden.  Damit  wollen  wir  zwar  keineswegs 
sagen,  dass  die  Griechische  Mythologie  nicht  auch  für  sich  be- 
trachtet werden  könne,  liier  aber  ist  es  allein  um  die  wissen- 
schaftliche Bestimmung  des  Begriffs  zu  thun. 

3)  Das  zulezt  Bemerkte  hat  seine  Gültigkeit,  wenn  wir 
auch  nicht  gerade  darauf  ausgehen ,  den  Zusammenhang  Grie- 
chenlands mit  dem  Orient  durch  einzelne  historische  Gründe 
darzuthun.  Aber  wie  wahrscheinlich  wird  dieser  durch  Be- 
trachtung der  Mythologie  und  der  ältesten  Geschichte  der  Grie- 
chen selbst?  Mehrere  neuern  Mythologen  thun  sich  viel  damit 
zu  gut ,  die  Verschiedenartigkeit  der  Bestandteile  der  Grie- 
chischen Mythologie  bis  ins  Einzelnste  zu  verfolgen;  sie  wollen 
überall  nur  trennen ,  nirgends  eine  gemeinschaftliche  Einheit 
anerkennen:  Localmythologie,  rufen  sie  uns  immer  zu,  sey  die 
ganze  Griechische  Mythologie,  jede  Stadt  habe  ihren  eigenen 
Zeus ,  ihren  eigenen  Apollon  u.  s.  w. ,  es  gebe  durchaus  keine 
andere  Methode  für  die  Behandlung  des  Griechischen  Mythus 
als  die  rein  empirische,  die  ihren  Stolz  darin  findet,  jede  Idee 
aus  der  Geschichte  zu  vertilgen.  Möchten  doch  diese  Mytho- 
logen, zu  weichen  wir  übrigens  unsern  Verf.  wegen  gewisser 
Ilaiiptansichten  nicht  zählen ,  vor  allem  auch  die  Erscheinung 
auf  eine  befriedigende  Weise  (d.  h.  nicht  Mos  durch  willkühr- 


Müller:   Prolcgomcna  zu  e.  wissenschaftlichen  Mythologie.       2<f 

liehe  Berufung  auf  den  Einfluss  der  auf  Ausgleichung  hedach- 
ter Dichter)  erklären ,  dass  die  Griechische  Mythologie  gleich- 
wohl einen  gemeinsamen  und  in  wesentlichen  Ideen  überein- 
stimmenden Gruudcharacter  hat,  dass  jener  Zeus,  der  in  je- 
der Stadt  ein  ganz  anderer  seyn  soll,  doch  als  der  Gott  der 
gesammten  Nation  überall  mit  demselben  Begriff  verehrt  wor- 
den ist.  Es  verhält  sich  damit  ebenso,  wie  wenn  man  deswe- 
gen, weil  die  so  vielfach  getrennten  und  verschiedenen  Griechi- 
schen Stämme  und  Staaten  besondere  Namen,  Sitten  und  Ver- 
fassungen gehabt  haben,  behaupten  wollte,  was  freilich  viel- 
leicht der  Sinn  mancher  Geschichtsforscher  ist,  es  habe  keine 
ursprüngliche  Einheit  der  Griechischen  Nation  gegeben.  Die 
Vereinzelung  und  Verschiedenheit  der  Griechischen  Stämme 
und  Staaten,  die  so  alt  ist  als  die  Griechische  Geschichte  selbst, 
lässt  sich  nur  aus  einer  der  historischen  Erscheinung  der  Na- 
tion vorangehenden  Volks -Einheit  erklären,  und  wo  anders 
sollte  die  ursprüngliche  Heimath  desselben  gesucht  werden 
können ,  als  im  Orient ,  der  gemeinsamen  Wiege  der  Völkerge- 
schichte'? Beachten  wir  dann  überdies  die  vielen  und  unzwei- 
deutigen Spuren,  die  uns  aus  dem  ältesten  Griechenland  in  be- 
stimmte auswärtige  Lokalitäten  (wobei  nur  nicht  sogleich  au 
Aegypten  und  Phönizien  zu  denken  ist)  zurückführen,  die 
auffallende  Uebereinstimmung  Griechischer  Symbole  und  My- 
then, Ideen  und  Lehren  mit  Orientalischen,  die  gerade  in  den 
ältesten  Traditionen  des  Griechischen  Volks  enthaltene  ideale 
Welt-  und  Lebens -Ansicht,  die  freilich  die  gewöhnliche  Vor- 
aussezung  der  historisirenden  Mythologen,  es  müsse  in  der 
Entwickelung  des  menschlichen  Geistes  alles  ganz  von  unten 
herauf  gehen ,  xon  vorn  herein ,  obwohl  im  Widerspruch  mit 
deutlichen  Zeugnissen  verwirft ;  —  so  kann  gewiss  eine  gründ- 
liche und  unbefangene  Geschichtsforschung  den  engen  und  wich- 
tigen Zusammenhang  Griechenlands  mit  dem  Orient  nicht  ver- 
kennen, und  wie  sollte  es  demnach  anders  als  von  dem  gröss- 
ten  Einfluss  für  die  Behandlung  der  Griechischen  Mytholo- 
gie seyn,  wenn  wir  mit  derselben  innerhalb  einer  so  unnatür- 
lich beschränkten  Sphäre  stehen  bleiben  wollen? 

Es  ist  natürlich,  dass  dieses  Streben  des  Verf.  die  Grie- 
chische Mythologie  so  viel  möglich  vom  Orient  abzusondern, 
auch  im  Einzelnen  Urtheile  zur  Folge  gehabt  hat,  die  mit  je- 
ner allgemeinen  Ansicht  stehen  und  fallen.  Dass  z.  B.  die  My- 
then von  der  Medea,  von  Perseus  erst  durch  die  später  ein- 
getretene Verbindung  mit  dem  Auslande,  mit  Medien  und 
Persien,  seit  dem  Sturze  Lydiens  entstanden  sind  (S.  177),  dass 
man  in  dem  Mythus  von  Dionysos  für  Nysa  in  Böotien  ein  Ara- 
bisches und  Indisches,  an  die  Stelle  näherer  Gegenden  ent- 
ferntere, gesezt  habe  (a.  a.  0.) ,  sind  Behauptungen ,  die  eine 
freiere  Ansicht  über  das  Verhältniss  Griechenlands  zum  Orient 


28  Mythologie. 

und  eine  sorgfältige  Benuzung  auch  des  Mythus  für  die  älteste 
Völkergeschichte  unmöglich  für  richtig  halten  kann.  Kann  doch 
selbst  bey  den  Kolonien,  aus  deren  Stiftung  der  Verf.  hauptsäch- 
lich chronologische  Bestimmungen  der  Mythen  zu  entnehmen 
sucht,  zum  Theil  auch  noch  die  Frage  entstehen,  ob  nicht  auch 
solchen  histoiisch  bekannt  gewordenen  Wanderungen  Erinnerungen 
an  alte  Völkerzüge  zu  Grunde  liegen,  von  welchen  zwar  die  Ge- 
schichte schweigt,  der  Mythus  aber  öfters  noch  Andeutungen 
gibt.  Dieselbe  Scheu,  die  die  Völker  abhielt,  aufs  Gerathe- 
wohl  in  die  weite  Welt  hinauszuziehen,  Hess  wohl  auch  nicht  zu, 
dass  sie  zu  leichtgläubig  erst  für  einen  solchen  Zweck  aufgebrach- 
ten Sagen  folgten.  Des  Dionysos  Indischer  Zug  ist  dein  Verf. 
natürlich  auch  nur  spätere  Erweiterung  S.  221.  Doch  wird  S.  228 
auch  die  Meinung  geäussert,  der  Zug  des  Dionysos  habe  wohl 
blos  deswegen  in  Indien  sein  äusserstes  Ziel  erhalten ,  weil  Ale- 
xanders Heer  hier  einen  mit  demselben  Organismus  verehrten 
Gott,  den  Mahadeva,  vorfand.  Aber  was  soll  dann  noch  im 
Wege  stehen ,  den  Griechischen  Gott  wirklich  für  den  aus  dem 
Orient  gekommenen  Indischen  zu  halten,  sobald  wir  neben  den 
entsprechenden  Eigenschaften  auch  die  dazwischen  liegenden  Mit- 
telglieder historisch  so  nachweisen  können ,  wie  es  bey  Dionysos 
wirklich  der  Fall  ist?  Nach  S.  146  ist  einer  der  wichtigsten  Säze 
der  historischen  Mythologie,  dass  Tyrrhenische  Pelasger  die 
Mythen  von  Kadraos  nach  Samothrake  gebracht  haben.  „Diese 
kamen,  s.  S.  148,  ungefähr  in  der  Zeit  der  Dorischen  Wanderung 
als  Vertriebene  aus  Attika,  wie  Herodot  VI,  137  erzählt,  nach 
Lemnos  und  andern  Orten,  zu  denen,  nach  demselben  Schriftsteller 
II, 51,  auch  das  benachbarte  Samothrake  gehörte.  Nach  Attika  aber 
waren  diese  Pelasger  aus  Böotien  und  zwar  aus  der  Gegend  The- 
bens gekommen,  wie  Ephoros  angibt  bey  Strabon.u  Daher,  s. 
S.  152 :  „der  Kabirendienst  säramtlichcr  Orte,  Samothrake ,  Le- 
mnos, Imbros ,  einiger  Städte  in  Troas  u.  s.  w.  auf  Theben  als 
seine  Metropole  zurückbezogen  werden  muss.u  Aber  woher  wa- 
ren denn  die  Pelasger  nach  Böotien  gekommen?  Diese  Frage  lässt 
sich  nicht  beantworten ,  wenn  wir  keinen  Schritt  aus  Griechen- 
land selbst  hinauszuthun  wagen  dürfen.  Sobald  aber  dies  ge- 
schieht, werden  wir  uns  durch  eine  befriedigende  Combination 
überzeugen  können,  dass  die  Pelasger  schon  in  den  ältesten  Zeiteu 
über  die  kleinasiatischen  Küstenländer  und  Eilande  nach  Griechen- 
land eingewandert  sind.  Daher  muss  es  ungeachtet  dessen,  was 
Herodot  II ,  51  nach  seiner  Meinung  über  die  Pelasger  angibt, 
sehr  zweifelhaft  seyu,  ob  die  Kabiren  der  genannten  Orte  nur 
aus  jener  Wanderung,  die  wahrscheinlich  in  Folge  der  ersten 
Einwanderung  gerade  dahin  rükwärts  geschah,  schwerlich  aber 
so  bedeutend  seyn  konnte ,  zu  erklären  sind.  Der  Troische  Ka- 
birencultus ,  der  hier  besonders  in  Betracht  kommt,  ist  ja  in  die 
älteste  Zeit  zu  sezen ,  und  unmöglich  erst  aus  der  Wanderung 


Müller :  Prolegomcna  zu  e.  wissenschaftlichen  Mythologie.       29 

der  vertriebenen  Pelasger  herzuleiten.  Solche  Säze  erfoderten 
jedoch  eine  für  den  Kaum  dieser  Blätter  nicht  geeignete  Aus- 
führlichkeit. 

Zum  Schlüsse  der  Untersuchung  gibt  der  Verf.  noch  eine 
Vergleichung  anderer  Ansichten  mit  der  von  ihm  selbst  dargeleg- 
ten. Der  Verf.  hat  die  von  Heyne,  Voss,  Buttmann,  Creuzer, 
Hermann,  Welcker  über  die  Behandlung  der  Mythologie  aufge- 
stellten Hauptsäze  in  eine  kurze  Uebersicht  gebracht,  und  in  an- 
gehängten Bemerkungen  bey  den  einzelnen  Stellen  seine  Zustim- 
mung und  Abweichung  bemerkbar  gemacht.  Dem  Zwecke  der 
Wissenschaft  wäre  es  wohl  forderlicher  gewesen,  wenn  der  Verf. 
die  verschiedenen  über  Mythologie  stattfindenden  Ansichten  nicht 
blos  historisch  zusammengestellt,  sondern  nach  einem  wissen- 
schaftlichen aus  dem  Begriffe  des  Mythus  abgeleiteten  Gesichts- 
punkt geordnet  und  gewürdigt  hätte.  Es  würde  sich  dann  um 
so  mehr  ergeben  haben,  dass  die  in  der  Mythologie  herrschende 
Verschiedenheit  der  Meinungen  auf  denselben  grossen  Gegen- 
saz  zurückkommt,  der  überhaupt  immer  in  der  Philosophie,  Re- 
ligion und  Geschichte  der  Natur  der  Sache  nach  wahrzunehmen 
ist,  und  selbst  auch  das  Eigene  und  Neue  der  Ansichten  des  Verf. 
würde  sich  auf  diese  Weise  bestimmter  dargestellt  haben.  Dieses 
besteht  auch  nach  der  hier  noch  gegebenen  Zusammenstellung 
hauptsächlich  in  der  Anerkennung,  dass  der  Mythus  als  ein  aus 
gewissen  nothwendigen  innernBildungsgesezen  hervorgegangenes 
Erzeugniss  anzusehen  sey,  worüber  wir  nach  allem  Bisherigen 
nichts  weiter  hinzuzusezen  haben. 

Als  Anhang  zu  den  Prolegomenen  folgen  noch  ebenfalls  sehr 
interessante,  obgleich  nur  aphoristische  und  darum  auch  hier 
keine  nähere  Berücksichtigung  zulassende  Bemerkungen  über  Ho- 
mers, Hesiods  und  der  Orphiker  Verhältniss  zu  älterer  Leber- 
lieferung. Nicht  zu  übersehen  ist,  wie  der  Verf.  auch  hiebei  be- 
sonders auf  den  grosartigen  von  Dichter-  Willkühr  unabhängigen 
Sinn  und  Zusammenhang  der  ältesten  Sage  aufmerksam  macht. 

Die  der  Schrift  vorangestellte  antikritische  Zugabe,  enthal- 
tend eine  Characteristik  des  Herrn  Doctor  Lange  als  Recensen- 
ten  der  „Dorier"  in  der  J.  A.  L.  Zeitung,  und  eine  Antwort  auf 
die  Recension  des  Herrn  Geheimen  Hofrath  Schlosser,  über- 
lassen wir  billig  ganz  dem  eigenen  Urtheile  des  Lesers.  Veran- 
lasst sind  dadurch  die  Zusäze,  Erklärungen  und  Verbesserungen 
zu  der  Geschichte  der  Dorier,  welche  der  Verf.  dieser  Schrift 
S.  397  —  433  noch  angehängt  hat. 

Der  Unterzeichnete,  der  den  durch  gründliche  Quellenkennt- 
niss  und  edlen  Forschungsgeist  ausgezeichneten  Schriften  des 
Verf.  schon  so  manche  Belehrung  verdankt,  trennt  sich  auch  von 
der  gegenwärtigen  mit  dem  Gefühle  gerechter  Anerkennung  des 
vielen  Trefflichen,  das  er  in  ihr  neben  einer  anziehenden,  klaren 
und  geistvollen  Darstellung  gefunden  hat ,  so  wie  mit  der  Ver- 


SO  Inschriftenkunde. 

Sicherung,  dass  alle  hier  mitgetheilten  Bemerkungen,  welchen 
hey  aller  Verschiedenheit  der  Ansicht  eine  sehr  wesentliche 
Uebereinstimmung  zu  Grunde  liegt,  nur  aus  dem  reinen  Inter- 
esse für  einen  Gegenstand  geflossen  sind,  über  dessen  Wich- 
tigkeit derselbe  mit  dem  Verf.  vollkommen  einverstanden  ist. 

Tübingen.  p.   Q.  Baur. 


Inschriftenkunde. 


Inscriptiones  antiquae  a  comite  Carola  Vidua  in  Turcico  iti- 
nere  collectae.  Lutetiae  Parisiorum.  1826.  8.  IV  und  52  S.,  nebst 
51  Kupfertafeln. 

▼  orliegende  Schrift  liefert  uns  einen  nicht  unbedeutenden 
Beitrag  zur  Vermehrung  der  bis  jetzt  bekannten  Griechischen  und 
Lateinischen  Inschriften ,  und  ist  uns  um  so  willkommner,  als 
manche  der  hier  zum  Erstenmale  mitgetheilten  Steinschriften 
Im  Stande  sind,  unsere  Kenntniss  des  Alterthums  beträchtlich 
zu  erweitern.  Sie  ist  die  Frucht  einer  nicht  eigentlich  für  ge- 
lehrte Zwecke  unternommenen  Reise  durch  einen  grossen 
Theil  der  alten  Welt,  und  wenn  der  Graf  Karl  Vidua  zu  be- 
scheiden ist,  um  auf  den  Namen  eines  gereisten  Archäologen 
Ansprüche  zu  machen  {iiimirum,  sagt  er  in  der  Vorrede,  non 
est  hoc  eruditi  hojni?iis,  sed peregrinantis  opus),  so  müssen  wir 
doch  die  hier  mitgetheilte  Inschriftensammlung  als  eine  wirk- 
liche Förderung  und  Bereicherung  der  Archäologie  ansehen. 
Die  hier  mitgetheilten  Inschriften  sind  theils  Griechische,  theils 
Lateinische,  ja  selbst  auch  einige  bilingues:  die  Zahl  der  Grie- 
chischen ist  jedoch  bei  weitem  überwiegend.  Sie  werden  uns, 
gäramtlich  in  Kupfer  gestochen,  nach  den  freilich  nur  zu  oft 
unrichtigen  Abschriften  des  Reisenden  mitgetheilt,  unverändert, 
wie  sie  vom  Stein  abgeschrieben  worden ,  wodurch  eigenmäch- 
tigen Veränderungen,  die  sich  so  oft  und  leicht  einschleichen,  gut 
vorgebeugt  worden.  Dabei  wird  in  dem  vorausgehenden  Text 
genau  angegeben,  wo  jede  der  mitgetheilten  Inschriften  ge- 
funden worden,  oder  sich  jetzt  noch  befindet,  eine  sehr  ver- 
dienstliche Nachweisung,  die  die  Erklärung  der  Inschriften  gar 
sehr  unterstützt,  und  leider  von  Herausgebern  ähnlicher  Monu- 
mente zum  Schaden  der  Alterthumskunde  nur  zu  oft  ausser  Acht 
gelassen  worden  ist.  Der  Text  enthält  zuweilen  auch  einige 
Ergänzungsversuche  (S.  11),  Bemerkungen  über  das  Zeitalter 
der  Inschriften  (S.  18  flg.)  ,  auch  geographische  Entdeckungen 
von  Alterthümern  (S.  29  flg.);  im  Ganzen  jedoch  ohne  grosse 


Yiduae  inscriptiones  antiquae.  81 

Bedeutung.  Auf  eigentliche  Erklärung  «1er  Inschriften  konnte 
Bild  wollte  sich  der  Herausgeber  gar  nicht  einlassen ,  und  es 
erfordern  daher  diese  Inschriften  erst  noch  ihre  gelehrte  Bear- 
beitung, die  ihnen,  wenigstens  den  Griechischen  ja  wohl  bald 
zu  Theil  werden  wird.  Die  Anordnung,  nach  welcher  die  In- 
schriften mitgetheilt  werden,  ist  geographisch,  in  dieser  Fol- 
ge: Inscriptiones  Sarmatiae,  Bithynienses,  Troadis,  Pergami 
acTei,  Aegypti,  Nubienses,  Syriae,  Cypri,  Rhodienses,  Chii, 
Cycladura,  Atticae;  woraus  man  zugleich  den  Umfang  der 
ganzen  Sammlung  übersehen  können  wird.  Um  dem  künftigen 
Erklärer  dieser  Monumente  nicht  vorzugreifen ,  schliessen  wir 
hier  nur  einzelne  Bemerkungen  über  einzelne  Inschriften  an,  und 
haben  hierbei  keinen  andern  Zweck,  als  auf  das  Wichtige  und 
Verdienstliche  dieser  ganzen  Sammlung  aufmerksam  machen  zu 
wollen. 

Tab.  I.  No.  2  ein  bloses  Fragment,  wahrscheinlich  in  der 
Nähe  der  alten  Olbia  gefunden: 

NPEPinonAION 
HN02KAAAMAIO 
hier  scheint  01UEPIIIOIIAION{A^  Uebrige  ist  verstümmelt) 
zu  lesen  zu  sein,  mit  Hinweisung  auf  ähnliche  Inschriften  des 
Bosporos,  zusammengestellt  Syllog.  inscr.  Sect.  I  S.229,  welche 
sich  anfangen  'Aya&jj  vu%y->  'AxoIXcovl  TtgoöTatr)  oi  xsql  (folgt 
ein  Eigenname  im  Accusativ)  ötQatrjyoCu.  s.w.  Ueber  den  Pon- 
tisch  -  Thrakischen  Achilleus  vergleiche  die  sehr  merkwürdige 
Stelle  Leo's  bei  Bast  Ep.  Crit.  S.  41. 

Tab.  VI.  No.  2  heisst  es  von  einem  gewissen  diiog: 
EAETTHZAS  EN  ÜOTISIA&IZ ,  sicher  falsch  abgeschrie- 
ben statt  TEAETTHUA2:*)EN  I10TIOAOI2,  gestorben  zu 
Puteoli. 

Die  auf  Tab.  VII  mitgetheilte ,  23  Zeilen  lange  Griechi- 
sche Grabschrift  ist  zwar  verstümmelt,  lässt  sich  aber  mit 
Hülfe  ähnlicher  Monumente,  die  wir  in  grosser  Zahl  übrig  ha- 
ben, gewiss  vollständig  herstellen.  Einige  Ergänzungen  mögen 
hier  ihre  Stelle  finden.  Z.  1  ist  zu  lesen:  [f]AI02  [T]PT- 
0SINOZ  OIKON[OM]OZ.  Ein  oixov6(tog  als  kirchliches 
Amt  findet  sich  in  einer  Inschrift  in  Burckhardt's  Reisen  durch 
Syrien  Th.  I  S.  149.  In  der  in  Rede  stehenden  Inschrift 
wird  natürlich  ein  oixov6(iog  rijg  noheag  verstanden,  wie  sich 
derselbe  auch  findet  in  einer  andern  Inschrift ,  zu  Rhodos  ge- 
funden, in  Clarke  Travels  T.III  S.253  der  Quartausg.  Vgl.  noch 
Ioseph.  Arehäol.  XI,  6, 12  und  Br.  an  die  Rom.  XVI,  23.     Z.  5 


*)  Die  Buchstaben  TH  und  TE  in  EAETTHZAS  und  TEAETTH- 
SAS  sind  eigentlich  auf  der  Inschrift  in  ein  Zeichen  verschlungen  ,  was 
in  der  Druckerei  nicht  vorhanden  war. 


32  Inschriftenkunde. 

u.  6  steht  ÜEPIKE1N0N,  wahrscheinlich  verschrienen  statt 
ÜEPIKßJMENON ',  worauf  dann  gleich  folgt  TOIION  KAI 
TPINXON.  Letzteres  muss  SPITKON  heissen:  jedoch  sind 
wir  sehr  geneigt  das  T  statt  ©  in  dieser  alle  Spuren  einer  neu- 
ern Zeit  an  sich  tragenden  Inschrift  als  Idiom  zu  ertragen,  wie 
ja  heide  Buchstaben  auch  sonst  auf  Steinschriften  sich  ver- 
tauscht finden.  Z.  13  u.  14  ist  zu  ergänzen:  THE  &OITHZ 
n  [  TAA]  0  T  ASIZEI  [ TIP]  02JTEIM0T  EIE  [  THN].  Weiter 
oben  nämlich  nach  TPINXON  folgt :  KAI  EN  ATTSl  TLTA- 
A0T2JA  VSl  MI  AN  MEN  &OITHN*)  E  TEPAN  AE  u.  s.  w.  In 
beiden  Stellen  ist  &01THN  vor  Allen  bemerkenswerth,  ein  Wort, 
das  zwar  richtig  copirt  zu  sein  scheint,  dessen  Bedeutung  Ref. 
aber  ganz  dunkel  ist.  Bemerkenswerth  ist  ausserdem  noch  die 
Form  nvalog,  wofür  die  Attiker  bekanntlich  nvelog  sagten: 
siehe  Hemsterh.  zu  Thom.  M.  S.  862.  nveXog  steht  auch  noch 
auf  zwei  Inschriften  in  Journal  Asiatique  1826  No.  11,  259  und 
Hammers  Umblick  auf  einer  Reise  nach  Brusa  S.  193.  Nichts 
desto  weniger  findet  sich  aber  auch  die  andere  Form  nvalog 
noch  bei  Gruter  S.  212.  Uebrigens  ist  die  ganze  vorliegende 
Inschrift  wegen  einer  mehrmals  wiederkehrenden  Sprachun- 
regelmässigkeit  merkwürdig,  indem  zwar  von  dem  Subjekt  des 
ganzen  Redesatzes  in  der  dritten  Person  die  Rede  ist,  aber 
dennoch  die  Inversion  in  die  zweite  Person  mehrmals  vorkömmt, 
wie  z.  B.  6v{ißLa  pov,  itcciÖl  {.iov,  und  anderes  dergl. 

Tab.  IX,  No.  2  steht  AZKAAÜSINA  statt  A2KAA- 
IIISINA. 

Tab.  X,  No.  1  Z.  2  lies  TON  ÜATPSINA.  Bekannt  ist 
dass  die  Griechen  nuroav  aus  dem  Lat.  patronus  machten. 
Siehe  einelnschr.  in  Burckhardt's  Reisen  durch  Syrien  Th.I  S. 
166,  auch  Sylloge  inscr.  Sect.  II. 

Aus  Tab.  XI,  1  (womit  zu  verbinden  Tab.  X,  2),  einer  In- 
schrift agonistischen  Inhalts,  ersehen  wir,  dass  in  Neuilium 
vea  nuvu&rjvcucc  gefeiert  wurden,  was  bei  dem  in  dieser  Ge- 
gend vorherrschenden  Cultus  der  Athene  unter  dem  Namen  der 
A&rjvä  i)  'Ifoäg  nicht  zu  verwundern  ist.  Auf  denselben  Cultus 
spielt  auch  eine  andere,  in  derselben  Gegend  gefundene  In- 
schrift an,  Tab.  XII,  3,  welche  einen  Volksbeschluss  der  Ein- 
wohner von  Ilium  enthält,  wovon  leider  nur  der  dritte  Theil 
einigermaassen  erhalten  ist.  Es  geschieht  dieser  Athene  mit 
demselben  Beinamen  noch  mehrfache  Erwähnung  auf  Stein- 
schriften, die  in  diesen  Gegenden  entdeckt  worden:  siehe 
Chishull.  Antiq.  Asiat.  S.  51,   Clarke  Travels  T.  III  S.  117  der 


*)  Auch  hier  sind  in  den  Wörtern  IIPOZTEIMOT,  THN,  MEN 
und  &ÜITIIN  die  Buchstaben  ÜP,  TE ,  TUN,  ME  und  TU  als  in 
eins  verschlungen  zu  denken. 


Viduac  inscriptioncs  antiuuae.  33 

Quartausg.  Dieselbe  Gottheit  ist  auch  sicher  zu  verstehen  un- 
ter der  rj  &sog  auf  einer  Ilieusischen  Inschrift  in  Clarke 
Greek  marbles  No.  XXVI II  S.  50,  wo  ausserdem  noch  ein  dydv 
und  eine  xavrjyvQig  erwähnt  wird  ,  worunter  wir  vielleicht  die 
obigen  via  IJava^rjvaLa  gemeint  denken  dürfen,  wie  auch  das- 
selbe von  einer  andern  Ilieusischen  Steinschrift,  wo  dasselbe 
erwähnt  wird,  gelten  wird,  bei  Dubois  Catalogue  d'anüquite's 
de  la  collection  de  Choiseul-Gouffier  S.  77.  Vgl.  auch  noch 
Clarke  a.  a.  0.  No.  XXIX  S.  51  und  CreuzerMelet.  I  S.  23.  Ue- 
brigens  führt  Strabon  VI  S.  255  ed.  Basil.  den  Dienst  dieser 
Minerva  auf  die  ältesten  Zeiten  zurück  und  erzählt  unter  an- 
dern, dass  derselbe  von  Ilion  aus  nach  Siris  in  Grosgriecheu- 
land  übergegangen  sei,  und  allerdings  findet  sich  auf  Münzen 
dieser  Stadt,  welche  späterhin  Heraklea  genannt  wurde*), 
wirklich  das  Bild  einer  Minerva ,  welche  sicher  die  Troiische 
ist.  Auf  dieses  Siris  oder  Heraklea  muss  wohl  eine  Münze  bei 
Mionnet  Th.  I  S.  161  No.  592  bezogen  werden ,  wo  sie  fälsch- 
lich nach  Metapont  gerechnet  wird :  es  befindet  sich  darauf  ein 
Pallaskopf  mit  der  Aufschrift  2J1PT,  wohl  ZIP1  zu  lesen. 
Ueber  das  alte  Palladion  in  Ilion  vgl.  Heyne  Obs.  in  Iliad.  T.  V 
S.  199  flg.  —  Jedoch  kommen  wir  von  dieser  Abschweifung 
zurück  auf  unsere  Inschrift  Tab.  XII,  3.  Unbemerkt  blieb 
dem  Herausgeber,  dass  der  am  meisten  lesbare  Theil  der  gan- 
zen Inschrift  bereits  edirt  war  in  Clarke  Travels  T.  III  S.  146, 
und  zwar  viel  richtiger  und  genauer.  Von  der  ganzen  Inschrift, 
die  vornherein  sehr  verstümmelt  ist,  so  dass  sich  in  vielen  Zei- 
len nur  zwei  oder  drei  Buchstaben  entziffern  Hessen ,  konnte 
der  Herausgeber  34  Zeilen  entdecken:  Clarkes  Abschrift  hebt 
erst  an  von  Z.  26,   und  wir  theilen  daraus  die  erheblichsten 

Varianten  mit.     Z.  26  Cl ENIIANTIKAIPSITIEPI- 

TH2J.  Bei  Vidua  steht  X  ...  Sil  statt  KAIP&,  so  dass  ich 
früher  XPONSII  ergänzte:  beide  Formeln  finden  sich  ohne  Un- 
terschied auf  Steinschriften.  Z.  28  findet  sich  am  Ende  bei 
Cl.  vollständig  A0HNAN,  wo  Vidua  uns  A0HN[HN]  liefert. 
In  der  folgenden  Z.  hat  Cl.  richtig  rPA&EIZHZ  (es  folgt  dar- 
auf ETLIZTOAHZ)  statt  TA&E1ZHZ.  Z.  30  derselbe  rich- 
tig TMA2,  wo  Vidua  TMAE.  Unmittelbar  darauf  folgt  bei 
Cl.  TIETIEI2.MA1 ",  bei  Vidua  IIETIEJZMAZL  Z.  31  und 
32  richtig  IJE&TKENAl  bei  Cl.  statt  ÜETHKENAI:  dage- 


*)  Stephanos  von  Byzanz  v.  Mstunövziov  6agt,  die  Stadt  Meta- 
pont habe  früher  Siris  geheissen,  was  aber  gewiss  nur  eine  Verwech- 
selung mit  dem  ganz  nahe  gelegenen  Heraklea  (Siris)  ist.  Uebrigens 
theilt  denselben  Irrthum  auchEustath.  zu  Dionys.  Perieg.  368,  welcher 
aber,  wie  auch  die  Worte  deutlich  verrathen ,  nur  den  Stephanos  aus- 
geschrieben hat. 

Jahrb.  f.  Phil.  u.  Pädag.  Jahrg.  111.  Heft  1.  3 


34  Inschriftenkunde. 

gen  kurz  darauf  OL  falsch  ATE  statt  TAE,  während  Vidua 
falsch  BSl TE  folgen  lässt,  wo  Cl.  richtig  BOTE.  Mit  TOTE 
BOTKOAOTE    der  folgenden  Z.  schlieft  Clarke's  Abschrift. 

Tab.  XIV,  1  enthält  eine  Griechische  sehr  lange  Inschrift 
in  Hexametern ,  auf  die  wir  als  auf  einen  schönen  Nachtrag  zur 
Griechischen  Anthologie  aufmerksam  machen.  Leider  ist  sie 
verstümmelt  und  auch  sonst  fehlerhaft  abgeschrieben.  Gern 
theilten  wir  sie  und  unsere  Bemerkungen  darüber  mit,  wenn 
es  der  Ort  erlaubte. 

Auf  Tab.  XIV,  3  findet  sich  der  seltene  männliche  Eigen- 
name MHNIE ,  der  auch  wieder  vorkömmt  in  einer  Inschrift 
bei  Dubois  a.  a.  O.  S.53  No.  146,  welche  leicht  zu  ergänzen  ist. 
In  unserer  Inschr. ,  welche  kein  allgemeines  Interesse  hat,  ist 
in  (1  er  letzten  Z.  zu  lesen :  TPT0SINATTMNAEIAPXHEAN- 
TAKAASIE. 

Tab.  XV,  2  wird  eine  Venus  sjztjxoog  &sa  genannt,  wie 
Tab.  XXIII,  1  Zeus  vtyiözog  xul  eTttjxoog. 

Merkwürdig  ist  Tab.  XVI  (fälschlich  XVIII  angegeben), 
1  die  Erwähnung  eines  Collegii  (övußLaöig  genannt)  von  Dios- 
curiten  (AIOSKOTPIT&IN),  wovon  ein  eigner  yga^ativg  ge- 
uannt  wird. 

Tab.  XIX,  2  und  XX,  1,  welche,  zusammen  genommen,  ein- 
ander wechselseitig  erklären  und  ergänzen,  empfehlen  wir  den 
Martyrologen.  Es  sind  zwei  christliche,  sehr  späte,  Inschrif- 
ten, leider  sehr  fehlerhaft  abgeschrieben,  (was  jedoch  mehr 
auf  Rechnung  der  schlechten  jetzigen  Beschaffenheit  der  Stei- 
ne, als  der  Nachlässigkeit  des  Herausgebers  kömmt,)  beide  in 
Nubien  befindlich ,  welche  vielleicht  sogar  für  den  Kirchenhi- 
storiker Interesse  haben  dürften.  Beide  fangen  an :  rO  ftsög  täv 
7tv8V[iaT03V  (im  Original  JINATSiN  geschrieben)  aal  otdörjg 
öaQxög,  6  xbv  frccvurov  xaraQyrjöcig  xcti  xov"Aih\v  xatcc7tar^- 
6ag  u.  s.  w.  Die  hierbei  gemachten  Aenderungen  ergeben  sich 
von  selbst,  meistens  aus  Vergleichung  beider  Monumente. 
Statt  KATAUATIEAE ,  wie  die  erstere  Inschr.  hat,  giebt  die 
andere  blos  ÜA&ACHC,  Fehler  des  Steinmetzen  oder  des 
Herausgebers,  statt  IJATHCAC.  Bemerkenswerth  ist  die  aus 
dem  neuen  Testamente  entlehnte  Formel  6  xov  ftuvatov  xar- 
ccQyTjöag:  vgl.  II  Timoth.  I,  10.  Hebr.  II,  14.  Das  Wort  aat- 
ccgysiv  in  dieser  seitnern  Bedeutung  hat  Schneider  nur  aus 
Jamblichos  Protrept.  G  S.  98  ed.  Kiessl.  angemerkt. 

Tab.  XX,  3,  ein  ganz  verstümmeltes  Fragment,  aus  der 
Zeit  Hadrians:  denn  diesen  Namen  vermuthet  man  leicht  in  den 
Ueberbleibseln  der  zweiten  Zeile,  zumal  da  in  der  vorherge- 
henden avTOJtQcctoQav  zu  steiien  scheint.  Jetzt  liest  man  nur 
noch  OKPATO. 


Viduae  inscriptiones  antiquae.  35 

Tab.  XXn,  I  in  einer  der  Sabina  Tranquillina,  Gemah- 
lin Gordians,  zu  Ehren  errichteten  Denkschrift  findet  sich  ver- 
stümmelt DE TANVM1NIMAIE[S]TATIQVEE0RVM, 

was  richtig  ergänzt  wird  durch  DEVOT  AN  VMINI  u  s.  w. ,  wie 
sich  dieses  auch  findet  weiter  unten  Tab.  XXVI.  So  eine  Inschr. 
in  Begeri  Spicil.  Antiquitatis  S.  101 :  Ferentinates  Novani  devoti 
numini  maiestatique  eius ;  eine  anderein  Barthelemy  Schriften 
Bd.  I  S.  293.  lieber  decotissimns  in  einem  andern  Sinne  auf 
einer  Steinschrift  vgl.  Auctar.  Lex.  Gr.  S.  182  flg.  Die  Zusam- 
menstellung von  numen  und  maiestas^  von  kaiserlichen  Perso- 
nen gesagt,  findet  sich  auf  Inschriften  späterer  Zeit  nicht  sel- 
ten: siehe  Seiverti  Inscr.  S.  14. 

Auf  Tab.  XXVII,  2  kömmt  ein  uqsvq  des  JIOCKEPAT- 
NIOT  (so  zu  lesen)  vor. 

Tab.  XXIX,  1  führen  wir  nach  unserer  muthrnaasslichen 
Herstellung  ganz  an: 

[HjKATACAAAMINA 
rEPOTCIA 
—  NCSlCOTAWPANOMHCAN[TA] 
[ArSlNO]0[ETH]  CANTAAEKAIIP[£l]  TETC[ANTA] 
KAIETEPA  CAElTOTPriA  CTHIIA  T[PU1] 
EKTEAECANTA 
Ueber  die  Formel  öbxcc  TtQaxbvziv  ist  in  der  Sylloge  inscr.  ge- 
sprochen worden.    Uebrigens  gehört  die  Inschrift ,   in  welcher 
die  ysQovöLd  bemerkenswerth  ist,  der  Kyprischen  Salamis  an. 

Tabula  XXX,  3  ist  ATTOT  in  der  ersten  Z.  wohl  der 
falsch  gelesene  Anfang  des  Wortes  ATTOKPATOPSiN. 

Das  Zeitalter  der  Inschr.  Tab.  XXXI,  1  und  die  Stadt  (es 
ist  blos  schlechthin  ^  nöXig  angegeben),  welche  dem  Q.  (falsch 
abgeschrieben  KOINTON)  Julius  Cordus  ein  Denkmal  weihet, 
lässt  sich  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  durch  Vergleichung 
von  Tab.  XXXII ,  1  ermitteln ,  wo  die  Stadt  Kurion  auf  Kyprus 
eine  Ehreninschrift  dem  Kaiser  Claudius  errichtet,  und  wobei 
derselbe  äv&VTtUTog,  in  welcher  Function  er  auch  auf  der  er- 
stem Inschr.  genannt  wird,  nämlich  Julius  Cordus,  erwähnt  wird. 
Der  Vorname  fehlt  daselbst  nur  scheinbar;  denn  er  liegt  abge- 
kürzt noch  in  der  fehlerhaften  Abschrift  verborgen.  Nämlich 
daselbst  heisst  es  AnOTSiNnPOKEKPIMENSlinOIOT- 
AIOTKOPJOTANQTnATOT,  wo  man  leicht  cctco  xav  ngo- 
■XEQifievcov  erkennt,  in  dem  Sinn  von  7CQoßEßovXev[i&VG)V ;  die 
darauf  folgende  verticale  Linie  I  ist  in  Verbindung  mit  dem 
folgenden  O  dann  leicht  für  KO ,  und  dieses  als  Abbreviatur 
statt  K0INT02J  zu  nehmen  ,  wie  dieselbe  sich  auf  einer  an- 
dern Griech.  Inschrift  findet:  siehe  Maffei  de  Graecor.  siglis 
lapidariis  S.  58.  Derselbe  Cordus  wird  bei  Tacit.  llist.  I,  76 
erwähnt,  wo  nun  sein  Familienname  Julius  durch  unsere  In- 
schriften hinlänglich  sicher  gestellt  wird  gegen  Alciatus  Ver- 

3* 


36  Inschriftenkunde. 

besserungsvorschlag  Manüius  statt  Julius.  Uebrigens  lässt  sich 
das  Jahr,  in  welchem  die  letztere  Inschr.  abgefasst  wurde, 
leicht  aus  den  Ehrentiteln,  welche  daselbst  dem  Claudius  ge- 
geben werden,  ausmitteln,  was  aber  hier  zu  weit  abführen 
würde. 

Tab.  XXXIII,  2,  aufKypros  gefunden,  erlauben  wir  uns 
ganz  abzuschreiben: 

A^POAITHBTIA^IA 
A 10 NO  TMAIAIONTHPHTINAKO  VA  APA  TON 
TONAPXIEPEA 
TONKAUIANTA<*  IANONTAIOV 
THPHTINA 
O  VMMIAIO  VII  AN  TA  TXOITION 
TONAPXIEPE&NKAirTMHAEIAP 
XHCANTOCKAATAIAAnQ>APION 
TE  VKPO  V&  TrA  THPHAPXIEPEArSlN 
KATAKVnPONAHMHTPOCITESlN 
TSIN3A  VTHCHSINONEVNOIAC 
XAPINEH 
wahrscheinlich  so  wiederherzustellen,   wovon  wir  jedoch  die 
nähere  Auseinandersetzung  vor  der  Hand  schuldig  bleiben: 
'AcpQodLry  [t]f]  Ilacpiu 
\V]cäov  Ov(i[{i]tdt,ov  TrjQrjriva  Kovccdgarov 

xbv  «p#t£0£a, 
xov  neu  IJavta[v%]Lav6v  rectov 

Tf]QrjTtva  (nämlich  TeQEvriva) 
OvfifiiSlov  IlavTav%o[v]  vlov 
ro[v]  aQ%iSQ£G)[g]  Kai  yv^[va6]iaQ- 
%7]6ccvTog  KXavÖia  'ATiqxxQiov 
TevxQov  ftvyuTiiQ,  rj  txQ%dQ£[i\u  [r"\(ov 
Karex  Kvjtgov  A^r]tQog  1[sq]cov 
xov  [i]i;  avtr\g  \v\avbv  svvoiag 

%<XQLV. 

Auf  Tab.  XXXIV,  1  steht  APXIEPEATSINATA  THN- 
NHT&N,  vielleicht  statt  APXIEPEATSINKATATHNNH- 
2J0N.  Die  Inschrift  ist  nämlich  auf  der  Insel  Kypros  ge- 
funden. 

Tab.  XXXV,  1  steht  wohl  falsch  AIXPSIN02J  statt  AI- 
2JXPSIN02J,  wie  dieser  Eigenname  auch  auf  einer  Inschrift  bei 
Dubois  1.  c.  S.  46  gefunden  wird.  Daselbst  —  es  ist  eine  auf 
Rhodos  gefundene  Inschrift  —  findet  sich  der  bis  jetzt  noch 
unbekannte  Ortsname  KccQ7ia&iojtoXiT7]s >  der  auch  noch  wie- 
derkehrt in  No.  3  derselben  Tab. 

Tab.  XXXVI,  3,  auf  Rhodos  gefunden,  enthält  ein  Ehren- 
denkmal zur  Erinnerung  an  einen  öffentlich  erhaltenen  Kranz: 
sie  fängt  an  A&P0AI2JI0  IAH  .  .  TA2J2JTE&ANSIQEIZ, 
soll  wohl  heissen  A&POAIZIOZ$AZHAlTH2  u.  s.  w. 


Yiduac  inscriptiones  anliquac.  37 

Tab.  XXXVI,  4  steht  wahrscheinlich  falsch  AMI02J  statt 
2JAMI02J. 

Tab.  XXXVII,  3  ist  zu  lesen  KA0TO&E2JIAN,  wie  Tab. 
XXXV,  1,  und  unmittelbar  darauf  wahrscheinlich  HrHEI- 
AAMOV. 

Tab.  XXXVII,  4,  auf  Chios  gefunden,  enthält  einen  Be- 
schluss,  woruach  oi  7CQ8ößvtSQOt  einem  gewissen  Diodoros,  wel- 
cher «£>£«£  xov  xoegßvuxov  genannt  wird,  öffentliche  Ebren- 
bezeigungen  weihen.  Merkwürdig  ist  die  Erwähnung  dieser 
Behörde,  oi  itQEößvTEQOt  und  ihre  Gesammtheit  rö  TiQtößvtL- 
%qv,  die  beinahe  die  oberste  Behörde  der  Stadt  gewesen  zu 
sein  scheint,  und  wobei  der  Wortähnlichkeit  wegen  an  das 
Lat.  Senatus,  Senatores  erinnert  werden  könnte.  Unseres  Wis- 
sens findet  sich  diese  Behörde  ganz  mit  denselben  Ausdrücken 
nur  noch  einmal  erwähnt,  wiederum  auf  einer  in  Chios  gefun- 
denen Inschrift,  wo  auch  ein  öuvoöog  TCQEößvtSQCOV  angeführt 
wird  :  letztere  Inschrift  machte Fiorillo  bekannt  in  Beckii  Comm. 
soc.  philol.Lips.  IV, IS.  154.  —  Beachtenswerth  ist  ferner  auch 
noch  die  Anführung  eines  Monat  'Aorttiiöieov,  Avofür  sonst  nur 
die  Form  AoTSfilöLOg  bekannt  ist:  jene  findet  sich  jedoch  auch 
auf  einer  Inschrift  (wir  erinnern  uns  nicht  gleich,  wo  gefun- 
den) in  Caylus  Recueil  d'antiquite's  Bd.  II  Planche  LIX.  Vgl. 
dazu  S.  194. 

Tab.  XXXIX,  eins  der  wichtigsten  Stücke  der  ganzen 
Sammlung,  enthält  ein  Edict  eines  uns  unbekannten  Römischen 
Proconsuls  in  Griechischer  Sprache  abgefasst ,  und  betrifft  das 
politische  Verhältniss  der  Insel  Chios  zur  Römischen  Oberherr- 
schaft. Hinsichtlich  der  Sprache,  wie  auch  der  Geschichte  ist 
es  sehr  merkwürdig,  leider  aber  verstümmelt,  so  dass  es,  um 
genau  verstanden  zu  werden,  erst  die  geübte  Hand  eines  glück- 
lichen Sospitators  erwartet.  In  der  Kürze  lässt  sich  darüber 
gar  nicht  sprechen ,  und  wir  übergehen  das  Einzelne  daher  lie- 
ber ganz. 

Tab.  XLI,  3,  auf  Chios  gefunden,  enthält  ein  elegisches 
Epigramm,  das  von  Vielen  schon  bereits  herausgegeben,  zuletzt 
in  dem  Auctarium  Lex.  Gr.  S.  75  nach  Walpole  Memoirs  rela- 
ting  to  the  European  Turkey  S.  47G  wiederholt  worden  ist. 
Von  diesem  Text  weicht  die  Abschrift  Vidua's,  einige  paläo- 
graphische  Eigentümlichkeiten  abgerechnet,  nur  in  Wenigem 
ab  ,  und  bestätigt  vielmehr  Walpole's  Lesarten.  Vs.  2  Walpole 
HPIIACE,  Vidua  API1AEE,  und  gleich  darauf  &EP2E&0- 
NA2J,  wo  Walp.  IIEPCE®ONAC,  worüber  schwer  zu  ent- 
scheiden ,  da  letztere  Form  nicht  minder  üblich  als  die  erstere 
ist.  Auf  einer  Inschrift  in  Ferussac  Bulletin  des  sciences  histo- 
rioues  1825  No.  9  S.  191  heisst  es  QsQöscpovrjg  dcckafiog  %a%- 
kyii  TtW,  ein  Ausdruck,  der  hieher  vorzüglich  passt.  Beach- 
tenswerther ist  aber  Vidua's  Lesart  Vs.  4  OTKETI®El[]S] 


38  Inschriftenkunde. 

AOAIXON,  wo  man  bisher  OTKETI&EIJOAIXON  las. 
Hieraus  ergiebt  sich  nun  die  ziemlich  sichere  Lesart  ovxsti  &slv 
u.  s.  \v.  Das  N  ist  freilich  nur  muthmaassliche,  aber  sehr  wahr- 
scheinliche Ergänzung,  worauf  der  für  einen  Buchstaben  leere 
Raum  auf  dem  Marmor  leicht  und  sicher  führte. 

Tab.  XLII,  2,  auf  der  Insel  Paros  gefunden,  enthält  die 
Relief  zweier  Kränze  in  Parischem  Marmor,  in  deren  einem 
befindlich  OAHMOEETPATHTHEANTA,  in  dem  andern 
OAHMOEI10AITAEATTPOEAMENON.  Statt  letzterem 
muss  ATTPSIEAMENON  gelesen  werden,  und  man  sieht 
leicht  ein,  dass  das  Monument  vom  Demos  zu  Ehren  Jemandes 
errichtet  worden,  der,  natürlich  gefangene,  Bürger  von  Paros 
entweder  mittelst  von  sich  selbst  bestritteneu  Lösegeldes  be- 
freit ,  oder  gegen  Lösegeld  aus  der  Haft  entlassen  hatte.  Der 
historische  Vorfall ,  der  hierbei  zur  Grundlage  gedient ,  bleibt 
uns  unbekannt. 

Tab.  XLIII,  3,  wiederum  ein  Volksbeschluss  der  Parier 
zu  Ehren  eines  gewissen  JTcoourog,  von  demunter  andern  ge- 
sagt wird  ATOPANOMHEANTASIE  (dieses  SIE  ist  aus  Ver- 
sehen aus  der  folgenden  Zeile  wahrscheinlich  hierher  fälschlich 
wiederholt  worden)  KAASIEK  —  {KAASIE  KAI  AI  zu  lesen) 
KAISIEKATATE  TO..EHOMOT—(zulesen  RATA  TE  TOTE 
NOMOTE  KAI)  RATA  TO  KOINH  IIAEI  ETMOEPON. 
Die  wiederhergestellte  Formel  xaxä  xovq  vofiovg  kömmt  häufig 
auf  Decreten  vor,  noch  häufiger  aatd  xbv  vöfiov:  Beispiele  sind 
in  der  Sylloge  inscriptionum  gegeben  worden.  Füge  noch  hinzu 
Biagi  Mus.  Nan.  S.119.  u.  208;  Chandler.  Inscr.  ant.  S.  84  No. 
152 ;  Raoul  -  Rochette  Antiquites  du  Bosphore  S.  209 ;  Marin. 
Oxon.  S.  118  ed.  Prideaux.  Auch  die  andere  ergänzte  Formel 
xcdäg  xcel  dincciag  ist  nicht  ungewöhnlich  in  Inschriften  ver- 
wandten Inhalts :  ähnlich  ist  auch  ögfrcög  xal  dcxcclag  bei  Po- 
cocke  Inscr.  antiq.  S.  56  No.  63,  wo  falsch  OPOSIE  steht.  Wie- 
ner Jahrb.  1822  Bd.  20  S  348. 

Tab.  XLV,  XLVI  und  XLVII,  1  beziehen  sich  auf  die 
Sitte ,  wornach  man  im  Griechischen  Alterthum  Haare  der  Kin- 
der ,  vorzüglich  die  ersten  abgeschnittenen,  dem  Aeskulap  wei- 
hete,  um  dadurch  sich  die  Gesundheit  der  Kinder  zu  versi- 
chern. 

Tab.  XL VIII,  1,  auf  der  Insel  Keos  (Zia)  gefunden,  ist 
nun  bereits  auch  in  Bröndstedts  Reisen  durch  Griechenland 
Buch  I  Taf.  XXV  Inscr.  19,  und  nach  Bröndstedts  Copie  auch 
im  Corpus  inscriptionum  abgedruckt  zu  finden,  weicht  jedoch 
nicht  allein  in  paläographischer  Hinsicht  von  Bröndstedt  sondern 
auch  durch  Verschiedenheit  eines  Buchstaben  ab.  Der  dritte 
Marne  nämlich,  welcher  bei  Bröndstedt  S-^ENHPEIOS  lautet, 
wird  hier  STENHPETOE  wiedergegeben,  jedoch  dazu  S.  47 
bemerkt,  dass  in  „alienis  schedis"  gelesen  werde,  gerade  wie 


Viduac  inscriptioncs  antiquac.  ;>«) 

bei  Bröndstedt.     Zeitalter  und  Zweck  dieser  aus  vier  Eigenna- 
men bestehenden  Inschrift  ist  annoch  ein  Räthsel. 

Tab.  XLV11I,  2,  gleichfalls  auf  Keos  gefunden,  bei  Brönd 
stedt  1.  c.  Taf.  XVII:  hier  jedoch  vollständiger,  wo  nach  rE- 
rONOTA  (Bröndstedt  rErONOTAA  .  .  .  .  )  folgt  XE2J0- 
THPA.  Freilich  weiss  man  mit  dem  XE  nichts  Rechtes  anzu- 
fangen. Uebrigens  zeigt  diese  Inschrift  von  Neuem,  wie  selten 
ganz  genau  auch  die  Unterrichtetsten  uns  Abschriften  der  Steine 
liefern.  Bei  Bröndstedt  nämlich  haben  die  Omega  die  gewöhn- 
liche Form  Sl,  bei  Vidua  dagegen  die  neuere  co.  Wer  hat  nun 
Hecht*?  Darf  man  einen  Schluss  wagen,  so  hat  Bröndstedt  Recht. 
Da  nämlich  Vidua  20THPA  statt  2JSITHPA  abschrieb,  so 
setzt  dieses  ein  iß  voraus,  welches  wohl  leicht  für  einO,  aber 
nicht  für  ein    co    angesehen  werden  konnte. 

Tab.  XLIX,  3,  zu  Athen,  im  Hause  des  Oesterreichischen 
Consuls  Gropius ,    die  wir  ihres  mannigfaltigen  Interesses  we- 
gen zum  Schluss  mittheilen  Avollen. 
ONTSlZzlIZHAI 
EENE&IATATETI2 
nO&ENEIMIK&MEN 
MOIIZ4  TPIEEETINErSl 
40NOMANEIKOMHJH2 
MO  TZA£IN@EPAII£IN 
AzfSlN®  TMEAAI2JINO 
MHPO  TAOSAIZENTE 
AAZAZÜEPIKEIMAINH 
JTMONTnNON 
"Ovtcog  dltycci,  |iv8  tpiltuTB,  rig,  no&sv  slfti' 
Käg  piv  (lOLTtaTQig  löziv ,  sya  d'  ovopcc  N£MO[ir]di]g. 
Movöccav  ftegccTtcov,  adeov  &v[i£hcu6iv ,  'Olhjqov 
döl-cug  syysXdöag ,  hsqmsliicci  vr]dv[iov  vnvov. 
Die  Erklärung  dieses  Epigramms  überlassen  wir  Andern:  auf 
jeden  Fall  scheint  Nikomedes  für  einen  Schauspieler  der  komi- 
schen Bühne  genommen  werden  zu  müssen. 

Friedrich    Osann. 


Ueber  die  neuesten  Bearbeitungen  der  Griechi- 
schen Anthologie. 

Zweyter   Artikel 
[Vgl.  Jahrbb.  Bd.  III  Hit  2  S.  58.J 

U  nter  den  Blumenlesen ,  die  seit  dem  vollständigen  Bekannt- 
werden der  Flalzer  Handschrift  aus  der  Griechischen  Antholo 


40  GriechischeLitteratur. 

gie  veranstaltet  sind,  haben  wir  des  Delectus  epigrammatum  von 
Jacobs  zuerst  Meldung  gethan,  weil  dieser  Sammlung  wegen 
ihrer  reichen  und  zweckmässigen  Ausstattung  unter  allen  Ar- 
beiten ähnlicher  Art  der  erste  Rang  gebührt.  Bereits  um  meh- 
rere Jahre  früher  war  folgende,  auch  jetzt  noch  beachtenswer- 
the  Auswahl  erschienen: 

2)  Anthologia  Graeca  sive  collectio  epigramma- 
tum ex  Anthologia  Graeca  Palatino.  In  usum 
scholarum  curavit  M.  Augast  Weichen,  reg.  schol.  Grimens.  rect. 
adj.  et  prof.  Meissen  b.  Friedr.  Wilh.  Goedsche.  1823.  XVI  und 
312  S.  8. 

Der  Herausgeber  wurde  zu  dieser  Arbeit  durch  den  Wunsch 
veranlasst,  von  dem  vielen  nach  Form  und  Inhalt  Vortrefflichen, 
das  die  Griechische  Anthologie  in  sich  begreift,  eine  passende 
Auswahl  im  Gebrauch  gelehrter  Schulen  zu  sehn,  und  dem 
Jünglinge  die  erste  Bekanntschaft  mit  diesen  Schätzen  leichter 
zu  machen,  als  diess  bey  dem  hohen  Preise,  zum  Theil  auch 
bey  der  innern  Beschaffenheit  der  frühern  Ausgaben  und  Ab- 
drücke möglich  war. 

Da  Jacobs  durch  seinen  Delectus  vorzugsweis  gründli- 
ches Selbststudium  fördern  wollte,  und  danach  seine  Anmer- 
kungen einrichtete,  Weich  ert  aber  ein  Schulbuch  beabsich- 
tigte, das  sich  begnügte,  einen  möglichst  reinen  Text  zu  ge- 
ben ,  alles  zur  Erklärung  Gehörige  aber  dem  mündlichen  Vor- 
trage des  Lehrers  anheimstellte ;  so  leuchtet  ein ,  dass  eine  un- 
mittelbare Vergleichung  zwischen  beyden  Werken  nicht  ohne 
Ungerechtigkeit  gegen  Eines  derselben ,  wo  nicht  gegen  beyde 
zugleich,  durchgeführt  werden  könnte.  Da  sie  also  nicht  die- 
selbe Bestimmung  haben ,  sondern  füglich  neben  einander  be- 
stehn,  so  werden  wir  ohne  weitere  Rückblicke  auf  Jacobs 
zeigen,  was  Weich  ert  hat  leisten  wollen  und  in  wie  weit  er 
das  vorgesteckte  Ziel  erreicht  hat. 

Da  sein  Plan  jeden  Commentar  ausschliesst ,  kann  hier  nur 
von  der  Auswahl  und  Zusammenstellung  der  Gedichte  und  von 
der  kritischen  Anordnung  des  gegebenen  Textes  die  Rede  seyn. 

Die  Lese  selbst  ist  keineswegs  kärglich  ausgefallen :  wir 
finden  etwa  neunhundert  und  ohne  Widerstreit  von  den  trefflich- 
sten Epigrammen  vor.  Im  Ganzen  ist  dabey  der  Herausgeber 
zwar  der  Auswahl  gefolgt,  die  Jacobs  in  seinem  Tempe  (1803.) 
getroffen  hat,  und  wie  wäre  auch  ein  kundigerer  Führer  durch 
dieses  Blumenlabyriuth  zu  finden  gewesen !  Weit  entfernt  jedoch, 
sich  von  diesem  Vorgänger  unbedingt  abhängig  zu  machen,  hat 
er  manches  nicht  eigentlich  in  das  Gebiet  der  Anthologie  zu 
Ziehende,  z.B.  die  elegischen  Bruchstücke  aus  Theognis,  weg- 
gelassen, dafür  aber  durch  Aufnahme  andrer,  zum  Theil  als 
Tempe  erschien  noch  gar  nicht  herausgegebner  Stücke  reichli- 


Weichert:    Anthologia  Giaeca.  41 

eben  Ersatz  gegeben.     So  ist  von  den  namhafteren  Dichtern 
der  Anthologie  fast  keiner  übergangen :    —   nur  vom  Hedylös 
etwa  und  aus  den  Epigrammen  Theokrits  dürfte  eine  und  die 
andre  Mittheilung  zu  wünschen  gewesen  seyn:  —  dagegen  sind 
aucli  einige  solche  berücksichtigt ,    die  man  nicht  all  zu  sehr 
vermisst  haben  würde,  z.  B.  Diogenes  von  Laerle ,  I,  05,  00, 
110,  112,  113,  unstreitig  einer  der  armseeligsten  Versmacher 
des  ganzen  Alterthums.      Auffallend  aber  war  dem  Rec.  eine 
gewisse  Beschränkung  in  der  metrischen  Form,   indem  alles 
folgerecht  ausgeschlossen  ist ,  was  sich  nicht  im  gewöhnlichen 
elegischen  Distichon   bewegt.     „Praeterii   ea  epigrämmata," 
sagt  der  Herausgeber  S.  X,  „quae,  quumalio,  quam  elegiaco, 
„scripta  essent  metro,  p ziert li  aetati  minus  convenire 
„mihi  viderentur:u   ein  Urtheil ,    dem  Rec.   keineswegs 
ueytreten  kann,  da  doch  der  Unterschied  zwischen  diesen  und 
den  elegischen  Epigrammen  ausschliesslich  in  den  Rhythmen 
liegt,  solche  Jünglinge  aber,  für  die  diese  Auswahl  veranstal- 
tet ist ,  wohl  allmälig  auch  in  andre  Versarten  eingeführt  wer- 
den dürfen:  so  können  wir  es  denn  nur  gut  heissen,  wenn  diese 
Regel  hie  und  da,    wie  IV,  37,  verlassen  ist.     Eher  würden 
wir  eine  grössere  Strenge  in  den  erotischen  Epigrammen  des 
fünften  Buches  erwartet  und  gebilligt  haben.     Wir  sind  weit 
entfernt  zu  behaupten,  dass  wirklich  Unreines  und  an  sich  Ver- 
werfliches Aufnahme  gefunden  habe:   wohl  aber   scheint  der 
Heiausg.    grade    hier    den    Unterschied  nicht    scharf    genug 
ins    Auge    gefasst    zu    haben,    der    zwischen   seiner   Auslese 
und   zwischen    Jacobs     Tempe    obwaltet.       Jacobs    über- 
setzte   für    reifere    Freunde    des    Alterthums,     Weicher! 
sammelte  für  Jünglinge,  ja  für  Knaben:  jener  verhüllt  nicht 
selten  durch  die  keusche  Muttersprache,    was  in   seiner  ur- 
sprünglichen Nacktheit  selbst  dem  geübteren  Sinne  anstössig 
bleiben  dürfte:  dieser  giebt  ein  Material,  das  zuerst  den  Schü- 
ler durch  Vorbereitung  beschäftigen,  dann  vom  Lehrer  gründ- 
lich und  vollständig  erläutert  werden  soll.     Grade  im  epigram- 
matischen Gedicht  ist  aber  vor  allem  der  Hauptgedanke  hervor 
zu  heben  und  ins  hellste  Licht  zu  stellen:  soll  nun  der  Lehr- 
ling nach  der  erotischen  Spitze  eines  vorliegenden  Epigramms 
ahndend  urahertasten?  oder  soll  der  Lehrer  die  Sacheins  Klare 
setzen'?   Rec.  gehört  gar  nicht  zu  den  Aengstlichen ,   und  er 
würde  nie  Anstand  nehmen,  tüchtigen  Primanern  diese  und  jene 
Komödie  des  Aristophanes  zu  erklären,  sowie  er  sie  als  Schü- 
ler von  Jacobs  erklären  gehört  zu  haben  noch  jetzt  sich  mit 
Freude  und  Dank  erinnert:  das  aber  gesteht  er  gern,  dass  es 
ihm  unmöglich  seyn  würde,  Gedichte,  die  sich  ausschliesslich 
und  auf  die  lüsternste  Weise  um  Geschlechtsverhältnisse  bewe- 
gen, wie  z.  B.  das  des  Meleagros  bey  Weich  er  t  V,  22,  jun- 
gen Leuten  zu  erklären ,  die  noch  nicht  einmal  mit  den  Home- 


42  Griechische    Littcratur. 

rischen  Gesängen  bekannt  sind,  der  höhern  alterthiimlichen 
Weihe  also  noch  gänzlich  ermangeln.  Was  aber  dem  Lehrlinge 
von  Schriftwerken  des  Alterthums  nicht  zur  vollen  Klarheit  des 
Verständnisses  gebracht  werden  kann  oder  darf,  das  sollte 
überhaupt  von  dem  reinen  Kreise  des  Jugendunterrichts  fern 
gehalten  werden;  und  was  der  Herausg.  selbst  S.  VIII  über  die 
unerlassliche  grammatische  Gründlichkeit  in  der  Auslegung  ei- 
nes jeden  Wortes  trefflich  bemerkt  hat ,  enthält  den  Beweis, 
dass  zwischen  ihm  und  dem  Rec.inder  Grundansicht  keine  Ver- 
schiedenheit der  Meinungen  vorhanden  ist. 

Ueber  die  Anordnung  der  ausgewählten  Epigramme  und 
ihre  Vertheilung  in  zehn  Bücher  können  wir  kürzer  seyn.  Es 
ist  dieselbe,  die  bey  Jacobs  Tempe  zum  Grunde  liegt:  jedes 
Buch  befasst  einen  besondern  Abschnitt  der  alten  Welt :  ein  je- 
des ist,  gleichsam  wie  eine  abgeschlossene  Halle,  irgend  einem 
Ausschnitte  des  Hellenischen  Lebens  gewidmet,  und  in  demsel- 
ben das  Gleichartige  soviel  als  möglich  nach  dieser  Beziehung 
geordnet*).  Zwar  hat  Jacobs  selbst  nachmals  diese  Anlage 
geändert  und  erweitert:  aber  grade  für  die  vorliegende  Auswahl 
dürfte  kaum  ein  zweckmässigerer  Plan  zu  entwerfen  gewe- 
sen seyn. 

Wir  haben  also  nur  noch  über  den  uns  dargebotenen  Text 
zu  sprechen,  welches  ausführlicher  zu  thun  uns  sowohl  der 
Name  des  Herausg. ,  als  die  Sache  selbst  veranlasst. 

In  der  Vorrede  sind  die  Kriterien  genügend  angedeutet, 
nach  denen  unser  Urtheil  zu  bestimmen  ist.  Grundlage  des 
Textes  ist  durchweg  die  Anthologie/,  Palatino,  doch  so  dass  von 
dieser  da  abgewichen  ist,  wo  ihre  Lesart  entweder  verdorben 
oder  doch  unverständlich  erschien :  in  diesen  Fällen  sind  Ver- 
besserungsvorschläge, bald  von  Jacobs,  bald  von  andern  Kri- 
tikern ,  aufgenommen.  Bey  lückenhaften  Gedichten,  w  ie  z.  B. 
II,  53  (nicht  50,  wie  S.  XI  gedruckt  ist)  in  der  schönen  Grab- 
schrift auf  die  bey  Potidäa  gefallnen  Athener,  hat  der  Herausg. 
kein  Bedenken  getragen ,  die  Ergänzungen  Neuerer  zuzulassen. 
Von  den  vorgenommenen  Aenderungen  aber  Nachricht  zu  ge- 
ben, schien  allzu  weitläuftig,  und  weder  mit  dem  Zweck  noch 
mit  dem  Umfang  der  Vorrede  vereinbar.  Um  endlich  höchst 
mögliche  Richtigkeit  des  Druckes  zu  bewirken,  theilte  er  diese 
immer  mühvolle,  selten  mit  gebührendem  Dank  erkannte  Arbeit 
mit  seinem  Schwager ,  Hrn.  Eduard  Wunder,  dem  er  über- 
diess  gestattete,  hie  und  da  nach  eignem  Urtheil  vom  Jacobsi- 
schen Text  abzugehn:  ein  Zutrauen,  das  dieser  hier  zum  er- 
stenmal auftretende  Gelehrte  seitdem  durch  seine  ausgezeich- 


' )  Jacobs  Kunst  und  Leben  der  Alten  Th.  I  S.  XI. 


Weichcrt :    Anthologia  Graeca.  43 

ueten  kritischen  Arbeiten  über  Sophokles  und  Cicero   hinrei- 
chend gerechtfertigt  hat. 

Wenn  die  kritischen  Grundsätze,  zu  denen  der  Herausg. 
sich  bekennt,  manchem  minder  streng  erscheinen  mögten,  so 
glaubt  Rec.  doch,  dass  sie  in  der  mehr  praktischen ,  als  wis- 
senschaftlichen Bestimmung  des  Buches  ihre  völlige  Rechtferti- 
gung -finden.  In  ein  Schulbuch  darf  nichts  aufgenommen  wer- 
den, als  was  der  Schüler  mit  richtiger  Benutzung  seiner  Sprach- 
lehre und  seines  Wörterbuches  grammatisch  sich  selbst  bey  der 
Vorbereitung  vollkommen  klar  machen  kann :  daher  gehört  nicht 
hinein ,  was  verdorben  oder  lückenhaft  ist ,  und  die  Wahr- 
scheinlichkeit oder  Möglichkeit  darf  an  die  Stelle  der  Evidenz 
treten.  Kann  das  Stück  nicht  zu  ausreichender  Verständlich- 
keit hergestellt  werden,  so  muss  es  ganz  ausgeschlossen  blei- 
ben. Je  mehr  also  Rec.  mit  dem  Grundsatze  des  Herausg.  ein- 
verstanden ist,  desto  mehr  bedauert  er ,  denselben  nicht  über- 
all mit  gleicher  Consequenz  in  Anwendung  und  Ausübung  ge- 
bracht zu  sehn.  Denn  in  mehrern  der  aufgenommenen  Gedichte, 
z.  B.  I,  116,  7;  V,  71,  4;  76,  0;  VII,  17,  5,  ist  die  beybehal- 
tene  Lesart  der  Anthol.  Palat.  bis  zu  völliger  Sinnlosigkeit  ent- 
stellt ,  dieser  aber  an  allen  einzelnen  Stellen  besonders  durch 
Jacobs  mit  soviel  Scharfsinn  abgeholfen,  dass  wir  nicht  ein- 
sehn ,  warum  dem  Schüler  lieber  etwas  durchaus  Unverständ- 
liches als  etwas  der  alten  Dichter  vollkommen  Würdiges  darge- 
boten ist.  Misbilligte  der  Herausg.  alle  Verbesserungsversuche 
froherer,  und  fand  auch  sein  eigner  bewährter  Scharfsinn  kei- 
nen Ausweg,  so  waren  diese  Epigramme  ganz  bey  Seite  zu  legen. 

Am  meisten  aber  muss  Rec.  darüber  mit  dem  Herausg.  rech- 
ten ,  dass  er  uns  die  Nachweisung  seiner  Abweichungen  von  J  a- 
cobs  vorenthalten  hat.  Was  er  selbst  S.  XII  darüber  bemerkt 
—  quae  in  textns  verbis  mutata  sunt,  eorum  hie  recensum  dare 
et  longmn  est  et  ab  hujus  praefationis  modo  ac 
consilio  alienum.  —  hat  uns  durchaus  nicht  genügen  kön- 
nen ,  da  eine  kurze  Anzeige  allen  denen  genügt  haben  würde, 
denen  ein  Urtheil  in  solchen  Dingen  zusteht:  eine  solche  An- 
zeige aber  würde  auf  den  doch  leer  gebliebnen  letzten  vier  Sei- 
ten ,  die  jetzt  mit  Gödscheschen  Verlag  ausgefüllt  sind  ,  be- 
quemen Platz  gefunden  haben. 

Allen  denen  also ,  die  sich  für  die  weitere  kritische  Her- 
stellung der  Griechischen  Anthologie  interessiren,  und  die  wie 
Rec.  mit  dem  Namen  des  Herausg.  die  Erwartung  der  vorzüg- 
lichsten Leistungen  zu  verbinden  gewohnt  sind,  —  solcher  aber 
werden  nicht  wenige  seyn.  —  ist  die  Notwendigkeit  auferlegt, 
wenn  sie  zu  wissen  begehren,  was  durch  Weich  ert  Neues 
für  die  Begründung  des  Textes  geschehnist,  das  Buch  wie  eine 
Handschrift  von  Anfang  bis  zu  Ende  mit  der  Anthol.  Palat.  durch 
zu  vergleichen:  immer  eine  etwas  harte  Anmuthung,  wie  sie 


44  Griechische  Litteratur. 

kein  Alterthumsforscher  an  die  Müsse  seiner  Studiengenosseu 
machen  sollte,  zumal  wo  es  so  leicht  war,  dem  Uebelstande 
abzuhelfen. 

Unter  diesen  Umständen  glaubte  Rec.  etwas  Nützliches 
und  Dankenswerthes  zu  thun,  wenn  er  die  Mühe  einer  vollstän- 
digen Vergleichung  andern  dadurch  ersparte,  dass  er  sie  selbst 
auf  sich  nähme,  und  ihre  Ergebnisse  mittheilte.  Als  er  jedoch 
diess  Geschäft  mit  möglichst  gespannter  Aufmerksamkeit  durch 
vier  Bücher ,  das  erste ,  dritte ,  fünfte  und  neunte ,  fortgesetzt 
hatte,  schien  ihm  der  Zeitaufwand  doch  zu  der  Ausbeute  nicbt 
in  gehörigem  Verhältnisse  zu  stehn:  wohl  aber  ging  daraus 
ein  sicheres  Urtheil  über  das  Verhältniss  des  Weichertschen 
Textes  zum  Jacobsischen  hervor ;  und  so  mag  die  Mittheilung 
des  in  den  bezeichneten  vier  Büchern  Wahrgenommenen  genü- 
gen. Dass  darüber  die  andern  sechs  Bücher  nicht  vernachläs- 
sigt sind ,  wird  aus  einzelnen  Stellen  einleuchten. 

Vor  allem  unterscheiden  wir,  was  auf  andrer  Gelehrten 
Auctorität  geändert  ist,  von  dem  was  wir  hier  zum  erstenmal 
finden,  was  also  dem  Herausg.  oder  seinem  gelehrten  Freunde 
angehört. 

Nach  dem  Vorgange  Früherer  finden  wir  den  Text  nicht 
selten  verbessert,  wenigstens  lesbarer  und  verständlicher  ge- 
macht, und  zwar  wie  billig  am  häufigsten  nach  Jacobs:  die 
Stellen,  wo  Conjecturen  dieses  Kritikers  aus  den  Anmerkungen 
in  den  Text  gebracht  sind,  sind  folgende:  I,  53,  3;  89,  9; 
10;  (hiermögten  wir  aber  doch  die  urkundliche  Lesart  %aiQUV 
der  Aenderung  %cc(qcov  vorziehn.  Die  Worte  alld  [iE  xov  kaktov 
xcci  TtQSößvt^v  Gv  itQogsincov  laiQUV ,  elg  yrJQccg  Kccvrog  i'xoio 
Kälov ,  drücken  denselben  Wunsch  aus,  welchen  das  bei  Wei- 
ch ert  gleich  darauffolgende,  ebenmässig  von  der  Redselig- 
keit des  Meleagros  handelnde  Gedicht:  noch  im  Grabe  mögte 
er  freundlich  mit  einem  Scheideruf  begrüsst  werden ,  und  zum 
Lohne  dafür  wünscht  er  jedem,  der  ihm  das  leisten  werde,  ein 
eben  so  hohes  Alter  wie  er  selbst  erreicht  hat:  also  nothwendig 
ttQOQSiTtcov  [iE  %cciqhv  ,  Lxoto — .  Wie  gebräuchlich  aber  diess 
%cilqe  und  das  Römische  vale  an  Grabstäteu  war,  lehren  unter 
andern  Jacobs  zu  der  Anthol. Gr.  T.  XII  p.323  und  Döring 
zum  Catull.  101,  10.)  III,  96,  3;  101,  2;  V,  5,  1;  16,  6; 
IX,  9,  6;  14,  2;  48,  3;  53,  6;  59,  6.  Ausserdem  finden 
wir  Aenderungen  nach  Reiske,  I,  1,7;  nach  Brunck,  I, 
90,  7;  8;  V,  38,  7;  IX,  25,  5;  nach  Schäfer,  IX,  1,  4; 
nach  Hermann,  III,  48,  2;  nach  Gräfe,  I,  1,  IT;  nach 
Purgold,  I,  1,  54,  und  nach  einer  Vermuthung  des  Rec.  bey 
Jacobs,  I,  79,  8,  vorgenommen. 

Herstellungen  der  urkundlichen  Lesart  sind  wir  nicht  öfter 
als  zweymal  begegnet,  I,  40,  3  und  III,  24,  6;  aber  keiner 
von  bcyden  können  wir  unsern  Beyfall  geben.     An  der  ersten 


Weichert:    Anthologia  Graeca.  45 

Stelle  ist  aus  der  Pfälzer  Handschrift  die  Schreibung  "ÄCdag 
(den  Hexameter  beginnend)  statt  des  allein  zulässigen  "Aidccg 
zurückgerufen.  Da  aber  jene  Form  an  unsrer  Stelle  wenigstens 
drey  Fehler  in  sich  begreift,  verdankt  sie  wohl  nur  einem  zwie- 
fachen Druckfehler  ihr  Daseyn.  —  Das  andre  Gedicht  ist  uns 
nur  in  der  Sammlung  des  Maxinms  Plamides  erhalten,  und  en- 
det in  den  meisten  Ausgaben  derselben  so: 

UQix^itiXrjg  ovx  elöev  et  /jj)  &s{iig ,  «AA'  6  CtdrjQog 
'e%eö%  oriav"AQrig  rj&els  ti)v  naeperjv. 
Andre  geben  e^eösv,  einleuchtend  falsch.  Aber  auch  die  oben- 
&t  eh  ende  Lesart  verwarf  Jacobs  mit  mehrern  Vorgängern,  be- 
sonders weil  "Aqrig  in  der  Senkung  des  Verses  die  erste  Sylbe 
kurz  zu  haben  pllege.  Dieser  Zweifel  wird  jedoch  durch  ein 
Epigramm  des  Anüpatros ,  Anth.  Palat.  IX,  323,  3,  (bey  Wei- 
che/t IV,  9.)   völlig  gehoben,  wo  es  heisst: 

<xyxQ£[ia6ccg"AQri'C  fitaörogt  xoöpov  axoöfiov. 
Ja,  dieselbe  Form  an  derselben  Stelle  des  Pentameter  hat  die 
lange  Anfangssylbe  bey  Leonidas  von  Tarent,   Antliol.  Palat. 
VII,  449: 

Movöec  %ogovg,  "AQrjg  lyyväli^s  yiä%uv. 
Wahrscheinlich  dadurch  bewogen  ist  der  Herausgeber  zur  ge- 
wöhnlichen Lesart  zurück  gekehrt.  Dem  Rec.  aber  ist  diese 
aus  mehrern  andern  Gründen  verdächtig:  erstens  scheinen  die 
Handschriften  alle  e^eöev  zu  haben,  e%e6j  wäre  also  Correctur 
aus  Versnoth;  zweytens  lahmt  der  Rhythmus  unerträglich,  so- 
bald wir  die  erste  Sylbe  von  olccv  als  Kürze  nehmen;  endlich 
ist  die  Attische  Form  ol'av  in  diesem  Epigramm  höchst  be- 
fremdlich ,  und  wäre  sie  nothwendig  in  oirjv '  zu  verwandeln, 
wenn  nicht  auch  diese  Aenderung  eine  viel  zu  willkührliche  wäre. 
Rec.  glaubt  darum ,  dass  die  ganz  in  Vergessenheit  gerathene 
Lesart  e%e6ev  wieder  zu  Ehren  zu  bringen  und  der  Vers  so  zu 
schreiben  ist: 

s£,e(j£v,  oV  av'Agiyg  ydsÄs  xyjv  Ilacpirjv. 
So  ist  wenigstens  allen  bisher  erregten  Bedenklichkeiten  auf  Ein- 
mal und  ohne  Aenderung  eines  Buchstaben  abgeholfen:  ola  für 
ag  gebraucht  wird  hoffentlich  keinen  Anstoss  geben :  er  wäre 
sonst  aus  der  Anthologie  selbst  leicht  zu  beseitigen ,  z.  B.  aus 
Antliol.  Palat.  IX,  375,  5;  606,  4;  Planud.  4,  265,  3. 

Wir  wenden  uns  jetzt  zu  den  Stellen,  die,  soviel  wir  wis- 
sen, ihre  gegenwärtige  Gestalt  den  Herren  Weichert  oder 
Wund  er  selbst  verdanken.  Es  sind  uns  deren  in  unsern  vier 
Büchern  nur  folgende  fünf  nicht  grade  sehr  bedeutende  aufge- 
fallen: I,  44,  5  ist  wie  I,  91,  1  EQtvvvg  geschrieben,  in  der 
Hdschr.  und  bey  Jacobs  'Egii'vg,  auf  jedenFall  eine  übereilte, 
vermuthlich  aber  auch  eine  falsche  Aenderung,  vgl.  Brunck 
zu  Aesch.  Sept.  adv.  Theb.  45)0  und  zu  Aristoph.  Lysistr.  813, 
Jacobs  zur  Antliol.  Palat.  p.  258,   Willi.  Dindorf  in  der 


46  Griechische   Litte ratur. 

Vorr.  zur  Ilias  und  Blomfield  zu  Aesch.  Prora.  53  und  525. 
—  Ohne  alles  Bedenken  verwerfen  müssen  wir  die  zweyte  Aen- 
derung, die  uns  als  eine  neue  aufgestossen  ist,  III,  55  (Antli. 
Plaiiud.  IV,  95): 

fat  Ns[iS7]g  6  liav ,  ärdo  6  l~evog  *dQyo&£v  al[ia, 
noXlov  6  [ihv  ftriQGJv  (ih£ov  6  Ö'  rjtiL&sav. 
Die  alte  Lesart  ist  [id^eavt,  6  ö'  ijfiid-aav,  die  freylich  nur  einen 
Sinn,  keinen  Vers  giebt:  von  der  eben  raitgetheilten  müssen 
wir  das  Umgekehrte  sagen,  sie  giebt  einen  recht  guten 
Vers,  aber  —  uns  wenigstens  —  so  durchaus  gar  keinen  Sinn, 
dass  wir  irgendeinen  groben,  uns  jedoch  unentwirrbaren  Druck- 
fehler anzunehmen  geneigt  sind.  Jacobs  vermisst  einen  Su- 
perlativ: wir  wüssten  einen  recht  auserlesenen,  darum  der  Cor- 
ruptel  stark  ausgesetzten  und  in  den  Schriftzügen  nicht  so  sehr 
abweichenden  vorzuschlagen,  yLÜötog,  Nur  ist  seine  Existenz 
überaus  problematisch :  M  a  1 1  h  i  ä  in  der  Griech.  Gramm.  S.  259 
verweiset  zwar  auf  die  Auctorität  des  Bion,  5,  10,  aber  dort 
steht  der  Dorische  Comparativ  (tyovcc ,  und  das  ganze  Citat  ist 
ein  blosser  Abschreibefehler  aus  Fischer  zum  Weller,  Th.2 
p.  99.  Für  n slötog  wird  sich  schwerlich  ein  besserer  Gewährs- 
mann ermitteln  lassen  als  Eustath.  zur  Ilias,  ä  p.  135,  11,  Rom., 
aber  auch  bey  ihm  ist  dieser  Superlativ  nur  eine  seiner  vielen 
etymologischen  Krücken ,  um  eine  Analogie  für  nlüöxog  zu  ge- 
winnen ,  und  ebenso  kommt  er  im  Etym.  M.  p.  581 ,  57  u.  676, 
14  und  in  Zotiar.  lex.  T.  2  p.  1342  vor.  Indess  fodert  unsre 
Stelle  nicht  so  unbedingt  den  Superlativ :  vielmehr  scheint  schon 
Stephanus  das  Richtige  gesehn  zu  haben,  der  sich  begnügte, 
an  die  Stelle  des  mascul.  Comparativs  das  Neutrum  zu  setzen : 

Es  ist  sehr  begreiflich ,  w  ie  Abschreiber  bey  diesem  Neutrum 
stutzig  wurden ,  weil  sie  es  nicht  als  Prädicat  erkannten ,  und 
es  ohne  Weiteres  ins  Masculinum  änderten:  von  dieser  auch  in 
Attischer  Prosa  gar  nicht  seltnen  Verbindung  mit  einem  mascu- 
linen  oder  femininen  Subject  findet  der  etwa  noch  Zweifelnde 
hinreichende  Beyspiele  bey  Matthiä,  Griech.  Gramm.  S.  815 
u.  816.  Der  scheinbare  Gebrauch  des  Comparativs  aber  statt 
des  Superlativs,  richtiger  die  Auslassung  von  tcöv  akXcov  oder 
Ttccvtav  beym  Comparativ  ,  kommt  schon  bey  Homer  vor  ,  z.  B. 
Odyss.  VII,  156,  vgl.  Herrn.  Viger.  p.  717.  —  Die  dritte 
Aenderung  fanden  wir  III,  66,  1,  wo  anjetzt  sö&Äoiöi  zu  Gun- 
sten des  Verses  mit  dem  paragogischen  v  versehn  ist,  unstrei- 
tig mit  Recht.  —  Nicht  minder  beyfallswerth  ist  die  vierte 
Aenderung  zu  III,  80,  1,  wo  statt  des  verswidrigen  ov  roöov 
'A&ccnag  mit  grösster  Wabrscbeinlicbkeit  ov  roööov  y  'A&d[iccg 
geschrieben  ist.  Dasselbe  glauben  wir  von  der  fünften,  V,  23, 
3,  sagen  zu  dürfen,  wo  die  Verslücke  zwischen  TÖijotg  ßaA/Ure 
durch  Einschaltung  derselben  Partikel  ausgefüllt  ist, 


Wcicliert:    Anthologia  Graeca.  47 

rj  f»/  aal  t6%oiöL  ys  ßciXXzrk  (i ,   uXXä  asgawolg. 

Dieser  allerdings  nicht  reiche  Ertrag  aus  vier  sorgfältig  ver- 
glichenen Büchern  wird  den  liec.  entschuldigen,  wenn  er  die 
sechs  übrigen  Bücher  der  Prüfung  anderer  anheimstellt.  Doch 
ist  noch  bey  zwey  Gegenständen  zu  verweilen,  die,  überall 
und  zumal  in  einem  Schulbuche  wichtig,  der  Aufmerksamkeit 
des  Herausgebers  keineswegs  entgangen  sind,  bey  den  Berich- 
tigungen in  der  Interpunction  der  Sätze  und  in  der  Betonung  der 
Wörter. 

Abweichungen  von  der  Interpunction  bey  Jacobs  haben 
wir  in  unsern  vier  Büchern  oft  wahr  genommen,  solche  aber, 
die  wir  für  Verbesserungen  gelten  lassen  mögten ,  höchstens 
drey,  III,  48,  8  die  Tilgung  des  Komma  nach  dccifioveg ,  111, 
110,  4  dasselbe  Verfahren  nach  ecpajvtofievog,  und  V,  38,  8 
nach  la%k\nta.  Ausserdem  haben  wir  an  folgenden  Stellen  ver- 
änderte Interpunctionen  wahrgenommen:  I,  93,  3;  III,  11; 
66,  4;  69,  3;  (dieser  Druckfehler  ist  daraus  entsprungen,  dass 
der  Herausg.  in  den  dialogischen  Epigrammen  die  Buchstaben 
weggestrichen  hat,  durch  die  in  der  Anthol.  Palat.  der  Perso- 
nenwechsel zweckmässig  bezeichnet  wird:  doch  findet  auch  hier- 
in keine  völlige  Consequenz  statt,  s.  z.  B.  III,  52.)  V,  26,  1; 
38,  4;  52,  3;  54,  2;  56,  2;  79,  4;  IX,  9,  4;  26,  6;  45,  1. 
Diese  alle  aber  müssen  wir  aus  zum  Theil  leicht  zu  erkennen- 
den Gründen  verwerfen.  Uns  länger  bey  ihnen  aufzuhalten  ist 
aber  um  so  weniger  nöthig,  als  ganz  gewiss  viele  derselben  auf 
die  Rechnung  des  Setzers  kommen ,  eine  Annahme,  zu  der  wir, 
wie  bald  gezeigt  werden  soll,  nur  allzusehr  berechtigt  sind: 
einiges  mag  indess  doch  wohl  beabsichtigt  seyn,  z.  B.  III,  11 : 
Tig  yXvipag  xov  "Egcora  Ttagec  agrjvrjöiv  e&qxsv, 
olofisvog  7tavöEtv  xovro  to  tcvq  vdazi; 
wo  bisher  der  Hexameter  mit  der  Frage  schloss,  und  der  Pen- 
tameter die  Antwort  enthielt,  gewiss  das  Richtige.  Denn  nach 
der  vorstehenden  Anordnung  wäre  die  Frage  nach  der  Person 
oder  dem  Namen  dessen,  von  dem  man  die  Absicht  der  Auf- 
stellung des  Erosbildes  an  der  Quelle  schon  weiss,  eben  so  un- 
passend, als  das  Zerfliessen  des  Epigramms  in  eine  unbeantwor- 
tete Frage  widersinnig.  Dass  wir  auch  IX,  47,  4  und  57,  2 
mit  der  jedoch  schon  von  Jacobs  überkommenen  Interpunction 
nicht  einverstanden  sind ,  haben  wir  bereits  in  diesen  Jahrbü- 
chern ,  Zweiter  Jahrg.  Bd.  I  Heft  2  S.  72  und  73,  bemerkt. 

Die  Betonung  haben  wir  Einmal  wesentlich  berichtigt  ge- 
funden, II,  56,  1  in  dem  Eigennamen  'Aytg,  wofür  bisher  falsch 
"Ayig  geschrieben  war.  Nicht  für  Berichtigung  kann  dagegen 
Rec.  III,  49,  5;  69,  11;  V,  70,  3;  IX,  34,  5  die  Weglas- 
sung der  Koronis  in  xovvsaa  und  daher  auch  II,  22,  2  in  6%ov- 
vbxsv  anerkennen,  obgleich  er  übrigens,  wie  er  bereits  im  Griech. 
Wörterbuch  dargelegt  hat,  in  der  Schreibung  des  letztern  Wor- 


48  Griechische  Litteratur. 

tes  als  Eines  mit  dem  Herausg.  sowie  mit  Matthiä  zu  Eurip. 
Ale.  813  und  Add.  p.  507  zusammenstimmt.  Entschieden  fehler- 
hafte Accentuationen  sind  aus  den  frühern  Ausgaben  an  folgen- 
den Stellen  mit  herühergenommen:  I,  HO,  2  Ixlvöai  statt 
ekXvöcu,  V,  77,  5  Aaig  statt  Aaig  oder  noch  richtiger, 
wenn  auch  minder  gewöhnlich,  Aaig,  IX,  10,  1  xgaväag  statt 
XQavaäg,  was  um  so  mehr  zu  rügen,  da  Jacobs  in  den  Anm. 
p.464  schon  das  Richtige  nachgetragen  hat,  ebendas.v.  5  ^vd^ia 
xs  statt  iivä^id  T8  *) ,  IX,  30,  3  övQiyl-  statt  <JjJoiy£,  und  IX, 
43 ,  9  avßoTQvv  statt  evßotQvv,  ein  anjetzt  fast  unbegreiflicher 
Verstoss  gegen  die  eben  so  einfache  als  sichere  Regel.  Beson- 
ders aber  müssen  wir  darüber  Klage  führen,  dass  die  Correctur 
des  Druckes  grade  in  diesen  sogenannten  Kleinigkeiten,  in  den 
Accenten,  Hauchen  und  was  die  Alten  sonst  zur  TCQogcpöta  zähl- 
ten, keineswegs  ihre  Schuldigkeit  gethan  hat:  in  unsern  vier 
Büchern  haben  wir ,  lediglich  in  dieser  Einen  Beziehung ,  fol- 
gende zum  Theil  grobe  Druckfehler  wahrgenommen,  die  nach 
ihren  Stellen  zu  bezeichnen  hinreichend  seyn  wird:  I,  12,  5; 
33,  1;  49,  7;  Cl,  1;  67,  4;  85,  6;  8;  III,  20,  2;  31,  2; 
33,  3;  58,  1;  61,  1;  70,  3;  71,  1;  82,  3;  103,  3;  105,4; 
V,  3,  4;  4,  6;  7,  7;  14,  3;  16,  5;  22,  3;  31,  3;  39,  l; 
56,  1;  58,  5;  65,  1;  69,  3;  IX,  11,  2;  13,  1;  (oder  wollte 
der  Herausg.  hier  wirklich  äitagog  äd^ifjtog  xal avspßatog statt 
des  gewöhnlichen  d  TtciQog  d.  schreiben'?  billigen  könnten  wir 
das  schon  wegen  des  folgenden  c3  Aaxadalpov  nicht.)  33,  5; 
48,  5;  51,  2. 

Diese  lästige  Incorrectheit  des  Druckes  beschränkt  sich 
aber  keineswegs  auf  die  apices,  sondern  sie  fällt  auch  anderwei- 
tig um  so  mehr  auf,  je  geneigter  man  durch  eine  Stelle  der 
Vorrede,  S.  XU,  und  durch  neun  angezeigte,  ziemlich  unbe- 
deutende Druckfehler  wird ,  im  übrigen  Fehlerlosigkeit  voraus- 


*)  Das  letzte  Distichon  dieses  Epigramms,  Anthol.  Palat.  IX,  58, 
lautet  in  der  Pfälzer  Handschrift  so  : 

HHVix.  (iiv  rjfiavQCoro   bs  Krjv  i'8s  voacpiv    OXvhttov 
"Alios  ovdtv  nm  tolov  inr\vyä.6axQ. 
Unter  den  inancherley  Besserungsversuchen   dieser  berüchtigten   Stelle 
hat  Jacobs  und  mit  ihm  Weichert  dem  von  B  e  n  1 1  e  y  nicht  mit 
Unrecht  den  Vorzug  gegeben: 

uslvu   fisv  t](iccvQcoTo'    xl   Khlvtt  8s;    VOGCplV     O.  KTÄ. 
Doch  glaubt  Rec. ,    dass   die   Worte   fast  ohne  alle  Acnderung  geheilt 
werden  können  :   er  vermuthet : 

xsTvcc  (itv  t]/j,ccvq<oQ' '   o   ös  xyviSs  vöocptv    OXv^itov 
"Akiog,   ovSsv  nco  rotov  ^7trjvyäGccro. 
Was  aber  auch  Helios  ausser  dein  Olymp  sah ,   nirgend  erblickte  er  et- 
was so  herrliches.  — 


Weichert:    Anthologie!  Graeca.  49 

zusetzen.  Wir  haben  in  unsern  vier  Büchern  ausser  den  schon 
angegebnen  noch  folgende,  zum  Theil  arge  und  den  Sinn  ent- 
stellende, nicht  angegebne  Druckfehler  im  Griechischen  Texte 
wahrgenommen  I,  3,  5  xsl  statt  xul,  12,  4  xagov  statt  #g5- 
qov,  13,  3  Kvngig  statt  KvnQog,  48,  5  öte  statt  ort,  53,  3 
BadvXXco  statt  Ba%vXXa ,  68 ,  4  6xrj{icc  statt  6yi\yLCC ,  78 ,  2  -Zi- 
Ivdv  statt  Zixvcov,  84,  3  'Excites  statt  'Exäktjg.  III,  20,  5 
Hg  statt  ej,  (wenigstens  ist  nicht  anzunehmen,  dass  der  Herausg. 
dieses  absichtlich  in  jenes  verwandelt  habe.)  57,  3  Xeovteg  statt 
Asovrog,  64,  2  dxlöiv  statt  dxlöi,  (denn  auch  hier  ist  kein  Grund, 
wissentlich  zu  ändern.)  66,  8  ßaXov  statt  ßcchcov,  69,  10  dgv- 
fsrra  statt  öga^Btca,  75,  5  «t  statt  l'r ,  115,  1  ji£  statt  ye,  (oder 
sollte  es  hier  wirklich  [is  heissen?  dann  wäre  die  Aenderung 
wenigstens  überflüssig.)  V,  10,  6  avzo{idrog  statt  avronaxoigy 
12,  1  ij  statt  jJV,  16,  3  öeiQioxavöoT ,  77,  3  ist  tavor  ^u'pottf6 
ausgelassen.  IX,  4,  3  ist  falsch  ecpsö-TQis  abgesetzt,  und  18, 
5  UQol  statt  Iequi. 

So  weit  wir  nun  entfernt  sind,  es  dem  Herausg.  oder  Hrn. 
Wunder  irgend  zum  Vorwurf  zu  machen,  dass  sie  uns  so  sel- 
ten mit  Spuren  eigner  Kritik  erfreut  haben,  (sie  beabsichtigten 
ja  keine  kritische  Ausgabe,  und  haben  uns  nur  durch  die  An- 
deutungen in  der  Vorrede  zum  Nachsuchen  und  Vergleichen  be- 
wogen.) so  sehr  glauben  wir  uns  doch  berechtigt,  sie  für 
die  Zulassung  solcher  und  sovieler  typographischer  Sünden  ver- 
antwortlich zu  machen.  Durch  diese  ist  die  Brauchbarkeit  des 
Buches  allerdings  gemindert. 

Von  der  äussern  Einrichtung  desselben  ist  nur  zu  bemerken, 
dass  gleich  unter  dem  Text  zu  grosser  Bequemlichkeit  besonders 
des  Lehrers  nachgewiesen  ist ,  wo  sich  ein  jedes  Epigramm  in 
B  r  u  n  c  k  s  Analecten,  in  der  Anthol.  Pulat.  und  in  Jacobs  Tempe 
vorfindet.  (Umgekehrt  weiset  nun  auch  Jacobs  in  Kuust  und 
Leben  der  Alten  auf  dieWeichertsche  Sammlung  zurück.)  Leider 
fehlt  es  nur  auch  in  diesen  Citaten  an  Druckfehlern  nicht :  so 
steht  III,  49  p.  279  statt  p.  281,  III,  69  p.  275  statt  709,  V, 
62  p.  293  statt  298.  Angehängt  ist  ein  Verzeichniss  der  auf- 
genommenen Epigramme  nach  der  Buchstabenfolge  ihrer  Ver- 
fasser. 

Am  Schlüsse  der  Vorrede  macht  der  Herausg.  Hoffnung  zu 
einem  zweyten  Bande,  der  einen  hauptsächlich  für  Lehrer  be- 
stimmten Commentar  enthalten  würde.  Möge  es  ihm  dazu  we- 
der an  Müsse ,  noch  an  Neigung  fehlen :  möge  er  sich  auch 
durch  das  viele  Treffliche  nicht  abhalten  lassen ,  das  Jacobs 
inzwischen  in  seinem  Delectus  geleistet  hat.  Bey  den  vielfa- 
chen einzelnen  Schwierigkeiten  der  Griech.  Anthologie  ist  noch 
so  mancher  Preis  zu  erringen,  und  unser  Herausgeber  so  ganz 
der  Mann  dazu,  dass  es  hier  wenn  irgendwo  heisst: 
d[icpoT£Qovs  ods  %il6sxai>  ovöög. 

Jahrb.  f.  Phil,  u .  Pädag.  Jahrg.  III.  Heft  1.  4 


50     Sjoestroem  et  Bergenheim:  Anthologium  epigramm.  Graec. 

Von  keinem  Belange  für  unsre  Litteratur  oder  für  philolo- 
gisches Studium  überhaupt  ist  die  nachstehende,  noch  etwas 
ältere  Sammlung: 

3)  Anthologium  epigrammatum  Gr aecorum.  Graece 
et  Suethice.  Ed.  Mag.  Axelius  Gabr.  Sjoestroem ,  Facult.  Philos. 
adj.  E.  O.  et  Ed.  Bergenheim,  Ostrob.  Abo  bey  Frenkel.  1821. 
T.  I.  115  S.  T.  II.  143  S.  8. 

[Vgl.  Schulzeit.   1826  Abth.  2  L.  Bl.  12.] 

Wir  erwähnen  dieser  Schrift  nur  als  eines  erfreulichen 
Zeichens,  dass  die  Liebe  zum  Griechischen  Alterthum  bereits 
im  höchsten  Norden  Wurzel  zu  fassen  und  Blüthen  zu  entfalten 
beginnt,  auf  einem  der  entlegensten  Musensitze,  der  grade  jetzt 
durch  sein  trauriges  Geschick  die  allgemeinste  Theilnahme  al- 
ler Gebildeten  in  Anspruch  nimmt. 

Auf  eine  kurze  Geschichte  des  Griechischen  Epigramms, 
die  ganz  aus  Jacobs  Prolegomenen  entlehnt  und  in  einem  höchst 
blumenreichen,  aber  keineswegs  correcten  Latein  abgefasst  ist, 
folgen  im  ersten  Bande  16-1,  im  zweyten  200  Gedichte,  nach  der 
Anthologia  Palatina  treu  abgedruckt.  Eine  besondere  Ordnung 
ist  dabey  nicht  beobachtet:  vielmehr  heisst  es  S.  6,  was  zu- 
gleich eine  Probe  des  Lateinischen  Styls  seyn  mag,  quaeflorum, 
per  pruta  spar  gentium  odores ,  eadem  etiam  epigrammatum  ra- 
tio: libere  progerminantes ,  sine  ullochar  acter  um  proprietatum- 
ve  respectu,  mirum  in  modum  Uli  delectant.  Ex  hocce  capite 
neque  auctores ,  neque  tempora  intuens,  neque  materiam,  ut 
sors  obtulerit,  optima  et  quae  maxime  niteant ,  dabo. 

Jedem  Epigramm  ist  seine  Stelle  in  der  Anihol.  Palat.  und 
in  den  früher  erschienenen  ausführlichem  Aniraadw.  von  Ja- 
cobs beygefügt:  unter  dem  Text  aber  laufen  kurze,  theils  li- 
terarhistorische, theils  erklärende,  theils  auch  kritische  Latei- 
nische Anmerkungen  hin,  jene  meistens,  diese  immer  aus  Ja- 
cobs entlehnt  und  mit  seinem  Namen  versehn.  Neues  haben 
wir  in  ihnen  nicht  gefunden. 

Gegenüber  steht  die  Schwedische  Uebertragung,  überall 
sich  der  Versart  und  der  Verszahl  des  Originals  genau  anschlie- 
ssend, mit  beständiger  Ilinweisung  auf  Jacobs  Tempe,  im  zwey- 
ten Bande  auch,was  ganz  unnütz,auf  die  TauchnitzischeStereotyp- 
ausgabe.  So  viel  wir  uns  zu  urtheilen  erlauben  dürfen,  scheint 
die  Schwedische  Sprache  sich  zu  treuen  Nachbildungen  des 
classischen  Alterthums  in  hohem  Grade  zu  eignen,  und  gereicht 
es  den  Herausgebern  zum  Lobe ,  diesen  Vorzug  ihrer  Mutter- 
sprache mit  geschicktem  Fleisse  benutzt  zu  haben.  So  dürfte 
es  ihrer  Arbeit  wohl  gelingen,  für  das  Studium  der  Griechi- 
schen Anthologie  in  Schweden  eine  günstige  Stimmung  vorzu- 
bereiten. 

Auf  ungleich  höherer  Stufe  steht  ein  andres,  gleichfalls 
ausserhalb  Deutschland  erschienenes  Werk ,   das  Einzige ,   was 


H.  de  Bosch :  Observatt.  et  nott.  in  Anthol.  Gr.  51 

seit  Brunck  im  Auslande  für  die  Anthologie  bedeutendes  ge- 
leistet ist,  da  die  umfassenden  Vorarbeiten  von  Chardon  de 
la  Rochette  unwiederbringlich  verloren  zu  seyn  scheinen, 
und  die  eine  Zeit  lang  mit  Verlangen  erwartete  Ausgabe  des 
grossen  Archäologen  Ennio  Quirino  Visconti  wohl  nie 
ernstlich  begonnen  seyn  mag : 

4)  Uieronymi  de  Bosch  obser  V  (itionum  et  notarUTtl  111 
Anthologiam  Graecam  vol.  I.  Utrecht ,  bey  Wild  und 
Altbeer.  1810.  XX,  XVI  und  510  S. 

Vol.  II.  quod  et  indices  continet.  Opu9  Boschii  morte  interru- 
ptuiii  David  Jacobus  ran  Lennep  absolvit.  1822.  LXXVI,  255  und 
311  S.  gr.  4. 

Hugo  Grotius  hatte  seine  am  Stobäos  und  den  Bruch- 
stücken der  Attischen  Tragiker  und  Komiker  glänzend  bewährte 
Meisterschaft  im  Uebertragen  Griechischer  Dichterwerke  in 
Lateinische  Poesie  späterhin  der  Anthologie  des  Maximus  Pla- 
nades  zugewendet,  und  durch  ihre  kunstreiche  Nachbildung 
den  Ernst  der  letzten  Jahre  seines  thatenreichen  Lebens  erhei- 
tert. Es  war  dem  grossen  Manne  gegönnt ,  seine  Lieblingsar- 
beit in  der  Hauptsache  zu  vollenden :  aber  die  Herausgabe  selbst 
hinderte  sein  Tod,  (28  Aug.  1645.)  und  der  von  ihm  kritisch  be- 
richtigte Text,  der  der  Uebersetzung  beygedruckt  werden  sollte, 
ging  leider  verloren.  Glückes  genug,  dass  sich  die  Handschrift  der 
Uebersetzung  nicht  bloss  in  mehrern  Abschriften,  sondern  auch 
in  der  zum  Abdruck  bestimmten  Urschrift  erhielt.  Die  letztere, 
deren  Geschichte  Chardon  de  la  Rochette  in  seinen  hjc- 
langes  de  crit.  et  de  philol.  T.  1  p.  372  fg.  ausführlich  erzählt, 
kam  endlich  in  die  Hände  PeterBtfrraanns  des  Jüngern, 
der  viel  Einzelnes  daraus  in  mehrern  seiner  Ausgaben  mittheilte ; 
nach  seinem  Tode  erkaufte  sieder  gelehrte  Holländer  Jero- 
nymovan  Bosch,  zuerst  Apotheker,  dann  Stadtsecretär  in 
Amsterdam,  zuletzt  Curator  der  Universität  Leiden,  stets  aber 
eifriger  Freund  des  classischen  Alterthums ,  beyder  Sprachen 
wohlkundig  und  unter  den  Lateinischen  Dichtern  des  löten  und 
19ten  Jahrhunderts  mit  Recht  den  bessten  beygezählt.  Dieser 
ehrenwerthe  Mann  beschloss  sofort,  seinen  solange  verborge- 
nen Schatz  zu  öffentlichem  Gemeingut  zu  machen,  da  ihn  eine 
congeniale  Neigung  den  Werth  desselben  aufs  lebendigste  em- 
pfinden liess.  So  erschien  denn ,  auch  äusserlich  aufs  würdig- 
ste und  liberalste  ausgestattet,  vom  Jahre  1795  an  in  drey  Quart- 
bänden diePlanudeische  Anthologie  nebst  vierfachem  Anhange 
anderweitig  erhaltner  Epigramme,  gegenüber  die  durch  Treue 
und  dichterisches  Verdienst  gleich  ausgezeichnete  Grootische 
Uebersetzung,  von  der  Lennep  in  seiner  laudatio  Uieronymi 
de  Bosch,  p.  XXV,  mit  Recht  urtheilt :  exhocoperevel  masime 
divina  Grotiani  ingenii  vis  elucescit ;  cujus  enim  hoc  ingenii  vel 

4* 


52  Griechische  Litteratur. 

mentis  est ,  inter  infinitas  occupationes ,  animi  causa  ac  luden- 
tem  aliquot  millia  Oraecorum  epigrammatum  ita  Latinis  versi- 
bus  reddere,  ut  non  modo  nihil  de  gratia  decedat,  sed  saepe 
elegantiora  etiam  Latina  Graecis  reperiantur :  lusus  adeo  ver- 
borum  pro  Graecis  Latini  exstent ! 

Nach  einer  bedeutenden  Reihe  von  Jahren  fügte  Bosch 
zu  diesen  drey  Bänden  einen  vierten  hinzu ,  der  1810  erschien, 
und  ausser  bisher  ungedruckten  Anmerkungen  von  Friedrich 
Sylburg  und  Claudius  Salmasius  des  Herausgebers 
eigne  observationes  et  notas  zu  den  beyden  ersten  Büchern  ent- 
hielt: die  zu  den  fünf  übrigen  nebst  den  erforderlichen  Regi- 
stern sollten  mit  einem  fünften  Bande  das  Werk  schliessen. 
Allein  vor  Beendung  desselben,  am  ersten  Junius  1811,  rief 
der  Tod  den  siebenzigjährigen  Greis  ab.  Es  verflossen  wieder 
zehn  Jahre,  bis  sein  würdiger  Freund  ,  der  Prof.  David  Ja- 
cob van  Lennep  in  Amsterdam,  den  abgerissenen  Faden, 
wie  der  Verstorbne  es  gewünscht  hatte,  wieder  aufnahm,  und 
das  Ganze  in  dem  Sinne,  in  welchem  es  begonnen  war,  zu 
Ende  führte.  Nur  von  diesem,  1822  ans  Licht  getretenen  Bande 
kann  hier  ausführlicher  die  Rede  seyn ,  da  wir  nur  von  demje- 
nigen Bericht  zu  erstatten  haben,  was  seit  Erscheinung  der 
Jacobsischen  Anthol.  Palat.  für  die  Griechische  Anthologie  ge- 
schehn  ist,  die  frühern  Bände  aber  alle  vor  diesem  Zeitpunkt 
erschienen  und  von  dem  Gothaer  Herausgeber  bereits  benutzt 
sind. 

Was  Bosch  selbst  für  die  Anthologie  leisten  wollte  und 
konnte,  ist  daher  in  Deutschland  längst  bekannt.  Seine  Kritik 
war  dadurch  beschränkt,  dass  er  sich  die  Aufgabe  gestellt 
hatte,  seinen  Griechischen  Text  mit  der  Uebersetzung  von 
Grotius  so  viel  wie  möglich  in  Uebereinstimmung  zu  bringen. 
Die  ganze  Anlage  seines  Werkes  brachte  es  so  mit  sich ,  und 
man  muss  die  Pietät  verehren,  mit  der  er  sich  diesem  Geschäft 
unterzogen  hat.  Was  er  selbst  aus  der  Fülle  seiner  nicht  ge- 
wöhnlichen Belesenheit  in  alten  und  neuen ,  besonders  Lateini- 
schen Dichtern  beygesteuert  hat ,  ermüdet  nicht  selten  durch 
zwecklose  Breite  und  Abschweifen  von  der  Hauptsache.  Len- 
nep charakterisirt  es  treffend:  ipsa  ratio  operae  non  est  eay 
ut  proper antis  ad  exitum,  sed  ut  lubenter  in  hoc  studiorum 
curriculo  versantis ,  quum  res  ferret ,  grata  ibi  diverticula  ca- 
ptantis,  subinde  adeo  liberius  per  vicina  litterarum  vireta  exspa- 
tiantis.     Laudat.  Boschii,  p.  XXVI. 

Dass  der  fünfte  Band  an  Planmässigkeit  und  Gleichartig- 
keit der  Behandlung  nicht  gewonnen  hat,  ist  natürlich,  da  der 
Herausgeber  fast  nichts  dazu  wirklich  ausgearbeitet  vorfand, 
und  er  sich  also  genöthigt  sah ,  das  meistens  nur  Angedeutete, 
wie  es  war,  von  den  Rändern  des  Wechelschen  Exemplars, 
dessen  Bosch  eich  bedient  hatte ,  zusammen  zutragen.    Ue- 


H.  de  Bosch :  Obscrvat t.  et  nott.  in  Anth.  Gr.  Vol.  II  absolv.  van  Lennep.  53 

ber  sein  Verfahren  dabey  giebt  er  in  der  Vorrede  Rechen- 
schaft ,  und  man  kann  nicht  umhin ,  sie  als  gnügend  anzuer- 
kennen. 

Indess  hat  Lennep,  wie  es  von  einem  so  tüchtigen  Hu- 
manisten zu  erwarten  war,  sich  nicht  begnügt,  Vorgefundenes 
zu  sammeln,  zu  ordnen,  herauszugeben:  eine  nicht  unbedeu- 
tende Reihe  eigner  Zusätze,  deren  einige  zwischen  den  Anmer- 
kungen von  Bosch  eingeschaltet,  andre  für  besondere  adden- 
r/a,  p.  228  —  255,  zurückgelegt  sind,  geben  diesem  Bande  ei- 
nen vorzüglichen,  ja  wir  dürfen  wohl  sagen  den  höchsten 
Werth.  Sie  bestehen  zum  Theil  in  unmittelbaren  Berichtigun- 
gen des  Textes  und  der  Uebersetzung ,  zum  Theil  in  sorgfäl- 
tig ausgewählten  Nachträgen  zu  den  Anmerkungen  des  vierten 
und  fünften  Bandes ,  zum  Theil  aber  auch  in  eignen  Verbesse- 
rungs  -  oder  Erklärungsversuchen ,  bey  welchen  uns  zu  verwei- 
len vergönnt  sey.  Denn  da  das  Boschische  Werk  schon  seines 
hohen  Preises  wegen  in  Deutschland  wenig  verbreitet  ist,  dürfte 
es  vielen  Freunden  der  Anthologie  erwünscht  seyn ,  hier  das- 
jenige kurz  zusammengestellt  und  beurtheilt  zu  sehn,  was  in 
den  Lennepschen  Zusätzen  für  Kritik  oder  Auslegung  besondere 
Bedeutung  zu  haben  scheint.  Zur  Bequemlichkeit  unsrer  Lands- 
leute gehen  wir  dabey  nach  der  Folge  der  Epigramme  in  der  An- 
thol. Palat.  und  heben  zuerst  die  bemerkenswerthen  Verbesse- 
rungsvorschläge hervor. 

Anthol.  Palat.  V,  4,  5  (Lenn.  p.  249.)  ist  die  gewöhnliche 
Lesart,  oj  (piksgäötgi'  axoiug,  mit  Recht  in  Zweifel  gezogen, 
und  dafür  c5  (pikzQÜ6TQia  xoitr]  vorgeschlagen.  Allein  die  Ehre, 
diesen  sinnreichen  Gedanken  zuerst  gehabt  zu  haben,  gebührt 
dem  verstorbenen  Wilhelm  Schneider,  von  dem  Jacobs 
diese  Vermuthung  bereits  in  den  addendis  zum  3ten  Bande  der 
Anthol.  Palat.  p.  XXXII  mittheilt,  und  sie  durch  V,  128,  4 
und  181 ,  11  befestigt. 

Anth.  Pal.  V,  9,  5  u.  6.  (Lenn.  p.  250.)  Den  durchaus  zer- 
rütteten Schluss  dieses  Epigramms,  dessen  Herstellung  keinem 
frühern  Herausgeber  gelungen  war,  finden  wir  dem  Sinne  nach 
ganz  gut  angeordnet: 

älk'  alei  öccxqvoiöi  myvQpsvos  rj  fjrioojcca, 

spjtofiat  ij  (i£yct?<r]S  vrjov  £g  'v^otifudog 
avQiov  akk7  äyavrj  fis  dsdü-etcu  — 
Allein  die  Stellung  des  zweyten^  nach  fo%ou«fc  ist  so  widerwärtig 
und  grade  bey  diesem) «m<  —  aut  —  so  durchaus  unerträglich, 
dass  dadurch  alles  aufgewogen  wird,  was  von  andern  Seiten 
diesen  Vorschlag  empfehlen  könnte.  Wollte  der  Dichter  die- 
sen Gedanken  aussprechen ,  so  konnte  er  tf  <5tilyp  [i.  und  was 
nicht  sonst  sagen,  ohne  einen  so  groben  Verstoss  gegen  die 
Concinnität  des  Ausdrucks  zu  begehn. 

Anth.  Pal.  V,  188,  5  u.  6.  (Lenn.  p.  24T)   Wieder  eine  arg 


54  Griechische  Litteratur. 

verdorbne  Stelle ,   der  schwerlich  mit  leichten  und  einfachen 
Mitteln  zu  helfen  seyn  wird.     Lennep  giebt  sie  so: 

%d>g  &V7]tov  täd'  dfaxgov  eoix'  •  sl  ftvrjxdg  6  ßä^Xav, 
tlöO(i\  ävEyxXrjtog  ö'  hööo^t,'  dXs^ccfisvog. 
Die  letzten  Worte  hat  bereits  Jacobs  so  hergestellt,  und  auch 
das  Uebrige  dürfte  wenigstens  der  völligen  Herstellung  näher 
gebracht  seyn. 

Anth.  Pal.  V,  245,  3.  (Lenn.  p.  249.)  Die  alte  Lesart,rpt- 
Civ  a^oöa  itETQcug,  ist  allerdings  nicht  ohne  Bedenklichkeit, 
weil  sie  einen  Gebrauch  voraussetzt ,  den  wir  wenigstens  bey 
Schwüren  wie  der  hier  vorkommende  nicht  kennen.  Aber  die 
von  Lennep  vorgeschlagne  Verbesserung,  tqlölv  S(io6a  JJoi- 
vccig,  hat  von  Seiten  der  Sprache  nicht  mindern  Anstoss:  denn 
wo  hat  wohl  je  bey  öf/otfca  der ,  den  man  zum  Zeugen  des  Ei- 
des anruft,  im  Dativ  gestanden?  Auch  die  dreyHoivai  würden 
noch  eines,  vielleicht  nie  zu  führenden  Beweises  bedürfen.  Wir 
halten  die  von  Jacobs  gegebne  Erklärung  für  die  allein  wahre. 

Anth.  Pal.  VI,  41,  6  (Lenn.  p.  123.)  würde  gegen  die  Aen- 
derung  xbv  6xdj(VV[sgxo(iL6ttt,  statt  des  Pianudeischen  xofitöai^ 
an  sich  nichts  einzuwenden  seyn ,  wenn  sie  nicht  den  Stand- 
punkt der  Kritik  für  die  Anthologie  überhaupt  verrückte.  Denn 
noniöKt  bey  Planudes  ist  nichts  als  ein  Glossem  statt  des  rich- 
tigen a/i^ßat ,  welches  die  Pfälzer  Handschr.  darbietet,  egxo- 
[ilGccl  also  metrische  Correction  einer  unhaltbaren  Interpola- 
tion: man  vergleiche  das  weiter  unten  zu  VII,  289,  4  Be- 
merkte. 

VI,  156,  1  (Lenn.  p.  247.)  ist  schon  durch  Brunck  ver- 
dächtig gemacht,  dann  von  Jacobs  mehrfach  behandelt:  einen 
neuen  Beytrag  giebt  Lennep,  der,  jedoch  ohne  höhere  Evi- 
denz, XccQLö&svsog  in  Xdgrjg  xsxeog  schreiben  mögte.  Rec. 
glaubt,  dass  es  bey  der  urkundlichen  Lesart  sein  Bewenden  be- 
halten muss, 

KaXa  6vv  tixxiyi  XctQitökvtog  rpt%K  xrjvds 
ocovqoövvov  xovgaig  ftrjx'  '/4{iecQVV&idöiv. 
Das  Snbject,  aus  dessen  vermeintem  Nichtvorhandenseyn  alle 
Zweifel  geflossen  sind,  wird  man  zu  vermissen  aufhören,  so- 
bald man  in  dem  apostrophirten  %7]x  'A.  die  erste  Person  &ij%cc 
zu  erkennen  sich  entschliesst. 

VII,  243,  5,  (Lenn.  p.  237. )  auch  eine  vielbesprochne 
Stelle:  Lennep  will,  zum  Theil  nach  Toup  und  Brunck, 

ijv  d*  sgoQyg  i.%    Ipu    £vßoöXQv%ov  zlxova  ftrjQog. 
Höchst  unglücklich!    wie  konnte  es  einem  so  sprachkundigen 

Gelehrten  in  den  Sinn  kommen ,  den  Ionischen  Genitiv  tio  eli- 
diren  zu  wollen ! 

VII,  260 ,  5.  (Lenn.  p.  237.)  Hier  sieht  Rec.  keinen  Grund 


H.  de  Bosch :  Observatt.  et  nott.  in  Anth.  Gr.  Vol.  II  absolv.  van  Lennep.   55 

ein ,  warum  das  alte  sfioig  bvexoI^lvöcc  xolnovg  in  evl  xolpvöct 
verwandelt  werden  soll. 

VII,  289,  4.  (Leim.  p.  40.)  Die  Lesart  des  Planudes,  a 
ycciqg  HvficcTa  itiXQOTSQU,  ist  allerdings  sinnlos,  und  die  Ver- 
besserung ov  y.  %.  %.  zu  ihr  wohl  passend.  Da  aber  die  Pfäl- 
zer  Handschr.  cj  ya'ir\g  xv^iaxa  möTo'repa  darbeut,  fällt  alles 
andre  weg,  und  es  gilt  auch  hier,  was  wir  schon  zu  VI,  41,  6 
gerügt  haben. 

VII ,  330 ,  4  (Lenn.  p.  238.)  ist  eine  wahrscheinlich  ganz 
gesunde  Stelle,  wenn  man  nur  mit  Jacobs  ag  für  ovxag  nimmt, 
und  es  zum  vorhergehenden  Verse  zieht.  Ueberdiess  gehört 
aber  auch  der  Vorschlag  vonLennep  keineswegs  zu  den  glück- 
lichern: er  vermuthet: 

6vv  xe,  yvvavxl  KaXtjTiodij]  xev£,ev  xods  <5rj[icCj 
cog  iv\  xr\v  6xoQyr)v  aal  cp$niivoi6vv  e%ov. 
Diese  Trennung  der  Präposition  lvl\on  ihrem  Dativ  würde  wohl 
nur  dann  zulässig  seyn,    wenn  hfl  unmittelbar  vor  xav  stelm 
könnte. 

VII,  420,  5  u.6.  (Lenn.  p.237.)  Zwey  durchaus  verdorbne, 
selbst  lückenhafte  Verse ,  für  die  folgende ,  wo  nicht  unzwei- 
felhaft gewisse,  so  doch  höchst  sinnreiche  Aushülfe  gefun- 
den ist: 

avXol  t'  acp&Eyxxov  xav  äitEV&hg ,  olg  bvejcvevös, 

XELÖ&',   BTtEV   OV    XV    EQCOx',    OV   %OQOV    oLd'    ^AfBOCiV. 

Nur  ccvÄol  d'  aq>%.  in  avlol  x'  äcp&.  zu  verwandeln,  scheint  un- 
nöthig ;  ja ,  der  Uebergang  der  Anrede  von  'EknlÖBg  %uiqexb  zu 
avXov  xel6$e  erfordert  vielmehr  jene  als  diese  Partikel. 

VII,  477,  3  (Lenn.  p.  239.)  ist  gleichfalls  sehr  gefällig 
verbessert,  'Eksv&EQisvg  statt  EkEv&EQLijg.  Der  Gegensatz  von 
stgög  NbUg)  scheint  einen  bestimmten  Ortsnamen  zu  fodern: 
dagegen  würde  der  Trost,  Philänis  ruhe  in  freyer  Erde ,  hier 
ganz  fremdartig  seyn,  da  der  Dichter  gleich  fortfährt:  toxi 
yccQ  X&ij  itttvxo%Ev  Big  'Atd^v  bq%o^ibvol6lv  686g. 

VII,  513,  1.  (Lenn.  p.  53.)  Die  den  Vers  zerstörende  Les- 
art der  Pfälzer  Handschr.  cpij  itoxs  J7odfia%os,  ist  durch  Ein- 
schaltung von  nccig  vor  dem  letzten  Worte  so  glücklich  herge- 
stellt, dass  wir  dieses  Epigramm  jetzt  als  völlig  geheilt  betrach- 
ten dürfen.  Nun  steht  auch  das  Lemma  mit  dem  Epigramm 
selbst  im  Einklang. 

VII ,  655,  3  (Lenn.  p.  238.)  können  wir  der  Aenderung  ov 
7tdQi6vxEg  statt  ov  (iE  ftuvövxa ,  auch  von  ihrer  Gewaltsamkeit 
abgesehn,  nicht  ebenso  beypflichten.  Rec.  begnügt  sich,  nach 
ßdoog  ein  volles  Punktum  zu  setzen;  die  folgenden  Worte,  ov 
\iB  davövxa  yväöovx\  'Ahxuvdoa  xov9,i  oxv  KallvxBlBvg. ,  ha- 
ben keine  weitere  Schwierigkeit,  wenn  man  aus  yvdöovxav  im 
ersten  Satzgliede  für  das  zweyte  yiyvaöxovxcov  ergänzt. 

IX,  254,  5  (Lenn.  p.  230.)  erscheint  die  Verbesserung  »J 


56  Griechische  Litteratur. 

dvgituig  statt  ij  d*  tvitciig  ebenso  glücklich  als  noth wendig,  da 
Philänion  weder  in  Bezug  auf  ihre  eignen,  dem  Tode  gebore- 
nen Kinder,  noch  auch  wegen  des  angenommenen  und  ihr  gleich- 
falls wieder  entrisseuen  Sohnes  zvnaig  heissen  konnte. 

IX,  774,  3.  (Lenn.  p.  242.}  Auch  hier  ist  die  Ausfüllung 
einer  Verslücke ,  cc  freonoidg  s [mjöccto  [6cc  j^soi]  t£%vcc ,  wohlge- 
lungen. 

Ebenso  rechnen  wir  X,  78,  3  (Lenn.  p.  232.)  die  Ver- 
wandlung des  sinnlosen  öxcohjxa  ßccXslv  in  öjcw'A^iljt  ßofajv  zu 
den  kaum  noch  bezweifelbaren  Emeudationen. 

Endlich  ist  Append.  epigr.  9,  94  (Lenn.  p.  250.)  ccTQSxag 
s6ti  in  dtQSxhg  l'öth  verbessert,  und  auch  hier  können  wir, 
theiis  wegen  der  Verbindung  mit  ctTQtxsg,  theils  wegen  des 
vorhergehenden  itikctg  <Sxti%cov ,  unsere  völlige  Beystimmung 
nicht  versagen. 

Zu  den  gelungensten  Versuchen ,  die  urkundliche  Lesart 
gegen  alle  Eingriffe  der  Kritik  zu  behaupten,  zählen  wir  die 
Bemerkungen  zu  Anth.  Palat.  IX,  233,  5;  271,  1;  289;  (Lenn. 
p.  228,  231,  232.)  dagegen  glauben  wir,  dass  Anth.  Palat.  VI, 
39 ,  1   der  mangelhafte  Vers : 

al  TQiööai,  ZJcctvqt]  ts  xcu  EvxXuct  xcu  Evcpgco, 
nicht  mit  Jacobs  und  L  e  n  n  e  p  (p.126.)  in  das  übergeschriebene, 
selbst  schon  aus  der  Versnoth  entsprungene  xcu  'HqccxXucc,  son- 
dern einfacher  in  die  Ionische  Form  xcu  'Hvxkuct  zu  verwan- 
deln ist.  Auch  kann  Append.  epigr.  5,  4  (Lenn.  p.  177.)  [iov- 
vog  wenigstens  nicht  durch  die  folgende  Aspiration  vertheidigt 
werden. 

Um  endlich  auch  noch  einige  Beyspiele  von  gelehrter  und 
scharfsinniger  Auslegung  hervorzuheben,  verweisen  wir  auf  das, 
was  zu  Anth.  Palat.  VII,  233, 1 ;  347,  5;  IX,  614,  1 ;  XI,  107,  3 ; 
128,  4  (Lenn.  p.  233,  234,  235,  240,  245.)  bemerkt  ist. 

Ausser  einem  achtfachen  Index ,  über  die  in  der  Antholo- 
gie vorkommenden  Wörter ,  (unvollständiger  als  der  auch  nicht 
vollständige  Jacobsische.)  über  die  Dichter,  von  denen  sich  Epi- 
gramme in  der  Sammlung  befinden,  über  die  wichtigsten  in  der 
Anthologie  erwähnten  Sachen,  über  die  in  ihr  vorkommenden 
Personen-  und  Ortsnamen,  über  die  Epigramme  selbst  nach 
der  Buchstabenfolge  ihrer  Anfangswörter,  über  die  Anmer- 
kungen und  über  die  (wenigen)  in  denselben  gelegentlich  ver- 
besserten alten  Schriftsteller,  ist  diesem  letzten  Bande  bey ge- 
fügt L  e n  n  ep  s  schön  geschriebene,  auch  durch  Gediegenheit  des 
Inhalts  sich  auszeichnende  memoria  Hieron.  de  Bosch  nebst 
seinem  schön  gestochenen  Bildnisse,  (sie  war  schon  einige  Jahre 
früher  besonders  erschienen.)  und  desAgathias  von  Jacobs  zu- 
erst herausgegebnes  Einleitungsgedicht  zu  seiner  Epigrammen- 
lese mit  einer  Lateinischen  Uebersetzung  von  E.  Q.  Visconti 
und  Anmerkungen  von  J.  G.  Husch  ke.     Die  letztern  beziehn 


Anthologia  Graeca.  Ed.  stereot.  Tauchnit.  57 

sich  theils  auf  die  kritische  Herstellung  des  Textes,  theils 
auf  die  Erklärung  dunklerer  Ausdrücke  und  Wendungen,  theils 
auf  Berichtigung  der  nicht  selten  fehlerhaften  Uebersetzung 
von  Visconti.  Mit  Bey Stimmung  der  Pf älzer  Handschrift  her- 
gestellt ist  V.  35  oixofov,  das  bisher  falsch  olxo&sv  betont  war. 
Nicht  minder  sicher  sind  in  dem  Hexametrischen  Abschnitte 
die  Verbesserungen  zu  V.  15  (61)  und  65  (111),  die  erstere  fin- 
det sich  jedoch  bis  auf  den  wohl  nur  verdruckten  Hauch,  die 
zweyte  ganz  ebenso  bey  Jacobs  in  der  Anthol.  Palat.,  sowie  sie 
denn  überhaupt  nicht  füglich  einem  verskundigen  Herausgeber 
entgehn  konnten.  Ganz  neu  dagegen  und  sehr  beachtenswerth 
ist  die  Behandlung  von  V.  32 ,    wo  statt  des  Siebenf  üsslers 

tavrl  (ibv  ovv  IqbI  xig  ovds  täv  6o(pcotäxcov, 
leichter  und  sinngemässer  als  nach  den  Emendationen  andrer, 
vorgeschlagen  wird: 

XCCVx'    OVV    8QEV   Ttg    OVÖl    XC3V  <50(p(OXUXGiV. 

Sehr  einleuchtend  ist  auch  in  den  Hexametern  V.  71  (117) 
lysiQSL  statt  ayslgei  oder  ccQrjysL  vermuthet.  Unter  den  gele- 
gentlich beygebrachten  Verbesserungen  zu  andern  Schriftstel- 
lern zeichnen  wir  p.  XL  Anm.  2  die  zu  Agath.  hist.  I  p.  11,  A, 
ed.  Venet.  ig  Ikuvo  xov  %aiqov  für  sg  sxetvov  x.  x.  aus :  sie 
verdient ,  in  der  neuen  Ausg.  dieses  Byzantiners ,  die  wir  von 
Niebuhr  zu  erwarten  haben,  im  Text  ihren  Platz  zu  finden, 
und  erhält  vielleicht  aus  der  Rehdigerschen  Handschr.  auch 
von  aussen  Bestätigung.  Unter  den  Sprachbemerkungen  scheint 
in  der  zu  V.  1 :  „Aristoph.  Vesp.  914  cod.  Ravenn.  pro  jtejeA^- 
G{i£vos  habet  i^tjtA^aevog,  quod  magis  Atticum  est,"  eine  Ver- 
wechselung obzuwalten,  da  beyde  Formen  gut  Attisch,  (die 
letztere  grade  wohl  nur  bey  Dichtern)  die  Zeiten  aber  ver- 
schieden sind.  Besonders  gelungen  haben  wir  die  Erklärungen 
gefunden,  die  sich  mit  den  oft  sehr  künstlichen  figürlichen 
Ausdrücken  des  Agathias  beschäftigen ,  so  wie  wir  denn  von 
Hrn.  Husch ke  schon  früher  manches  Dankenswerthe  der  Art 
in  den  Anal.  crit.  ad  Anthol.  Graec.  empfangen  haben. 

Von  Ausgaben  der  Anthologie  ist  nun  weiter  nichts  zu  er- 
wähnen, da  der  folgende  Textesabdruck,  den  wir  nur  anfüh- 
ren, um  vor  ihm  zu  warnen,  auf  den  Namen  einer  Ausgabe 
keinen  Anspruch  machen  kann: 

Anthologia  Graeca  ad  Palatini  codicis  fidein 
edita.  Editio  stereotypa.  III  tomi.  Lipsiae,  ex  officina  Oar. 
Tauchnitii.   1819.   396,  300  u.  431  S.    12. 

Hier  aber  mag  Jacobs  in  der  Vorr.  zum  Delectus  epigr. 
p.  XXIX  für  uns  das  Wort  nehmen :  „Novatn,  qaae  ante  aliquot 
annos  apud  Tauchnitzium ,  bibliopolam  Lipsiensem,*  prodiit, 
editionem ,  aut  potius  editionis  nostrae  repetitionem  vitiis  de- 
formatam,  atnbigo  equidem  utrum  dicam  pejore  consilio  insti- 


58  Griechische  Litteratur. 

tutam,  an  majore  socordia  profligatam.  Nam  primum,  qui 
viro  industrio  et  commodis  suis  intento  persuasit ,  ut  editionem 
nostram  öTtQBOtvnoag  repeteret,  pessime  ejus  rebus  consuluit. 
Quis  enim  nescit,  textum  Anthologiae  ob  haud  anam  caussam 
ita  comparatum  esse,  ut  malus  f er e  ejus  corrigendi,  emen- 
dandi  et  expoliendi  reperiatur  finis ;  quod  et  nunc  novis  quoti- 
die  exemplis  intelligimus ,  et  tum  intelleximus ,  quum  observa- 
tiones  criticas  ad  easque  addenda  ad  Anthologiam  Palatinam 
scriberemus.  In  Ms  observationibus  plurimos  textus  a  nobis 
editi  locos  tum  ex  membranis  diligentius  inspectis ,  tum  ex  aliis 
fontibus  rectius  constituimus ,  vitiaque  typographica  et  nostros 
erroresfrequenter  emendavimus  ;  quas  devregag  cpQOVtidag  no- 
stras  /s,  qui  Tauchnitzii  editionem  curavit,  adeo  sibi  negligen- 
das  putavit ,  ut  tertium  editionis  nostrae  volumen  aut  plane  ig- 
norasse,  aut  ne  semel  quidem  consuluisse  videatur.  Quid  ?  quod 
veteres  errores  non  solum  propagavit ,  sed  novis  eosdem  atque 
turpissimis  auxit ;  neque  solum ,  quod  vulgo  fit ,  spirituum  ac- 
centuumque  apicibus  aut  omissis  aut  perperam  positis ,  sed  quo- 
vis  alio  vitiorum  gener  e,  quibus  bonae  chartae  inquinantur^pec- 
cavit.  Quare  quam  titulus  profitetur  editionem  Gvv  nXtiötT) 
äxQißsia  factam ,  eam  Qad"v^c)g  >cat  ä[i8Xc5g  procuratam  esse 
quaevis  fere  pagina  loquitur.  Quod  ne  temere  dixisse  videar, 
exempla  quaedam ,  pauca  de  multis ,  in  margine  poiiam ,  unde 
dictorum  veritas  clarissime  apparebit.  TaVl  dieser  Dornenlese 
hat  das  eilfte  Buch  allein,  von  den  Fehlern  in  der  Betonung 
ganz  abgesehn,  etwa  vierzig  gröbere  Druckvergehn  beyge- 
steuert,  mit  denen  wir  natürlich  unsere  Leser  verschonen.  Aus 
der  Tauchnitzischen  Officin  ist  einiges  so  correct  Gedrucktes 
hervorgegangen ,  dass  diese  ungeheure  Fahrlässigkeit  hier  um 
so  mehr  befremdet ,  und  der  thätige  Typograph  sich  in  Acht 
nehmen  mag,  von  Seiten  der  Incorrectheit  nicht  mit  Hrn.  Rei- 
mer *)  auf  eine  Stufe  gestellt  zu  werden,  von  dem  er  sich  in 
allem  Uebrigen  sehr  zu  seinem  Vortheil  unterscheidet. 

Endlich  gedenken  wir  noch  eines  schätzbaren  Nachtrages 
von  Epigrammen  zur  Jacobsischen  Anthologie: 

6)  Epigr ammata  Graeca  ex  marmoribus  collecta. 
Als  Programm  zum  3ten  Aug. ,  dem  Geburtstage  Sr.  Maj.  des  Kö- 
nigs  von   Preussen ,    herausgegeben   von    Friedr.    Gottl.  Welcher. 
Bonn.  1819.   14  S.  gr.  4.      Specimen  alterum.  1822.  33  S.  gr.  4. 
[Jen.  L.  Z.  1822  Nr.  196.] 

Wir  begnügen  uns  zu  berichten,  dass  diese  beyden  Pro- 
gramme 62  bey  Jacobs  fehlende  Epigramme  enthalten,  die  der 


*)  Es  genügt,  an  den  6ten  Band  des  J.ucian  von  Lehmann  zu  er- 
innern, diess  non  plus  ultra  typ ographiseber  Lüder lichkeit! 


Welcker:  Epigrammata  Graeca.  59 

Herausgeber  aus  zum  Theil  Wenigen  zugänglichen  archäologi- 
schen Werken  und  Reiseheschreibungen  gesammelt,  und  zum 
Theil  ausführlich  erläutert  hat.  Da  aber  Hr.  Welcker  so 
eben  mit  einer  neuen  Ausgabe  beschäftigt  ist,  so  fodert  es  die 
Achtung  gegen  diesen  ausgezeichneten  Alterthumsforscher, 
eine  ins  Einzelne  eingehende  Kritik  bis  zur  Erscheinung  jenes 
Werkes  zu  versparen. 

Franz   Paasow. 


Philosophie. 


1)  Lehrbuch  für  den  ersten  Unterricht  in  der 
Philosophie  von  August  Matthiae.  Zweite  verbesserte  Auf- 
lage.    Leipzig,  Brockhaus.  1827.  XIV  und  193  S.    8.    20 Gr. 

2)  Darf  auf  Gymnasien  philosophischer  Unter- 
richt ertheilt  werden,  oder  nicht?  Eine  pädagogi- 
sche Abhandlung  von  Dr.  J.  G.  Mussmann.  Berlin ,  in  der  Mylius- 
schen  Buchhandlung.  1827.  40  S.  8.  geh.  4  Gr. 

3)  Zur  öffentlichen  Prüfung  der  Zöglinge  des  Königlichen  Gymnasii 
am  27  und  28sten  September  1827  ladet  ein  Dr.  Friedrich  Schmie- 
der. Voran  eine  Abhandlung  über  den  Unterricht  in 
der  Philosophie  auf  Gymnasien  von  Dr.  Bobertag. 
Brieg,  gedruckt  von  Carl  Wohlfahrt.    38  (28)  S.    4. 

V  orliegende  drei  Schriften,  welche  alle  den  Unterricht  in 
der  Philosophie  auf  Gymnasien  betreffen,  beweisen  einerseits 
durch  ihre  ziemlich  gleichzeitige  Entstehung,  welche  leben- 
dige Theilnahme  die  Wiederherstellung  desselben  erregt,  an- 
drerseits aber  auch  durch  den  offnen  Widerspruch,  in  welchen 
jede  gegen  die  andere  tritt,  wie  wenig  der  Streit  darüber  als 
ausgeglichen  betrachtet  werden  kann,  ja,  wie  er  vielmehr  jetzt 
noch  seiner  Entstehung  näher  liegt  als  seiner  Entscheidung. 
Rec.  bedarf  aber  hoffentlich  weder  darüber,  dass  er  diese 
Beurtheilung  dennoch  unternimmt,  noch  darüber,  dass  er  die 
Anzeige  seiner  Schrift  damit  verbindet,  einer  weitern  Recht- 
fertigung. Denn,  was  das  letztere,  die  Anzeige  seiner  Schrift 
betrifft,  so  scheint  sie,  wiewohl  sie  eben  nichts  als  dieses  sein 
kann,  hinlänglich  sowohl  durch  die  Gleichheit  des  Gegenstan- 
des, als  auch  dadurch  begründet,  dass  sie  den  Standpunkt  be- 
zeichnet, von  welchem  allein  nach  seiner  Ueberzeugung  die 
Lösung  des  Problems  zu  finden  ist,  und,  auf  welchem  er  sich 
dosshalb  auch  bei  dieser  Beurtheilung  wird  halten  müssen.  Was 
aber  diese  selbst  betrifft,  so  kann  sie,  wenn  nicht  unmittelbar 


60  Philosophie. 

doch  mittelbar  auf  Entscheidung  hinwirken,  wenn  sie  durch 
die  Sonderung  des  Streitigen  und  des  Zugestandenen  und  dann 
durch  Beziehung  der  besondern  Behauptungen  eines  jeden  auf 
die  allen  gemeinsamen,  sowohl,  was  in  dem  Streite  bereits 
als  allgemein  zugestanden  angesehen  werden  kann,  als  auch, 
welcher  der  verschiedenen  Wege  der  Wahrheit  am  nächsten 
liegt ,  vor  die  Augen  stellt.  Eine  Zusammenstellung  der  von 
allen  anerkannten  Voraussetzungen  möge  desshalb  zugleich  als 
Grundlage  der  Beurtheilung  jedes  Einzelnen  vorangehen ;  es 
möge  dann  die  Betrachtung  der  Art  und  Weise ,  wie  der  Verf. 
des  Lehrbuchs  von  diesen  Voraussetzungen  aus  nicht  nur  seine 
in  der  Vorrede  entwickelte  Theorie  ableitet,  sondern  auch, 
wie  er  sie  in  seinem  Lehrbuche  ausführt ,  folgen,  dann  die  ab- 
weichende Theorie  des  Verfs.  von  Nr.  2  dagegen  gehalten  wer- 
den, und  eine  kurze  Darlegung  der  Art  und  Weise,  wie  ltec. 
dabei  verfahren  zu  müssen  glaubte,  den  Schluss  machen. 

Gehen  wir  von  den  ersten  Fragen  aus ,  die  bei  der  Unter- 
suchung über  den  Unterricht  in  der  Philosophie  auf  Gymnasien 
in  Betrachtung  kommen,  so  zeigt  sich  in  der  Beantwortung  der- 
selben in  allen  drei  Schriften  eine  solche  Uebereinstimmung, 
dass  der  erwähnte  Widerstreit  bei  dem  ersten  Anblick  befrem- 
den könnte.  Denn,  nicht  nur,  dass  zu  den  übrigen  Zweigen 
des  Gymnasialunterrichts  ein  andrer,  sich  bestimmter  auf  die 
Philosophie  beziehender,  hinzukommen  müsse ,  behaupten  alle 
drei  Schriften  einstimmig,  sondern  sie  sind  auch  alle  über  die 
Grenzen  desselben  in  dem  Grade  einig ,  dass  sie  ihm  einerseits 
nur  die  höchsten  Stufen  der  Gymnasialbildung  zuweisen,  andrer- 
seits aber  auch  alle  die  Universität  als  den  eigentlichen  Sitz 
der  philosophischen  Bildung  anerkennen,  den  Unterricht  in  der 
Philosophie  auf  Gymnasien  aber  nur  als  vorbereitend  betrach- 
ten. Vergleiche  Matthiä  Vorrede.  S.  XI,  2te  Auflage,  Muss- 
mann S.  26  und  27.  Wie  leicht  es  nun  auch  erscheint,  über 
die  angegebenen  Punkte  einig  zu  werden,  eben  so  schwer  wird 
die  Untersuchung,  wenn  wir  nach  dem  Inhalt  und  der  Form 
des  seiner  Aufgabe  nach  so  bestimmten  Unterrichts  fragen. 
Und  eben  hier  beginnt  mit  der  Schwierigkeit  auch  sogleich  der 
Widerstreit.  Die  Schwierigkeit  liegt  aber  näher  darin,  dass 
die  Philosophie  ihrem  Wesen  nach  das  sowohl  seinem  Inhalte 
als  seiner  Form  nach  vollendete  Wissen  ist,  die  Gymnasialbil- 
dung aber,  als  der  akademischen  untergeordnet,  nicht  nur  ih- 
rem Inhalte  sondern  auch  ihrer  Form  nach  eine  niedere  sein 
muss ,  mithin  die  Forderungen  an  den  Unterricht  in  der  Phi- 
losophie auf  Gymnasien  sich  so  stellen ,  dass  je  mehr  er  in 
Wahrheit  Philosophie  behandelt ,  er  um  so  weniger  der  Gy- 
mnasialbildung entspricht,  je  mehr  er  aber  dieser  entspricht,  er 
um  so  weniger  philosophisch  sein  kann. 

Matthiä,  zu  dessen  Betrachtung  wir  uns  zuerst  wenden, 


Matthiä :  Lehrbuch  f.  d.  ersten  Unterricht  in  d.  Philosophie.     61 

berührt  diese  Schwierigkeit  mit  der  Meinung  derjenigen ,  die 
in  dem  Unterricht  in  der  Philosophie  „ein  Hinüberstreifen  in 
das  Gebiet  der  Universität  finden"  (Vorrede  S.  XI),  und  er 
giebt  sie  auch  zu,  indem  er  diesen  vollkommen  beistimmt,  wenn 
sie  unter  Philosophie  nicht  bloss  Psychologie  und  Logik,  son- 
dern auch  die  Metaphysik  nach  deren  gewöhnlichen  Zuschnitt, 
selbst  in  Feders  oder  Gerlachs  Lehrbüchern,  verstehen.  Fra- 
gen wir  nun  hier,  wodurch  soll,  wenn  doch  Matthiä  nach 
Vorr.  S.  XIII  die  Universität  als  den  eigentlichen  Sitz  des  philo- 
sophischen Unterrichts  betrachtet,  der  Gymnasial- Unterricht 
in  der  Philosophie  nach  seiner  Meinung  propädeutisch  sein*?  so 
finden  wir  in  der  Vorrede  darüber  keine  genügende  Erklärung. 
Denn,  wenn  er  doch  die  Psychologie  und  die  Logik  in  den 
Gymnasialunterricht  ziehen  will ,  so  bleibt  nun  zweierlei  übrig, 
wodurch  dieser  Unterricht  in  Vergleich  mit  dem  eigentlichen 
philosophischen  auf  der  Universität  propädeutisch  seyn  kann. 
Nämlich  entweder  Matthiä  behauptet,  Logik  und  Psychologie 
sind  für  sich  propädeutisch  und  nicht  Philosophie  selbst,  und 
gehören  eben  desshalb  nicht  in  den  eigentlichen  philosophischen 
Unterricht  auf  der  Universität,  sondern  in  den  propädeutischen 
auf  Gymnasien ,  und  findet  so  die  Vereinigung  der  scheinbar 
widersprechenden  Anforderungen  an  den  philosophischen  Gy- 
mnasialunterricht. Oder  er  sagt,  die  Anforderung  an  diesen  Un- 
terricht, die  in  den  Begriffen  der  Philosophie  liegt,  denen,  die 
sich  aus  dem  Gymnasialunterricht  ergeben,  nachsetzend:  nicht 
bloss  die  Psychologie  und  Logik  gehören  in  den  philosophi- 
schen Gymnasialunterricht ,  sondern  gleichmässig  alle  philo- 
sophische Disciplinen:  und  der  Unterschied  des  vorbereitenden 
Gymnasialunterrichts  in  der  Philosophie  von  dem  eigentlichen 
auf  der  Universität  liegt  in  einer  niedern  elementarischen  und 
aphoristischen  Form.  Allein,  dass  Matthiä  die  Psychologie 
und  die  Logik  nicht  desshalb  in  den  philosophischen  Gymna- 
sialunterricht aufnimmt,  weil  sie  an  sich  und  ihrem  Inhalte  nach 
propädeutisch  sind,  beweist  einerseits  zwar  deutlich  genug, 
dass  §  5  die  Logik  ,  die  in  der  ersten  Auflage  noch  mit  zur 
Propädeutik  gezogen  wurde,  als  ein  eigentlicher  Theil  der 
theoretischen  Philosophie  angeführt  wird,  noch  deutlicher  aber, 
dass  nach  Vorrede  S.  VII  u.  VIII  u.  X  eben  nicht  bloss  die  Lo- 
gik, sondern  auch  Metaphysik  und  philosophische  Moral,  wenn 
auch  nicht  alle  in  gleichem  Grade,  für  in  diesem  Unterrichte  zu- 
lässig erklärt  werden.  Sehen  wir  nun,  ob  der  philosophische 
Unterricht  auf  Gymnasien,  der  sich  nach  Matthiä  nicht  dem 
Inhalte  nach  propädeutisch  zu  dem  akademischen  verhalten 
kann,  es  der  Form  nach  soll,  und  ob  das  propädeutische  Ele- 
ment mehr  in  der  Form  liegen  soll,  so  finden  wir  auch  diese 
Seite  unsers  Dilemmas  auf  das  Bestimmteste  verneint.  Denn, 
ob  er  gleich  die  Metaphysik  nach  dem  gewöhnlichen  Zuschnitt 


62  Philosophie. 

verschmäht,  S.  XI,  so  ist  doch  nicht  gesagt,  warum  dieser  Zu- 
schnitt mit  der  Schule  unvereinbar  sei,  und  auf  der  anderen 
Seite  fodert  er  S.  XII  ganz  bestimmt  für  den  Unterricht  auf 
Schulen  die  vollendete  Form,  in  Vergleich  mit  welcher  es  keine 
höhere  geben  kann:  den  systematischen  Zusammenhang.  Da 
nun  die  Lösung  der  Schwierigkeit ,  die  wir  in  Beziehung  auf 
Inhalt  und  Form  des  Gymnasialunterrichts  in  der  Philosophie 
finden,  nur  darin  liegen  kann,  dass  ihm  entweder  ein  seinem 
Wesen  noch  propädeutischer  Inhalt  zugesichert  wird ,  oder  mit 
Beibehaltung  des  Inhalts  des  eigentlichen  Unterrichts  in  der 
Philosophie  eine  niedere  Form,  oder,  dass  ihm  sowohl  eine  be- 
sondere Form  als  auch  ein  besonderer  Inhalt  bestimmt  wird ; 
Matthiä  aber  Beides,  sowohl  den  Inhalt  als  die  Form  des  eigent- 
lichen Unterrichts  in  der  Philosophie  für  den  Gymnasialunter- 
richt in  derselben  fordert:  so  ergebt  sich  von  selbst,  wie  er 
mit  der  ersten  Voraussetzung,  die  bei  unsrer  Untersuchung 
feststehen  muss,  in  Widerspruch  geräth,  und  seine  Theorie  an 
der  ersten  Schwierigkeit,  die  unsere  Frage  hat,  scheitert. 
Ob  nun  Matthiä  dem  philosophischen  Inhalt  die  pädagogische 
Bestimmung  des  Lehrbuchs  hintangesetzt,  oder  ob  er  der  pä- 
dagogischen Bestimmung  den  philosophischen  Inhalt  aufgeo- 
pfert hat,  wird  sich  am  leichtesten  beurtheilen  lassen,  wenn 
wir  den  systematischen  Zusammenhang,  den  er  beabsichtigte, 
näher  untersuchen. 

In  dem  Begriffe  des  systematischen  Zusammenhanges  liegt 
nun  vor  Allen,  dass,  wenn  gleich  das  Ganze  in  mehre  Theile 
zerlegt  ist,  diese  doch  alle  von  einer  allgemeinen  Einheit  aus- 
gehen ,  und  sich  darauf  beziehen.  Das  Verhältniss  der  ver- 
schiedenen Theile  dieses  Lehrbuchs  zu  ihrer  Einheit  haben 
wir  desshalb  zu  prüfen,  und  zwar  um  so  bestimmter  und  ge- 
nauer, als  Matthiä  jede  Rücksicht  auf  ein  wegen  der  Fassungs- 
kraft der  Schüler  nothwendiges  Ablassen  vom  systemati- 
schen Zusammenhange  schon  damit  ablehnt ,  dass  er  Vorrede 
S.  VIII  in  Beziehung  auf  die  Eintheilung  selbst  gesteht,  sein 
Lehrbuch  nicht  gradehin  nach  dem  Bedürfniss  des  Unterrichts, 
sondern  nach  dem  Inhalte  selbst  eingerichtet  zu  haben.  Wir 
finden  nun  das  Ganze  nach  der  Einleitung  in  vier  koordinirteTheile 
zerlegt,  wovon  der  erste  die  empirische  Psychologie,  der  zweite 
die  Logik ,  der  dritte  die  Metaphysik  und  der  vierte  die  pra- 
ktische Philosophie  behandelt.  Alle  diese  Theile  zerfallen  wie- 
der in  mehrere  Unterabtheilungen:  der  erste  nach  den  drei 
Seelenvermögen  in  drei,  denen  die  allgemeine  Psychologie  oder 
die  Lehre  von  mannigfaltigen  Verhältnissen  und  Mischungen 
der  Seelenvermögen  folgt;  der  zweite  in  die  Lehre  von  den 
Begriffen,  Urtheilen  und  Schlüssen,  der  dann  angewandte  Logik 
folgt;  der  dritte  in  die  Ontologie,  rationale  Psychologie,  ra- 
tionale   Kosmologie    und   rationale    Theologie;      der    vierte 


Matthifi :  Lehrbuch  f.  d.  ersten  Unterricht  in  d.  Philosophie.     63 

in  die  Moral  und  Rechtslehre.  Wie  hat  nun  der  Verfasser 
diese  vielen  und  mannigfaltigen  Thcile  in  systematischen  Zu- 
sammenhang gebracht  und  auf  eine  allgemeine  Einheit  bezo- 
gen? Diese  Einheit,  zu  der  sich  alle  Thcile  gleichmässig  ver- 
halten sollen ,  muss  das  Absolute  sein.  Denn  nach  §  2  ist  Ge- 
genstand der  Philosophie  eben  die  Erforschung  des  Absoluten. 
Aber,  was  ist  dem  Verfasser  das  Absolute,  wie  ist  es  ihm, 
obgleich  Eines ,  doch  ein  so  Mannigfaltiges ,  dass  alle  Thä- 
tigkeiten  des  menschlichen  Geistes  und  das  Wesen  desselben, 
dass  Gott  und  Welt  und  alles  menschliche  Handeln  dabei  in  Be- 
trachtung kommt?  Bei  dieser  Frage  fällt  zuförderst  auf,  dass 
die  Metaphysik  selbst  schlechthin  als  die  Lehre  vom  Absoluten 
bestimmt  wird,  §  6;  denn  mit  dieser  Bestimmung  fallen,  weil 
nach  ihr  nur  ein  Theil  den  Gegenstand  des  Ganzen,  das  Abso- 
lute, behandelt,  streng  genommen  alle  übrigen  schon  aus  dem 
Zusammenhange  heraus,  und  es  ist  keine  Rettung  mehr  für  das 
Systematische  des  Ganzen :  ausser ,  dass  der  Verf.  sich  darauf 
zurückzieht,  dass  nicht  gradehin  das  Absolute,  sondern  die 
Erforschung  desselben  als  Gegenstand  der  Philosophie  be- 
stimmt ist ,  §  2,  die  übrigen  Theile  also,  wenn  nicht  als  unmit- 
telbare Lehre  vom  Absoluten,  doch  eben  als  zur  Erforschung 
desselben  gehörig  im  Zusammenhange  mit  dem  Ganzen  stehen 
können.  Aber  wenn  auch  damit  die  empirische  Psychologie  und 
die  Logik  gerettet  wären,  so  würde  doch  die  Stellung  der  pra- 
ktischen Philosophie  bedenklich,  weil  diese  als  Theil  der  Er- 
forschung des  Absoluten  nothwendig  mit  der  Psychologie  und 
der  Logik  vor  die  Lehre  von  demselben  selbst  gehören  würde, 
als  ein  Theil  der  Lehre  vom  Absoluten  selbst  aber  nicht  ein 
koordinirter  Theil  mit  der  Metaphysik,  sondern  ein  Theil  der- 
selben selbst  sein  müsste.  Doch  es  fragt  sich  hier  eben  noch, 
ob  der  Verfasser  den  Begriff  des  Absoluten  so  gefasst  habe, 
dass  die  praktische  Philosophie  in  seiner  Darstellung  als  ein 
nothwendiger  Theil  des  Ganzen  erscheint ,  und,  dass  die  Psy- 
chologie und  Logik  wesentliche  Theile  der  Erforschung  dessel- 
ben sind?  Wir  müssen  daher  die  Erklärungen  des  Verfs.  über 
den  Einen  Begriff,  der  allein  den  systematischen  Zusammen- 
hang seines  Lehrbuchs  halten  kann,  näher  untersuchen.  Die- 
ser Begriff  nun  wird  zwar  §  2  mit  mehrern  Worten  als  das  an 
sich  allgemein  Unbedingte,  absolut  Beharrliche  oder  als  das- 
jenige bestimmt,  was  allen  einzelnen  unter  einander  bedingten 
und  veränderlichen  Erscheinungen  zum  Grund  liegt,  tritt  aber 
doch  bald  darauf  in  ein  Helldunkel,  welches  Rec.  nicht  durch- 
schauen zu  können  gestehen  muss.  Denn,  wenn  es  §  3  heisst: 
„die  Vernunft  kann  das  Absolute  nicht  anders  aus  sich  nehmen, 
als,  indem  sie  die  ursprünglich  eingepflanzten  Gesetze  zur 
Richtschnur  nimmt,  und  nach  dem,  was  diese  fodern,  jenes 
Absolute  aufzustellen  sucht  :u  so  wird  offenbar  das  Absolute  als 


64  Philosophie. 

ein  von  der  Vernunft  Verschiedenes  gefasst ,  und  wir  können, 
zumal  nachdem  eben  die  Erkenntniss  der  Seele  und  der  Natur 
einander  entgegengesetzt  sind ,  der  Vernunft,  dem  Geiste ,  ge- 
genüber an  nichts  anders  denken  als  an  die  Natur.  Wenn  wir 
aber  weiter  lesen:  „Indem  also  jenes  Absolute  auf  den  ursprüng- 
lichen angestammten  Gesetzen  des  geistigen  Wirkens  als  auf 
seiner  Grundlage  ruht  :"  so  verträgt  es  sich  schon  schlecht  mit 
dem  Begriffe  des  in  sich  selbst  Begründeten,  dass  es  auf  einem 
Anderem  ruhen  soll ,  und  wir  können  diesen  Satz  nur  dann  mit 
der  Unbedingtheit  des  Absoluten  vereinigen,  wenn  wir  uns 
hier  den  Geist  und  die  Natur  als  identisch  und  in  ihrer  Identi- 
tät als  Absolutes  gesetzt  denken.  Auf  die  Identität  des  Geistes 
selbst  und  des  Absoluten  deutet  aber  das  Folgende  hin ,  wo  es 
heisst:  „die  Erkenntniss  des  Absoluten  fällt  mit  der  Erkennt- 
niss der  ursprünglichen  geistigen  Natur  zusammen."  Denn  wohl 
lässt  sich  denken,  dass  der  Geist  aus  sich  selbst  das  Absolute 
zu  bestimmen  sucht ,  die  Erkenntniss  des  Absoluten  also  wenn 
nicht  unmittelbar  doch  mittelbar  mit  der  des  Geistes  gege- 
ben ist,  wie  es  kurz  vorher  heisst,  wenn  Beides  verschieden 
ist ;  aber,  wie  unter  derselben  Voraussetzung  die  eine  Erkennt- 
niss nicht  bloss  aus  der  andern  folgen,  sondern  mit  ihr  zusam- 
menfallen soll,  ist  wieder  undenkbar.  Dass  der  Verf.  hier  das 
Absolute  ein  Objektives  und  den  Geist  ein  Subjektives  nennt, 
deutet  noch  auf  eine  Differenz  Beider  hin,  hilft  aber  zur  Er- 
klärung nichts ,  sondern  schiebt  diese  nur  weiter  zurück ,  weil 
ja  auch  von  der  Erkenntniss  des  Subjektiven  und  Objektiven 
gesagt  wird,  dass  sie  zusammenfällt:  was  wieder  nur  möglich 
ist,  wenn  das  Subjektive  und  Objektive  als  identisch  gesetzt 
wird.  Ebenso  heisst  es  bald  darauf:  „die  Philosophie,"  die 
doch  vorhin  als  die  Erforschung  des  Absoluten  erklärt  wurde, 
„kann  erklärt  werden  für  das  System  der  ursprünglichen  Ge- 
setze und  Grundsätze  der  Vernunft,  da  nur  durch  die  Erkennt- 
niss dieser  die  Erkenntniss  des  Absoluten  möglich  ist."  Denn 
hiernach  ist  das  Absolute  wieder  der  menschliche  Geist  selbst. 
Dreierlei  also  kann  nach  diesen  beiden  §§  das  Absolute  sein,  der 
menschliche  Geist,  die  Natur  und  die  Identität  Beider.  Kön- 
nen wir  nun  aus  der  Einleitung  keine  bestimmte  Anschauung 
von  dem  Absoluten  im  Sinne  des  Verfassers  erlangen ,  und  fin- 
den wir  hier  nur  einen  schlüpfrigen  Boden ,  auf  dem  wir  uns 
bei  der  Beurth eilung  des  Buches  nicht  halten  können,  ohne 
nach  verschiedenen  Seiten  hin  zu  gleiten,  so  sehen  wir  uns 
schon  durch  die  Aufgabe ,  einen  festen  Standpunkt  zu  gewin- 
nen, auf  die  Mitte  des  Buches,  den  Theil  desselben,  gewie- 
sen, als  dessen  eigentlichen  Inhalt  der  Verfasser  das  Absolute 
selbst  bestimmt.  Wir  müssen  dabei  zunächst  darauf  verzich- 
ten, aus  §  6  der  Einleitung,  wo  der  Verf.  die  Theile  der  Me- 
taphysik näher  bestimmt ,  für  unsere  Untersuchung  Etwas  zu 


Matthiä :  Lehrbuch  f.  d.  ersten  Unterricht  in  d.  Philosophie.      65 

gewinnen.  Denn  hier  heisst  es  von  der  Metaphysik  nur :  „Sie 
zerfällt  in  zwei  Theile,"  und  das  so  ohne  alle  nähere  Begrün- 
dung und  in  so  willkührlicher  Form ,  dass  wir  nicht  glauben 
können ,  der  Verf.  habe  hier  schon  das  Eine  Nothwendige  als 
solches  behandeln  wollen.  Wenden  wir  uns  desshalb  zur  Me- 
taphysik selbst,  so  ist  uns  zunächst  der  §  124  von  Wichtigkeit, 
in  welchem  der  Begriff  des  Absoluten  bestimmt  wird,  nachdem 
vorher  von  den  „drei  ursprünglichen  Gesetzen  des  Raums ,  der 
Zeit  und  der  Kausalität'1,  die  Itede  gewesen  ist.  Bas  letzte  ist 
als  dasjenige  bestimmt,  wodurch  der  Geist  genöthigt  ist,  für 
jedes  Geschehene  und  Bestehende  eine  Ursache  vorauszusetzen 
und  zu  suchen  (§121),  und  dann  heisst  es  weiter:  „Zufolge  des 
Gesetzes,  wodurch  der  Verstand  genöthigt  ist,  zu  allem  Be- 
dingten das  Unbedingte  zu  suchen ,  findet  er  sich  auch  genö- 
thigt an  eine  letzte  und  höchste  Ursache  zu  denken,  die  nicht 
mehr  Wirkung  einer  andern  Ursache  ist,  sondern  den  Grund 
ihres  Daseins  in  sich  selbst,  zugleich  aber  den  Grund  alles  Be- 
stehenden enthält.  Dieser  letzte  und  höchste  Grund  heisst 
das  Absolute."  Diese  Bestimmung  ist  nun  zunächst  für  sich  sehr 
klar.  Denn  als  die  alles  Sein  bedingende  Ursache  können  wir 
nichts  Anderes  als  das  höchste  Wesen  denken.  Dennoch  ver- 
mehrt sie,  näher  betrachtet,  nur  die  Rathlosigkeit,  in  der  uns 
der  Verfasser  über  das  Absolute  lässt.  Denn  noch  in  demsel- 
ben §  heisst  es:  „Die  bloss  in  der  Vernunft  vorhandene  Vor- 
stellung von  einem  solchen  alle  Erfahrung  übersteigenden  Ge- 
genstände, die  den  Grund  alles  Uebrigen  enthält,  heisst  eine 
Idee."  Mit  diesen  Worten  wird  die  Einheit  des  Absoluten  wie- 
der aufgegeben,  und  es  entsteht  der  Schein,  dass  es  nicht  nur 
eine  Mehrheit  von  absoluten  Gegenständen,  sondern  auch  eine 
Mehrheit  von  Vorstellungen  über  das  Absolute  geben  kann: 
welches  beides  in  den  bestimmtesten  Widerspruch  mit  dem  eben 
aufgestellten  Begriff  Einer  letzten  und  höchsten  Ursache  tritt. 
Nehmen  Avir  dennoch  an ,  dass  der  Verf.  das  höchste  Wesen 
als  das  Absolute  setzt,  und  dass  ihm  die  Bestimmung  der  Idee 
misslungen  ist,  und  sehen  von  hier  aus  auf  die  frühern  Erklä- 
rungen über  das  Absolute  zurück,  so  tritt  die  Unbestimmt- 
heit des  Begriffes  noch  mehr  in  das  Licht.  Denn,  wohl  können 
wir  die  Erklärung  des  Absoluten  als  des  in  sich  selbst  Begrün- 
deten mit  dem  Begriffe  des  Absoluten  vereinigen,  und  auch,  was 
§  3  gesagt  ist,  dass  die  Vernunft  nach  dem,  was  die  ihr  ein- 
gepflanzten Gesetze  fodern,  das  Absolute  aufzustellen  sucht, 
hat  von  dieser  Erklärung  aus  seinen  Sinn.  Aber,  dass  das 
höchste  Wesen,  wie  es  §  3  vom  Absoluten  heisst,  auf  den  Ge- 
setzen des  geistigen  Wirkens  als  seiner  Grundlage  ruhen  soll, 
tritt  mit  jeder  Vorstellung  von  demselben  in  Widerspruch,  und 
erscheint  in  dem  Munde  eines  Lehrers  der  Philosophie  schlecht- 
hin unbegreiflich.     Warum  ferner  §  4  das  Absolute,  als  höch- 

Jahrb.  f.  Phil.  u.  Fädag.  Jahrg.  III.  Heft  1.  5 


66  Philosophie. 

stes  Wesen,  bloss  als  die  Grundlage  unserer  Erkenntniss  vom 
Sein  der  Dinge  Und  nicht  als  der  Grund  der  Dinge  selbst  be- 
stimmt ist,  zumal  es  hernach  die  Richtschnur  unsers  Handelns 
genannt  wird  ,  ist  von  diesem  Begriff  des  Absoluten  aus  nicht 
abzusehen.  Doch  wir  haben  erst  einen  §  der  Metaphysik  er- 
wogen, und  es  bleibt  noch  übrig,  die  übrigen  Sätze  dieses 
Abschnittes  auf  denselben  zu  beziehen.  Nach  §  124  müssen 
wir  als  eigentlichen  Inhalt  der  Metaphysik  die  Lehre  vom  höch- 
sten Wesen,  also  eine  Lehre  erwarten,  die  in  irgend  einem 
Sinne  Theologie  ist:  nach  §  2  freilich  etwas  Anderes ,  nämlich 
die  Lehre  vom  menschlichen  Geiste,  in  wiefern  dort  dieser 
als  das  Absolute  erscheint,  die  Lehre  von  der  Natur,  in  wie- 
fern diese  ,  aber  am  wenigsten  die  Lehre  von  diesem  Allen. 
Wir  finden  nun  aber,  näher  betrachtet,  in  der  Metaphysik  die- 
ses Alles  behandelt,  den  Geist  in  der  Ontologie  und  der  ra- 
tionalen Psychologie,  die  Natur  in  der  Kosmologie  und  das 
höchste  Wesen  in  der  rationalen  Theologie,  die  alle  als  Theile 
der  Metaphysik  aufgeführt  werden.  Wie  konnte  nun  der  Verf. 
dieses  Alles  unter  der  Metaphysik,  der  eigentlichen  Lehre  vom 
Absoluten,  befassen?  Wir  hören  ihn  darüber  selbst.  §  117 
heisst  es ,  nachdem  der  Unterschied  zwischen  analytischen  und 
synthetischen  Urtheilen  festgestellt  ist :  „das  System  der  syn- 
thetischen Grundsätze  a  priori  mit  Anwendung  derselben  zur 
Beantwortung  der  für  den  Menschen  wichtigsten  Fragen  über 
Freiheit,  Unsterblichkeit  und  Gott  heisst  Metaphysik."  Sollen 
wir  nun  hier  den  Verfasser  so  verstehen,  dass  nur  der  mensch- 
liche Geist,  in  dem  doch  nach  §  117  die  Grundsätze  a  priori 
liegen,  das  Absolute  sei,  so  können  wir  uns  freilich  denken,  wie 
die  Lehre  von  Freiheit  und  Unsterblichkeit  mit  in  die  Meta- 
physik kommt;  aber  gerade  die  Lehre  von  Gott  und  (noch  mehr 
die  von  der  Welt,  deren  hier  als  Gegenstand  der  Metaphysik 
gar  nicht  gedacht  wird,  erscheint  einerseits  als  ein  dem  Absolu- 
ten selbst  Aeusserliches,  anderseits  als  ein  so  zufälliger  Anhang 
desselben ,  dass  von  der  früher  demselben  beigelegten  Not- 
wendigkeit keine  Spur  mehr  zurückbleibt.  Sollen  wir  aber  den 
Verf.  so  verstehen  ,  als  sei  der  menschliche  Geist  eben  so  wie 
das  höchste  Wesen  und  die  Welt  in  der  Einheit  des  Absoluten 
begriffen ,  dann  finden  wir  hier  eine  solche  Verwirrung  der 
höchsten  Gegensätze,  die,  weit  entfernt  philosophisch  zu 
sein,  sich  von  den  gröbsten  materialistischen  Verwirrungen 
nicht  unterscheidet.  Für  die  erste  Erklärung  spricht,  dass 
schon  §  6  die  Lehre  von  den  ursprünglichen  Gesetzen  des 
menschlichen  Geistes  als  der  Ilaupttheil  der  Metaphysik  auf- 
gestellt ist,  und  alles  Andere  nur  als  Anwendung  derselben  auf- 
geführt wird;  für  die  andere  aber,  dass  §126  die  rationale 
Psychologie,  Kosmologie  und  Theologie  als  die  Theile  aufge- 
führt werden,  in  welche  die  Untersuchungen  der  Metaphysik 


Matthiä:  Lehrbuch  f.  d.  ersten  Unterricht  in  d.  F]iilo9ophie.      6? 

zerfallen.  Beides  zusammen  genommen  aber  beweist  zur  Ge- 
nüge, dass  dem  Verfasser  weder  der  Begriff  des  Absoluten, 
noch  die  Behandlung  desselben  in  der  Metaphysik  klar  waren. 
Dieser  §  nun  müsste ,  in  sofern  er  den  Zusammenhang  des  er- 
sten und  zweiten  Haupttheils  der  Metaphysik  vermitteln  soll, 
■wenn  irgend  einer,  die  Verwirrung  aufheben,  in  der  wir  den 
Begriff  des  Absoluten  in  den  übrigen  Theilen  des  Lehrbuches 
finden.  Es  musste  hier  vor  Allem  vom  Begriff  des  Absoluten 
aus  zuerst  die  Grenze  des  mit  diesem  §  beschlossenen  Theils 
der  Metaphysik  festgestellt,  und  durch  Beziehung  des  Gott- 
und  Weltbegriffs  auf  denselben  der  folgende  Theil  als  ein  von 
dem  vorigen  verschiedener,  anderseits  als  ein  mit  jenem  in  ei- 
ner höhern  Einheit  nothwendig  verbundener  nachgewiesen  sein. 
Allein  Mir  finden  hier  zunächst  von  einer  Beziehung  der  ange- 
gebenen Theile  auf  den  sie  umfassenden  Begriff  keine  Spur. 
Denn  es  heisst  zu  Anfange  von  §  126,  wieder  nur  in  der  ganz 
willkührlichenForm  einer  blossenRelation:  „In  dem  ursprüng- 
lichen Selbstbewusstsein  erscheint  der  Geist  selbst  als  den  Ein- 
wirkungen des  Körpers  und  überhaupt  der  Aussendinge  aus- 
gesetzt, aber  auch  als  wieder  auf  sie  einwirkend."'  Hiermit  ist 
aber  auch  sogleich  wieder  jeder  bestimmte  Begriff  vom  Abso- 
luten als  dem  Geiste,  den  wir  im  vorigen  Theile  der  Meta- 
physik festhalten  konnten ,  zerstört ;  denn  als  unbedingte  Ur- 
sache kann  das  Absolute  nicht,  was  doch  hier  vom  Geiste  ge- 
sagt wird ,  den  Erwirkungen  der  Aussenwelt  ausgesetzt  seyn. 
Eben  so  wenig  aber  hält  der  Verf.  in  diesem  §  die  Natur  als 
das  Absolute  fest,  wozu  wir  in  dem  Vorigen  auch  eine  Andeu- 
tung fanden.  Denn  von  dem  Körper ,  worunter  der  Verf.  in 
diesem  §  die  gesammte  Aussenwelt  versteht,  sagt  er  ausdrück- 
lich ,  dass  er  eines  äussern  Antriebes  bedürftig  ist.  Die  Iden- 
tität der  Natur  und  des  Geistes  ist  nach  diesem  §  nicht  das  Ab- 
solute, denn  beider  Sein  ist  nicht  unbedingt,  wenn  ihr  Zu- 
sammenhang durch  ein  drittes,  Gott,  vermittelt  ist,  wieder 
Verf.  sich  hier  erklärt.  Das  Schlimmste  ist  aber  endlich ,  dass 
hiernach  auch  keine  Möglichkeit  übrig  bleibt,  Gott  selbst  als 
das  Absolute  zu  setzen.  Denn,  wenn  sein  Wesen  damit  er- 
schöpft ist,  dass  er  den  Zusammenhang  der  Körper-  und  Gei- 
sterwelt vermittelt ,  so  ist  er  eben  in  seitiera  ganzen  Sein  be- 
dingt durch  das  Sein  der  Körper-  und  Geisterwelt.  Aus  einer 
solchen  Verwirrung  des  Hauptbegriffes  ergiebt  sich  zunächst 
die  Unmöglichkeit  des  wissenschaftlichen  Zusammenhanges  als 
nothwendige  Folge.  Wir  können  indess  nicht  läugnen ,  dass 
der  Verf.  sich  sichtbar  bestrebt,  die  verschiedenen  Theile 
des  Lehrbuchs  auf  einen  Einheitspunkt  zu  beziehen ,  und  wir 
haben,  wenn  sich  zugleich  dieses  Bestreben  nach  dem  schon 
Erwiesenen  nicht  anders  als  in  leeren  sich  selbst  vernichtenden 
Formeln  äussern  kann,  doch  eben  diese  noch  zu  betrachten 

5* 


68  Philosophie. 

und  als  solche  aufzuweisen,  um  einerseits  die  aufgezeigte  Ver- 
wirrung noch  deutlicher  in  das  Licht  zu  setzen,  anderseits  un- 
ser hiermit  über  das  Ganze  ausgesprochenes  Urtheil  noch  tiefer 
zu  begründen.  Sehen  wir  zunächst  darauf,  wie  der  Verf.  die 
empirische  Psychologie,  als  den  ersten  der  Metaphysik  voran- 
gehenden Theil  des  Ganzen,  mit  derselben  verbindet ,  so  fin- 
den wir  sie  im  Schematismus  des  Lehrbuchs,  in  der  Einleitung 
§  5,  bestimmt  als  die  Lehre  von  den  Kräften-,  Fähigkeiten  und 
Trieben  der  menschlichen  Seele,  „insofern  sie  sich  im  Selbst- 
bewusstsein,  also  durch  Beobachtung  und  Erfahrung  offenba- 
ren." Bei  dieser  Bestimmung  ist  sogleich  die  Einheit  des  Stof- 
fes der  empirischen  Psychologie  mit  dem  grössten  Theile  der 
Metaphysik  unverkennbar.  Denn  dieOntologie,  der  eine  Haupt- 
theil  derselben,  enthält  nach  dem  Verf.  das  System  der  ur- 
sprünglichen der  Vernunft  angestammten  Gesetze  und  Grund- 
sätze, und  die  Psychologie  die  Anwendung  derselben  auf  die 
Erforschung  des  Wesens  und  der  Fortdauer  der  menschlichen 
Seele.  Es  kann  demnach  scheinen ,  als  habe  der  Verf.  die  nä- 
here Entwicklung  des  Verhältnisses  der  Psychologie  zur  Lehre 
vom  Absoluten  hier  für  überflüssig  gehalten.  Allein  je  deutli- 
cher hier  die  Einheit  und  der  Zusammenhang  beider  hervor- 
tritt, desto  weniger  können  wir  die  Frage  abweisen,  wie  er 
doch  darauf  kommt,  sie  als  zwei  verschiedene  zu  behandeln? 
Der  Unterschied  beider  ist  nun  am  deutlichsten  §  8  ausgespro- 
chen, wo  die  empirische  Psychologie  als  die  Lehre  von  den 
Kräften  und  Fähigkeiten  der  menschlichen  Seele  insofern  be- 
stimmt wird ,  als  diese  durch  Beobachtung  und  Erfahrung  zu 
erkennen  sind,  und  zwar  „im  Gegensatze  der  rationalen  Psy- 
chologie, welche  dasjenige  enthält,  was  durch  blosse  Ver- 
nunft in  Ansehung  der  Seele  zu  erkennen  ist,  und  einen  Theil 
der  Metaphysik  als  des  Systems  der  Erkenntnisse  a  priori  aus- 
macht." Aber,  näher  betrachtet,  heisst  es  nun  auch  von  den 
synthetischen  Grundsätzen  a  priori,  die  §  117  als  Inhalt  der 
Metaphysik  bestimmt  Meiden  und  von  denen  doch  alle  rationa- 
len Disciplinen  nur  eine  Anwendung  sind,  in  demselben  §,  dass 
sie  durch  aufmerksame  Beobachtung  des  innern  Menschen  ent- 
deckt werden,  die  Kenntniss  derselben  also  empirisch  ist.  In 
Uebereinstimmung  damit  heisst  es  §  lli),  „dass  die  ursprüngli- 
chen Gesetze  des  menschlichen  Geistes  sich  schon  im  ursprüng- 
lichen Selbstbewusstsein  offenbaren  müssen  ;u  und  ähnliche  Er- 
klärungen finden  wir  in  allen  folgenden  Theilen  der  Metaphy- 
sik. Wie  nun  hiermit  aller  formelle  und  genetische  Unterschied 
der  Metaphysik  und  der  empirischen  Psychologie  aufgehoben 
wird,  indem  jene  nicht  weniger  als  diese  zur  Erfahrungskennt- 
niss  herabgesetzt  wird,  leuchtet  von  selbst  ein,  und  wir  kom- 
men von  dieser  Seite  auf  keine  Weise  zu  einer  Erklärung  des 
Verhältnisses  beider  im  Lehrbuche.    Wir  können  hierbei  nicht 


Matthiä :  Lehrbuch  f.  d.  ersten  Unterricht  in  d.  Philosophie.       69 

unbemerkt  lassen,  dass  der  Verf.  den  Widerspruch,  in  welchen 
er  hiermit  verfällt,  und  der  um  so  unbegreiflicher  erscheint, 
je  bestimmter  er  selbst  die  rationale  Psychologie  in  Gegen- 
satz zu  der  empirischen  stellt,  auch  selbst  gefühlt  hat  und 
zu  lösen  sucht,  aber  auf  eine  Weise,  die  eben  so  unbegreif- 
lichist, als  der  Widerspruch  selbst.  Die  ganze  Lösung  des- 
selben soll  nämlich  darin  liegen,  dass  die  subjektive  Art  der 
Erkenntnis«  eines  Dinges  nicht  den  objektiven  Ursprung  dessel- 
ben bestimmt;  dass  die  ursprünglichen  Gesetze  des  menschlichen 
Geistes  ihn  von  jeher  bestimmt  haben,  aber  erst  spät  als  solche 
anerkannt  wurden:  also  eine  Ueberzeugung,  die  sich  auf  die 
ursprünglichen  Gesetze  der  Vernunft  gründet,  obgleich  diese 
erst  durch  Beobachtung  erkannt  werden,  ihren  ersten  Ursprung 
in  der  Vernunft  hat,  und  a  priori  gilt  (§  3  Anmerkung).  Wir 
fragen  hier  nur:  Sind  die  Gesetze  der  Vernunft  selbst  der  In- 
halt der  Metaphysik,  und  ist  diese  desshalb  a  priori,  weil  das 
Sein  und  Wirken  derselben  unabhängig  ist  von  ihrer  empiri- 
schen Erkenntniss *?  Dann  muss  alles  Andere,  was  seinem  Sein 
und  Wirken  nach  unabhängig  ist  von  seiner  empirischen  Kenntniss, 
auch  a  priori  sein,  mithin  auch  die  Kräfte  und  Fähigkeiten  der 
Seele,  von  denen  doch  nach  dem  Verfasser  die  empirische  Psy- 
chologie handelt.  Oder  nicht  darin,  dass  diese  Gesetze  selbst 
Inhalt  der  Metaphysik  sind,  sondern  darin,  dass  der  ganze  In- 
halt derselben  sich  auf  sie  gründet,  liegt  ihre  Apriorität  und 
ihr  Unterschied  von  der  empirischen  Psychologie?  Dann  aber 
ist  hiermit  von  dem  Inhalte  der  empirischen  Psychologie  be- 
hauptet, dass  er  sich  nicht  auf  die  im  Wesen  der  Vernunft  lie- 
genden Gesetze  gründet,  also  mit  ihr  selbst  doch  eine  Erkennt- 
niss zugegeben,  der  die  Gesetze  des  Verstandes  nicht  zum 
Grunde  liegen:  in  offenbarem  Widerspruch  mit  §  125.  Eben 
so  wenig  wie  hiernach  in  der  angegebenen  Bestimmung  der  em- 
pirischen und  rationalen  Psychologie  ein  formeller  Unterschied 
liegt,  ist  dadurch  eine  von  der  andern  in  materieller  Hinsicht 
auf  bestimmte  Weise  geschieden.  Denn  schon  an  und  für  sich 
ist  es ,  wenn  die  empirische  Psychologie  von  den  Kräften, 
Trieben  und  Fähigkeiten  der  menschlichen  Seele  handelt,  nicht 
leicht  einzusehen,  was  dann  noch  der  blossen  Vernunft  an  der 
menschlichen  Seele  zu  erkennen  übrig  bleibt.  Wir  müssen 
desshalb  den  Verf.  hier  so  verstehen,  dass  die  Kräfte  und  Fä- 
higkeiten der  menschlichen  Seele  der  gemeinschaftliche  Inhalt 
der  empirischen  und  der  rationalen  Psychologie  sind ,  nur 
beide  sie  von  verschiedenen  Seiten  darstellen,  und  dass  eben 
darin  die  Verschiedenheit  ihres  Inhalts  liegt.  Aber  was  hat 
nun  die  empirische  Psychologie  an  den  Kräften  und  Fähigkei- 
ten der  menschlichen  Seele  darzustellen,  und,  was  die  ratio- 
nale'* Weiter  oben  ist  die  rationale  Psychologie  als  die  Erfor- 
schung desWesens  der  menschlichen  Seele  bestimmt  (§6).  Aber 


70  Philosophie. 

das  bestimmt  den  Unterschied  der  rationalen  und  empirischen 
Psychologie  nicht.  Denn,  was  andres  kann  das  Wesen  der 
menschlichen  Seele  bilden,  als  ihre  Kräfte  und  Fähigkeiten? 
Wir  können  hierüber  nur  noch  denken ,  dass  der  Verf.  in  den 
Kräften  und  Fälligkeiten  der  menschlichen  Seele  selbst  noch 
einen  Unterschied  des  Wesentlichen  und  Unwesentlichen,  wie 
das  Innere  und  Aeussere  der  Erscheinungen  und  der  Kraft  selbst, 
macht,  und  das  Erste  in  der  empirischen,  das  Andere  in  der 
rationalen  Psychologie  behandeln  will.  Allein  sollte  nach  dem 
Verf.  der  Unterschied  beider  sich  nur  darauf  gründen,  so 
müsste  die  ganze  rationale  Psychologie  nur  in  der  Lehre  be- 
stehen, dass  es  keine  rationale  Psychologie  giebt,  und  alles 
Weitere ,  was  in  dieser  gelehrt  würde ,  wäre  ein  grosser  Wi- 
derspruch. Denn  §127  lesen  wir,  ,,dass  wir  das  eigentliche 
Wesen  der  Seele  eben  so  wenig  zu  erforschen  vermögen  als 
das  innere  Wesen  eines  ]Vaturgegenstandes.u  Hatte  nun  der 
Verf.  den  Unterschied  der  gesonderten  Lehren  selbst  so  wenig 
erkannt,  so  war  es  unvermeidlich,  dass  er  in  ihrer  Ausführung 
ganz  willkührlich  verfuhr,  und  Zusammengehörendes  schied, 
und  Verschiedenes  verband.  Wir  können  uns  der  weitern  Nach- 
weisung dieser  Verwirrung  aber  um  so  eher  enthalten,  je  deut- 
licher der  Grund  derselben  vor  Augen  liegt,  und  bemerken  nur, 
dass  auf  keine  Weise  einzusehen  ist,  warum  die  Lehre,  dass 
die  menschliche  Seele  einfach  und  frei  und  eine  Substanz  ist, 
nicht  mit  der  Lehre  von  dem  Verhältnisse  ihrer  Kräfte ,  und 
mit  der  Lehre  vom  Charakter ,  die  wir  in  der  empirischen 
Psychologie  finden,  verbunden  wird,  ja  dass  streng  genom- 
men schon  mit  der  Sonderung  dieser  Lehren  der  richtige  Stand- 
punkt für  dieselben  verrückt  wird.  —  Aehnliches  ist  dem  Verf. 
in  seinen  Erklärungen  über  das  Verhältniss  der  Logik  zur  Me- 
taphysik begegnet  und  war  in  der  aufgezeigten  Verwirrung  des 
Hauptbegriffs  unvermeidlich.  Im  Schematismus  des  Ganzen  (§5) 
scheint  dieser  Unterschied  sehr  bestimmt  angegeben.  Die  Lo- 
gik nämlich  wird  bestimmt  als  „das  System  der  dem  Verstände 
ursprünglich  eingepflanzten  Gesetze  und  Grundsätze,  w eiche 
der  Verstand  beim  Denken  überhaupt  (nicht  bloss  dem  philoso- 
phischen) ,  ohne  Rücksicht  auf  den  Gegenstand  desselben,  be- 
folgt ;  (formale  Gesetze  des  Denkens  ;)"  die  Ontologie  aber  als 
„das  System  der  ursprünglichen  der  Vernunft  angestammten 
materiellen  Gesetze  und  Grundsätze."  Hier  fällt  schon  der 
Beisatz  formal  und  material  auf,  der  in  der  zweiten  Auflage 
hinzugekommen  ist.  Denn,  warum  ein  Gesetz  des  Verstandes 
als  solches  formal,  ein  Gesetz  der  Vernunft  als  solches  ma- 
terial  ist,  ist  für  sich  nicht  einzusehen,  und  bedurfte  eine  nä- 
here Erklärung.  So  hat  dieser  Zusatz  schon,  für  sich  betrach- 
tet, ganz  das  Ansehn  eines  Nothbehelfs,  der  in  der  zweiten 
Ausgabe   hinzugekommen  ist,    um  den,   wie  der  Verf.  wohl 


Matthiä :  Lehrbuch  f.  d.  ersten  Unterricht  in  d.  Philosophie.     Hl 

fühlte,  im  Betriff  nicht  sehr  begründeten  Gegensatz,  wenn  auch 
nur  durch  ein  Wort,  zu  unterstützen.  Dass  er  das  nun  in  der 
That  ist,  und  der  Verf.  damit,  wenn  wir  auf  den  Begriff  sehen, 
nicht  nur  nichts  gewann,  sondern  die  neue  Auf  läge  mit  einem 
neuen  Widerspruch  ausstattete,  zeigt  §  118,  wovon  den  Gese- 
tzen, die  die  Metaphysik  lehrt,  ausdrücklich  gesagt  wird,  dass 
sie  „nicht  etwa  ursprünglich  Begriffe,  die  von  allem  Anfang  im 
menschlichen  Geiste  liegen,  sondern,  wie  alle  Gesetze  einer 
jeden  Naturkraft,  gewisse  ursprüngliche  von  der  Natur  seihst 
eingeprägte  Richtungen  und  Verfahrungsweisen  des  Geistes'1, 
als?  doch,  wenn  irgend  etwas,  nur  formal,  keinesweges  mate- 
rial  sind.  Doch  der  Gegensatz  des  Formalen  und  des  Materia- 
len  ist  nur  ein  untergeordneter  in  des  Verfs.  Bestimmung  der 
Logik  und  Metaphysik,  und  eben  so  auch  der  Widerspruch  in 
demselben.  Der  eigentliche  Gegensatz  soll  in  dem  Verstände 
und  der  Vernunft  liegen.  Hier  fragt  sich  nun,  wie  dem 
Verf.  der  Verstand  und  die  Vernunft  ein  so  Verschiedenes  ist, 
dass  er  die  Gesetze  beider  in  zwei  verschiedene  Disciplinen  ver- 
theiltl  Wir  bemerken  dabei  zuerst,  dass  der  Unterschied  bei- 
der Disciplinen  nicht  in  ihrer  Form,  in  der  Art ,  wie  ihr  Inhalt 
erkannt  wird,  liegen  kann.  Denn  schon  oben  ist  bemerkt,  dass 
der  Verf.  die  Ontotogie  durch  Beobachtung  entstehen  lässt, 
und  eben  so  wird  schon  §  5  eingeschärft,  dass  die  Gesetze  der 
Logik  zwar  durch  Beobachtung  entstanden  sind  ,  aber  unab- 
hängig aoii  dieser  die  Richtigkeit  des  Denkens  begründen.  Bei- 
des, die  Logik  wie  die  Ontologie,  ist  ihm  demnach  reine  Em- 
pirie. Es  ruht  daher  die  ganze  Unterscheidung  beider  Disci- 
plinen allein  auf  dem  Unterschied  von  Verstand  und  Vernunft, 
und  wir  müssen  des  Verfs.  Bestimmung  darüber  noch  untersu- 
chen. Wir  finden  dieselbe  in  der  empirischen  Psychologie 
§16  ff.,  wo  der  Verstand  als  das  Vermögen,  die  Verhältnisse 
und  Beziehungen  zwischen  mehreren  Vorstellungen  und  meh- 
rern Begriffen  zu  finden,  erklärt  wird,  die  Vernunft  hingegen 
als  das  Vermögen,  das  Allgemeine  und  Unbedingte  oder  die 
ursprünglich  ordnenden  Prinzipien  aufzustellen.  Die  Thätig- 
keit  des  Verstandes  ist  hiernach  offenbar  die  Subsumtion  oder 
ein  fortgesetztes  Klassificiren,  wie  es  der  Verf.  weiter  unten 
§  20  beschreibt:  ein  Beziehen  mehrerer  einzelneu  Erscheinun- 
gen auf  das  ihnen  zum  Grunde  liegende  Allgemeine  und  umge- 
kehrt. Die  Vernunft  nun  hat  es  nach  der  Erklärung  des  Verf. 
auch  mit  einem  Allgemeinen  zu  thun,  und  darauf  alles  Uebrige 
zu  beziehen.  Denn  das  Allgemeine ,  Unbedingte  ist  ja  eben 
nach  des  Verfs.  Erklärung  dasjenige,  was  allen  einzelnen  un- 
ter einander  bedingten  und  veränderlichen  Erscheinungen  zum 
Grunde  liegt  (§  2).  In  Uebereinstimmung  damit  heisst  es  auch 
§  25,  dass  die  Vernunft  die  letzten  Gründe  dessen,  was  ist,  auf- 
zufinden hat :  im  Gegensatze  zu  der  Beobachtung  von  Aussen- 


12  Philosophie. 

dingen ,  durch  die  man  höchstens  „die  höchsten  Gründe  einzel- 
ner Erscheinungen  aber  nie  die  letzten  Gründe  des  Systems 
der  Erscheinungen  oder  des  Bestehenden  findet,"  und  das  ist 
nach  §  14  und  17  die  Thätigkeit  des  Verstandes.  Hiernach  liegt 
nun  der  Unterschied  des  Verstandes  und  der  Vernunft  offenbar 
darin ,  dass  der  Verstand  Einzelnes  auf  relativ  Allgeraeines  be- 
zieht, die  Vernunft  aber  relativ  Allgemeines  auf  das  absolut  All- 
gemeine. In  wiefern  nun  hiermit  der  Verf.  das  Wesen  des  Ver- 
standes und  der  Vernunft  richtig  bezeichnet  hat,  kann  uns  zu  be- 
urtheilen  um  so  weniger  obliegen,  je  mehr  wir  die  pädagogische 
Bestimmung  des  Lehrbuchs  immer  vor  Augen  behalten  müssen. 
Allein,  sehen  wir  nun  darauf  zurück,  dass  diese  Unterscheidung 
nach  §  5  die  Sonderung  der  Logik  und  Ontologie  begründen  soll, 
so  zeigt  sich  eine  unauflösliche  Verwirrung  in  der  Behandlung 
beider  als  unvermeidliche  Folge.  Denn,  geben  wir  auch  einmal 
die  Richtigkeit  jener  Unterscheidung  zu,  so  bedarf  es  doch  kei- 
nes Beweises,  dass  sie  eine  materielle,  keinesweges  eine  for- 
melle ist.  Denn,  wenn  gleich  die  Vernunft  zu  dem  absolut  Allge- 
meinen aufsteigt,  der  Verstand  aber  sich  nur  auf  das  relativ  All- 
gemeine bezieht,  so  ist  doch  die  Form  der  Thätigkeit  beider  eben 
nichts  Anderes  als  das  Beziehen  eines  als  Einzelnes  Gesetzten 
auf  ein  Allgemeines  und  umgekehrt.  Nun  ist  nach  §  121  ein 
Gesetz  nichts  Anderes  als  das  Prinzip  des  Wirkens  oder  das  We- 
sen der  Kraft,  wodurch  sie  nach  einer  gewissen  Weise  thätig  ist: 
also  eben  ihre  Form.  Die  Logik  nun  behandelt  die  Gesetze  des 
Verstandes,  die  Ontologie  die  der  Vernunft:  beide  mithin,  weil 
diese  eben  nach  des  Verfs.  Erklärung  selbst  identisch  sind ,  das- 
selbe. Wie  konnte  nur  der  Verf.,  wenn  er  gleich  nicht  selbst 
einsah,  dass  seine  Worte  über  den  Unterschied  der  Logik  und 
Ontologie  eben  nur  Worte  und  nichts  Anderes  sind,  wenn  er 
den  so  offenbaren  Widerspruch  auch  nicht  sogleich  bemerkte,  ihn 
doch  bei  der  Ausführung  beider  Disciplinen  nicht  wahrnehmen, 
und  woher  gewann  er  für  beide  einen  verschiedenen  Inhalt*?  Nicht 
anders,  als  dass  er  mit  einer  grundlosen  Willkühr  in  jede  von 
beiden  Sätze  vertheilte ,  die  weder  ihrer  Form  noch  ihrem  In- 
halte nach  eine  Spur  von  wissenschaftlichem  Zusammenhange  an 
sich  tragen.  Diese  Willkühr  tritt  freilich  bei  dem  Anblick  der 
Ueberschriften  der  einzelnen  Abschnitte  der  Logik  nicht  sogleich 
hervor.  Aber  eine  unabsehbare  Willkühr  thut  sich  uns  auf, 
wenn  wir  in  der  Logik  die  Sätze  der  Identität  und  des  Wider- 
spruchs finden,  die  doch  offenbar  nicht  aus  der  gegenseitigen 
Beziehung  mehrerer  Begriffe  und  der  Betrachtung  ihres  Verhält- 
nisses entstehen,  sondern,  wenn  irgend  etwas,  als  ursprüngliche 
Gesetze  der  Vernunft  ihr  zum  Grunde  liegen :  und ,  wenn  dage- 
gen in  der  Anmerkung  das  Gesetz  der  Kausalität  desshalb  aus  der 
Logik  verwiesen  wird,  weil  nur  die  Vernunft  nach  Gründen  und 
nach  dem  letzten  Grunde  forsche,  der  Verstand  aber  nur  nach 


Mattliiii:  Lehrbuch  f.  d.  ersten  Unterricht  in  d.  Philosophie.     73 

Gründen  verfahre    und  nur  nach    Gründen  Begriffe  entgegen- 
setze :    und ,  wenn  weiterhin  von  Vernunftschlüssen  die  Rede  ist 
(§  SO).     Grösser  aber  zeigt  sich  noch  die  Verwirrung,  wenn  wir 
sehen,  was  nun  der  Verf.  eigentlich  seiner  Ontologie  vorbehal- 
ten hat.     Hier  nämlich  handelt  er,  um  seine  Ausdrücke  zu  brau- 
chen, von  den  Gesetzen  des  Raums,  der  Zeit  und  der  Kausalität 
(§  110).     Dass  die  Lehre  vom  Räume  in  die  Logik  als  die  Lehre 
vom  Verstände  gehörte,  folgt  unmittelbar  aus  des  Verfs.  eignen 
Worten,   da  er  selbst  sagt,    die  meisten  unserer  Begriffe   sind 
durch  Beobachtung  äusserer  Gegenstände  entstanden  (§  72),  und 
dann  §  120  vom  Räume  lehrt,  dass  er  die  Bedingung  ist,  „unter 
welcher  allein  der  Mensch  äussere  Gegenstände  unmittelbar  wahr- 
nehmen kann,  oder  die  Art  und  Weise,  wie  der  Mensch  nach 
seinen   ursprünglichen    Gesetzen  sie  wahrnehmen  muss."      Die 
nähere  Bestimmung  des  Gesetzes  der  Kausalität  §  121  sagt  fer- 
ner, zusammengehalten  mit  der  oben  erwähnten  Bestimmung  der 
Thätigkeit  des  Verstandes,  mit  klaren  Worten  aus,  dass  sie  ei- 
gentlich in  die  Logik  gehört.  Denn  .,es  ist,"  wird  gesagt,  „schon 
thätig  beim  Bilden  der  Begriffe,  beim  Aufsteigen  ^oih  Besondern 
und  Einzelnen  zum  Allgemeinen."     Die  tiefste  Verwirrung  zeigt 
sich  endlich  darin,  dass  in  der  Ontologie,  wo  doch  die  Gesetze 
der  Vernunft  behandelt  werden  sollten,  immer  nur  vom  Verstände 
die  Rede  ist;  so  dass  die  ganze  Ontologie  vor  lauter  Verstände 
nicht  zur  Vernunft  kommt.     Denn,  statt  dass  nach  §  16  der  Ver- 
stand nur  mehrere  durch  dieWahrnehmung  gegebene  Vorstellungen 
zu  Begriffen  verbindet,    dagegen  die  Vernunft  das  Unbedingte 
sucht,  fängt  hier  der  Verstand  an,  über  dasjenige,  was  nie  Ge- 
genstand der  Erfahrung  werden  kann ,  und  selbst  über  die  Gott- 
heit nachzudenken  (§  120).  Der  Verstand  muss  zufolge  des  Kau- 
salitätsgesetzes nothwendig  eine  feste  Grundlage  für  das  Wech- 
selnde annehmen  (§  123),  und  eine  letzte  und  höchste  Ursache,  zu 
allem  Bedingten  das  Unbedingte,  zu  denken,  sieht  sich  nicht  die 
Vernunft  sondern  der  Verstand  genöthigt  (§  124).  —   Wie  sich 
nun  in  dem  Verhältnisse  der  empirischen  Psychologie  und  der 
Logik  zur  Metaphysik  der  Schein  des  systematischen  Zusammen- 
hanges näher  betrachtet  in  ein  chaotisches  Gemisch  auflöst ,  und 
die  hier  zur  Unterscheidung  beider  angewendeten  Formeln  sich 
in  der  Ausführung  leer  und  gehaltlos  zeigen ,  so  fällt ,  wenn  wir 
uns  nicht  an   den  Formeln  genügen  lassen,  die  den  Zusammen- 
hang scheinbar  vermitteln ,  und  auf  die  Ausführung  selbst  sehen, 
die  Metaphysik  und  die  praktische  Philosophie  als  ein  sich  selbst 
äusserlicher  Stoff  aus  einander.      Schon  bei  der  ersten  Bestim- 
mung der  theoretischen  und  praktischen  Philosophie  (§  4)  tritt  der 
Gegensatz  nicht  rein  hervor.     Denn  hiernach  ist  das  Absolute 
theils  die  Grundlage  unsrerErkenntniss  vom  Sein  der  Dinge,  theils 
die  höchste  allgemeine  und  unbedingte  Richtschnur  alles  Han- 
delns oder  dessen,  was  sein  soll:  und  „daher  wird  die  Philo- 


74  Philosophie. 

sophie  eingetheilt  in  die  theoretische,  die  bloss  die  Erforschung 
und  Betrachtung  dessen,  was  ist,  bezweckt,  und  in  die  prakti- 
sche, welche  die  höchsten  Grundsätze  für  die  menschlichen  Hand- 
lungen feststellt."  Wir  fragen  hier:  ist  das,  was  sein  soll,  gleich 
dem,  was  nicht  ist:  sind  also  die  menschlichen  Handlungen  nicht, 
und  bloss  in  sofern  als  sie  nicht  sein  sollen  l  Die  Antwort  liegt  in 
demFolgenden,  wo  wir  bald  lesen,  dass  die  praktische  Philosophie 
das  Sittengesetz  enthält  oder  aufstellt,  und  dieses  ein  in  der  Na- 
tur ursprünglich  Gegebenes  ist.  Ist  aber  das,  so  hat  es  auch  die 
praktische  Philosophie  mit  dem,  was  ist,  und  nicht  mit  dem,  was 
sein  soll,  zu  thun,  und  der  Unterschied,  der  im  Anfange  des  § 
zwischen  beiden  Theilen  der  Philosophie  aufgestellt  wird ,  wird 
am  Ende  wieder  aufgehoben:  der  Widerspruch  ist  also  nur  durch 
den  schiefen,  falschen  Gegensatz:  „das  was  ist"  und  „die  höch- 
sten Grundsätze  für  die  menschlichen  Handlungen",  verdeckt, 
keinesweges  ausgeglichen.  Gehen  wir  weiter,  so  finden  wir,  dass 
der  Verf.  §  7  sich  bemüht ,  den  Zusammenhang  der  praktischen 
Philosophie  und  der  theoretischen  zu  entwickeln,  und  beider 
Verhältniss  zu  bestimmen:  nämlich  so,  dass  der  höchste  Satz, 
von  dem  die  Moral  ausgehen  müsse,  als  eine  Folge  der  höchsten 
Gesetze  der  Vernunft  überhaupt,  mithin  als  von  der  Onto- 
logie  abhängig  dargestellt  wird.  Das  liegt  wenigstens  offenbar 
in  den  Worten:  „Aber  für  die  Wissenschaft  ist  es  nothwendig, 
den  aus  jenen  Gesetzen  abgeleiteten  höchsten  Grundsatz  aufzu- 
stellen, der  einestheils  die  Natur  der  moralischen  Verbindlich- 
keit am  bestimmtesten  ausdrückt,  und  anderntheils  den  Grund 
der  bei  jeder  einzelnen  Pflicht  eintretenden  Verbindlichkeit  ent- 
hält ,  Moralprinzip."  W  ir  müssen  nun  hierbei  nach  dem  bereits 
früher  Erwähnten  zuerst  bemerken,  dass  hiermit  zwar  ein  Zu- 
sammenhang der  praktischen  Philosophie  mit  dem,  was  der 
Verf.  Ontologie  nennt,  aufgestellt  ist,  keinesweges  aber  mit 
der  ganzen  Metaphysik  ,  weil  diese  sich  auch  auf  ganz  andere 
Gebiete  erstreckt;  und  am  allerwenigsten  liegt  hierin  eine  Ver- 
knüpfung der  praktischen  Philosophie  mit  der  Lehre  vom  Ab- 
soluten, von  dem  wir  gar  nicht  mit  Bestimmtheit  sehen  konn- 
ten, was  es  im  Sinne  des  Verfassers  sei.  Das  Schlimmste  aber 
ist,  dass  selbst  der  Zusammenhang  mit  der  Ontologie,  der 
in  diesen  Worten  liegt,  nur  scheinbar  ist,  und,  wie  es  nach 
der  ganzen  Weise  dieser  Ontologie  unvermeidlich  war,  so- 
gleich wieder  in  dem  Folgenden  aufgehoben  wird.  Denn  ob 
wir  gleich  eben  eine  Ableitung  des  Moralprinzips  aus  den  Ge- 
setzen der  Vernunft  versprochen  finden ,  wird  doch  sogleich 
gesagt,  dass  der  allgemeine  Theil  der  praktischen  Philosophie 
das  Moralprinzip  aus  dem  Selbstbewusstsein  entwickelt,  und 
wir  haben  schon  gesehen,  wie  willkührlich  und  unphilosophiscli 
das  Verfahren  ist,  welches  der  Verf.  damit  bezeichnet.  In  eben 
dieser  willkührlichen  und  unphilosophischen  Weise  wird  nun 


Matthiä:  Lehrbuch  f.  d«  ersten  Unterricht  in  d.  Philosophie.      75 

auch  wirklich  in  der  praktischen  Philosophie  das  Moralprinzip 
aufgestellt.     Denn  dem  §  145  geht  nichts  vorher  als  einige  Er- 
klärungen üher  die  Beschaffenheit  des  Moralprinzips,  in  denen 
aber  eben  so  wenig,  wie  in  demselben  selbst,  eine  Ableitung  aus 
den  Gesetzen  der  Zeit,  des  ltaums  und  der  Kausalität  angege- 
ben und  zu  entdecken  ist.     Fällt  aber  auf  diese  Weise  der  all- 
gemeine Theil  der  Sittenlehre  des  Verfs.  so  aus  allem  Zusam- 
menhange mit  dem  Mittelpunkte  seiner  Philosophie  heraus ,  so 
bedarf  die  Abgerissenheit  des  zweiten  Theils,  der  das  System 
der  Pflichten  und  Rechte  des  Menschen  enthalten  soll,  keiner 
nahern  Nachweisung.    Hiernach  scheint  es  nun  hinlänglich  be- 
wiesen, dass  diesem  Lehrbuche  der  systematische  Zusammen- 
hang ganz  entgeht.     Denn ,  dass  es  bei  einem  Schwanken  des 
Hauptbegriffs,  bei  einer  Zusammenhangslosigkeit  der  verschie- 
denen Theile  mit  ihrem  Mittelpunkte  und  bei  einer  Verwirrung 
ihres  Inhalts,  wie  wir  bemerkten,  auch  andere  Forderungen, 
die  in  dem  Begriffe  des  systematischen  Zusammenhanges  liegen, 
die  einer  wissenschaftlichen  Anordnung  aller  Theile  und  einer 
in  ihrem  Begriffe  begründeten  Unterabtheilung,  nicht  befriedi- 
gen kann ,  folgt  daraus  unbedingt.     Wir  können  uns  der  Nach- 
weisung der  Willkühr ,  mit  welcher  der  Verf.   auch  in   dieser 
Hinsicht  verfahren  ist ,  eben  desshalb  enthalten  ,  und  diess  um 
so  mehr,  als  sie  in  allen  Theilen  hervortritt,  und  eine  ausführ- 
liche Darlegung  derselben  uns  weit  über  unsre  Gränzen  hinaus- 
führen würde.    Erscheint  aber  dieses  Lehrbuch  in  dem  Grade 
zusammenhangslos,  dass  es  nicht  nur  keine  Verbindung  seiner 
Theile  nachweist,  sondern  auch  die  höchsten  Begriffe  verwirrt, 
die  bestimmtesten  Gegensätze  verwischt;  so  ist  es  zunächst,  un- 
geachtet vieler  aus  der  Philosophie  entlehntenAusdrücke  und  For- 
meln, weit  entfernt  davon,  philosophisch  zu  sein.     Es  ist  aber 
eben  desshalb  nicht  als  eine  Darstellung  der  Philosophie  anzu- 
sehen, die  eben  um  ihrer  propädeutischen  Bestimmung  willen 
von  der  strengen  Form  der  Philosophie   selbst  abliesse,  und 
darum  eben  ihrem  Zwecke  mehr  entspräche,  sondern  vielmehr 
als  ein  Gemisch  von  Ausdrücken  und  Erklärungen ,  die  freilich 
gewöhnlich  nicht  anders  als  unter  dem  Namen  der  Philosophie 
gehört  werden,  die  aber  gerade  in  dieser  Gestalt  am  wenigsten 
geeignet  sind  den  jugendlichen  Geist  für  die  Philosophie  vor- 
zubilden,  vielmehr  die  Begriffe  desselben  verwirren  und  den 
erwachenden  philosophischen  Trieb  ersticken  müssen;   Der  Bei- 
fall, durch  welchen  die  zweite  Auflage  dieses  Lehrbuchs  nach 
Vorrede  S.  XIV  nöthig  wurde ,  ist  demnach  so  wenig  gegrün- 
det, dass  uns  vielmehr  der  gute  Erfolg  des  philosophischen  Unter- 
richts  auf  Gymnasien  durch  die  Abstellung  dieses  Lehrbuchs 
bedingt  erscheint,  und  so  lange  dasselbe  noch  gebraucht  wird, 
der  schlechte  Erfolg  dieses  Unterrichts  nicht  als  Beweis  gegen 
die  Zulässigkeit  desselben  im  Allgemeinen  gelten  kann. 


76  Philosophie. 

Die  Art  und  Weise,  wie  der  Verf.  von  Nr.  2  sein  Problem  zu 
lösen  sucht,  unterscheidet  sich  von  der  Matthiä's  auf  den  er- 
sten Anblick  sehr  bedeutend.  Wie  nämlich  dieser  sich  in  der 
Bestimmung  seiner  Theorie  vornehmlich  auf  seine  Erfahrung 
stützt,  gesteht  jener  gleich  in  der  Vorrede  den  Mangel  der- 
selben ein,  nimmt  seinen  Standpunkt  um  so  bestimmter  im  Ge- 
biete des  Begriffs  und  sucht  von  diesem  aus  den  Streit  zu  ent- 
scheiden. Und  gewiss  kann  nur  ein  Versuch  dieser  Art  in  ei- 
ner so  wichtigen  und  so  streitigen  Angelegenheit  die  Entschei- 
dung herbeiführen.  Dass  indess  diese  Abhandlung  die  Sache 
selbst  gefördert  habe,  müssen  wir  läugnen.  Denn,  wie  sehr 
auch  der  Verf.  bemüht  ist  von  der  Idee  des  Gymnasiums  und 
der  Universität  aus  die  Aufgabe  des  Gymnasialunterrichts  in 
der  Philosophie  zu  finden ,  wie  wenig  wir  läugnen  wollen,  dass 
er  auf  diesem  Wege,  im  zusammenhängenden  Fortgange  des  Be- 
griffs, das  Wahre  hätte  finden  müssen;  ebenso  deutlich  zeigt 
sich  doch  auch  bei  näherer  Betrachtung,  dass  er  bei  Feststel- 
lung seines  Resultats  eben  die  Voraussetzung,  die  er  selbst  fest- 
stellt, aus  den  Augen  verliert,  dass  mithin  dieses  Resultat  selbst, 
ungeachtet  der  vorangestellten  Untersuchungen,  willkührlich  ist. 
Diese  Willkühr  im  Ganzen,  die  sich  hinter  strenger  Wissen- 
schaftlichkeit in  einzelnen  Theilen  verbirgt,  giebt  der  Schrift 
ein  eigenthümliches  Gepräge,  welches  selbst  in  der  Sprache  des 
Verfs.  zu  erkennen  ist,  die  zwischen  sinnreichen  und  in  dem 
Systeme  seines  leicht  zu  erkennenden  Lehrers  bedeutungsvol- 
len Formeln  und  unwissenschaftlichen  Wendungen,  wie  „möchte, 
dürfte",  seltsam  hin-  und  herschwankt.  Wir  begründen  dieses 
Urtheil  durch  eine  kurze  Darlegung  des  Inhalts.  Die  ganze  Ab- 
handlung zerfällt  in  drei  Abschnitte,  von  welchen  der  erste 
„einige  Einwürfe  und  Vorwürfe,  welche  man  jetziger  Zeit  oft 
gegen  den  philosophischen  Unterricht  auf  Gymnasien  laut  wer- 
den lässt",  abweist.  Wir  bemerken  dabei,  dass  nur  der  erste 
dieser  Einwürfe ,  nämlich  der ,  dass  man  ohnehin  schon  in  zu 
vielen  Fächern  auf  Gymnasien  Unterricht  ertheilen  müsse ,  der 
übrigens  auch  nicht  mit  Tiefe  abgewiesen  wird,  hierher  gehört, 
die  anderen  aber,  wenn  gleich  im  Allgemeinen  „der  Aufmerk- 
samkeit und  Würdigung"'  werth,  doch  hier  nicht  in  Betrach- 
tung kommen  konnten,  weil  sie  nicht  den  Unterricht  in  der 
Philosophie  auf  Gymnasien ,  sondern  den  Unterricht  in  dersel- 
ben überhaupt  betreffen.  Die  Widerlegung  derselben  steht 
übrigens  in  so  loser  Beziehung  zu  der  Entwickelung  des  Resul- 
tates selbst,  dass  wir  ohne  Weiteres  zum  zweiten  Abschnitte, 
der  „Gymnasium  und  Universität  ihrem  inneru  Zwecke  und  Ver- 
hältnisse nach"  betrachtet,  uns  wenden  können.  Es  wird  hier  von 
dem  wichtigen  Satze  ausgegangen,  dass  „beider  besondere 
Zwecke  und  Bestimmungen  zunächst  von  einem  gemeinschaft- 
lichen hohem ,  nämlich  dem  der  vollkommensten  Wissenschaft- 


Mussmann:  Darf  auf  Cymn.  philos.  Unterricht  ertheilt  werden?     TU 

liehen  Elitwickelung  und  Bildung  des  vernünftigen  Geistes  ura- 
fasst  werden"  (S.  18).  Der  Unterschied  heider  wird  dann  als  ein 
gradueller,  nicht  als  wesentlicher,  und  zwar  dahin  bestimmt,  dass 
das  Gymnasium  im  Verhältnis»  zur  Universität  die  niedere  Stufe 
einnimmt,  die  Wissenschaft  also  nur  dem  Anfange  oder  Grunde 
nach  der  besondere  Gymnasialzweck  ist.  Hier  nun  ist  der  „An- 
fang" und  ,, Grund"  schon  schwankend.  Denn  wir  wissen  hier- 
nach schon  nicht,  wo  der  Verf.  die  Elementarschulen  hinstellt: 
ob  diese  seiner  Meinung  nach  gar  nicht  sein  sollen,  oder  ob 
der  Unterricht  in  denselben  in  gar  keiner  Beziehung  zur  Wis- 
senschaft steht,  oder  wie?  Das  Schwankende  geht  bald  darauf 
in  VVillkühr  und ,  was  dabei  unvermeidlich  ist ,  in  Wider- 
spruch über.  Denn  nun  wird  sogleich  gesagt ,  dass  Stoif  und 
Form  dem  Gymnasium  in  einer  gewissen  Getrenntheit  zukom- 
men !  Wir  sehen  nicht ,  wie  diess  aus  dem  Vorigen  folgt.  Es 
wird  zur  Bestätigung  angeführt,  dass  in  dem  naturwissenschaft- 
lichen und  geschichtlichen  Unterrichte  mehr  das  Materielle,  in 
der  Mathematik  hingegen  das  rein  Formelle,  und  in  dem  Sprach- 
unterrichte beides  zugleich  gelehrt  und  geübt  wird.  Hierbei 
aber  vergisst  der  Verf.  einerseits ,  dass  er  eben  dieses  zugleich 
nach  seiner  Behauptung  nicht  billigen  kann,  und  anderseits, 
dass  danach  die  Naturwissenschaft  und  Geschichte  und  eben  so 
auch  die  Mathematik  auf  der  Universität  keinen  Ort  finden 
könnten.  Es  wird  nun  Aveiter  gesagt,  dass  mit  dem  erwähnten 
Unterrichte  der  formelle  Zweck  des  Gymnasiums  noch  nicht  er- 
reicht ist ;  „indem,  eben  so  wie  das  materielle  Wissen  haupt- 
sächlich das  Menschheitliche  oder  allgemeine  Menschliche  um- 
fasst,  zur  vollkommenem  und  allgemein  menschlichen  formellen 
Ausbildung  des  Geistes  auch  die  des  subjektiven  oder  formel- 
len Denkens  oder  die  reine  Form  des  Wissens  gehört."  Diese 
Behauptung  aber  ist  schon  wieder  willkührlich  und  dem  Vori- 
gen widersprechend.  Denn,  wenn  der  Verf.  Notwendigkeit 
der  Ausbildung  des  subjektiven  oder  formellen  Denkens,  oder 
der  reinen  Form  des  Wissens  ,  auf  Gymnasien  daraus  folgert, 
dass  sie  zur  vollkommen  allgemein  menschlichen  formellen 
Ausbildung  gehört,  so  liegt  darin  die  Voraussetzung,  dass  das 
Gymnasium  die  vollkommen  allgemein  menschliche  formelle 
Ausbildung  zu  bewirken  habe;  und  das  streitet  mit  der  obigen 
Behauptung,  dass  die  Wissenschaft  nur  ihrem  Anfange  nach 
der  besondere  Gymnasialzweck  sein  könne:  woraus  der  Verf. 
zwar  nur  folgerte ,  dass  Stoff  und  Form  dem  Gymnasium  nur  in 
einer  gewissen  Getrenntheit  zukommen,  woraus  aber  auch  eben 
so  unmittelbar  folgt,  dass  keins  von  beiden  in  seiner  Vollen- 
dung dem  Gymnasium  angehört.  Diese  Behauptung  ist  dem- 
nach völlig  nichtig,  und  es  ist  reine  Willkühr,  wenn  der  Verf. 
unmittelbar  darauf  sagt :  „somit  wäre  der  Gyranasialunterricht 
wenigstens  einer  wesentlichen  Seite  des  Geistes  nach  offenbar 


78  Philosophie. 

in  das  Gebiet  der  allgemeinen  oder  besondern  Wissenschaft 
übergegangen."  Wie  sich  nun  hiermit  die  Begründung  des  Un- 
terrichts in  der  Logik,  wie  man  nach  dem  Verf.,  (S.21),  die  for- 
melle Thätigkeit  des  Geistes  im  Bewustsein  genannt  hat ,  als 
unsicher  erweist,  eben  so  willkührlich  ist  das  Folgende,  womit 
der  Verf.  einen  andern  Theil  des  philosophischen  Gymnasialun- 
terrichts,  den  er  weiter  unten  entwickelt,  rechtfertigen  will. 
Denn  zuerst  folgt  aus  den  früheren  Erklärungen  des  Verfs. 
keinesweges,  „dass  das  Gymnasium  als  wirkliche  Vorschule  al- 
ler Wissenschaft  bestimmt  ist,  die  allgemeine  Bildung  des 
menschlichen  Geistes  für  sich  zu  umfassen  und  der  Universi- 
tät vorauszusetzen,  so  dass  dieser  nur  überlassen  bleibt,  das 
Allgemeine  nach  dem  besondern  wissenschaftlichen  Ganzen  und 
den  geistigen  Bestimmungen  des  Lebens  näher  zu  entwickeln." 
Denn,  wenn  das  Gymnasium  nur  der  Anfang  und  der  Grund 
der  Universität  ist,  so  ist  es  Anfang  und  Grund  derselben  eben 
sowohl  ihrer  allgemeinen  als  besondern  Seite  nach:  und,  wenn 
der  Verf.  richtig  zugiebt,  dass  auf  dem  Gymnasium  nicht  bloss 
allgemeine  Kenntnisse,  sondern  auch  besondere,  wie  Naturge- 
schichte und  Sprachen  u.  s.  w.,  behandelt  werden ,  so  muss  er 
mit  gleicher  Nothwendigkeit  der  Universität  auch  die  Behand- 
lung des  allgemeinen  Wissens  als  solches  zuweisen.  Dann  aber 
ist  es  auch  willkührlich  hingestellt,  dass  das  Gymnasium 
noch  einmal  alles  früher  dem  Schüler  mitgetheilte  allgemein 
menschliche  Einzelwissen  als  ein  zusammenhängendes  Ganze 
und  gleichsam  in  seiner  jetzigen  allgemein  menschlichen  Ge- 
stalt so  vorstellen  soll,  dass  er  sich  selbst  darin  in  seiner  ideel- 
len Ganzheit  begreift  und  anschaut.  Denn  daraus,  dass  das 
Gymnasium  Anfang  und  Grund  der  Universität  sein  soll ,  folgt 
zuerst  noch  nicht,  dass  es  alles  allgemein  menschliche  Einzel- 
wissen mittheilen  soll ;  dann  aber  noch  viel  weniger ,  dass  es 
dasselbe  als  ein  zusammenhängendes  Ganze  darzustellen  hat; 
vielmehr,  weil  es  in  dieser  Form  aufhört  Anfang  und  Grund  zu 
sein ,  das  Gegentheil.  Hiermit  schliesst  der  Verf.  den  zweiten 
Abschnitt,  und  wir  erwarten  vom  dritten,  der  „den  philosophi- 
schen Unterricht  auf  Gymnasien,  wie  er  ist,  nicht  ist,  und 
sein  dürfte,"  beschreiben  will,  mit  Recht,  dass  er  die  ange- 
fangne Begriffsentwickelung  fortsetzen  und  die  Folgerungen 
aus  dem  Vorigen  zusammenstellen  werde.  Der  Verf.  wendet 
sich  aber  gerade  hier  zu  der  Wirklichkeit,  und  findet  in  dieser 
Psychologie,  Encyklopädie  und  Logik  zur  philosophischen  Pro- 
pädeutik gerechnet,  von  denen  er  auch  sogleich  sagt,  dass  sie 
mit  dem  Namen  einer  allgemein  wissenschaftlichen  Vorberei- 
tung oder  Propädeutik  zu  belegen  und  als  solche  festzuhalten 
wären.  Von  dieser  Bemerkung  aus  gelangt  nun  der  Verf.  zu 
seinem  Resultate,  dass  Menschenlehre,  Wissenslehre  und  Wis- 
senschaftlehre die  drei  Disziplinen  des  propädeutischen  Gymna- 


Mussinann :  Üarf  auf  Gymn.  »hilosoph.Untemcht  crthcilt  werden  ?  79 

sialunterrichts  sein  sollen,  und  zwar  auf  dieWeisc,  dass  er  die  Un- 
zulässigkeit eines  Unterrichts  in  der  empirischen  Psychologie 
nachweist,  und  dann  den  Begriffeiner  Anthropologie  hinstellt,  die 
im  gewissen  Sinne  jenes  alles  —  nämlich  was  der  Verf.  eben  aus 
der  empirischen  Psychologie  erwähnt  hat  —  und  noch  etwas 
Mehres,  aber  doch  auf  keine  Weise  Wissenschaft  sein  darf; 
dann  den  Zusammenhang  einer  solchen  Anthropologie  mit  der 
Encyklopädie  der  Wissenschaften  und  der  Logik  nachweist; 
und  dann  von  diesen  beiden  behauptet,  dass  sie  obiger  Bestim- 
mung des  Gymnasialzweckes  gemäss  recht  eigentlich  denSchluss 
alles  Gymnasialunterrichts  ausmachen,  und  sie  zuletzt  noch  nä- 
her dahin  bestimmt ,  dass  es  bei  der  ersten  hauptsächlich  dar- 
auf ankomme ,  „dass  entwickelt  werde  ,  wie  alles  empirische 
Wissen  in  Bewusstseyn  sich  sammle,  immer  mehr  erweitere, 
in  einzelne  und  besondre  wissenschaftliche  Ganze  auflöse  und 
sowohl  der  wirklichen  Natur  als  auch  der  praktischen  Wirk- 
samkeit des  Menschen  entspreche"  (S.32),  und,  „dass  das  We- 
sen der  andern  eben  die  vollkomrane  organische  Thätigkeit  des 
Geistes  in  seinem  Wissen  und  in  Beziehung  auf  Wissenschaft 
ist."  Wir  bemerken  hier  nur  noch  Folgendes  :  die  Anthropolo- 
gie, der  Theil  des  philosophischen  Gymnasialunterrichts,  ist  auf 
keine  Weise  im  Zusammenhange  mit  dem  früher  entwickelten 
Begriffe  des  Gymnasialzweckes  dargestellt  und  aus  diesem  ab- 
geleitet ,  sondern  rein  aus  der  Wirklichkeit  aufgegriffen.  Wir 
können  daher  die  Forderung  derselben  nur  als  willkührlich  hin- 
gestellt ansehen.  Die  Forderung  der  Logik  und  der  Encyklo- 
pädie ist  zwar  in  dem  Früheren  schon  vorbereitet,  aber  eben 
die  Vorbereitung  derselben  zeigte  sich  selbst  als  willkührlich: 
und  so  ist  unser  zu  Anfange  ausgesprochenes  Urtheil  über  das 
Ganze  begründet,  mit  dem  wir  die  Behauptung  verbinden,  dass 
der  Verf. ,  wäre  er  seinen  Begriffen  strenger  gefolgt,  nicht  nur 
das  Willkührliche  seiner  Forderung,  sondern  auch  zugleich  die 
Unvereinbarkeit  derselben  mit  dem  Gymnasialunterrichte  würde 
erkannt  haben:  eine  Behauptung ,  deren  weitere  Begründung 
freilich  die  Grenzen  einer  Beurtheilung  überschreiten  würde. — 
Nur  das  Eine  glaubt  Rec.  noch  erwähnen  zu  müssen ,  dass  der 
Verf.  seine  Untersuchung  mit  der  negativen  Behauptung 
schliesst ,  dass  es  nicht  zu  billigen  sei ,  wenn  die  allgemeine 
wissenschaftliche  Propädeutik  auf  Gymnasien  nur  in  dem  be- 
schränkten Sinne  einer  Einleitung  in  die  Philosophie  gefasst 
wird.  Rec.  erwähnt  diese  Bemerkung  nicht  wegen  ihrer  Be- 
deutsamkeit, sondern  eben  aus  dem  entgegengesetzten  Grunde, 
um  zu  zeigen ,  dass  gerade  diese  negative  Behauptung  nach  so 
willkührlichen  positiven  ohne  allen  Eindruck  an  dem  vorüber- 
gehen muss,  dessen  Ueberzeugung  sich  bereits  dagegen  ent- 
schieden hat.  Denn  in  diesem  Falle  findet  sich  eben  Rec.  selbst, 
der  in  seiner  Schrift,  um  den  Abweg  zu  vermeiden,  auf  wel- 


80  Philosophie. 

chera  er  den  Verf.  des  Lehrbuchs  sah,  wie  der  Verf.  von  No.2 
von  der  Idee  der  Philosophie  und  des  Gymnasiums  ausgeht, 
diese  aber  mit  grösserer  Sicherheit  auf  sein  Problem  anzuwenden 
glaubt.  Er  versucht  diess,  indem  er  seinen  Standpunkt  über 
dem  Dilemma  nimmt,  in  welches  er  den  Verf.  des  Lehrbuchs 
gerathen  und  darum  irren  sah,  und,  statt  eine  Form  der  Philo- 
sophie zu  suchen ,  die  für  das  Gymnasium  geeignet  wäre ,  weil 
doch  der  nur  vorbereitende  Werth  des  Gymnasialunterrichts 
allgemein  zugestanden  ist,  zuerst  die  Möglichkeit  des  nur  vor- 
bereitenden Unterrichts  in  der  Philosophie  für  sich  selbst  be- 
trachtet, um  erst,  wenn  er  diese  sicher  begründet  gefunden 
hat,  zu  untersuchen,  ob  ein  solcher  vorbereitender  Unterricht 
in  der  Philosophie  dem  Gymnasium  angehört  oder  der  Univer- 
sität. Aus  dem  BegrifFe  der  Philosophie  ergiebt  sich  ihm  dann 
die  Einleitung  in  dieselbe,  wenn  auch  als  von  der  Einleitung  in 
jedes  bestimmte  wissenschaftliche  Gebiet  verschieden,  doch 
als  eine  mögliche:  und  zwar  bestimmt  sich  die  Aufgabe  dersel- 
ben als  eine  dreifache,  als  eine  Beurtheilung  der  gewöhnlichen 
Vorstellungen  von  Philosophie,  als  eine  Betrachtung  des  niedern 
Erkennens,  als  eines  an  sich  unvollkommenen,  und  als  Erweite- 
rung der  dadurch  ausgebildeten  Vorstellung  von  Philosopbie  zu 
einer  alles  wahrhaft  Philosophische  umfassenden.  Diese  drei- 
fache Aufgabe  der  Einleitung  in  die  Philosophie  wird  nun  we- 
gen der  damit  zu  verbindenden  Untersuchung  selbst  noch  wei- 
ter ausgeführt ,  das  aber  in  einer  Weise,  die  dem  Verf.  keinen 
Auszug  erlaubt.  Die  Untersuchung  aber,  ob  die  Einleitung  in 
die  Philosophie  dem  Gymnasium  zukomme  oder  der  Universi- 
tät ,  entwickelt  zuerst  die  in  diesem  Unterrichte  liegenden  Voi*- 
aussetzungen,  und,  da  sich  einerseits  zeigt,  dass  sie  alle  in  ei- 
ner grössern  Masse  empirischer  Kenntnisse  und  einer  damit 
verbundenen  höhern  Entwickelung  des  Denkens  begriffen  sind, 
anderseits  aber,  dass  die  Gymnasialbildung  auf  ihren  höchsten 
Stufen  diesen  Voraussetzungen  entspricht ;  so  wird  dafür  ent- 
schieden, dass  die  Einleitung  in  die  Philosophie  in  der  be- 
schriebenen Weise  der  dem  Gymnasium  wesentlich  zukom- 
mende Unterricht  in  der  Philosophie  sei,  der  aber  erst  auf  den 
höchsten  Stufen  desselben  eintreten  könne.  Zuletzt  aber  sucht 
der  Verf.  die  aufgestellten  Forderungen  durch  Widerlegung 
der  beiden  Meinungen  zu  begründen,  die  als  Inhalt  des  philo- 
sophischen Gymnasialunterrichts  eine  Erörterung  der  philoso- 
phischen Terminologie  oder  die  Philosophie  selbst,  nur  in  ei- 
ner niedern  elementarischen  Form  lodern,  indem  er  nachweist, 
dass,  weil  sie  den  Inhalt  des  philosophischen  Unterrichts  auf 
Gymnasien  aus  dem  Gebiet  der  Philosophie  selbst  entlehnen  und 
zum  Unterschiede  von  dem  eigentlichen  Unterrichte  in  der 
Philosophie  nur  die  niedere  Form  fodern  ,  sie  unvermeidlich  in 
Widersprüche  verfallen,  wogegen  er,  weil  er  einen  Inhalt  für 


Bobertag :  Uebcr  den  Unterricht  In  d.  Philosophie  auf  Gymnas.     81 

den  philosophischen  Gymnasialunterricht  setzt,  der  für  sich 
noch  ausserhalb  der  Philosophie  liegt,  auch  eine,  wenn  gleich 
höhere,  doch  noch  nicht  streng  philosophische  Form  ohne  Wi- 
derspruch nicht  bloss  zulassen,  sondern  fodern  kann. 

Bobertag, 


Geographie. 

1)  Leitfaden  beim  Schulunterricht  in  der  mathe- 
matischen G  eogr  ap/i  ie  für  die  obern  Klassen  der  Gy- 
mnasien (,)  bearbeitet  von  J.  TIermsdorf,  Lehrer  der  Mathematik  an 
der  Krenzscbiile  in  Dresden.      Dresden ,  Wagner'schc   Buchbandl. 

1826.  VIII  u.  79  S.  gr.  8.  9  Gr. 

2)  Die  Elementar-Geographie,  oder  die  Topogra- 
phie des  Erdbodens,  als  Grundlage  jeder  besonderen  Geo- 
graphie dargestellt,  und  sowohl  zum  Gebrauch  an  Schnlanstalten, 
als  zum  Selbstgebrauche  eingerichtet ,  von  Joh.  Heinr.  Gottlieb 
Heusinger,  Professor  an  dem  adelichen  Cadettencorps  und  an  der 
Militär  -  Akademie  in  Dresden.  Mit  einem  Atlas  von  16  Blättern. 
Dresden ,  in  der  Hilscher'schen  Buchbandl.  1826.  XII  u.  60  S.  8. 
1  Thlr.  18  Gr. 

3)  W egtveiser  durch  das  Gebiet  der  allgemeinen 
Geographie.  Eine  Anweisung  zum  methodischen  Verfahren 
in  diesem  Unterrichtsgegenstande  für  Lehrer ,  ein  Hülfsbuch  zum 
sichern  Fortschreiten  darin  für  Lernende  (;)  von  C.  Hiersc/ie,  Pfar- 
rer zu  Unter  -  Greisslau,  Ober  -  Greisslau  u.  s.  w.  Halle,  bey  Eduard 
Anton.  1826.  XVI  u.  236  S.  8.  8  Gr. 

4)  Kurzer  Abriss  der  Erdbeschreibung  nach  den 
neuesten  Bestimmungen  für  Schulen.  Von  Joh.  Daniel  Petersen, 
Pfarrer  in  Wenigem.  Dritte  umgearbeitete  und  vermehrte  Auf- 
lage. Essen,  bey  G.  D.  Bädekcr.  1826.  IV  (Ohne  Begister)  u. 
212  S.  8.  12  Gr. 

5)  Hode getisches  Handbuch  der  Geographie^,) zum 
Schulgebrauch  (,)  bearbeitet  von  F.  L.  Selten.  Erstes  Bändchen. 
Für  Schüler.  Vierte  Auflage.  Halle,  bey  Hemmerde  und  Schwetschke. 

1827.  Auch  unter  dem  besondern  Titel : 

Grundlage  beym  Unterricht  in  der  Erdbe- 
schreibung. Vierte  verbesserte  und  vermehrte  Auflage,  in 
Verbindung  mit  dem  Stielerschen  Schul-Atlas  zu  gebrauchen.  XVI 
u.  198  S.  8.  9  Gr. 

6)  Kleine  Geographie^  oder  Abriss  der  mathema- 
tischen, physischen  und  besonders  politi- 
schen Erdkunde^,)  nach  den  neuesten  Bestimmungen  (,) 
für  Gymnasien  und  Schulen  (,)  von  D.  Christian  Gottfr.  Daniel  Stein, 

Jahrb.  f.  Phil.  u.  Pddag.  Jahrg.  111.  Heft  1.  Q 


82  G   c  o  g  r  n  p  )i  i  e. 

Professor  am  Berlinischen  Gymnasium  zum  grauen  Kloster,  Mit- 
glied^ der  künigl.  Akademie  nützlicher  Wissenschaften  zu  Erfurt 
u.  s.  w.  Mit  einer  neuen  Weltcharte  in  Mercators  Projection. 
Sechszehnte,  rechtmässige,  verhesserte  und  vermehrte  Auflage. 
Leipzig,  hey  J.  C.  Hinrichs.  1827.  IV  u.  396  S.  gr.  8.  16  Gr. 

x^-ii  die  lange  Reihe  solcher  geographischen  Schriften,  die 
vorzugsweise  dem  Schulunterrichte  gewidmet  sind ,  schliessen 
sich  schon  wieder  6  neue  Werke  an ,  von  welchen  jedoch  ge- 
rade die  Hälfte  nur  aus  neuen  Auflagen  hesteht.  Die  grosse  Men- 
ge der  nur  in  diesem  Jahrhundert  unter  mannigfaltigen  Titeln, 
als  da  sind :  Handbuch,  Lehrbuch,  Leitfaden,  Wegweiser,  Ab- 
riss  ,  Grundlage,  Elementar  -  Geographie  u.  s.  w.,  erschienenen 
Jugendschriften  hat  nun  in  unsern  Tagen  mehrere  Schriftsteller, 
— um  nicht  immer  bloss  aufs  Neue  das  schon  tausend  Mahl  Gesag- 
te, wenn  auch  mit  andern  Worten,  wiederhohlen  zu  müssen, — 
bewogen ,  beym  Entwurf  solcher  Werkchen  auf  neue  Methoden 
beym  Unterrichte  in  dieser  Wissenschaft  zu  sinnen,  die  das  an 
sich  nicht  schwere ,  sondern  hauptsächlich  nur  ein  treues  Ge- 
dächtniss  verlangende  Studium  derselben  noch  mehr  erleichtern 
sollen.  Und  auch  unter  den  zur  Beurtheilung  vorliegenden  Bü- 
chern zeichnen  einige  sich  durch  bedeutende  Abweichungen  von 
der  noch  immer  gebräuchlichen  Lehrmethode  aus,  deren  Werth 
aus  der  unpartheyischen  Berichterstattung  dem  Leser  sich  von 
selbst  vor  Augen  stellen  wird. 

No.  1  beschränkt  sich,  wie  schon  der  Titel  besagt,  ledig- 
lich auf  die  mathematische  Geographie.  Der  in  der  Vorrede 
ausgesprochene  Zweck  des  Werkchens  ist,  den  Privatfleiss  der 
Schüler  zu  erleichtern  und  möglichst  zu  befördern,  weil  es  den 
Lehrern  an  höhern  Schulen  gemeiniglich  an  Zeit  gebricht, diesem 
Theile  der  Geographie  viele  Zeit  zu  Avidmen,  und  auch  zugleich 
die  Lernenden  durch  dasselbe  in  den  Stand  zu  setzen,  dem 
mündlichen  Vortrage  gehörig  folgen  zu  können. 

Die  in  24  §§  abgetheilte  Einleit.  handelt — ohne  jedoch  zuvor 
Etwas  über  den  Begriff  der  Geogr.  im  Allgemeinen  zu  sagen,  —  so- 
gleich in  einem  gedrängten  u.  leicht  verständlichen  Styl  folgende 
Gegenstände  ab:  allgemeiner  Gegenstand  der  mathem.  Geogr. 
(Warum  nicht  lieber  Begriff?^)  ;  Quellen  derselben;  deren  Ba- 
sis ;  kugelförmige  Gestalt  des  Himmels  und  kreisförmige 
Gestalt  des  Gesichtskreises ;  Begriff  des  Ausdrucks:  scheinba- 
rer Horizont,  Zenith  und  Nadir,  Scheitellinie,  Scheitel- und 
Vertikalkreis;  tägliche  scheinbare  Umdrehung  der  Himmelsku- 
gel; Begriff  der  Ausdrücke :  Weltaxe,  Nord- und  Südpol  der- 
selben, Tagekreis ,  Auf-  und  Untergang  der  Gestirne ;  gleich- 
förmige Geschwindigkeit  der  Umdrehung  des  Himmels,  Begriff 
und  Eintheilung  eines  Sternlags  u.  s.  w. ;  Begriff  der  Ausdrücke  : 
Culmination  der  Gestirne,  Meridian  oder  Mittagskreis,  Mit- 
tagslinie  (Hieher  gehört  Fig.  1    auf    der   Kupfertafel);    Be- 


Hermsdorf :  Leitfaden  beim  Unterr.  in  d.  matheni.  Geographie.    83 

griff  der  Ausdrücke:  Höhe,  Scheitelabstand,  Azimuth  oder 
Südweite,  Höhenkreis  eines  Sterns ;  Begriff  des  Ausdrucks : 
Polhöhe  eines  Orts,  Aequator  und  Aequatorhöhe ,  Zusam- 
menhang derselben  mit  der  Polhöhe  (Hiezu  Fig.  2);  Be- 
griff des  Ausdrucks:  Abweichung  oder  Declination  und  ge- 
rade Aufsteigung  oder  Rectascension  eines  Sterns  (Hiezu 
Fig.  3) ;  Bestimmung  der  Lage  eines  Punktes  an  der  Himmels- 
kugel, sowohl  in  Beziehung  auf  den  Horizont,  als  auch  auf  den 
Aequator ;  Begriff  des  Ausdrucks :  Standpunkt  der  Erde  im 
Weltsystem,  Hülfsmittel  zur  Auffindung  derselben.  (In  diesem  § 
geht  der  Hr.  Verf.  auf  eine  äusserst  zweckmässige  Weise 
von  der  scheinbaren  Bewegung  des  Himmels  auf  die  wirkliche 
Rotation  der  Erde  um  ihre  Axe  über.)  Unterschied  der  Sterne 
in  Betreff  ihrer  gegenseitigen  Lage  und  ihres  Lichts,  Fixsterne, 
Planeten  ;  scheinbare  Bewegung  der  Sonne  und  daraus  hervor- 
gehende Bestimmung  des  Standpunktes  unserer  Erde  in  der 
Reihe  der  Planeten;  Einrichtung  unser s  Sonnensystems ;  (dieses 
besteht  aus  11  Hauptplaneten,  20  Nebenplaneten,  denn  dem 
Uranus  werden  schon  8  beygemessen ,  und  etwa  12,000  Kome- 
ten. Aber  sind  schon  soviel  Kometenbahnen  berechnet  und 
bestimmt ,  dass  wir  uns  bereits  eine  solche  Schätzung  erlauben 
dürfen?)  Grösse  der  Weltkörper  unser s  Sonnensystems ;  Ent- 
fernungen der  Hauptplaneten  von  der  Sonne  und  der  JSebenpla- 
neten  von  ihrem  Hauptplaneten;  Beschaffenheit  der  Planeten- 
bahnen (Hiezu  Fig.  4) ;  verschiedene  Lagen  der  Planetenbah- 
nen ,  sowohl  um  die  Sonne ,  als  auch  um  ihre  Axe ,  und  der 
Nebenplaneten  um  ihren  Hauptplaneten;  merkwürdige  Verhält- 
nisse der  gegenseitigen  Entfernungen  und  der  Umlaufszeiten 
zu  diesen  Entfernungen ;  Kräfte,  durch  welche  die  Planeten 
im  Weltenraume  beivegt  werden,  Centripetal-  und  Centrifugal- 
kraft.  —  Rez.  findet  in  diesem  musterhaft  bearbeiteten  und 
geordneten  Abschnitte  nichts  zu  erinnern,  als  dass  dem  Worte 
Aequator  auch  die  Deutschen  Benennungen  {Gleicher,  Linie,)  hät- 
ten hinzugesetzt  werden  können. 

Das  eigentliche  Werkchen  zerfällt  in  9  Kapitel,  in  welchen 
über  folgende  Gegenstände  Unterricht  ertheilt  wird,  lstes  Kap. : 
Gestalt  der  Erde.  2tes  Kap. :  Mathematische  Eintheilung  der 
Erdkugel  (Hiezu  Fig.  5).  3tesKap.:  Breite  und  Länge  der  Orte 
auf  der  Erdoberfläche.  —  Nicht  immer  unterscheidet  man, 
wie  der  Verf.  angiebt,  eine  westliche  u.  östliche  Länge;  denn  we- 
nigstens eben  so  häufig  wird  ja  von  einem  bestimmten  Meridian 
nach  Osten  zu  immerjf ort  bis  360  Gr.  gezählt.  —  4tes  Kap. :  Bewe- 
gung der  Erde  um  ihre  Axe.  —  Hier  hätte  wohl  die  Ursache, 
warum  die  Weltumsegier  bey  ihrer  Rückkunft  in  ihrer  Tages- 
berechnung einen  Tag  entweder  gewonnen  oder  verlohren  ha- 
ben, näher  entwickelt  werden  sollen.  —  5tes  Kap. :  Beioegung 
der  Erde  um  die  Sonne.  —  6tes  Kap. :  Erscheinungen,  welche 

6* 


8-1  Geographie. 

in  der  doppelten^  Bewegimg  der  Erde  ihren  Grund,  haben.  Bey 
der  Dämmerung  hätte  nicht  ausser  Acht  gelassen  werden  sollen, 
dass  solche  innerhalb  der  heissen  Zone  weit  kürzer  sey ,  als  in 
den  gemässigten  Zonen,  uud  dass  solche  je  näher  den  Polen, 
auch  an  Dauer  zunehme.  —  (Iliezu  gehört  die  Fig.  0.)  Ttes 
Kap. :  Eintheilung,  der  Zeit  nach  der  doppeltenBewegung  der  Erde. 
— 8tes  Kap. :  Messung  der  Meridian  grade,  und  dadurch  bestimmte 
sphäroidische  Gestalt  und  Grösse  der  Erde.  4)tes  Kap. :  (Bildli- 
che) Darstellungen  der  Erdobe?fläche ,  Construction  der  Land- 
und  Seecharten. 

Der  Leser  ersieht  schon  aus  der  Anzeige  des  Inhalts,  dass 
der  Verf.  seinen  Gegenstand  völlig  erschöpft ,  und  die  meisten 
Lehrsätze  aus  dem  Gebiete  dieses  Haupttheils  der  Geogr.  aus- 
führlicher und  vollständiger  dargestellt  habe,  als  es  in  den  ge- 
wöhnlichen geogr.  Handbüchern  der  Fall  ist,  indem  sich  solche 
in  Regel,  aus  Mangel  an  Raum,  auf  das  Notwendigste  be- 
schränken. Um  so  unbegreiflicher  ist  es  aber,  dass  der  Um- 
sicht des  Verf.,  mit  welcher  er  alle  hieher  gehörige  Sachen  ans 
Licht  gezogen,  gleichwohl  die  Lehre  von  den  Gegenfüsslern, 
Neben  -  und  Gegenwohnern ,  so  wie  die  von  den  verschiedenen 
Schatten  der  Erdbewohner  und  ihrer  diessfallsigen  Eintheilung 
und  von  den  Abweichungen  der  Magnetnadel  ganz  entgangen  ist. 

Indess  eignet  sich  diess  Werkchen,  der  bemerkten  kleinen 
Mängel  ungeachtet,  ganz  besonders  zum  Unterrichte.  Sehr  zweck- 
mässig sind  desshalb  zuEnde  jedes  §  oder  Kap.  mehrere,  oft  12 
bis  18  Fragen  beygefügt,  welcbe  den  Lernenden  eine  recht  ver- 
ständige Recapitulation  der  eben  entwickelten  Lehrsätze  und 
Erfahrungen  gewähren. 

Papier  und  Druck  unterliegen  keinem  Tadel;  auch  ist  letz- 
terer sehr  rein  von  Druckfehlern  gehalten.  Eine  dankenswerthe 
Zugabe  ist  die  beygegebene  Kupfertafel,  deren  6  Figuren  zur 
Versinnlichung  der  wichtigsten  Lehrsätze  der  mathem.  Geogr. 
dienen,  wie  schon  bey  den  betreifenden  Abschnitten  bemerkt 
worden  ist. 

No.  2.  Der  Hr.  Verf.  verfolgt  in  diesem  Werkchen  seine 
schon  früher  bey  andrer  Gelegenheit  ausgesprochenen  Ideen, 
wie  der  erste  Unterricht  in  der  Geogr.  am  erfolgreichsten  be- 
trieben werden  müsse ,  weiter ,  und  weist  in  der  mit  grossem 
Scharfsinn  aufgesetzten  Vorrede  die  Widersprüche,  die  seine 
Ideen  hin  und  wieder  erfahren  haben,  beharrlich,  jedoch  ohne 
gerade  sehr  zu  überzeugen,  zurück.  Worin  besteht  aber  die 
vorgeschlagene  neue  Lehrmethode?  Vornehmlich  darin,  dass 
der  Lehrer  den  Schüler  die  Nahmen  von  den  vorzüglichsten  Ge- 
genständen eines  Landes,  also  von  Seen,  Flüssen,  Gebirgen, 
Orten  und  Inseln,  auch  hie  und  da  von  einer  alten  in  Ruinen 
liegenden  Stadt  auswendig  lernen,  und  dann  hersagen  und  auf 
der  dazu  gehörigen  Charte  nachweisen  lässt.    Der  Leser  darf 


Ilcusingcr :  Die  Elementar  -  Geographie.  85 

sich  demnach  nicht  wundern ,  wenn  er,  um  sich  zu  unterrich- 
ten, diess  Büchelchen  zur  Hand  nimmt,  und  darin  vom  3ten 
Abschn.  (S.  24)  an ,  nichts  als  Nahmen  auf  gespaltenen  Seiten 
findet,  und  folglich  nach  allen  Dingen,  welche  das  Studium  der 
Geogr.  interessant  machen ,  sich  vergeblich  umsieht.  Dagegen 
wird  er  sich  recht  bald  überzeugen,  dass  der  Verf.  sowohl  sich 
als  dem  Lehrer  es  sehr  leicht  und  bequem  gemacht  habe.  Denn 
was  kann  leichter  seyn,  als  etliche  Bogen  mit  Nahmen  von  Ge- 
birgen, Seen,  Flüssen  und  Orten  anzufüllen'?  was  bequemer 
für  den  Lehrer,  als  seinem  Schüler  tagtäglich  eine  Anzahl  sol- 
cher Nahmen  zum  Memoriren  aufzugeben,  und  sich  dieses  Pen- 
sum am  andern  Tage  hersagen  zu  lassen*? 

Indessen,  so  wenig  Kez.  nach  dieser  vorgeschlagenen  Me- 
thode die  Geographie  lernen  möchte ,  —  denn  noch  immer  er- 
innert er  sich  mit  einem  gewissen  Schauer  seiner  ersten  Un- 
terrichtsjahre, wo  er  Tag  für  Tag  50  lateinische  Vokabeln  aus 
Langens  Grammatik  auswendig  lernen  musste,  —  so  sehr  auch 
solche  bey  vielen  Lehrern  Unbehagen  erzeugen  wird  ,  so  steht 
doch  keineswegs  zu  bezweifeln,  dass  dieselbe  auch  ihre  Lieb- 
haber und  Befolger  finden  werde,  da  die  Ansichten  so  sehr  ver- 
schieden sind.  Rez.  mag  daher  nicht  die  Arroganz  zur  Schau 
tragen,  die  hier  empfohlene  Methode  unbedingt  zu  verwerfen; 
aber  missbilligen  muss  er,  dass  der  Verf.  bey  Durchführung  seiner 
Ideen  keine  strengere  Consequenz  befolgt ,  und  bey  den  zum 
Memoriren  ausgehobenen  Gegenständen  keine  sorgfältigere  Aus- 
wahl getroffen  hat.  Die  nähere  Beleuchtung  des  Inhalts  und 
die  Verfahrungsweise  des  Verf.  wird  diese  Missbilligung  zur 
Gnüge  rechtfertigen. 

Der  lste  Abschnitt:  von  der  Erde  und  deren  Oberfläche,  — 
unstreitig  der  wichtigste,  zwar  sehr  gedrängte,  aber  doch  in 
einer  schicklichen  Reihenfolge  vorgetragene  und  in  einer  leicht 
verständlichen  Sprache  geschriebene  Theil  des  Werkchens,  — 
hebt  in  14  §§  das  Wichtigste  aus  der  mathematischen  und  phy- 
sischen Geogr.  aus.  Insbesondere  wird  in  den  letzten  5§§  von 
der  Eintheilung  der  Erdoberfläche  in  Meer  und  Laud,  von  der 
Eintheilung  des  Landes  in  Kontinente  und  Inseln ,  so  wie  in  5 
Haupt-  (hier  Welt-,  aber  doch  wohl  bescheidener  Erd-)  Theile, 
von  den  Ausdrücken:  O.  W.  S.  N. ,  und  endlich  von  der  Ein- 
theilung des  Ozeans  in  5  Hauptmeere  gesprochen ;  und  Alles 
dieses  stellt  die  erste  Charte  dar.  —  Der  2te  Abschnitt  be- 
schäftigt sich  ausschliesslich  mit  Europa  und  dessen  Abtheilung, 
und  zwar  sowohl  in  politischer  Hinsicht ,  als  auch  nach  natür- 
licher Begränzung.  Nach  der  letztern  betrachtet  der  Verf.Eu- 
ropa  als  einen  Körper,  der  einige  auswärts  gestreckte  Gliedmas- 
sen hat.  Der  Körper  selbst  zerfällt ,  nach  des  Verf.  Ansicht 
von  natürlichen  Gränzen,  in  das  Land  1)  von  dem  Atlantischen 
Meere  bis  zu  den  Pyrenäen ;  2)  von  den  Pyrenäen  an  bis  zum  Rhein ; 


86  Geographie. 

3)  von  dem  Rhein  an  his  zur  Oder;  4)  von  der  Oder  bis  zu  dem 
Dnjepr ;  5)  vom  Dajepr  bis  zum  Ural.  Die  Glieder  würden  dann 
seyn:  6)  die  bey den  nördlichen  Halbinseln,  welche  die  Reiche 
Schweden  mit  Norwegen  und  Dänemark  bilden;  7)  die  beyden 
Brittischen  Inseln;  8)  die  westliche  Halbinsel  des  Mittelländi- 
schen Meers ,  also  Italien ,  und  9)  die  östliche  Halbinsel  dieses 
Meers ,  also  Griechenland.  —  So  wenig  nun ,  streng  genom- 
men, Ströme  und  Flüsse  als  Naturgränzen  angenommen  werden 
sollten,  weil  das,  was  die  Natur  zu  einem  Ganzen,  —  nehm- 
lich  zu  Einem  Stromgebiet  vereinigt  hat ,  muthwillig  zerrissen 
wird ,  so  will  Rez.  diese  Eintheilung  gern  passiren  lassen,  weil 
doch  wenigstens  darin  Konsequenz  wahrgenommen  wird.  Allein 
was  hat  der  Verf.  mit  dem  Hauptstrome  Europa's,  der  Donau, 
angefangen,  da  dieser  hier  gar  nicht  genannt  wird?  Er  hilft 
sich  unbedenklich  damit,  dass  er  die  obere  kleinere  Hälfte,  so 
weit  solche  zu  Deutschland  gehört ,  zum  Lande  zwischen  Rhein 
und  Oder,  und  die  untere  grössere  Hälfte  zum  Lande  zwischen 
Oder  und  Dnieper  schlägt.  Darf  man  diess  aber  eine  natürliche 
Begränzung  nennen'?  Musste  man  nicht  vielmehr  erwarten,  die- 
ses so  ausgedehnte  Stromgebiet  als  ein  für  sich  bestehendes 
Ganzes  behandelt  zu  sehen?  Darf  man  selbst  die  zum  Oester- 
reich.  KR.  Illyrien  gezogenen  Küstenstriche  am  Adriatischen 
Meere,  die  doch  offenbar,  wenn  man  auf  Naturgränzen  Rück- 
sichtnehmen will,  an  Italien  überwiesen  werden  müssen,  zum 
Lande  zwischen  dem  Rhein  und  der  Oder  zählen*?  Doch  es  ist 
schon  so  viel  über  die  natürliche  Eintheilung  unsers  Erdtheils 
gesprochen  worden ,  dass  Rez.  die  Lust  vergeht,  hierüber  noch 
ein  Wort  zu  verliehren,  zumahl  da  jeder  Lehrer  der  Geogr., 
welcher  eine  solche  der  politischen  vorzieht,  hierin,  trotz  aller 
gemachten  Ausstellungen,  dennoch  seinen  Lieblingsideen  treu 
bleibt.  —  Den  Beschluss  des  2ten  Abschn.  macht  eine  Ueber- 
sicht  der  Europäischen  Meere  und  ihrer  Unterabtheilungen,  der 
vorzüglichsten  Inseln,  der  Meerengen  und  Landzungen.  —  3ter 
Abschn. :  Die  Pyrenäische  Halbinsel.  Von  hier  an  bietet  das 
Büchelchen  nichts  als  blosse  Nomenclatur  dar.  Die  in  Reih'  und 
Glied  gestellten  Orte  sind  nach  ihrer  Lage  am  Meere,  an  Flüs- 
sen oder  entfernt  von  den  Hauptflüssen  geordnet.  Unter  den 
Küstenorten  wird  man  Mataro,  Almeria,  Viana  u.  s.  w.  vermis- 
sen. Das  längst  verschwundene  Numantia  hat  hier  seinen  Plaz 
gefunden ,  aber  das  noch  in  seinen  herrlichen  Trümmern  leben- 
de Merida,  an  Alterthümern  der  reichste  Ort  in  Europa,  ist 
nicht  der  Aufnahme  werth  gehalten  worden.  —  4ter  Abschn. : 
Land  zwischen  Pyrenäen  und  Rhein.  Von  den  grossen  Neben- 
flüssen ist  bey  der  Seine  nur  die  Marne ,  beym  Rhein  bloss  die 
Mosel,  und  beym  Rhone  (der  Verf.  sagt  die  Rhone)  die  Saone, 
Isere  und  Durance  aufgezeichnet  worden.  Aber  Loire  und  Ga- 
ronne  gehen  leer  aus.     Von  Küstenflüssen  sind  Charente  und 


Heusingcr:  Die  Elementar -Geographie.  87 

Var,  aber  nicht  Vilaiue,  Sommeu.s.  w.  aufgenommen  worden. 
Der  Schüler  muss  hier  die  Orte  Cognae,  Venlo,  Toul,  Brienne, 
Varennes,  Digne,  Pan  u.  s.  w.  seinem  Gedächtniss  einprä- 
gen, aher  mit  Montpellier,  Montauban ,  Arles,  Caen,  An- 
gers, Reimes,  Bonn  u.  s.  w.  wird  er  nicht  behelligt.  Auch 
schweift  der  Verf.  auf  das  rechte  Rheinufer  herüber,  und  bohlt 
Wesel,  Düsseldorf,  Manheim  u.  Kehl  herbey.  —  5ter  Abschn. : 
Land  zwischen  Rhein  und  Oder.  Hier  wird  der  Rhein  aber- 
mahls  durch  die  Mosel  bereichert,  ja  der  Oder,  die  zum  fol- 
genden Abschn.  gehörige  Warthe  mit  der  Netze  zugetheilt. 
Auch  die  Etsch  paradirt  hier.  Unter  den  Orten  sind  auch  Ba- 
sel ,  Hüningen ,  Colmar ,  Strassburg,  Landau,  Mainz,  Koblenz, 
Kleve,  ja  selbst  Trier  aul'  das  rechte  Rheinufer  verpflanzt,  so 
wie  Kolberg,  Stargard,  Küstrin,  undTeschen  xom  rechten  Oder- 
ufer auf  das  linke  versetzt  worden.  Noch  weniger  kann  die 
Auswahl  der  aufgenommenen  Orte  Beyfall  finden.  Denn  wäh- 
rend der  Schüler  die  Nahmen  von  vielen  unerheblichen  Orten, 
als  Würzen,  Saats;,  Arnau,  Trautenau,  Schandau,  Pirna,  Mühl- 
berg, Barby,  Havelberg  (das  selbst  2  Mal  aufgeführt  wird), 
Lauenburg,  Lübben,  Deggendorf,  Ens,  Braunau,  Leoben,  Brück 
11.  s.  w.  seinem  Gedächtniss  aufzwingen  soll,  bleiben  ihm  ungleich 
nichtigere  Städte,  als  Elberfeld,  Barmen,  Solingen,  Duisburg, 
Greifswald,  Anklam,  Prenzlau,  Brandenburg,  Güstrow,  Hil- 
liesheim,  Goslar,  Klausthal,  Burg,  Aschersleben,  Schönebeck, 
Quedlinburg,  Nordhausen,  Mühlhausen,  Langensalza,  Schmalkal- 
den,Suhl,Schweinfurth,  Fürth,  Schwabach, Ansbach, Rothenburg 
a.  d.  Tauber,  Dinkelsbühl,Nördlingen,  Hall  in  Schwaben,  Esslin- 
gen, Gemünd,  Ludwigsburg,  Reutlingen,  Heilbronn,  Hallein, 
Steyer,  Wienerisch  -  Neustadt,  Baden  u.  s.  w.  völlig  fremd. 
Auch  wird  das  Gedächtniss  der  Schüler  keinesweges  mit  Nah- 
men Deutscher  Gebirge  inkommodirt:  selbst  die  Alpen  bleiben 
hier  unerwähnt.  —  6ter  Abschn.:  Land  zunschen  Oder  und 
Dnjepr ,  und  zwischen  der  Donau  und  dem  Finnischen  Meer- 
busen. Bey  der  Weichsel  fehlen  die  Pilica,  der  San  u.  s.w. ; 
bey  der  Donau:  Waag,  Leytha,  Ipel  u.  s.  w. ;  bey  der  Theiss: 
Marosch,  Samosch ,  Koros ,  Hernath  u.  s.  w.  Das  Waldai  -  Ge- 
birge hat  hier  eine  Stelle  erhalten,  obschon  die  Sudeten,  der 
Schwarzwald,  das  Fichtelgebirge,  der  Harz  u.  s.  w.  im  vorigen 
Abschnitt  der  Ehre|d er  Aufnahme  nicht  würdig  gehallen  worden 
sind.  —  Tter  Abschn.:  Land  zunschen  dem  Dnjepr  und  dem 
Ural.  Hier  widerfährt  Finnland  eine  ausgezeichnete  Ehre. 
Denn  selbst  Nester  wie  Nystadt,  Kajaneborg,  Tawasthus  und 
Nyflot  paradiren  hier.  —  8ter  Abschn. :  Skandinavische  Halb- 
insel mit  Dänemark.  Ist  nach  dem  Verf.  ein  Land  ohne  Ströme ; 
denn  selbst  die  Gotha -Elf  sucht  man  hier  vergeblich.  In  Nor- 
wegensind nicht  einmahl  die  Seestädte  von  den  Binnenorten  ge- 
schieden. —  9ter  Abschn. :  Briltische  Inseln.  Während  die  im 


88  Geographie. 

bedeutenden  Küstenorte  Hastings,  Weymouth,  Dartmouth, 
Cardiff,  Flint  u.  s.  w.  sich  unter  Bristol ,  Liverpool  u.  s.w.  ver- 
irrt haben,  forscht  man  nach  den  blühenden  Seestädten :  Hüll, 
Ipswich,  Lynn-Regis,  Whitehaven,  Chatham,  Brighton,  Swan- 
sea ,  Holywel  u.  s.  w.  umsonst.  Das  arme  Schottland  ist  mit 
Edinburgh,  Glasgow,  Perth  und  Dunbar,  und  das  eben  so  be- 
klagenswerthe  Ireland  mit  Dublin,  Waterford,  Cork,  Galway 
und  Londonderry  abgefertigt  worden.  lOter  Abschn. :  Land 
am  Ausßuss  des  Rheins ,  der  Maas  und  der  Scheide ;  die  Nie- 
derlande in  ihrem  alten  Umfange.  Die  erste  Abiveichung  vom 
frühern  oben  enticickelten  Theilungsplane.  Hier  hätte  wenig- 
stens das  ganze  Stromgebiet  der  Scheide  mit  den  Städten  Lille, 
Douay,  S.  Amand ,  Conde ,  Arras  u.  s.  w.  eben  so  gut  als  Valen- 
ciennes,  Cambray  u.  S.  Omer  aufgenommen  werden  sollen,  und 
um  so  mehr,  da  selbst  Amiens,  welches  doch  unstreitig  zum 
4ten  Abschnitt  gehören  muss,  hier  mit  aufgezählt  ist.  —  llter 
Abschn. :  Das  Land  am  Ursprünge  des  Rheins,  des  Rhone  und 
des  Po;  die  Schweiz,  Savoyen,  Piemont.  Die  2te  Abweichung 
vom  ursprünglichen  Plane.  Und  ist  diess  auch  eine  Abtheilung 
nach  Naturgränzen?  Unter  den  Nebenflüssen  des  Po  fehlt  ge- 
rade der  vornehmste,  der  Tanaro.  Sonderbar  ist  hier  Rez.  die 
Vertheilung  der  vornehmsten  Alpengipfel  nach  Stromgebieten 
vorgekommen.  Denn,  wie  er  nicht  anders  weiss,  liegen  alle  hier 
aufgezählte  Berggipfel ,  etwa  den  Montblanc  ausgenommen ,  in 
den  Hauptketten  der  Alpen ,  welche  überall  die  Wasserscheide 
machen,  und  gehören  mithin  nicht  einem,  sondern  stets  2  Strom- 
gebieten an.  —  12ter  Abschn.:  Die  beyden  Halbinseln  des 
Mittelländischen  Meers.  I)  Italien.  Hier  kommen  zuvörderst 
alle  im  vorigen  Abschnitte  schon  aufgezählten  Seen,  Flüsse  und 
Orte  wieder  vor,  so  weit  sie  zu  Italien  gehören,  ja  selbst  der 
Montblanc  wird  wieder  hieher  verpflanzt.  Auch  hier  fehlt  der 
Tanaro  als  Nebenfluss  des  Po ,  desgleichen  die  Küstenflüsse  Ga- 
rigliano,  Volturno,  Ofanto  u.  s.  w.  Die  Orte  sind  meist  nach 
Willkühr  ausgehoben,  und  auf  Sizilien  werden  bloss  die  4  Städte 
Messina,  Palermo.  Mazzara  und  Syracus  bemerkt.  Also  nicht 
einmahl  Catanea ,  Trapani  und  Girgenti  sind  hier  zu  finden.  — 
II)  Die  östliche  Halbinsel.  Die  Gränzen  derselben  sind  nicht 
etwa,  wie  die  Natur  bestimmt  hat,  bloss  bis  zu  den  Dinarischen 
Alpen  oder  demHämus  ausgedehnt,  sondern  bis  zur  Donau  hin- 
aufgerückt, ja  selbst  bis  zur  Wallachey  und  Moldau  vorgescho- 
ben worden,  denn  die  Hauptstädte  beyder  Fürstenthümer  wer- 
den hier  nahmhaft  gemacht.  Muss  diess  nicht  Willkühr  genannt 
werden?  Zwar  gehören  die  Moldau  und  Wallachey  allerdings 
eben  so  gut  zur  Europäischen  Türkey,  als  die  Griechische  Halb- 
insel, aber  politische  und  natürliche  Eintheilungen  stimmen  nur 
selten  mit  einander  überein.  Beyde  können  nicht  mit  einander 
vereinigt  werden.     Will  man  nun  bey  Entwerfung  eines  Lehr- 


Heiuinger :  Die  Elementar  -  Geographie.  89 

buchs  für  den  ersten  Cursus  der  letztern  den  Vorzug  geben,  so 
muss  man  derselben  auch  durch  das  ganze  Werk  ganz  treu  blei- 
ben, und  sie  nicht  alle  Augenblicke  mit  der  politischen  Einthei- 
lung  vermengen. 

Ohne  nun  in  einer  Einleitung  etwas  Näheres  über  die  au- 
ssereuropäischen  Erdtheile,  über  ihren  Umfang,  ihre  Verhält- 
nisse zu  einander  und  zu  Europa  ,  über  die  darin  befindlichen 
Reiche  und  Gebiete  zu  sagen,  lässt  der  Verf.  diese  sofort  auf 
einander  folgen,  indem  er  jedem  Erdtheile  nur  einen  einzigen 
Abschnitt  widmet.  —  13ter  Abschn. :  Asien.  Hier  hat  der 
Schüler  nichts  zu  lernen,  als  die  Nahmen  der  Gebirge  Ural, 
Mustag,  Altai  und  Himalajah  (hier  Himalai);  der  Flüsse  Ob, 
Irtysch  mit  Tobol ,  Jenisey  mit  Angara,  Lena,  Anadv-r,  Amur, 
Hoangho,  Jantsekiang,  Cambaja,  Menang,  Jegu,  Irabaddi,  Bu- 
ramputer,  Ganges,  Indus,  Euphrat,  Tigris,  Jordan,  Gihon 
und  Sihon,  wozu  nun  noch  die  Nahmen  von59  Städten  kommen. 
Hierunter  befinden  sich  nun  3  Orte,  nähmlich  Tonker  im  Gebirge 
Thibet's,  Almansora  am  Indus  und  Somelbur  (vielleicht  Sum- 
bhulpur?)  südlich  von  Delhi,  die  Rez.  nicht  kennt,  auch  in  kei- 
nem geograph.  Wörterbuche  gefunden  hat.  —  14ter  Abschn.: 
Afrika.  Hier  werden  kein  Gebirge,  die  Flüsse  Nil,  Senegal, 
Gambia ,  Niger  und  Elephantenfluss ,  und  in  allem  21  Orte  zum 
Memoriren  empfohlen.  Ausserdem  sind  nur  noch  der  See 
Marawiund  die  vornehmsten  Inseln  genannt.  —  15ter  Abschn.: 
Amerika,  a)  Nord-  Amerika.  Hier  findet  man  kein  Gebirge, 
auch  nicht  die  grossen  Städte  Neu -York,  Baltimore,  Boston, 
Puebla,  Queretaro  u.  s.  w.,  wohl  aber  die  unerheblichen  Orte 
S.  Augustin,  Pensacola  und  Loretto  angeführt,  b)  Süd -Ame- 
rika. Hier  wird  wenigstens  der  Berg  Tschimborasso  genannt, 
dagegen  vermisst  man  Bahia,  Pernambuco,  S.Luis  de  Maran- 
hao,  Cumana,  Porto  Cavallo,  Carthagena,  Guayaquil,  Are- 
quipa,  Coquimbo  u.  s.  w.  Auch  ist  Lima  als  eine  Seestadt  ver- 
zeichnet. —  lfiter  Abschn.:  Australien.  Bey  Neu-Holland  ist 
sowohl  der  neuere,  passendere  Nähme,  als  auch  die  Hauptstadt 
der  Brittischen  Kolonie  nicht  berücksichtigt  worden. 

Den  Beschluss  machen,  auf  nicht  weniger  als  37  Seiten, 
5  Register,  welche  zur  Wiederhohlung  dienen  sollen.  Das 
erste  umfasst  Portugal ,  Spanien,  Frankreich,  Grossbritannien, 
Italien,  und  die  Türkey;  das  2te  Deutschland,  Schweiz,  die 
Niederlande ,  Dänemark  ,  Schweden  und  Norwegen ;  das  3te 
die  Ungarischen,  Pohlischen  und  Russischen  Länder ;  das  4te 
die  4  übrigen  Erdtheile,  und  das  5te  die  ganze  Elementar -Geo- 
graphie. Da  aber  weder  die  Seitenzahl,  noch  die  Nummer  der 
Charte,  wo  die  Orte  zu  finden  sind,  bey  gesetzt  ist,  so  vermag 
Rez.  den  Nutzen,  den  diese  Register  haben  sollen,  nicht  einzu- 
sehen, und  muss  demnach  sowohl  die  Mühe,  die  sich  der  Verf. 
gegeben ,  als  auch  das  schöne  Papier  bedauern. 


90  Geographie. 

Uebrigens  ist  das  Werkchen  recht  nett  ausgestattet.  Pa- 
pier und  Druck  sind  ausgezeichnet  gut.  Es  ist  daher  Schade, 
dass  die  Correktur  nicht  sorgfältiger  besorgt  worden  ist. 

Die  sauber  lithographirten  Charten  sind  Queer-Folio,  durch- 
gängig lOf  Z.  breit  und  85  Z.  hoch.  Jede  gehört  zu  dem  gleich 
bezeichneten  Abschnitt,  und  enthält  alle  die  in  dem  treffenden 
Abschnitt  benannten  Gegenstände ,  die  jedesmahl  mit  dem  An- 
fangsbuchstaben angedeutet  worden  sind.  Die  Lage  der  noch 
jetzt  existirenden  Orte  ist  mit  o,  die  der  in  Trümmern  liegen- 
den Städte  mit  §,  und  die  der  Berge  mit  f  bestimmt  worden. 
Aufgefallen  ist  es  Rez. ,  dass  die  Meeresküste  nicht  schärfer 
hervorgehoben  worden  ist.  Die  feine  Linie,  welche  die  Gränze 
zwischen  Land  und  Meer  bestimmt,  ist  nur  bey  vollem  Tages- 
licht zu  erkennen,  und  desshalb  sind  diese  Charten  des  Abends 
nicht  zu  gebrauchen.  Auch  ist  der  Preis  (für  das  Stück  sind 
wahrscheinlich  2  Gr.  gerechnet)  gerade  hoch  genug,  da  sie  fast 
nichts  als  die  äussern  Umrisse  der  Länder,  den  Umfang  eini- 
ger Seen  ,  und  den  Lauf  der  im  Werke  aufgezählten  Flüsse  und 
die  Anfangsbuchstaben  der  aufgezeichneten  Gegenstände  ent- 
halten. 

No.  3.  Der  Hr.  Verf.  hat ,  wie  er  uns  in  der  Vorrede  er- 
zählt, in  seinen  frühern  Jahren,  als  Schulmann,  unter  der 
Menge  der  geographischen  Handbücher  keinen  ihm  genügenden 
Leitfaden  gefunden,  wesshalb  er  sich  bewogen  sah,  den  vor- 
liegenden Wegweiser  zu  entwerfen.  Er  will  durch  denselben 
nichts  zur  Erweiterung  und  Vervollständigung  der  Erdkunde  bei- 
tragen, wohl  aber  einen  Beytrag  zum  bessern  methodischen 
Verfahren  in  diesem  Unterrichtsgegenstande  liefern,  der  nur 
zu  häufig  als  blosse  Gedächtnisssache ,  ohne  den  rechten  Sinn, 
ohne  reges  Interesse,  und  darum  ohne  Segen  betrieben  werde. 
Er  übergiebt  diesen  Wegweiser  zum  methodischen  Verfahren 
nicht  dem  Geographen  sondern  dem  Schulmanne ,  welcher  Un- 
terricht in  der  Geographie  ertheilt,  nennt  offen  die  Quellen, 
aus  welchen  er  das  Materiale  entlehnte,  und  wünscht  zum  Schluss 
diesem  Werkchen  freundliche  Aufnahme,  worin  Rez.  von  Her- 
zen einstimmt. 

Der  Leser  wird  also  schon  durch  diesen  Bericht  auf  die 
Vermuthung  geleitet,  dass  der  Verf.,  ganz  im  Gegensätze  von 
dem  des  Werkchens  Wo.  2,  die  Methode  tadelt,  welche  den  geo- 
graphischen Unterricht  zur  blossen  Gedächtnisssache  machen 
will.  Wir  wollen  nun  sehen,  auf  welche  Art  derselbe  die  Sache 
behandelt. 

lste  Abtheilung:  (S.  1 — 68.)  Die  Erde,  ein  messbarer 
Himmelskörper.  In  8§§  spricht  sich  der  Verf.  über  folgende 
Sätze  aus:  Himmelskörper;  Sonnensystem;  Gestalt  und  Grösse 
der  Erde;  die  Erde  in  ihren  Bewegungen ;  der  Erde  Acquator 
und  Meridian;  Wendekreise,  Polarkreise  und  Horizont;  Klima 


Hiersche :  Wegweiser  durch  daa  Gebiet  der  allgem.  Geographie.  1)1 

und  Zonen;  der  Mond;  hat  aber  dahey  ausser  Acht  gelassen, 
etwas  Näheres  über  den  Begriff  und  die  Eintheilung  der  Geogr. 
zu  erwähnen.     Der  Leser  wird  schon  hieraus  gewahr  werden, 
dass  der  Verf.  eine  andere  Ordnung  zum  Vortrag  der  mathemat. 
Gcogr.sich  erwählt,  dass  er  aber  dabey  keinen  bemerkenswer- 
then  Umstand  aus  dem  Auge  verlohren  habe,  und  sonach  seinen 
Zweck  ebenfalls  erreiche.     Aber  dieser  Tlieil  ist  offenbar  für 
einen  Leitfaden  zum  ersten  Cursus  viel  zu  gelehrt  behandelt, 
und  der  Lehrer  an  niedern  Schulen  wird  nur  das  Leichtf assli- 
chere herausheben  dürfen.     Die  Annahme  des  Verf.,  dass  Tha- 
ies der  Erste  gewesen  sey ,  welcher  der  Erde  eine  Kugelform 
zugeschrieben  habe,  ist  gewiss  irrig.    Giebt  es  doch  Geschicht- 
forscher, welche  diese  Ehre  selbst  noch  dem  viel  später  leben- 
den Pythagoras  streitig  machen  wollen.   —     Im  §9:   Erläute- 
rung mehrerer  zur  allgemeinen  Geogr.  gehörende?!  Begriffe,  han- 
delt er  die  vornehmsten  Gegenstände  aus  der  physischen  Geogr. 
ab.     Allein  so  umfassend   der  mathematische  Theil  abgefasst 
ist,  so  dürftig  und  oberflächlich  möchte  diese  Erläuterung  er- 
scheinen, obschon  in  der  Regel  die  phys.  Geogr.  für  jugendliche 
Gemüther  weit  mehr  Interesse  hat,    als  jeue.     Denn  über  die 
so  abweichende  Höhe  der  Berge,  über  die  verschiedene  Tem- 
peratur der  Quellen,  über  die  Beschaffenheit  des  Meeresbodens, 
über  die  verschiedene  Tiefe  des  Meers,  über  den  Gehalt  und  die 
Farbe  des  Meerwassers,    über  dessen  Temperatur,   über  die 
Beschaffenheit  der  Luft,  über  Atmosphäre,  Lufterscheinungen, 
Winde  u.s.w.  wird  kein  Wort  verlohren.     Ueber  das  hier  Ge- 
sagte  muss    Rez.    auch   einige   Bemerkungen  niederschreiben. 
Flussriegel   werden  in  der   Schiffersprache   Barren   genannt. 
Der  Definition  der  Teiche :  „Wassersammlungen,  welche  weder 
sichtbaren  Zu-  noch  Abfluss  haben",  werden  wohl  wenige  bey- 
stimmen,   da  aus  Teichen  öfters  die  Quellen  bedeutender  Flüsse 
abfliessen.   —     Das  Erforderniss   eines  Küstenflusses  ist  wohl 
nicht  der  Mangel  an  Nebenflüssen;  denn  der  Minho,  der  Adour, 
die  Vilaine,  der  Garigliano  u.  s.  w.  haben  zahlreiche  Zuflüsse, 
und  bleiben  doch  nur  Küstenflüsse ;  sondern  vielmehr  der  kurze 
Lauf,  nach  welchem  sie  das  Meer  erreichen,  ohne  Zeit  gehabt 
zu  haben ,  sich  zu  einem  Ilauptstrome  auszubilden.  —     Hoch- 
ebenen sind,  nach  des  Verf.  Ansicht,  Gegenden,  wo  man  stei- 
gen muss,  ehe  man  auf  das  Ebene  kommt.     Besser  wäre  wohl: 
die  zu  Ebenen  ausgedehnten  Rücken  hoher  Gebirge,  wie  z.  B. 
die  Parameras  im  Innern  Spaniens,  die  Plateau's  des  Anahuac- 
Gebirgs  im  Innern  Mexiko's ,    der  Anden  in  Quito  u.  s.  w.  — 
Aus  Mangel  an  Fruchtbarkeit  sind  die  Savannen  (durch  einen 
Druckfehler  steht  hier  Savonnen)  wohl  nicht  bloss  mit  holzi- 
gem, aber  sehr  hohem  Gras  bewachsen,  da  sie  nach  allen  Rei- 
seberichten häufig  kulturfähig  sind,  und  auch  der  üppige  Gras- 
wuchs schon  dem  Begriff'  der  Sterilität   widerspricht.     Auch 


92  Geographie. 

sind  sie  nicht  bloss  in  Nord-  sondern  auch  in  Süd  -Amerika  zu 
finden,  wo  sie  aber  in  Kolumbien  Llanos,  und  in  Peru  und  Pa- 
raguay Pampas  genannt  werden.  —  §  10:  Benennung  der  ein- 
zelnen Theiledes  grossen  Ozeans  (richtiger  wohl  des  Weltmeers). 
Beyni  östlichen  Ozean  fehlen  die  Sunda  und  die  Malakka  -  Strasse. 
—  Die  Bassa's- Strasse  (statt  Bass'-Strasse)  S.  31  ist  gewiss 
auch  ein  Druckfehler.  Beym  Arabischen  Meere  fehlt  der  Busen 
von  Sind  oder  Kutsch.  —  Auch  im  südlichen  Eismeere ,  das 
nach  dem  Verf.  keine  Polarläuder  in  sich  fassen  soll,  hat  man 
neuerer  Zeit  Inselgruppen  entdeckt ,  z.  B.  Neu  -  Shetland.  — 
Im  Uten  §  werden  die  grössern  Inseln  und  Inselgruppen  aufge- 
zählt. Unter  den  Inseln  des  Mittelländischen  Meers  ist  gerade 
die  wichtigste,  Sizilien,  vergessen  worden,  und  unter  den  Ostsee- 
Inseln  vermisst  man  Usedom  und  Wollin.  Im  östlichen  Ozean  wird 
Jesso  oder  Matsumai  hier  Chicha  genannt.  In  Australien  ist 
das  Kontinent  Neu -Holland  auch  den  Inseln  beygerechnet  wor- 
den. —  §12:  Gebirge  und  Gebirgszüge  in  Europa.  Hier  kommt 
also  bereits  der  Nähme  unseres  Erdtheils  vor ,  ohne  dass  der 
Verf.  es  für  nöthig  erachtet  hätte,  von  der  Eintheilung  der 
Erde  schon  etwas  zu  sagen.  Der  Verf.  nimmt  nur  2  Hauptge- 
birgsstöcke ,  die  Schweizer  und  Tyroler  Alpen  im  westlichen, 
und  den  Wolchonsky-Wald,  das  Waldai-  und  Wolga -Gebirge 
im  östlichen  Theile  an.  Zu  den  Alpen  rechnet  er  demnach  nicht 
bloss  die  Pyrenäen  und  übrigen  Spanischen  Gebirge,  sondern 
auch  die Karpathen  und  Sudeten,  sogar  den  Harz;  zu  den  letz- 
tern, die  er  jedoch  selbst  mehr  eine  hochgelegene,  grosse 
Fläche,  als  ein  ansehnliches  Gebirge  nennt,  die  Finnischen, 
Lappländischen  und  Skandinavischen  Bergzüge.  Den  letztern 
nennt  er  statt  Kjölen  Skiölen.  Das  heisst  freylich  sich's  hübsch 
bequem  machen!  —  §13:  Gebirge  von  Asien.  Hier  heisst  es: 
„das  Gränzgebirge  zwischen  Asien  und  Europa  ist  der  Ural  und 
nach  N.  zu  das  Werchoturische  Gebirge."  Wird  man  durch 
diese  Stellung  der  Worte  nicht  zu  der  Vermuthung  geführt,  der 
Verfasser  nehme  unter  diesen  2  Nahmen  auch  2  verschiedene 
Gebirge  an?  Durch  das  hohe  Wolga- Gebirge,  —  (das  übri- 
gens Kez.  gar  nicht  kennt :  meint  der  Verf.  etwa  das  Mangisch- 
lak'sche '? )  —  soll  der  Kaukasus  sich  mit  dem  Ural  vereinigen ! ! 
Ein  einziger  Blick  auf  die  Charte  zeigt  indessen  die  Unstatt- 
haftigkeit  dieser  Behauptung.  Der  Kaukasus  streicht  bekanntlich 
von  SO.  nach  NW.  bis  zum  Asowschen  Meere  hinauf,  und  an 
seinem  nördlichen  Fuss  breiten  sich  die  Kuban'sche  und  Terek- 
sche,  überhaupt  die  Kaukasischen  Steppen  aus,  welche  in  der 
Vorzeit,  wo  der  Kaspische  See  noch  mit  dem  Schwarzen  Meere 
zusammenhieng ,  von  den  Meereswogen  bedeckt  waren ,  und 
die  bis  zur  Wolga  reichen.  Auf  ähnliche  Art  sollen  alle  Gebirge 
dieses  Erdtheils  mit  einander  in  unmittelbarem  Zusammenhange 
stehen ,  so  dass  ganz  Asien  ein  einziges  Hauptgebirgssystem  in 


Hiersche :  Wegweiser  durch  das  Gebiet  der  allgem  .  Geographie.  93 

sich  zu  fassen  scheint,  von  welchem  dann  alle  übrigen  Ge- 
birgszüge auslaufen  würden.  —  §  14:  Gebirge  von  Ajrika. 
Nichts  Neues  oder  Abweichendes.  —  §  15:  Gebirge  von  Ame- 
rika. Hier  sagt  der  Verf.:  „Ganz  Amerika  durchläuftauf  der 
westlichen  Seite  ein  Gebirge.  Der  nördliche  Theil  davon  (also 
in  Nord -Amerika'?)  bis  nach  Süd-  Amerika,  heisst  Cordilleras, 
der  südliche  aber  die  Anden  oder  Andes."  Hier  erfährt  der  Le- 
ser etwas  ganz  Neues!  Rez.  wenigstens  hat  nicht  anders  gewusst, 
als  dass  die  ganze  auf  der  Westküste  dieses  Erdtheils  hinstrei- 
chende Gebirgskette  im  Allgemeinen  Anden,  in  Nord -Amerika 
aber  insbesondere  von  S.  nach  N.  Anahuac,  Sierra  Madre,  S. 
Verde,  glänzendes  Gebirge,  steiniges  oder  Felsen  -  Gebirge 
(Kocky  Mountains),  und  dass  nur  in  Süd -Amerika  die  höchsten 
Gipfel  der  Anden  Cordilleras  genannt  werden.  Eben  so  weiss 
Rez.  nicht  anders ,  als  dass  Apalachen,  Alleghanys  (Alleguani- 
sche  Gebirge  ist  wohl  nur  ein  Druckfehler*?  — ),  Blaue  und  Weisse 
Berge  nur  die  Nahmen  Eines  Gebirgs  sind,  das  sich  nicht  bloss 
in  S.  verbreitet,  sondern  bis  zum  St.  Lorenzbusen  hinaufsteigt. 
Des  Landeshauptes  wird  keine  Erwähnung  gethan.  —  §  16: 
Gebirge  Australiens.  Nur  der  Egmont  gehört  Neu -Seeland,  der 
Mauna-Perah  aber  den  Sandwichsinseln  an.  —  §  IT:  Schluss- 
bemerhingen  über  die  Gebirge.  Hier  sagt  der  Verf.:  „Alle  Ge- 
birge der  Erde  hängen  unter  einander  zusammen,  d.h.  es  giebt 
wohl  kein  Gebirge ,  welches  einzeln  dastände ,  das  nach  allen 
Seiten  so  vollkommen  von  lauter  Ebenen  umgeben  wäre,  wie 
eine  Insel  vom  Wasser.  Oft  sind  es  bloss  ganz  unbedeutende 
Höhenzüge  von  kaum  100  F.  Höhe  über  die  Meeresfläche,  wel- 
che die  letzten  Zweige  weit  von  einander  entfernter  Gebirge 
verknüpfen  u.s.w."  Freylich,  wenn  der  Verf.  dergleichen  Hö- 
hen für  hinreichend  dazu  hält,  so  hat  er  völlig  Recht.  Ob  aber 
alle  Geologen  diese  Ansicht  theilen,  ist  eine  andere  Frage.  Die 
meisten  möchten  wohl  nur  in  dem  Falle  einen  unmittelbaren  Zu- 
sammenhang zugestehen,  wenn  der  Seitenzweig,  welcher  2  Ge- 
birgszüge mit  einander  verbindet,  aus  denselben Gebirgsmassen 
konstruirt  ist,  aus  welchen  die  Bergketten  selbst  bestehen.  — 
Gegen  die  Eintheilung  der  Gebirge  in  Haupt-,  Mittel  -  und  kleine 
Gebirge  hinsichtlich  ihrer  Länge  wird  sich  auch  wohl  Wider- 
spruch erheben.  Denn  wenn  es  nur  auf  die  Länge  ankommt,  so 
würde  die  5  —  6000  F.  hohe  Serra  de  Monchique,  —  die  nach 
Bory  de  S.  Vincent  ein  für  sich  bestehendes  Gebirgssystem  aus- 
macht ,  —  nur  ein  kleines  ,  das  nur  2  —  300  F.  über  die  Land- 
fläche hervorragende  Waldai- Gebirge  hingegen  ein  Hauptge- 
birge genannt  werden  müssen.  —  §  18:  Die  vorzüglichsten 
bekannten  Vulkane.  Da  der  Verfasser  selbst  einräumt,  dass 
dieser  §  von  Vielen  für  überflüssig  gehalten  werden  möchte,  so 
sagt  Rez.  darüber  weiter  nichts,  als  dass  er  darin  nichts  Neues  ge- 
funden habe,  und  dass  derselbe  auch  nicht  auf  Vollständigkeit  An- 


94  Geographie. 

sprucli  machen  dürfe.  —  §  19 :  Verzeic/miss  der  merkwürdig- 
sten Berge  nach  ihrer  Höhe  über  die  Meeresfläche.  Auch  die- 
sen §  werden  viele  Leser,  ohschon  er  in  allem  nur  52  Nahmen, 
vom  Dhawalayeri  an  his  zur  Landskrone  herah,  enthält,  in  einem 
solchen  Werkchen  für  entbehrlich  erklären.  —  §  20:  Die  merk- 
würdigsten Seen.  Ziemlich  oberflächlich.  So  fehlen  der  Müritz- 
imd  Plaue'sohe  See  im  Meklenburgischen,  die  grossen  Seen 
Irelands  und  Hollands,  die  grossen  Seen  China's.  Beyra  Ober- 
See  in  Nord -Amerika  hätte  bemerkt  werden  sollen,  dass  er 
nächst  dem  Kaspischen  Meere  das  grösste  Bassin  darbiete.  — 
§  21 :  Die  bedeutendsten  Flüsse  aller  5  Erdtheile.  Unter  den 
in  den  Finnischen  Busen  fallenden  Gewässern  fehlt  die  Newa,  ob- 
schon  sie  wasserreicher  ist  als  die  hier  aufgenommene  Narwa 
und  Wolchow.  —  §  22 :  Vergleichende  lieber  sieht  der  Länge 
mehrerer  Hauptströme  der  Erde,  29  an  der  Zahl.  Ebenfalls 
sehr  entbehrlich.  Die  Länge  der  Loire  zu  115  Meilen  ist  um 
fast  30  Meilen  zu  niedrig  angeschlagen.  —  §  23 :  Uebersicht 
der  vorherrschenden  Produkte  in  den  Ländern,  Flüssen  und 
Meeren  der  verschiedenen  Zonen.  Einer  der  interessantesten 
und  zweckmässigsten  Abschnitte  des  Werkchens.  Denn  nichts 
ermüdet  wohl  mehr,  als  das  ewige  Wiederhohlen  von  Produkten- 
nahmen,  die  so  vielen  Ländern  gemeinschaftlich  sind,  zumahl 
da  die  nähere  Beschreibung  dieser  Gegenstände  der  Naturge- 
schichte vorbehalten  bleiben  muss.  Es  ist  daher  Schade,  dass 
der  Verf.  diesem  Verzeichnisse  nicht  grössere  Vollständigkeit 
gegeben  hat.  Denn  unter  den  bekanntesten  Früchten  und  Ge- 
wächsen der  heissen  Zone  hat  Rez.  Bananen,  Pataten,  Maniok, 
Manglebäume,  Aloe,  Sandel  -  und  Thekholz ,  Bambusrohr  u.  s.  w. 
vermisst.  Ginseny  und  Rhabarber  sind  keineswegs  Gaben  der 
heissen ,  sondern  der  gemässigten  Zone ;  denn  das  Vaterland 
von  beyden  ist  Hoch -Asien. 

2te  Abtheilung:  (S.  69 — 216.)  Die  Erde  als  ein  von  Men- 
schen bewohnter  und  unter  Völker  und  Staaten  vertheilter  Kör- 
per. §  1 :  Die  Hauptstämme,  in  welche  sich  das  gesummte  Men- 
schengeschlecht eintheilen  lässt.  Einige  der  merkwürdigsten 
Menschengattungen.  —  Verfass?mgen.  —  Die  Mohren  sind 
keineswegs  Abkömmlinge  der  Mauren ;  sondern  diess  Deutsche 
Wort  bedeutet  entweder  die  Mauren  selbst,  oder,  was  wohl 
noch  richtiger  ist,  die  Neger.  Uebrigens  zählt  der  A7erf.  die 
Mauren  der  Aethiopischen  Hanptrasse  bey,  da  sie  doch,  als 
allgemein  anerkannte  Stammgenossen  der  Araber ,  zur  Kauka- 
sischen Rasse  gehören.  —  Warum  nach  Beschreibung  der  5 
Hauptrassen  unter  den  durch  Vermischung  entstandenen  Men- 
schengattungen, den  Mulatten,  Mestizen  u.  s.  w.,  auch  so  recht 
ex  abrupto  die  Creks  —  wohl  richtiger  Creeks  otler  Criks  — 
herbeygezogen  werden,  kann  Rez.  nicht  begreifen,  da  sie  doch 
offenbar  unter  der  Amerikanischen  Rasse  hätten  vorkommen 


Hicrsche :  Wegweiser  durch  das  Gebiet  der  allgem.  Geographie.  95 

sollen.  Nicht  bloss  die  Pescheräs,  sondern  auch  die  Aetas  auf 
den  Philippinen,  die  Eingebohrnen  des  Australlandes  u.  s.  w. 
stehen  auf  der  niedrigsten  Stufe  der  Kultur.  —  §2:  Einthei- 
lune  des  gesummten  Festlandes  in  5  Landmassen  und  deren 
Grunzen.  Dieser  Abschnitt  hätte  bey  einer  konsequenten  Rei- 
henfolge durchaus  der  ersten  Abtheilung  beygegeben,  und  dort 
zwischen  dem  lOten  und  Uten  §  eingeschaltet  werden  sollen. 
Bey  der  bedeutenden  Anzahl  von  Staaten,  die  man  in  jedem  Erd- 
t heile  findet,  hätte  doch  billig  Australien  ausgenommen  werden 
sollen,  da  dort  nur  erst  2  (Sandwichs-  und  Sozietäts- Inseln) 
als  solche  angeführt  werden  können. 

Bis  hieher  hat  nun  ltez.  es  für  zweckmässig  erachtet,  den 
Verf.  Schritt  für  Schritt  zu  begleiten ,  um  dem  Leser  dessen 
Ideengang  vollständig  zu  entwickeln,  und  ihn  in  den  Stand  zu 
setzen,  dessen  neuempfohlene  Methode  von  allen  Seiten  würdi- 
gen zu  können.  Gern  gesteht  Kez.  ein ,  dass  er  es  bey  einem 
Lehrbuche  für  den  ersten  Cursus  allerdings  sehr  sachgemäss 
finde,  wenn  zuvörderst  das  Allgemeine  von  dem  Besondern  streng 
geschieden,  das  erstere  erst  vollständig  gelehrt,  und  dann  end- 
lich auf  den  speciellen  Theil  der  Erdbeschreibung  übergegan- 
gen werde.  Doch  dehnt  der  Verf.  den  Begriff  des  Generellen 
offenbar  zu  weit  aus ,  und  die  §§  11 ,  18,  19  und  22  hätten 
ganz  der  2ten  Abtheilung  aufgespart,  die  §§  12  bis  16,  20  und 
21  aber  sehr  beschränkt  werden  sollen.  Denn  allein  von  sol- 
chen Gebirgen,  Seen  und  Strömen  hätte  hier  Erwähnung  ge- 
schehen sollen,  welche  mehr  als  einem  Staate  angehören,  in 
Europa  also  nur  der  Pyrenäen,  Alpen  und  Karpathen ;  des  Gen- 
fer-, Boden-,  Garda-  und  Grossen -Sees,  der  Donau,  des  Rheins, 
des  Rhone,  und ,  in  sofern  die  Gränze  gegen  Asien  nur  bis  zum 
Don  vorgerückt  wird ,  auch  der  Wolga.  —  Von  hier  an  darf 
sich ,  weil  die  Beschreibung  der  einzelnen  Länder  nichts  Neues 
darbietet ,  Rez.  desto  kürzer  fassen ;  er  braucht  also  bloss  den 
Inhalt  des  Ueberrestes  in  gedrängter  Kürze  anzugeben,  auch 
sich  dabey,  mit  Uebergehung  aller  kleinen  Mängel  und  Gebre- 
chen, nur  auf  Berichtigung  erheblicherer  Verstösse  und  Irrthü- 
mer  zu  beschränken.  —  §  3  —  6:  Europa  nach  seiner  Grösse 
und  l '  ertheilung  in  Reiche.  Wales  ist  nicht  in  6,  sondern  in  12 
Shiren ,  Schottland  dagegen  nicht  in  83,  sondern  nur  in  29  Shi- 
ren  abgetheilt.  Die  Besitzungen  der  Britten  in  Ost -Indien  hät- 
ten geographischer  benannt  werden  können.  —  Madera  ge- 
hört nicht  den  Britten,  sondern  noch  immer  den  Portugiesen. 
—  Auf  Van  Diemensland  ist  weder  der  Kohlenfluss  noch  eine 
Stadt  Richmond  zu  suchen.  —  Bey  Russland  ist  das  neue  Gou- 
vernement Bessarabien  vergessen  worden. —  Frankreich:  Bloss 
die  Ost-  und  Südgränze  ist  sehr  gebirgig.  In  Lothringen  muss 
es  statt  Meurthe  heissen  Nancy.  —  Bey  den  Niederlanden 
werden  mehrere  Provinzen  noch  als  Herzogthümer,  Fürsten- 


96  Geographie. 

thümer  und  Grafschaften  aufgeführt.  —  Bengalen  wird  hier 
zu  den  Niederländischen  Besitzungen  gerechnet.  Auch  auf  Ja- 
pan soll  eine  Niederländische  Niederlassung  zu  finden  seyn.  — 
Emden  die  Hauptstadt  des  Königreichs  soll  wohl  heissen  Haupt- 
handelsstadt'?  —  Im  S.  Kohurg.  Fürstenth.  Lichtenberg  ist  Ott- 
weiler nicht  zu  suchen.  —  Die  Preussen  hier  gegebene  Bevölke- 
rung von  16,300,000  Köpfen  muss  auf  einem  Druckfehler  beru- 
hen. Unter  den  Handelstädten  des  Reichs  hat  zwarPillau  einen 
Platz  gefunden,  aber  Magdeburg,  Stettin  und  Stralsund  haben 
diese  Ehre  nicht  verdient.  Duisburg  ist  keine  Universität  mehr, 
hat  auch  wohl  nie  zu  den  berühmtesten  hohen  Schulen  Deutsch- 
lands gehört.  — -  Salzburg  besitzt  auch  keine  Universität,  wohl 
aber  Padua  und  Pavia.  —  Parma  fällt  allerdings  einst  an  den 
Herzog  von  Lucca,  der  aber  dann  Lucca  an  Toscana  abtritt, 
wofür  dieses  dem  Sohne  Napoleons  seine  Güther  in  Böhmen  über- 
lässt.  —  Kandia  scheint  hier  zur  Statthalterschaft  des  Kapu- 
dan  Pascha  gezogen  zu  seyn.  —  Bosnien  und  Servien  sind  hier 
als  Königreiche  aufgestellt.  —  §7 — 10:  Asien.  Konjeh  ist 
nicht  die  Hauptstadt  von  Cypern,  denn  diese  heisst  Lefkosia, 
sondern  von  derLandsch.  Karamanien.  —  Die  Länder  am  Kau- 
kasus, denen  ein  Flächenraum  von  nicht  weniger  als  31,260  □  M. 
zugetheilt  wird ,  werden  hier  noch  als  ein  besonderer  Abschnitt 
Asiens  behandelt.  —  Afghanistan  wird  hier  in  3  Reiche,  Kan- 
dahar, Kabul  und  Herat  abgetheilt.  —  Bey  Japan  findet  der 
Leser  noch  die  alten  statistischen  Angaben,  —  Der  Mahrat- 
tenstaat  wird  hier  noch  in  seinem  vorigen  Umfange  (von  1817) 
beschrieben.  —  Delhi  wird  hier  eine  Volkszahl  von  1,700,000, 
Kalkutta  aber  nur  von  180,000  S.  zugetheilt.  —  Dass  die  Nie- 
derländer im  J.  1824  ihre  Besitzungen  auf  dem  festen  Lande 
Ost  -  Indiens  gegen  Benkulen  an  die  Britten  vertauscht  ha- 
ben, hätte  der  Verf.  bereits  wissen  können.  —  In  Hinder- 
indien werden  noch  Laos  und  Kambodscha  als  besondere  König- 
reiche beschrieben.  —  §11  — 14:  Afrika.  Bey  mehrern  Land- 
schaften zählt  der  Verf.  wieder  Produkte  auf.  —  Bey  Nubien 
führt  er  ein  neues  Königreich,  Nahmens  Dekin,  ein,  aber  lei- 
der ohne  etwas  Näheres  darüber  zu  sagen.  Beym  Lande  der 
Jaloffer  ist  der  Nähme  der  Residenz  aussengelassen.  Da  aber 
dieses  Land  unter  mehrere  Häuptlinge  vertheilt  ist ,  so  ist  es 
schwer  zu  errathen ,  welche  der  Verf.  gemeint  habe.  —  Bey 
Habessinien  fehlt  der  Nähme  der  Hauptstadt  Gondar.  —  Bey 
Ober  -  Guinea  sind  nicht  eiumahl  die  Reiche  Aschanti  und 
Dahomei  genannt.  —  §15 —  18:  Amerika.  —  Die  katholi- 
sche Kirche  ist  keinesweges  in  ganz  Kanada,  sondern  nur  im 
Gouv.  Quebeck  vorherrschend.  —  Bey  den  Nord -Amerikani- 
schen Freystaaten  hätten  doch  wenigstens  die  Nahmen  der  ein- 
zelnen Staaten  richtig  angegeben  werden  sollen,  denn  JYlischi- 
gur  und  Arkanjas  sind  noch  blosse  Gebiete.     Dagegen  fehlen 


Petersen  :  Kurzer  Abriss  der  Erdbeschreibung.  91 

Maine,  Missisippi  und  Louisiana.  —  Bey  der  dem  Spanischen 
Nord -Amerika  vorgesetzten  Einleitung  ist  nur  Mexiko,  aber 
nicht  auch  Guatimala  berücksichtigt  worden. —  Die  Kolumbische 
Prov.  Panama  war  doch  wohl  auch  sonst  ein  Bestandtheil  vom 
V.KR.  Neu -Granada'?  —  Das  vorraahlige  V  KR.  la  Plata  bil- 
det hier  noch  immer  ein  Ganzes,  und  von  der  Zertheilung  des- 
selben in  3  unter  sich  unabhängige  Staaten  (la  Plata,  Paraguay 
und  Bolivia)  erfährt  man  hier  kein  Wort.  —  §  19  und  20: 
Australien.  Dieser  Erdtheil  ist  auf  2  Seiten  abgefertigt  worden, 
und  selbst  Neu-Guinea's  wird  hier  mit  keiner  Sylbe  gedacht. 
Die  Bewohner  der  Sozietäts- Inseln  werden  noch  als  Heiden  ge- 
schildert. 

Zum  Schlüsse  muss  Rez.  noch  einige  Worte  über  die  Topo- 
graphie sagen.  Dass  diese  bey  so  beschränktem  Räume  nicht 
reichhaltig  seyn  kann,  und  bey  dem  Plane  des  Werkchens  auch 
nicht  seyn  darf,  liegt  auf  der  Hand.  Ob  aber  nicht  hinsichtlich 
der  aufgenommenen  Orte  hie  und  da  eine  bessere  oder  strengere 
Auswahl  hätte  getroffen  werden  können,  ist  eine  andere  Frage. 
So  fehlen,  um  nur  ein  Beyspiel  anzuführen,  bey  den  N.-Ame- 
rik.  Fr. -St.  Baltimore  und  Neu- Orleans.  —  In  der  Regel  ist 
auch  nur  den  Hauptstädten  die  Volkszahl  beygesetzt.  Häufig 
liegen  aber  hier  veraltete  Zählungen  zu  Grunde.  So  hat  Berlin 
erst  180,000,  Warschau  76,000,  Dresden  46,000  E.  u.  s.  w.  Dem 
Werkchen  ist  ein  20  Seiten  langes  Register  beygegeben.  Das 
Papier  ist  weniger,  als  mittelmässig,  der  Druck  aber  gut.  Druck- 
fehler sind  nicht  selten,  aber  leider  nicht  angezeigt. 

No.  4.  Die  erste  Auflage  dieses  Büchelchens  vom  J.  1817 
hat  den  durch  den  2ten  Pariser  Frieden  herbeygeführten  man- 
nigfachen politischen  Umänderungen  seine  Entstehung  zu  ver- 
danken, weil  der  Hr.  Verf.  es  für  nöthig  hielt,  ein  kleines,  wohl- 
feiles Werkchen  zu  bearbeiten,  das  dem  Schüler  zum  Lernen 
dienen,  dem  Lehrer  aber  Gelegenheit  geben  solle,  einen  aus- 
führlichem mündlichen  Unterricht  hinzuzufügen.  Zu  demsel- 
ben hat  der  Verf. ,  nach  seiner  Versicherung ,  die  besten  geo- 
graphischen Schriften  benutzt.  Die  2te  Auflage  erschien,  wie 
die  Vorrede  besagt,  nachdem  die  erste  in  11  Monaten  vergriffen 
war,  um  |  vergrössert  im  J.  1818.  Und  die  3te  hier  vorliegen- 
de Aufl.  erscheint  ebenfalls  durchaus  verbessert  und  vermehrt, 
mit  Berücksichtigung  der  dem  Verf.  bekannt  gewordenen  Ver- 
änderungen. 

Sowohl  Titel  als  Vorrede  bestimmen  dieses  Buch  vornehm- 
lich für  Schulen,  und  reihen  es  sonach  den  geographischen 
Lehrbüchern  an.  Gleichwohl  werden  hier  die  Grundzüge  der 
mathemat.  und  phys.  Geogr.  auf  kaum  6  Seiten  abgefertigt. 
Dieser  offenbar  sehr  flüchtige  Abriss  derjenigen  Theile  der 
Geogr. ,  welche  bey  einem  Lehrbuche  der  Art ,  weil  solche  die 
Grundlage  des  ganzen  Unterrichts  ausmachen  ,  mit  besonderer 

Jahrb.  f.  Phil.  u.  Fädag.  Jahrg.  111.  Heft  1.  f 


98  Geographie. 

Aufmerksamkeit  und  Umsicht  behandelt  seyn  wollen ,  steht 
nun ,  nach  der  Ansicht  des  Rez.,  mit  dem  Begriffe  eines  geogr. 
Schulbuchs  in  geradem  Widerspruch.  Auch  äussert  sich  der 
Verf.  nicht  näher  über  den  Gebrauch  desselben ;  und  noch  wei- 
ter ist  er  davon  entfernt,  eine  neue  Methode  anzupreissen, 
oder  irgend  einer  neuen  Eintheilung  der  Erdtheile  nach  Na- 
turgränzen  zu  huldigen;  vielmehr  tritt  er  unbedenklich  in  die 
Fusstapfen  der  altern  Geographen,  welche,  ohne  eine  allgemei- 
ne Uebersicht  der  ganzen  Erdmasse  voranzuschicken,  sogleich 
auf  die  mathem.  und  phys.  Geogr.  die  politische  folgen  las- 
sen. Rez.  möchte  daher  dieses  Euch  viel  lieber  in  die  Klasse 
der  geographischen  Volksbücher  versetzen,  da  es  in  einer  im 
Ganzen  leicht  verständlichen  Sprache  und  ohne  grosses  Wort- 
gepränge gerade  so  viel  vom  heutigen  Zustande  unserer  Erde 
vorträgt,  als  heut  zu  Tage  von  dem  gebildeten  Bürger  und  Land- 
mann zu  wissen  verlangt  werden  kann,  zumahl  da  es  von  gro- 
ben Irrthümern  und  Mängeln  ziemlich  rein  gehalten  worden  ist, 
wie  nachstehende  Bemerkungen  näher  an  den  Tag  legen  werden. 

In  der  schon  erwähnten  kurzen  Einleitung  hätten  die  Grün- 
de, welche  für  die  Kugelgestalt  der  Erde  sprechen,  noch  sorg- 
fältiger entwickelt  werden  sollen.  Auch  kann  Rez.  mit  der  Er- 
klärung des  Wortes  Rhede  nicht  zufrieden  seyn.  Denn  diess 
ist  ja  der  zunächst  eines  Havens  liegende  Theil  des  Meeres, 
welcher  den  Schiffen  schon  einen  sichern  Ankergrund  darbietet, 
die  daher  hier  vor  dem  Winde  so  lange  sicher  liegen,  bis  sie 
in  den  Ilaven  einlaufen  können. 

Ister  Abschn. :  (S.  7  —  144.)  Europa.  Da  unter  den  wich- 
tigsten Flüssen  dieses  Ertheils  Weser,  Duero,  Guadalquivir, 
Guadiana,  Themse,  Niemen,  Dniester  u.  s.  w.  nicht  einrangirt 
worden  sind,  so  war  Rez.  verwundert,  die  Tiber  hier  genannt 
zu  sehen.  Frankreich.  Da  der  Verf.  hier  (richtig)  der  Rhone  sagt, 
so  war  es  auffallend,  dass  er  gleichwohl  die  Allier,  die  Cher,  die 
Doubs  u.  s.  w.  zu  schreiben  sich  erlaubt  hat.  —  Italien.  Beym 
Po  hat  Rez.  den  Nebenfluss  Tanaro  nicht  gefunden.  Auch  wird 
hier  die  Prov.  Aosta  zu  Savoyen  geschlagen.  —  Deutschland. 
Unter  den  erheblichem  Nebenflüssen  der  Donau  sind  Altmühl, 
Naab ,  Regen  und  Traun  mit  Stillschweigen  übergangen  wor- 
den. Unter  den  Binnenseen  fehlt  der  Müritz  -  See.  —  Da  die 
Oesterreichischen  und  Preussischen  Besitzungen  in  Deutschland 
bey  den  betreffenden  Staaten  beschrieben  werden,  so  hätte 
auch  dieser  Grundsatz  bey  Holstein  und  Luxemburg  in  Ausfüh- 
rung gebracht  werden  sollen.  —  Oesterreich.  Die  Inn  ist  wohl 
ein  blosser  Druckfehler.  —  Statt  der  unerheblichen  Ips  hätte 
die  schiffbare  Traun  genannt  werden  sollen.  Auch  bey  der 
Theiss  wird  der  Leser  mehrere  beträchtliche  Nebenflüsse,  als 
Samosch ,  Marosch,  Hernath,  Koros  u.  s.  w.  vergeblich  suchen. 
—    Bey  Ungarn  hätte  der  Landschaften  Gross-  und  Klein-Ku- 


Petersen:  Kurzer  Abriss  der  Erdbeschreibung.  99 

manien,  und  Jazygien,  so  wie  der  Zipser  und  der  Haiducken- 
Städte  wenigstens  mit  einigen  Worten  gedacht  werden  sollen. 
—  Niederlande.  Der  Staat  ist  nicht  durchgehends  eben  und 
niedrig.  Denn  der  südwestliche  Theil  ist  mit  waldigen  Bergen 
und  Hügeln,  die  zu  den  Ardennen  gehören,  bedeckt.  —  Gross- 
Britannien.  Alte  und  neae  Bevölkerungsangaben  wechseln  hier 
mehr  als  anderwärts  mit  einander  ab.  So  hat  Cork  erst  65,000, 
Waterford  hingegen  schon  48,000  EiliW.  bekommen.  Auch  ist 
bloss  England  an  sich  nach  seiner  Eintheilung  in  Shiren,  Wales 
aber  nur  nach  der  in  Nord -und  Süd-,  Schottland  nach  der 
in  Süd-,  Mittel-  und  Nord -Schottland,  und  Ireland  nach  der  in 
4  Provinzen  beschrieben.  Wenn  das  letztere  der  Kürze  wegen 
für  nöthig  erachtet  wurde,  so  hätte  auch  England  bloss  nach 
seinen  7  alten  Landschaften  dargestellt  werden  sollen.  —  Eu- 
ropäische Türkey.  Auch  hier  folgt  der  Verf.  der  beliebten  Ein- 
theilung in  Ejalets  und  Sandschaks.  Lobenswerth  ist  es  daher, 
dass  er  bey  den  letztern  angiebt,  in  welcher  Landschaft  solche 
zu  suchen  sind.  Freylich  trifft  diess  nicht  bey  allen  genau  zu, 
da  verschiedene  derselben  aus  Parzelen  mehrerer  Landschaften 
zusammengesetzt  sind,  Z.B.Sofia,  welches  zwar  Bulgarien  bey- 
gezählt  wird ,  aber  sich  auch  über  einen  beträchtlichen  Theil 
von  Thrazien  verbreitet. 

2ter  Abschn.:  (S.  144  —  175.)  Asien.  Asiatische  Türkey. 
Im  Ejalet  Rakka  sind  die  Nahmen  Racca  und  Orfa  durch  einen 
Punkt  getrennt,  also  als  2  besondere  Orte  dargestellt,  obschon 
es  nur  2  verschiedene  Nahmen  Einer  einzigen  Stadt  sind.  — 
Afghanistan.  Hier  hätte  bemerkt  werden  sollen,  dass  der  Herr- 
scher nicht  König,  wie  hier  geschrieben  steht,  sondern  eben- 
falls, wie  bey  Iran,  Schach  titulirt  werde.  —  Hinter  -  Indien. 
Malakka  wird  hier  noch  eine  Niederländische  Besitzung  genannt, 
obgleich  auf  Sumatra  Benkulen  bereits  als  seit  1824  den  Nieder- 
ländern gehörig  behandelt  ist.  —  China.  Die  Portugisische 
Besitzung  Makao  ist  zwar  allerdings  eine  Halbinsel,  aber  nicht 
vom  festen  Lande,  sondern  nur  der  südliche  Theil  der  gleich- 
nahmigen  Insel,  im  Busen  von  Kanton,  deren  grösserer  nördli- 
cher Theil  stäts  den  Chinesen  verblieben  ist.  —  Die  Chinesi- 
schen Ladronen  sind  hier,  jedoch  nur  unter  dem  Nahmen  Lar- 
ronen,  angeführt.  —  Japan.  Die  vulkanische  Beschaffenheit 
des  Landes  ist  gar  nicht  berücksichtigt  worden.  —  Dunkel  ist 
die  die  Regierung  dieses  Reichs  betreffende  Stelle.  Verrnuthlich 
hat  der  Verf.  sagen  wollen ,  dass  die  noch  heut  zu  Tage ,  we- 
nigstens dem  Range  und  dem  Titel  nach,  herrschende  Dyna- 
stie des  Dairy  schon  seit  Jahrtausenden  auf  dem  Throne  des  Rei- 
ches sitze. 

3ter  Abschn.:  Afrika.  (S.  176  — 188.)  Der  Flächenraum  ist 
sehr  genau  auf  510,619  □  Meilen  berechnet.  Noch  genauer  und 
sorgfältiger  hat  der  Verf.  aber  die  Volkszählung  veranstaltet. 


100  Geographie. 

Denn  er  bringt  netto  109,779,000  Einw.  heraus.  Ist  es  nicht 
drollig,  bey  einem  Erdtheile ,  dessen  Binnenländer  den  Euro- 
päern bis  jetzt  nur  an  einzelnen  Punkten  zugänglich  waren  ,  ja 
dessen  Küsten  noch  nicht  einmahl  gehörig  erforscht  sind,  eine 
so  genaue  Menschenzahl  zu  supponiren  1  —  Oestliche  Küsten- 
länder. Nach  dem  sonst  so  berühmten  Reiche  Monomotapa  sieht 
man  sich  vergebens  um.  —  Sudan.  Der  Stadt  Tombuktu  wird 
auf  gut  Glück  eine  Bevölkerung  von  216,000  ( ! ! )  S.  zugetheilt. 

4ter  Abschn.:  (S.  188  —  208.)  Amerika.  —  Bey  Nennung 
des  See's  Parime  hätte  wenigstens  bemerkt  werden  sollen,  dass 
dessen  Existenz  noch  nicht  erwiesen  sey.  —  Nord-  Amerika- 
nische Frey  Staaten.  Hier  heisst  es  S.  193:  „Dieser  ganze  Frey- 
staat besteht  aus  31  freyen  Staaten,  die  aber  in  allgemeinen 
Angelegenheiten  mit  einander  verbunden  sind."  Es  ist  auffal- 
lend, dass  ein  Schriftsteller,  der  ein  geograph.  Lehrbuch  schreibt, 
und  in  jedem  noch  so  kleinemllandbuche  Avirkliche  Staaten  vonGe- 
bieten  getrennt  angegeben  finden  muss ,  den  grossen  Unterschied 
zwischen  einem  Freystaat  und  einem  Gebiet  für  zu  unerheblich 
erachten  kann,  als  dass  er  nicht  weiter  erwähnt  zu  werden 
brauche.  Gleichwohl  hat  er  den  2  letzten  Nummern  Missuri 
und  Oregan  das  Wort  Gebiet  vorgesetzt.  Von  diesen  2  Gebie- 
ten erfährt  der  Leser  aber  auch  nichts  als  die  Nahmen.  —  Der 
FläcbengehaltSüd-Amerika's  wird  zu  395,000  □  Meilen  ange- 
nommen, also  um  mehr  als  73,000  zu  hoch.  —  Kolumbien. 
Hier  wird  gesagt:  „Diese  Republik  ist  1820  aus  der  Verbindung 
der  Staaten  (?)  Neu- Granada,  Caracas,  Quito  und  Panama  ent- 
standen." Wie  konfus !  Die  genannten  Länder  waren  doch  wohl 
sonst  ein  Theil  des  Spanischen  Amerika ,  und  durften  also  auf 
den  Titel  eines  Staats  keinen  Anspruch  machen '?  Und  Neu-Gra- 
nada  bildete  doch  wohl  mit  Quito  und  Panama  nur  ein  einziges 
Vize -Königreich?  Richtiger  musste  es  also  heissen:  Dieser 
Freystaat  umfasst  das  vormahlige  V.  KR.  Neu -Granada  und  die 
vormahlige  General -Hauptmannsch.  Caracas.  —  Der  Flächen- 
raum des  Französischen  Guiana's  ist  mit  3,600  Q  Meilen  viel  zu 
hoch  angenommen. 

5ter  Abschn. :  (S.  208  — 212.)  Australien.  Dieser  Abschn.  ist 
sehr  kurz  behandelt,  und  besteht  meistens  nur  aus  Nomenclatur. 
Neu -Holland  werden  hier  180,000,  Neu-Guinea  500,000,  Neu- 
Britannien  200,000 ,  Neu  -  Georgien  100,000 ,  Neu  -  Seeland 
150,000,  den  Sozietäts-Ins.  120,000,  den  Sandwichs-Ins.  450,000, 
den  Karolinen  100,000  Einw.  zugetheilt.  Neu -Süd -Wales  soll 
schon  42,000,  und  die  Hauptst.  Sidney  13,400  M.  zählen.  Als 
Zugabe  ist  eine  Skizze  von  der  Vertheilung  der  S.  Gotha-Alten- 
burgischen  Lande  anzusehen.  Aber  diese  ist  noch  so  unbestimmt, 
dass  sie  bedeutender  Berichtigung  bedarf,  und  daber  wenig 
brauchbar  ist.    Den  Beschluss  macht  ein  Register. 


Selten:  Hodegetischcs  Handbuch  der  Geographie.  101 

Jedem  Erdtheile  ist  am  Schlüsse  der  Einleitung  eine  Tabelle 
über  Areal  und  Volksmenge  der  einzelnen  Staaten  und  Länder- 
massen beygesetzt.  Da  aber  diese  Zahlen  wiederum  bey  jedem 
einzelnen  Staate  oder  Lande  vorkommen,  und  Wiederhohlungen 
bey  einem  Buche  von  so  beschränktem  Räume  möglichst  vermie- 
den werden  sollten ,  so  möchten  diese  Tabellen  wohl  für  über- 
flüssig zu  erklären  seyn.  —  Bey  jedem  Reiche  werden  auch 
die  jetzt  lebenden  Regenten  nahmentlich  angeführt.  Auch  diess 
werden  viele  Leser  für  ein  dem  ersten  Cursus  gewidmetes  Hand- 
buch für  zu  früh  ansehen.  —  Die  Topographie  unterliegt  auch 
mitunter  keiner  sorgfältigen  Auswahl.  So  hat  Rez.  bey  Frank- 
reich die  beträchtlichen  Städte:  Hagenau,  Schlettstadt ,  Cha- 
lons  s.  Saone,  Autun,  Thiers,  Tarascon,  Moissac,  Sarlat, 
Libourne ,  Saintes ,  Issoudun ,  Saumur ,  u.  s.  w.  vermisst. 
—  Den  meisten  Orten  ist  auch  die  Zahl  der  Einw.  und  zwar 
in  runden  Summen  beygesetzt  worden ,  was  Rez.  für  ein  so  be- 
schränktes Werkchen  sehr  zweckmässig  findet.  Hätte  doch 
der  Verf.  dieselbe  Regel  auch  bey  den  Reichen  und  Ländern 
selbst  gelten  lassen ! 

Papier  und  Druck  sind  zwar  nicht  ausgezeichnet,  aber  auch 
nicht  zu  tadeln.  Indessen  kommen  Druckfehler  nicht  gar  selten 
vor,  sind  aber  auch  leider  nicht  angezeigt.  Den  Preis  findet  Rez. 
für  die  geringe  Bogenzahl  gerade  hoch  genug. 

No.  5.  In  der  Vorrede  zur  lsten  Auflage,  welche  im  J. 
1820  ans  Licht  trat ,  gesteht  zwar  der  Hr.  Verf.  ein ,  dass  ei- 
gentliche geographische  Lehrbücher  genug  vorhanden  wären, 
dass  auch  darunter  mehr  als  ein  vortrefliches  sey ;  er  versichert 
aber  aber  auch  zugleich,  dass,  soviel  er  wisse,  eine  hodegetische 
Schrift,  welche  das,  worauf  sich  ein  Lehrbuch  nicht  einlassen  kön- 
ne, zunächst  und  eigends  behandelte^ ,noch  Niemand  herausgegeben 
habe.  Da  er  nun  eine  solche  zum  Besten  der  Schüler  für  äu- 
sserst nothwendig  erachte,  so  habe  er  die  Ausarbeitung  eines 
Handbuchs  der  Art  übernommen.  Vorliegende  Grundlage  macht 
aber  nur  denjenigen  Theil  davon  aus,  der  lediglich  für  Schüler 
bestimmt  ist.  Das  2te  Bändchen  hingegen,  welches  ausschliess- 
lich für  Lehrer  bestimmt ,  und  rein  hodegetischen  Inhalts  seyn 
sollte,  würde  nächstens  nachfolgen.  Zugleich  bemerkt  der 
Verf.  aber,  dass  diese  Grundlage  den  ununterbrochenen  Ge- 
brauch der  geographischen  Charten  verlange,  und  schliesst 
mit  den  Worten:  „Sollten  demnach  Kenner  das  Urtheil  fällen, 
dass  diese  Grundlage,  wenn  man  sie  wie  ein  anderes  Buch  be- 
handeln will,  unbrauchbar  erscheint,  so  ist  das  wohl  richtig. 
Denn  sie  ist  absichtlich  so  bearbeitet,  dass  sie  den  Mitgebrauch 
der  Charte  gar  nicht  entbehren  kann,  wie  sie  selber  wiederum 
den  Gebrauch  der  Landcharte  und  Erdcharte  zum  Behuf  des 
geographischen  Lernens  und  Wissens  förderlich  machen  soll." 

Die  Vorrede  zur  vierten  Auflage  berichtet ,   dass  dieselbe, 


102  Geographie. 

weil  nach  Verlauf  eines  halben  Jahres  die  dritte  schon  vergriffen 
sey ,  verbessert  und  berichtigt  erscheine,  beklagt  aber  auch  dabey, 
dass  die  Reinheit  des  Drucks  sich  in  derselben  vermindert  habe. 

Der  grösste  Theil  der  Leser  wird,  wie  Rez.  wohl  mit  Recht 
voraussetzen  darf,  neugierig seyn,  aufweiche  bisher  noch  nicht 
dagewesene  Weise  hier  die  Geogr.  gelehrt  werde.  Es  ist  daher 
doppelte  Pflicht  des  Rez.  —  wenn  er  den  Hauptzweck  dieser 
Jahrbücher  nicht  aus  den  Augen  verliehren  will  —  auch  diese 
Grundlage ,  so  weit  sie  sich  mit  neuen  Vorschlägen  zu  einem 
verbesserten  Unterricht  in  dieser  Wissenschaft  beschäftigt,  ei- 
ner ausführlichem  Prüfung  zu  unterwerfen,  um  die  Leser  zu 
belehren,  was  sie  hier  eigentlich  zu  suchen  haben. 

Das  in  120  §§  vertheilte  Werkchen  zerfällt  in  folgende  Ab- 
schnitte: Einleitung.  (S.l — 9.)  Diese  handelt  vom  Begriff  der 
Geogr.  überhaupt ,  und  giebt  dann  über  die  unentbehrlichsten 
Lehrsätze  der  mathem.  Geogr.  Auskunft. 

lste  Abtheilung.  (S.  10  —  Uli.)  Diese  beschäftigt  sich  aus- 
schliesslich mit  der  Erd- Oberfläche  überhaupt,  oder  mit  der 
allgemeinen  Erdbeschreibung,  undzertheilt  sich  in  8  Lehrstücke 
oder  Kapitel,  worin  die  hieher  gezogenen  Gegenstände  in  fol- 
gender Ordnung  vorgetragen  werden: 

lstes  Lehrst.:  Von  dem  Bestand  der  E.O.,  oder  Land-  und 
Wasservertheilung.  Hier  betrachtet  der  Verf.  1)  den  Meeres- 
stand, wo  er  als  eine  schon  ganz  ausgemachte  Wahrheit  annimmt, 
dass  das  Meer  immerfort  in  Abnehmen,  das  Land  dagegen  in 
stätem  Zunehmen  sey ;  2)  das  Erdland ,  wo  zwar  von  dessen 
Einth eilung  in  5Erdtheile,  und  in  die  alte  und  neue  Welt,  aber 
nicht  von  der  ersten  und  notwendigsten  in  festes  Land  oder  in 
Inseln  gesprochen  wird ;  3)  das  Erdmeer ,  wo  der  Verf.  zuerst 
dessen  Zerlegung  in  bloss  3  Hauptmassen  als  naturgemäss  vor- 
schlägt, von  denen  er  das  erste  das  Binnenländische  Meer  (das 
nördliche  Eismeer  und  den  Atlantischen  Ozean  in  sich  fassend), 
das  zweyte  das  Aussenländische  (aus  dem  grossen  Ozean  mit 
dem  östlichen  Meere  bestehend)  und  das  dritte  den  Süd  -  Ozean 
oder  das  Stille  Meer  (den  weiten  Meeresraum  auf  der  südlichen 
Erdhälfte  der  nirgends  von  Küsten  begränzt  ist,  [doch  wohl  mit 
dem  Eismeer?]  begreiffend,)  nennt;  dann  aber  auch  die  gewöhn- 
lichere in  5  Hauptmeere  anführt. 

2tes  Lehrst.:  Von  den  5  Welt-  oder  Erdtheilen,  wo  über 
deren  Gränzen  und  Eintheilung  Bericht  erstattet  wird.  Europa, 
dessen  Ost-Gränze  hier  bis  zum  Ural,  dem  Kaspischen  Meer, 
und  zum  Kaukasus  vorgerückt  ist,  wird  in  Süd-,  Nord-,  Ost-  u. 
Mittel -E.  unterschieden,  ohne  bey  den  einzelnen  Staaten  und 
Ländern  weiter  auf  natürliche  Gränzen  einzugehen;  Asien  wird 
in  Nord-,  Ost-, Süd-,  West- und  Mittel -A.  und  die  Inseln;  Afrika 
ebenfalls  in  Nord-,  West-,  Süd-,  Ost-,  Binnen- Afrika  u.  die  Inseln ; 
Amerika  in  Nord  -  und  Süd  -  A.  und  West  -  Indien,  und  Australien 


Selten :  Hodcgctisches  Handbuch  der  Geographie.  103 

in  tlas  Kontinent,  in  die  grössern  einzelnen  Inseln,  und  in  die 
weiter  nach  Osten  und  NO.  zerstreuten  Inselgruppen  abgetheilt. 

3tes  Lehrst.:  Von  den  5  Weltmeer  estheilen.  Hier  wird  zu- 
nächst im  §  18,  Meeresgrund ,  Meeresrand  und  Meeresspiegel, 
das  Nöthigste  aus  der  physischen  Geogr.,  soweit  solche  das 
Meer  betrifft,  nachgeholt,  dann  jedes  der  5  Hauptmeere  nach  sei- 
ner Ausdehnung  und  seinen  IN  ebentheilen  beschrieben. 

4tes  Lehrst. :  Von  den  Erzeugnissen.  Diese  werden  ß)  in 
Natur-  und  Kunst-,  b)  in  See-  und  Land-  und  c)in  animalische, 
vegetabilische  u.  mineralische  Produkte  unterschieden,  und  hier- 
auf näher  angegeben  ;wobey  auch  die  diesen  Abschnitt  betreffen- 
den Gegenstände  aus  der  physischen  Geogr.  eingeschaltet  sind. 

5tes  Lehrst. :  Von  den  Erdbewohnern  oder  den  Menschen, 
in  welchem  folgende  Sätze  behandelt  sind :  a)  Herrschaft  über 
den  Erdboden;  b)  Religion  (die  Schamanische  Rel.  ist  nicht  bloss 
in  Japan,  sondern  auch  in  Manschurey  einheimisch)  ;  c)  Geistes- 
bildung (wo  die  Nationen  in  Hirten,  ansässige  und  gebildete 
unterschieden  werden);  d)  Körperbildung,  welcher  auch  die  in 
neuerer  Zeit  angenommenen  5  Hauptrassen  zu  Grunde  gelegt 
werden;  e)  Völker  und  Sprachen;  f)  Staaten. 

6tes  Lehrst.:  Von  der  Gestalt  des  Erdbodens,  oder  von 
den  Höhen  und  Tiejen.  Hier  kommt  in  §  oben  und  unten  auch 
die  Lehre  von  den  Gegenfüsslern,  Gegenwohnern  und  Neben- 
wohnern  vor.  Nun  folgen  die  Abschnitte:  das  Meer  als  Grund- 
fläche aller  Höhen;  die  Flüsse  als  Tiefenlinien  oder  Wasser  ivege, 
wo  auch  von  den  Mineralquellen  gesprochen  wird;  Hauptströ- 
me in  den  5  Erdtheilen;  Binnen-  oder  handseen  (wo  statt  des 
Champlain  See's  weit  eher  der  Sklaven-  und  der  Winnipek  -  See 
hätten  genannt  werden  sollen) ;  Wasserscheide  oder  Höhenlinie; 
Bodengestalt  und  Bodenhöhe ,  wo  der  ganze  Er d  räum  in  Ge- 
birgsland,  Hochland,  Tiefland  und  Stufenland  abgetheilt  wird ; 
Bildung  der  Gebirge ;  Verzeichniss  der  Hauptgebirge ,  die  wir 
auf  der  Erde  kennen ;  wo  bey  Europa  zwar  dieApenninen  u.  der 
Hämus  (der  liier  zwischen  dem  Schwarz,  u.  dem  Ionisch,  u.  Adria- 
tisch.  Meere  ausgedehnt  wird)  als  Hauptgebirge  dargestellt,  die 
Gebirge  im  Innern  Spaniens ,  die  Gebirge  Grossbritanniens,  die 
Sudeten,  der  Ural  aber  ganz  mit  Stillschweigen  übergangen  wer- 
den. Die  Karpathen  sind,  nach  dem  Verf.,  ein  schmales 
kurzes  Gebirge  mit  einem  desto  ausgedehnteren  Hochlande,  lie- 
ber die  Gebirge  Asiens  sagt  er  sehr  zweckmässig:  „Hier  können 
nur  die  bekannteren  unter  den  Hauptgebirgen  nahmhaft  ge- 
macht werden,  da  mehr  als  der  halbe  Erdtheil,  und  zwar  die 
rechten  Gebirgsländer,  noch  zu  wenig  von  den  Europäern  gese- 
hen und  beschrieben  sind."  Nachdem  er  nun  den  Ural,  den 
Kaukasus,  Taurus,  Libanon,  die  Ghates,  den  Himalaja  und  den 
Altai  genannt  hat ,  fährt  er  fort:  „Die  alten  Nahmen:  Imaus, 
Emodus,  wie  auch  die  neuem  Nahmen:  Mus-dag,  Mussart,  Be- 


104  Geographie, 

lur,  Hindukusch,  Kantaisse,  Bogdo-Oola  u.  s.  w. ,  welche  de» 
Gebirgen  in  N.  der  Ost -Indischen  Landesgränze  (besser  Hoch- 
oder Mittel  -  Asiens)  gegeben  werden ,  bleiben  hier  ungenannt, 
weil  unsere  vermeintliche  Kenntniss  von  ihnen  so  gut  wie  gar 
keine  ist  u.  s.  w."  Mit  diesem  offenen  Bekenntniss  werden  ge- 
wiss die  meisten  Geographen  vom  Fach  zufrieden  seyn  ;  dage- 
gen werden  sie  tadeln,  dass  der  Verf.,  weil  er  den  Altai  nur  auf 
die  Südgränze  des  westlichen  Sibiriens  beschränkt,  die  Ost-Si- 
birischen  Gränzgebirge,  nähmlich  die  Sajanischen,  Baikalischen, 
Nertschinskischen  und  Ochozkischen  Geb.,  ganz  unerwähnt  ge- 
lassen habe.  Ebenso  nennt  er  bey  Afrika  den  Atlas,  die  Abes- 
sinischen  Alpen  und  das  Kong-Geb.  und  rechnet  die  Mondsge- 
birge und  denLupata  zu  den  Dingen,  über  welche  die  Geogr.  erst 
noch  mehr  befriedigendcBerichte  abwarten  muss.  Auch  bey  Ame- 
rika führt  er  nur  die  Andes  und  die  Apalachen  an,  und  bemerkt 
dabey :  „Ein  weitläuftiges  und  hohes  Gebirge  in  Brasilien,  und 
die  lange  hohe  doppelte  Bergkette,  welche  das  westliche  Nord- 
Amerika  von  S.S.O.  nach  N.N.W,  durchzieht,  haben  noch  kei- 
nen Nahmen  in  der  Erdbeschreibung."  Letztere  ist  ja,  nach 
der  allgemeinen  Annahme,  ein  Theil  der  Südamerikanischen 
Anden.  Sie  hat  zwar  strichweise  verschiedene  IN  ahmen,  doch 
scheint  der :  Felsengebirge  (Rocky-Mountains)  immer  allgemeiner 
zu  werden.  Die  Leser  werden  also  gleichwohl  noch  das  Lan- 
deshaupt im  nördlichen  und  das  Chiquitos  -  Geb.  im  südlichen 
Amerika  vermissen. 

7tes  Lehrst. :  Von  dem  vulkanischen  oder  unterirdischen 
Feuer,  wo  der  Verf.  sowohl  die  vulkanischen  Räume  unter  der 
Erdoberfläche,  als  auch  die  vulkan.  Ausgänge  auf  die  Erdober- 
fläche, und  die  vulkanische  Gewalt  gegen  die  Erdoberfläche 
berücksichtigt.  Unter  den  Europäischen  Vulkanen  sind  aber 
Stromboli  und  Vulcano  unerwähnt  geblieben. 

8tes  Lehrst.:  Von  der  Luft,  wo  die  Gegenstände:  Luft- 
kreis, Lufterscheinungen,  Luftströme  oder  Winde,  Klima, 
Wärme  und  Kälte ,  Schneelinie,  und  Zonen  und  Klimaten  näher 
beleuchtet  werden. 

9tes  Lehrst.:  Von  dem  Sonnenlichte ,  in  welchem  die  Ar- 
tikel: Licht- und  Schatten -Wechsel,  Tageszeiten,  Erdbahn, 
Himmelskugel,  Jahreslauf,  Tages- und  Nachtlängen,  Licht- 
klima und  Zonen  vorgetragen  sind. 

2te  Abtheilung.  (S.  78  — 154.)  Diese  begreift  die  Länder- 
Beschreibung  ,  und  ist  keineswegs  in  Lehrstücke  oder  Kapitel, 
(was  doch  wohl  der  Konsequenz  wegen  sachgemäss  gewesen 
wäre,)  sondern  nur  in  §§  62  abgetheilt,  von  welchen  33  auf  Eu- 
ropa, 8  auf  Asien,  7  auf  Afrika,  11  auf  Amerika ,  und  3  auf 
Australien  fallen. 

Europa.  Der  Flächenraum  wird  zu  175,000  □  M. ,  die  Po- 
pulation aber  nur  zu  185  31111. ,  also  um  31  bis32Mill.  zu  gering 


Selten:  Hodegctisches  Handbuch  der  Geographie.  105 

angegeben.     Die  einzelne»  Staaten  werden  nach  ihrer  geogra- 
phischen Lage,  nach  Umfang,    Gränzen,  Flächenraum,  Ober- 
fläche, Boden,  Klima,  Bewässerung,   Produkten,   Einwohnern 
und  Landestheilen,  zwar  in  gedrängter  Kürze,  aber  ziemlich 
befriedigend  beschrieben.  Nur  ist  mehrentheils  die  Topographie 
zu  dürftig  ausgestattet  worden,  denn  sie  beschreibt  z.B.  bey 
Portugal  nur  die  Orte:  Tavira,  Elvas ,  Setuval,  Lissabon,  Cin- 
tra,   jVIafra,   Belem,   Caldas,    Coimbra,  Porto  (wo  nicht  ein- 
mahl der  neuen  Stadttheile  gedacht  wird)  und  Braganza,  also 
nicht  einmahl  Braga,Viana,  Ovar,  Vizeu,  Santarem,  Evorau.  s.  w. 
—  SpanieJi.  Das  Gebirgssystem  ist  ziemlich  richtig  angegeben, 
nur  das  Guadalupe-Geb.  wird  nicht  erwähnt.     Die  Volkszahl 
ist  zu  10  Mill. ,    also  zu  niedrig  angeschlagen.     Wenigstens  in 
Katalonien  hätten  noch    die  Fabrikstädte  Rues,   Mataro  und 
Olite  aufgenommen  werden  sollen.    Gibraltar  ist  mit  4000  Einw. 
abgefertigt  worden. —  Italien.  ImOesterreich.KR.  Lombardey- 
Venedighatd.  Verf.  mehrern  Städten  ganz  veraltete  Volkszahlen 
bey  gesetzt.  So  hat  hierVenedig  noch  150,000,Brescia  noch  40,000, 
dagegen  Verona  nur  40,000,  Padua  nur  28,000,  Mantua  nur  20,000, 
Lodi  nur  12,000  Einw.      Nach  den   Städten  Vicenza,    Udine, 
Chiozza ,  Treviso ,  Bassano ,  Crema  u.  s.  w.  sieht  man  sich  ver- 
gebens um.  —     In  Piemont  sind  nur  Turin  und  Aosta  nahm- 
haft  gemacht.     Im  Kirchenstaate  hätten  wenigstens  noch  Peru- 
gia, Civita  vecchia,  Urbino,  Sinigaglia  und  Rimini  die  Aufnah- 
me verdient.   In  Neapel  beschränkt  sich  die  ganze  Topographie 
auf  die  Hauptstadt,  Taranto,  Capua  und  Gaeta,  und  auf  Sizi- 
lien auf  Messina,  Catanea,  Syragossa  und  Palermo.  —   Euro- 
päische Türkey.     Sie  soll  eins  der  höchsten  Länder  Europa's 
seyn,  obgleich  der  Verf.  weiter  unten  selbst  berichtet,  dass  im 
N.  der  Donau  und  an  ihrer  Mündung  ausgedehntes  Tiefland  zu 
finden  sey.     Aber  auch  ein  Theil  der  Westküste  Griechenlands 
ist  ja  niedrig  und  sumpfig.     Die  Türkey  wird  übrigens  nach  ih- 
ren alten  Bestandtheilen  dargestellt.  —    Livadien  hat  hier  nur 
275  O  M-,  was  offenbar  zu  wenig  ist.  Ebenso  scheint  auch  das  Areal 
Makedoniens  zu  720  □  M.  etwas  zu  gering  geschätzt  worden  zu 
seyn.  Konstantinopel  hat800,000  und  Philippopel  120,000  E.erhal- 
ten.  —  Ungar /« ist  liier  nur  mit  4000  [JM.  und  mit  ?■§■  Mill.  E.  ange- 
setzt.    Das  Karpathische  Gebirge  bekommt  nur  eine  Länge  von 
10  M.,  das  Karpathische  Hochland  aber  von  mehr  als  100  M. 
Also  verdienen  die  6  —  8000  F.  hohen  Gipfel  der  Karpathen  in 
Siebenbürgen ,   das  der  Verf.  selbst  eins  der  höchsten  Länder 
in  Europa  nennt,  keineswegs  den  Nahmen  Gebirg?  Pressburg 
wird  hier  als  Festung  bezeichnet,  Ofen  aber  nicht;   was  doch 
umgekehrt  seyn  sollte.    —     Ungarische  Nebenländer ,    Slavo- 
nien ,  Kroatien ,  Dalmatien ,  und  Siebenbürgen  ,  mit  Einschluss 
der  Militärgränze,  die  aber  hier  mit  keiner  Sylbe  erwähnt  wird. 
Galizien  hat  hier  erst  3,800,000  Einw.  und  soll  nicht  einmahl  Obst 
erzeugen.     Rez.  hat  aber  immer  gelesen ,  dass   es  zwar  aller- 


106  Geographie. 

hand  Obstarten,  aber  aus  Mangel  an  Betriebsamkeit  nicht  in  aus- 
reichender Menge  erzeuge. —  Preussen.  Die  3  nicht  zu  Deutsch- 
land gehörigen  Prov.  haben  hier  erst  2,200,000  Einw.  bekom- 
men. —  Deutschland.  Den  meisten  grössern  Nebenflüssen  der 
Hauptströme  sind  ihre  bedeutendem  Zuflüsse  beygesetzt,  nur 
der  Moldau  widerfährt  diese  Ehre  nicht.  Bey  der  Oder  fehlen 
die  Bartsch  und  die  Peene.  Auch  die  Küstenflüsse  Ems,  Jahde, 
Eyder,  Trave,  Warnow,  Persante,  Stolpe  u.  s.  w.  sind  ganz 
und  gar  vergessen  worden;  ebenso  die  Landseen  und  Moorstri- 
che. Bey  den  Städten  der  PreussischenProv.  ist  häufig  in  Par- 
enthesi  der  Nähme  der  vorigen  Prov.  beygesetzt,  und  insonder- 
heit bey  einigen  der  vor  dem  J.  l815zumKR.  Sachs,  gehörigen  das 
Wort  Kursachsen.  Aber  Sachsen  war  schon  seit  1807  kein  Kurf  ür- 
stenthum  mehr.  —  Bey  Hannover  hätte  das  Niederstift  Mün- 
ster besser  die  Standesherrsch.  Meppen  genannt  werden  sollen. 
Auch  fehlt  der  Kreis  Emsbüren  ganz.  —  Beym  KR.  Sachsen  ist 
sowohl  der  Flächenraum  (300  DM.)  als  die  Volksmenge 
(1,-450,000  Einw.)  etwas  zu  hoch  angeschlagen.  Es  war  übrigens 
vor  dem  Jahre  1814  nicht  fast,  sondern  mehr  als  noch  einmahl 
so  gross.  —  Lippe  und  Schaumburg  werden  noch  Grafschaf- 
ten genannt.  —  Saalfeld  im  Lande  der  Sächsisch  Ernestini- 
schen  Linie  ist  nicht  Altenburgisch,  sondern  jetzt  Meiningisch. 
—  In  F.  Waldeck  ist  nicht  die  Hauptstadt ,  aber  der  Badeort 
Pyrmont  nahmentlich  angeführt.  —  Böhmen  und  Mähren  wer- 
den im  §  79  und  die  übrigen  Oesterreichischen  Prov.  in  Deutsch- 
land im  §  80  als  2  für  sich  bestehende  Länder  beschrieben.  Wa- 
rum sie  aber  nicht  unter  einem  gemeinschaftlichen  Titel  in  einen 
Abschnitt  zusammenzogen  worden  sind,  kann  Rez.  nicht  einse- 
hen. —  Schweiz.  Das  Land  ist  kaum  zur  Hälfte  bewohnbar. 
Der  Rhone  ist  hier  überall  ein  Femininum.  —  Frankreich.  Hier 
sagt  der  Verf.  S.  135:  „Die  Nahmen  und  Lage  der  Gebirge,  wie 
auch  Nahmen,  Quellen,  Lauf  und  Mündung  der  Flüsse,  wer- 
den durch  die  Benennung  der  Departements  kenntlich  gemacht, 
ausgenommen  1)  das  inländische  Gebirge,  die  Sevennen,  zwischen 
Lyon  und  Toulouse,  am  südöstlichen  Rande  des  Auvergner  Hoch- 
landes, 2)  die  Flüsse  Adour,  Dürancee,  III,  Sarre,  Sambreund 
Scheide.'4  Diese  Annahme  ist  wohl  nur  zum  Theil  wahr.  Das 
Dept.  Isere  liegt  doch  wohl  auch  grössten  Theils  innerhalb  der 
Alpen ,  und  trägt  demungeachtet  von  einem  Flusse  den  Nah- 
men. Die  Gebirge  Wasgau  und  Ardennen  sind  nicht  bloss  auf 
die  Depart.  d.  N.  beschränkt;  ebenso  wenig  der  Jura  auf  das 
nach  ihm  benannte  Depart.  Und  geht  bey  den  nach  Flüssen 
benannten  Prov.  immer  dessen  Grösse,  der  Laufund  die  Mün- 
dung dieser  Flüsse  hervor'?  Der  Leser  denke  nur  an  das  Depart. 
Saone- Loire,  Loiret,  Loir-Cheru.  s.  w.  Das  Reich  wird  nach 
der  alten  Eintheil.in  20  Prov.  abgehandelt  u.  die  Nahmen  der  De- 
part. sind  nur  in  Parenthesi  beygesetzt.  —  Niederlande.  Hier  hat- 


Selten:  Hodcgctischc9  Handbuch  der  Geographie.  107 

ten  die  ausgedehnten  Torfmoore  angemerkt  werden  sollen,  so 
wie  auch  die  Seen  Hollands.  —  Ostende,  Dornick,  Kortryck, 
Yperjii  und  andere  beträchtliche  Städte  sind  nicht  aufgenom- 
men worden.  —  Gross  -  Britannien.  Das  Gebirgssy stein  ist 
ganz  mit  Stillschweigen  übergangen,  und  unter  den  Kanälen 
bloss  der  Bridgewatersche  genannt  worden.  Leeds,  Sheffield, 
Norwich,  Nottingham  und  viele  andere  merkwürdige  Orte  sucht 
man  vergebens.  In  Schottland  findet  man  bloss  Edinburgh  mit 
Leith  ,  Glasgow,  NewAberdeen,  und  Inverness,  und  in  Ireland 
nur  Dublin,  Belfast,  Limerik  und  Cork.  —  Dänemark.  Es 
soll  aus  lauter  Tiefland  bestehen.  Aber  der  Verf.  hat  dabey 
wahrscheinlich  nicht  an  den  hohen ,  sandigen  Haidestrich,  der 
das  Innere  der  ganzen  Halbinsel  durchstreicht,  gedacht.  — 
Schweden.  Die  allgemeine  Schilderung  ist  gar  zu'  dürftig  aus- 
gefallen. —  Russland,  mit  Einschluss  von  Pohlen  und  des 
v\eiten  Landesstrichs  in  SO.,  in  W.  des  Ural  und  in  N.  des  Kau- 
kasus =  80,000  D  AI.  mit  55  Mill.  Einw.  Der  Wolchowsche 
Wald  soll  sich  bis  auf  3000  F.  hoch  erheben.  Das  Reich  wird 
hier  nur  in  Nord-,  Mittel-  und  Süd -Russland  zerlegt. 

Asien.  (S.  155  —  168.)  Nord- Asien  oder  Sibiriens 
250,000  D  M.  mit  4  Mill.  Einw.  —  Sehr  richtig  bemerkt  der 
Verf.,  dass  der  Russ.  Antheil  an  Daurien  (der  Kreis  Nert- 
schinsk)  und  das  Land  am  Uralstrome  nicht  die  Sibirische  Lan- 
desnatur haben.  —  Tungus e nland ,  wobey  behauptet  wird, 
dass  Tschokanach  neuern  Entdeckungen  (nach  welchen?)  eine 
wirkliche  Insel  sey.  —  Korea,  in  4  Zeilen  abgefertigt.  — 
China.  Diess  wird  hier  sehr  richtig  ein  sehr  grosses,  übermäs- 
sig in  0.  bevölkertes,  in  W.  unbekanntes  Land  genannt.  —  Ja- 
pan, auch  nur  in  12  Zeilen  beschrieben.  —  Thibet,  wobey 
nur  der  Dalai-Lama  erwähnt  wird.  —  Mongolenland ;  —  Bu- 
charenland, wohin  nicht  bloss  die  Chinesische  Prov.  Turf  an, 
sondern  auch  die  s.  g.  grosse  Bucharey  und  die  zu  Afghanistan 
gehörige  Prov.  Balkh  gerechnet  wird  —  Tatarenland ,  (das 
heutige  Turkestan.)  —  Asiatische  Türkey,  ohne  allgemeine 
Schilderung  des  Ganzen  sofort  nach  seinen  Bestandteilen  (Na- 
tolien,  Syrien,  Mesopotamien,  Babylonien,  Assyrien,  Arme- 
nien und  Georgien)  abgehandelt.  —  Russisches  Gebiet  auf  der 
Südseite  des  Kaukasus ,  hier  bloss  aus  Mingrelien,  Grusinien, 
Schirwan  und  Daghestan  bestehend.  —  Arabien.  Hier  heisst 
es:  „Arabien  ist  das  wasserärmste  Land  in  Asien,  durch  weite 
Wüsten  unzugänglich,  (doch  nicht  von  der  See  aus '?)  daher  aber 
auch  unbekannt.  Kein  Regen,  keine  Flüsse,  kein  urbarer  Bo- 
denu.s.w.l !!  Jeder  Leser  wird  diess  als  Uebertreibungen  an- 
erkennen, und  diese  sollen  in  einem  Lehrbuche  sorgfältigst  ver- 
mieden werden.  Bemerkenswerth  ist ,  was  hier  der  Verf.  über 
den  ursprünglichen  Jordan -Lauf  zwischen  dem  Todten  Meere 
und  dem  Busen  Aila  sagt.  —    Persien,  die  Reiche  Iran,  Af- 


108  Geographie. 

ghanistan  und  Beludschistan  umfassend.  —  Indien.  Im  Ar- 
tikel Vorder -Indien  hat  sich  beym  Strome  Indus  ein  sonder- 
barer Irrthum  eingeschlichen.  Denn  der  Punjund  (wohl  rich- 
tiger Puujab  oder  Pentschab)  ist  nicht  der  Nähme  eines 
Nebenflusses,  sondernder  einer  von  5  Nebenflüssen  des  Indus 
bewässerten  Landschaft,  die  zur  Prov.  Lahore  gehört.  Und 
diese  5  Flüsse  fallen  theils  dem  Sedletsch  (Seetuledge)  theils  ein- 
zeln dem  Indus  selbst  zu.  —  Kaschmir  wird  hier  zu  Ost-Indien 
gerechnet.  Eben  so  gut  hätten  dann  aber  auch ,  wenn  einmal 
natürliche  Gränzen  gelten  sollen ,  die  meisten  Prov.  von  Afgha- 
nistan ,  soweit  solche  zum  Stromgebiet  des  Indus  gehören,  hie- 
her  gezogen  werden  sollen.  —  Von  der  Westküste  sollen  die 
Britten  nur  einen  kleinen  Theil  besitzen.  Diese  Angabe  hatte 
wohl  noch  vor  dem  J.  1817  so  ziemlich  ihre  Richtigkeit ;  seit- 
dem haben  die  Britten  aber  auch  den  ganzen  Küstenstrich ,  so 
weit  er  zum  westlichen  Mahrattenreiche  gehörte,  zu  ihren  un- 
mittelbaren Besitzungen  geschlagen.  Auch  müssen  die  Nieder- 
länder unter  den  Nationen,  die  hier  Etablissements  haben,  ge- 
strichen werden.  —  Gar  zu  kurz  sind  die  Asiatischen  Inseln 
behandelt. 

Afrika.  (S.  169  — 179.)  Berber ey  und  Marokko — Sahara 
und  Aegypten.  Erstere  hat  hier  einen  Flächenraum  von 
100,000  DM.,  worin 50  grössere  u.  kleinere  Oasen. —  Senegam- 
bien,  Ober-Guinea,  Nieder-Guinea,  Kapland,  Kaffernland,  Ostkü- 
stenländer  —  Habesch.  Die  Einw.  sind  nicht  durchgängig  Chri- 
sten, sondern  es  giebt  hier  auch  viele  Muhamedaner  und  Fetisch- 
anbeter. Die  Reiche ,  in  welche  das  Land  gegenwärtig  zerfal- 
len ist,  werden  nicht  nahmhaft  gemacht.  Nubien,  Hoch-Sudan, 
Nieder -Sudan,  Afrikanische  Inseln. 

Amerika.  (S.  179  — 194.)  Nord- Amerik.  Bundesländer. 
Louisiana  besteht  nicht  bloss  aus  den  2  Gebieten  Arkanjas  und 
Missuri,  sondern  auch  aus  den  2  wirklichen  Staaten  Louisiana 
und  Missuri.  Uebrigens  wird  auch  hier  Mitschigan  als  der 
25ste  Staat  aufgezählt,  der  diess  seit  dem  J.  1824  seyn  soll.  — 
Brittisches  Nord- Amerika.  Die  Insel  Amelia  ist  zu  Ende  der 
Bermudas -Inseln  genannt,  hätte  aber  richtiger  bey  den  Nord- 
Amerik.  Fr. -St.  angeführt  werden  sollen.  —  Labrador  und 
Grönland.  —  Freystaaten  Mexiko  und  Guatimala.  Warum 
Kalifornien  unter  einer  besondern  Nummer  aufgeführt,  und 
nicht  bey  Mexiko  mit  beschrieben  worden  ist,  davon  kann  Rez. 
keinen  Grund  angeben.  Unter  den  Städten  hätten  doch  wenig- 
stens Puebla,  Queretaro  und  Tlascala  die  Aufnahme  verdient. 
—  Nordwest  -  Küstenländer .  —  Binnenländer.  —  Süd- Ame- 
rika. Vier  neue  Freystaatengebiete  :  I)  Columbia.*  S.  188heisst  es 
bey  Quito:  „um  Quito,  wo  seit  dem  letzten  vulkanischen  Ausbru- 
che sich  das  Klima  sogar  fortdauernd  schlecht  erhält."  Was 
will  der  Verf.  mit  dem  Worte:  schlecht  hier  sagen?  —  2)  Peru; 


Selten:  Hodegctisches  Handbuch  der  Geographie.  109 

3)  Chüe,  und  4)  la  Plata.  Dass  letzteres  gegenwärtig  in  3  Staa- 
ten zerfallen  ist,  davon  schweigt  der  Verf.  ganz.  —  Brasilien, 
eingetheilt  in  eigentliches  Brasilien ,  Paraguay  Portugisischen 
Antheils,  Amazonenland ,  und  Guiana  ebenfalls  Portugis.  An- 
theils.  Olinda  heisst  nicht  die  heutige  HSt.  von  Fernambuco 
sondern  Fernambuco  oder  Recife.  —  Französ.,  Niederländi- 
sches und  Brittisches  Südamerika.  —  Patagonien  mit  den  In- 
seln. Der  auffallende  Mangel  an  Waldungen  wird  nur  auf  der 
Ostküste  wahrgenommen,  denn  die  Westküste,  vornehmlich  das 
Land  der  Araukanen  ist  mit  dichten  Waldungen  bedeckt.  — 
West-Indien,  ßarthelcmy  soll  jetzt  nicht  mehr  Schwedisch, 
sondern  Brittisch  seyn.  Bey  Porto  ltico  ist  nicht  einmahl  der 
IN  ahme  der  HSt.  genannt. 

Australien.  (S.  195  —  198.)  Das  Australische  Kontinent. 
Vom  neuern  passendem  Nahmen:  Australland,  weiss  der  Verf. 
noch  nichts.  Auch  wird  noch  nichts  von  den  neuen  in  DJ.  von 
Port  Jackson  gemachten  Entdeckungen  und  neuen  Etablissements 
gesprochen ,  sondern  nur  kurz  die  im  Jahre  1813  gelungene  Ue- 
bersteigung  der  blauen  Berge  berührt.  Aber  der  angetrof- 
fene Fluss  strömt  nicht  zur  Küste,  sondern  ins  sumpfige  Innere. 
Bey  Neu  -  Guinea  hätte  bemerkt  werden  sollen,  dass  es,  den 
hohen ,  steilen  Küsten  nach  zu  urtheilen ,  als  ein  Hochland  an- 
gesehen werden  müsse.  Von  den  kleinern  Inselgruppen  sind 
nur  die  vorzüglichsten  aufgenommen.  Die  Sandwichs  -  Inseln 
erhalten  hier  310  □  31.  und  750,000  Einw. 

Nur  bey  den  Europäischen  Staaten  und  bey  den  vorzüglich- 
sten Inseln  findet  der  Leser  Angaben  über  Arealgrösse  und  Volks- 
menge, zwar  gewöhnlich  in  runden  Summen;  doch  mag  diess 
Rez.  bey  dem  beschränkten  Baume  und  bey  dem  Hauptzwecke 
des  Buchs  nicht  tadeln.  Aber  ein  Uebelstand  ist  es,  dass  der 
Verf.  bey  den  übrigen  Erdtheilen  so  karg  mit  diesen  Angaben 
gewesen  ist.  Dass  ferner  die  Topographie  hier  ungemein  dürf- 
tig ausgefallen ,  und  dürftiger  als  in  andern  Werken  von  glei- 
chem Umfange ,  wird  man  schon  aus  den  bey  einigen  Ländern 
angegebenen  Beyspielen  abnehmen  können,  so  wie  dass  die  fast 
bey  allen  Orten  beygefügte  Einwohnerzahl  (die  natürlich  auch 
nur  in  runden  Summen  besteht)  bald  auf  neueren  bald  auf  älteren 
Zählungen  beruht.  Dass  endlich  in  einem  solchen  Buche  wirk- 
liche statistische  Angaben,  so  wie  die  Nahmen  der  Herrscher 
nicht  aufgenommen  worden  sind,  wird  wohl  Niemanden  be- 
fremden. 

Diess  ist  nun  der  Inhalt  vorliegender  hodegetischen  Schrift, 
von  welcher  ihr  Verf.  in  der  Vorrede  so  viel  Besonderes  be- 
hauptet. Fragt  nun  aber  der  Leser,  worin  dasjenige,  worauf 
ein  Lehrbuch  sich  nicht  einlassen  könne,  und  was  desshalb  hier 
zunächst  und  eigends  dargestellt  worden  seyn  solle,  eigent- 
lich bestehe  ?     so    muss   Rez.    die   Antwort    schuldig    blei- 


110  Geographie. 

ben;  denn  er  hat,  so  gut  als  dieLeser,  im  ganzen  Werke  nichts 
Neues  und  Unerwartetes  angetroffen.  Der  ganze  Unterschied 
dieser  Schrift  von  den  meisten  geogr.  Lehrbüchern  gründet 
sich  darauf:  dass  hier  das  Allgemeine  vom  Besondern  streng 
geschieden,  und  dass  insbesondere  in  der  Einleitung  nur  diema- 
themat.  Geographie  abgehandelt,  die  physische  hingegen 
überall  mit  den  Grundzügen  der  politischen  vermischt  und  in 
unmittelbaren  Zusammenhang  gebracht  worden  ist.  In  Hin- 
sicht der  Sonderung  der  generellen  von  der  speziellen  Geogra- 
phie stimmt  diess  Buch  also  im  Ganzen  mit  Nr.  3  überein ,  und 
so  bleibt  dem  Verf.  nur  noch  die  Verschmelzung  der  physischen 
und  politischen  Geographie  eigen. 

Noch  wird  der  Leser  vielleicht  wissen  wollen,  warum  der 
Verf.  so  eifrig  dabey  auf  den  Gebrauch  derLandcharten  dringe, 
ja  zugestehe,  dass  das  Buch  ohne  solche  unbrauchbar  sey? 
Auch  darauf  weiss  Rez.  nicht  viel  zu  antworten.  Denn  dass 
beym  Unterricht  in  der  Geographie  Landcharten  nicht  füg- 
lich entbehrt  werden  können,  ist  eine  längst  bekannte  Sache; 
dass  sie  aber  hier  doppelt  unentbehrlich  seyn  sollen,  kann  Rez. 
nicht  gut  einsehen.  Es  müsste  denn  seyn  wegen  der  Bestim- 
mung der  Gränzen  ,  die  hier  häufig  von  Punkt  zu  Punkt  ange- 
geben sind ,  die  man  folglich  allerdings  auf  der  Charte  nach- 
sehen muss;  wegen  der  Eintheilung  der  Länder  in  Gebirgs-, 
Hoch-,  Tief-  und  Stufenland,  über  welche  die  Charten  auch 
die  beste  Auskunft  geben  können ;  so  wie  wegen  der  bey  den 
aussereuropäischen  Erdtheilen  hin  und  wieder  eingeführten  Zu- 
sammenziehung mehrerer  Staaten  und  Gebiete  in  ein  Ganzes, 
und  wegen  der  folglich  auch  unter  einander  gemengten  Be- 
schreibung der  Orte  dieser  Staaten. 

Rez.  bekennt  nun  nach  den  vorausgeschickten  Bemerkun- 
gen unverhohlen,  dass  er  auch  die  hier  vorgeschlagene  Lehr- 
methode für  zweckmässig  und  empfehlenswerth  halte.  Dabey 
möchte  er  indessen  den  Rath  ertheilen ,  dass  das  2te  und  Ste 
Lehrstück  nicht  in  der  vorgeschriebenen  Ordnung,  sondern  erst 
zum  Schlüsse  vorgenommen  werden  möchten,  so  dass  man  auf 
das  lste  sogleich  das  4te  folgen  lässt. 

Papier  und  Druck  sind  gleich  lobenswerth.  Es  ist  daher 
zu  beklagen ,  dass  Druckfehler  sich  in  nicht  ganz  unbedeuten- 
der Zahl  eingeschlichen  haben.  Auch  werden  die  Leser  ein 
Register  vermissen  und  das  blosse  Inhaltsverzeichniss  nicht 
ausreichend  finden. 

No.  6.  Der  im  Fache  der  Geographie  so  unverdrossen  ar- 
beitende Hr.  Verf.  lässt  von  seiner  Meinen  Geographie ,  von 
welcher  die  erste  Auflage  im  Jahre  1808  die  Presse  verliess, 
schon  die  16te  Aufl.  ans  Licht  treten ,  und  versichert  in  der 
Vorrede,  dass  in  derselben  kein  §  ohne  bedeutende  Verbesse- 
rungen geblieben  sey.     Rez.  hat  nun  zwar  gerade  mehrere  der 


Stein:  Kleine  Geographie.  111 

vorhergehenden  Auf  lagen  nicht  zur  Hand,  doch  darf  er  dieser 
Versicherung  schon  um  desswillen  Glauben  beymessen,  weil  der 
überall  sichtbare  Fleiss,  womit  fast  alle  politischen  Veränderun- 
gen sowohl  als  auch  alle  neuen  Entdeckungen  berücksichtigt 
worden  sind,  einen  sichern  Beleg  zu  dieser  Versicherung  liefern. 

Obschon  nun  der  Verf.  auch  in  dieser  Auflage  nicht  von 
seinem  frühem  Plane  abgewichen,  und  dieser  Plan,  —  wie 
schon  als  allgemein  bekannt  vorausgesetzt  werden  darf,  —  ganz 
dem  älternldeengangehuldigt,nach  welchem  erst  die  vornehmsten 
Lehrsätze  aus  der  mathematischen  und  physischen  Geographie 
entwickelt  und  dann  die  Erdtheile  in  gewohnter  Reihenfolge  in 
politischer  Hinsicht  beschrieben  werden;  so  hat  doch  dieses 
Werk  trotz  des  Mangels  an  Vorschlägen  zu  neuen  verbesserten 
Lehrmethoden  und  ungeachtet  der  so  zahlreichen  Concurrenz 
mit  noch,  jedoch  einzig  und  allein  wegen  geringerer  Bogenzahl, 
wohlfeilem  Lehrbüchern  in  Zeit  von  19  Jahren  16  Auflagen 
erlebt,  was  doch  wohl  für  den  innern  Werth  und  die  hoheBrauch- 
barkeit  desselben  sprechen  muss. 

Auch  wird  die  nähere  Beleuchtung  desselben  den  Leser 
sattsam  überführen,  dass  es  unter  allen  hier  beurtheilten  Wer- 
ken das  reichhaltigste  und  vollständigste ,  so  wie  auch  in  Ver- 
hältniss  zur  Bogenzahl  das  wohlfeilste  sey. 

Die  Einleitung  (S.  1  —  20)  beschäftigt  sich  nach  Erklä- 
rung des  Begriffs  der  Geogr.  und  deren  Hülfsmittel  in  21  §§  mit 
der  mathematischen  und  in  8  §§  mit  der  physischen,  so  wie  in 
1  §§  mit  den  allgemeinen  Umrissen  der  politischen  Geographie. 
Erstere  hätte  freylich  etwas  vollständiger  und  gründlicher  dar- 
gelegt werden  können.  Denn  dass ,  wie  gleich  §  1  beginnt, 
die  Erde  ein  Planet  sey  und  sich  um  die  Sonne  bewege ,  durfte 
wohl  nicht  so  apodiktisch  hingeworfen,  sondern  musste  erst  be- 
wiesen werden.  Auch  hat  hier  der  Uranus  statt  8,  erst  6  Monde 
erhalten.  —  S.  11  wird  der  Gehalt  der  ganzen  Erdfläche  zu 
2,392,853  □  Meilen  berechnet,  von  welchen  2,332,000  bewohn- 
bar seyn  sollen.  Allein  welchen  Maassstab  hat  der  Verf.  bey 
der  Bewohnbarkeit  zu  Grunde  gelegt*?  Wahrscheinlich  erklärt 
er  bloss  diejenigen  Landmassen,  welche  unter  ewigem  Schnee 
und  Eis  begraben  liegen,  für  unbewohnbar.  Aber  schon  die 
nördlichen  Polarländer  haben  wahrscheinlich  einen  Flächen- 
raum von  mehr  als  70,000  □  Meilen.  Sollten  nicht  sämmtliche 
Landseen,  Teiche,  Flüsse  des  Erdballs  u.  s.  w.  einen  Flächen- 
raum von  50  —  60,000  □  Meilen  bedecken?  Wo  kommen  nun 
die  wirklichen  so  ausgedehnten  Sandwüsten  Afrika's  und  Asi- 
ens hin  ?  Und  müssen  nicht  auch  die  in  die  Schneelinie  hin- 
ausreichenden Gipfel  der  Hochgebirge  hieher  gerechnet  wer- 
den? Also  ist  die  Ausdehnung  des  bewohnbaren  Theils  der 
Erdoberfläche  offenbar  zu  hoch  angeschlagen  worden.  Auch 
wird  hier  ferner  der  Hochebenen  (Plateaus)  mit  keiner  Sylbe 


112  G   eographie. 

gedacht,  sondern  die  ganze  Erdoberfläche  nur  in  Bergstriche 
und  flaches,  ebenes  Land  unterschieden.  —  Nicht  bloss  nach 
den  Graden  der  Höhe  zeigt  sich  auf  den  Gebirgen  üppiger 
Pflanzenwuchs,  sondern  auch  nach  ihrem  sanftem  oder  steilern 
Abfall.  Denn  wie  häufig  finden  sich  nicht  selbst  in  Deutsch- 
land niedrige  nackte  Flözgebirge,  nur  mit  höchst  sparsamen 
Pflanzenwuchs  bekleidet?  —  Auch  die  Erklärung  der  Step- 
penstriche, d.  i.  Land,  in  dem  kein  Gesträuch,  kein  Baum  fort- 
kommt, möchte  Widerspruch  finden.  Denn  es  sollte  vielmehr 
heissen:  zu  finden  ist.  Diese  Steppenstriche  sind  ja  häufig  der 
Kultur  empfänglich,  und  selbst  zum  Anpflanzen  von  Obst-  und 
Waldbäumen  geschickt.  Auch  der  grosse  Steppengürtel,  den 
der  Verf.  in  Form  eines  K^a^J  von  den  höchsten  Andenspitzen 
Süd  -  Amerika's  ,  der  Bergplatte  von  Tschimborasso  und  Anti- 
sana  längs  des  linken  Ufers  des  Orinoko  nach  Afrika  durch  die 
Sahara,  und  von  da  nach  Asien  durch  die  Arabischen  Wüsten, 
durch  dieDschesiraund  dieGedrosia  zum  Gipfel  der  alten  Welt, 
dem  Himalaja  zieht,  möchte  Vielen  nur  ein  Spiel  der  Phantasie 
dünken,  da  die  nichts  weniger  als  unfruchtbaren,  hin  und  wie- 
der selbst  gut  bewässerten  Savannen  oder  Llanos  Kolumbiens 
doch  wohl  nicht  mit  den  so  furchtbaren  Sandwüsten  der  Sa- 
hara und  Arabiens  in  Parallele  gestellt  werden  dürfen.  —  Der 
Verf.  nimmt  nicht  weniger  als  3,064  Sprachen  (wohl  richtiger 
Dialekte)  nähmlich  987  Asiatische,  587  Europäische,  276  Afrika- 
nische und  1214  Amerikanische  an.  Wo  bleiben  aber  die  Au- 
stralischen 1 

lste  Abtheilung.  Europa.  (S.  21  —  207.)  Areal  153,865 
□  Meilen  innerhalb  der  altern  Glänzen,  welche  die  untere 
Wolga  Asien  zutheilen.  Unter  den  Hauptgebirgen  fehlen  auch 
hier  die  Spanischen,  Französischen,  Brittischen  u.  s.  w.,  und  nur 
die  Pyrenäen,  Alpen,  Karpathen  u.  s.w.  werden  dazu  gerechnet. 
Einwohnerzahl  210,815,500  S.  mit  12  //absprachen.  Einthei- 
lung  in  Ost- und  West -Europa.  —  Portugal.  Hier  hat  Rez. 
Santarem,  Ovar,  Vizeu,  Aveiro,  Viana,  Torres  Vedras  u.  s.  w. 
vergeblich  gesucht.  —  Spanien.  Die  Gebirge  sind  noch  nach 
der  alten  Annahme,  nicht  nach  Antillon's  oder  Bory  de  S.  Vin- 
cent's  System  dargestellt.  Auch  wird  nicht  erwähnt,  dass  das 
Innere  eine  2  —  3000  F.  hohe  Hochebene  sey.  Ausser  den 
6  Hauptströmen  wird  weder  ein  Neben-  noch  ein  Küstenfluss 
genannt.  Auch  wird  mit  Stillschweigen  übergangen,  dass  die 
Fabriken  neuester  Zeit  immer  mehr  in  Verfall  gerathen,  dass 
Handel  und  fast  alle  Gewerbe  stocken ,  und  dass  selbst  der 
Ackerbau  in  allen  Provinzen  sich  im  kläglichsten  Zustande  be- 
finde. Madrid  hat  nur  noch  114,000,  Barcellona  nur  noch 
98,000,  dagegen  Sevilla  noch  immer  96,000,  Valencia  106,030, 
Granada  66,661,  Malaga  52,376,  Cadix  70,000,  Zaragossa 
55,000  Einw.  u.  s.  w.  Die  Topographie  ist  auch  sehr  flüchtig  aus- 
gewählt,  denn  sie  beschränkt  sich  z.B.  bey  Grauada  auf  die 


Stein  :  Kleine  Geographie.  113 

Hauptstadt,  Malaga  und  Almeria ,  bey  Valencia  auf  die  Haupt- 
stadt, Alicante,  Castellon  d.  1.  PL  und  Xativa,  bey  Katalonien 
auf  Barcellona,  Gerona,  Lerida,  Urgel,  Tarragona,  Tortosa 
und  Cardona.  —  Frankreich.  Hier  werden  die  Landes  (jedoch 
ohne  Angabe  ihres  Umfangs),  und  die  Crau  der  Provence,  aber 
nicht  die  Kreidehügcl  der  Champagne  erwähnt,  leider  aber 
auch  auf  die  höhere  oder  geringere  Fruchtbarkeit  der  einzel- 
nen Provinzen  keine  Rücksicht  genommen.  Auch  hier  steht 
statt  der,  die  Rhone.  Volkszahl  im  J.  1825:  32,192,000  Ein- 
wohner. Paris  hat  mit  Einschluss  der  80,00t)  Fremden  802,000, 
Lyon  144,033,  Amiens  41,107,  Nismes  37,008,  Caen  30,604, 
Montpellier  35,123,  Toulon  30,798,  Reimes  29,589 ,  Besancon 
26,388,  Brest  26,361,  Versailles  27,528,  Limoges  24,992, 
Orient  17,115,  Cherbourg  15,855,  Bayonne  13,248,  Rochelle 
12,327,  Pau  11,444,  Barle  Duc  11,432  Einw.  u.  s.  w.  —  Die  To- 
pographie ist  zwar  vollständiger  als  in  Spanien,  doch  vermisst 
man  noch  mehrere  beträchtliche  Städte.  —  Italien.  Areal  = 
5,7S18  □  Meilen.  —  Der  Montblanc  hat  hier  eine  Seehöhe  von 
14,763  und  der  Mont  Rosa  von  14,2 10  F.  — Volkszahl  20,253,400 
K.  —  Sardinische  Staaten  mit  4,168,414  Einw.  —  Kirchen- 
Staat.  Rom  hat  nur  139,847  Einw.  —  Beide  Sizilien.  Auch 
hier  ist  die  Topographie  sehr  dürftig.  Die  Hauptstadt  Neapel 
zählt  ohne  4,213  Fremde,  ohne  Garnison,  351,754,  Palermo 
167,505,  und  Messina  73,000  Einw.  —  Die  Inseln  Malta  mit 
97,629  Einw.  —  Schweiz.  Wahrscheinlich  durch  ein  Versehen 
hat  hier  der  Jura  seinen  Platz  zwischen  dem  St.  Gotthard  und 
dem  Simplon  gefunden.  —  Niederlande  mit  nur  1187  □  Mei- 
len und  6,059,506  Einw.  Amsterdam  hat  200,782,  Brüssel  über 
100,000,  Rotterdam  59,000,  Antwerpen  60,057,  Lüttich 
53,512,  Brügge  34,248,  Doornick  23,256,  Haarlem  21,240 
Einw.  u.  s.  w.  Bey  den  Prov.  Antwerpen  und  Drenthe  ist  be- 
reits der  neuangelegten  Armenkolonie  gedacht.  —  Deutsch- 
land. Hier  hätte  Rez.  den  Gebirgen  eine  bessere  Reihenfolge 
gewünscht.  Denn  hier  heisst  es  :  „Die  Hauptgebirge  sind  der 
Harz,  Schwarzwald,  die  rauhe  Alp,  die  Rhätischen,  Norischen, 
Karnischen  und  Iulischen  Alpen ,  das  Fichtelgebirge,  der  Kah- 
lenberg,  Birnbäumer  Wald"  u.  s.  w.  Und  nachdem  fast  alle 
Gebirgszüge  aufgezählt  worden  sind ,  folgt  der  Satz :  „Viele 
hohe  Spitzen  dieser  Gebirge  starren  von  ewigem  Eis  und  Schnee." 
Wäre  es  demnach  nicht  weit  schicklicher  gewesen,  mit  den  ver- 
schiedenen Zweigen  der  Alpen  (unter  denen  die  Alpen  im  All- 
gau dennoch  vergessen  worden  sind,)  den  Anfang  zu  machen, 
aufweiche  auch  der  Nachsatz  von  ewigem  Schnee  und  Eis  allein 
passt,  und  dann  die  übrigen  Gebirge  der  Reihe  nach,  nach 
N.  zu ,  folgen  zu  lassen ,  so  dass  der  Harz  und  das  Weserge- 
birge denBeschluss  machten? —  Auch  die  verschiedenen  Fluss- 
systeme sind  nicht  mit  gehöriger  Sorgfalt  behandelt.  So  feh- 
Jahrb.  f.  Phil.  u.  Fädag.  Jahrg.  111.  Heft  1.  g 


114  Geographie. 

len  bey  der  Donau  die  Nebenflüsse:  Altmühl,  Regen  und  Traun; 
beymlnn:  dieSalzach;  beymMain:  die  Rednitz;  bey  der  We- 
ser :  die  Hunte;  bey  der  Aller:  die  Leine;  bey  der  Elbe:  die 
Iser,  schwarze  Elster,  Ilmenau  und  Oste;  bey  der  Saale:  Un- 
strut,  weisse  Elster  und  Bude;  bey  der  Moldau:  Sazawa,  Be- 
raunka,  Luschnitz  und  Watawa,  bei  der  Oder:  die  Bartsch, 
Lausitzer  Neisse,  der  Bober,  und  die  Peene.  In  der  Zahl  der 
schiffbaren  Küstenflüsse,  unter  denen  der  Ems  der  erste  Rang 
hätte  angewiesen  werden  sollen,  fehlen  noch  Persante  und 
Stolpe.  Des  neuen  Kanals  zwischen  d  erEins  und  der  Lippe  ist  auch 
noch  nicht  gedacht  worden.  —  Bevölkerung  im  J.  1826  32,510,07'! 
Einw.,  wovon  18,490,000  Katliol.  13,280,000  Protest,  und  Herrn- 
huther,  6,300  Mennoniten,  650  Griechen,  250  Armenier,  und 
290,000  Juden.  —  Zu  den  Deutschen  Bundesländern  Oester- 
reichs  ist  nicht  bloss  der  grössteTheil,  sondern  das  ganze  KR. 
Illyrien,  desgleichen  auch  das  Galizische  Ilerzogth.  Auschwitz 
mit  Zator  gezogen  worden.  —  KR.  Baiern.  Flächengehalt 
nur  1,382}  Q  Meilen  mit  3,800,000  Einw.  München  hat  75,000, 
Nürnberg  39,557,  Ansbach  16,376,  Bayreuth  13,986,  Fürth 
13,728,  Passau  10,300,  Erlangen  11,580,  Schwabach  9,515, 
Speier  8,225,  Eichstädt  8,075,  Ingolstadt  8,050,  Hof  7,850 
Einw.  u.  s.  w.  —  KR.  Sachsen  =  2Til\n  Meilen  mit  1,273,616 
Einw.  Dresden  hat  72,000  ('?),  Leipzig  39,500,  Chemnitz 
16,000,  Bauzeit  11,000,  Frey berg  9,100,  Zittau  8,000  Einw. 
u.  s.  w.  Aber  alle  diese  Angaben  beruhen  nur  auf  muthmaasslichen 
Schätzungen.  —  Hanover.  Die  Hauptst.  gleiches  Nahmens  hat 
hier  schon  27,517,  Hildesheim  12,730,  Lüneburg  12,098,  Göt- 
tingen 9,594,  Klausthal  8,227  Einw.  u.  s.  w.  —  Würtemberg  mit 
360  □  Meilen,  1,505,720  Einw.  Die  Hauptst.  Stuttgard  hat 
31,335,  Ulm  11,931,  Ludwigsburg  9,413,  Reutlingen  8,831 
Einw.  —  Baden  mit  1,110,000  Einw.  und  den  Städten  Karls- 
ruhe 18,866,  Manheim  19,870,  Freyburg  13,055,  Heidelberg 
11,162,  Lahn  5,763  Einw.  u.  s.  w.  —  Kur -Hessen  mit  588,109 
Einw.  Hanau  hat  nur  noch  9,634,  Fulda  aber  8,332  Einw. 
Gr.- Herz.  Hessen  mit  nur  153  D  Meilen  und  671,789 
Einw.  Darmstadt  mit  19,982,  Mainz  (mit  der  Garnison) 
26,589,  Giessen  8,030,  Worms  7,610  Einw.  —  S.  Weimar 
mit  66f  D  Meilen  216,622  Einw.  Weimar  hat  9,596,  Eisenach 
aber  nur  7,634  und  Jena  nur  noch  4,840  Einw.  —  S.  Altenburg 
mit  23§  G  Meilen,  108,000  Einw.  Hier  fehlen  die  Städte  Ei- 
senberg,  Schmölln,  Roda  und  Kahle.  —  Sachsen  Meiningen  - 
Hildburghausen  mit  42  Q  Meilen,  140,000  Einw.  Die  letztere 
Angabe  ist  wohl  um  7  bis  8,000  Köpfe  zu  niedrig.  Auch  wer- 
den die  Aemter  Kamburg  und  Krannichfeld  nicht  erwähnt.  — 
S.  Koburg- Gotha  mit  48|  □  Meilen,  151,400 Einw.  —  Br.- 
Wolfenbüttel  mit  236,000  Einw.  —  Nassau  mit  90f  D  Meilen, 
329,424  Einw.  —  M.-Schiverin  mit  224  D  Meilen,  430,927 
Einw.   Rostock  zählt  17,398,  Schwerin  12,197,  Wismar,  8,9S8, 


Stein:  Kleine  Geographie.  115 

Güstrow  8,015  Einw.  u.  s.  w.  —  M.-Slrelitz  mit  75,500  Einw. 
und  die  Residenz  Neu-Strelitz  mit  5,354  Einw.  Hier  ist  die 
bedeutende  Stadt  Friedland  ausgelassen  worden.  Oldenburg 
mit  1171  □  Meilen  und  240,700  Einw.  und  die  Hanptst.  glei- 
ches Nahmens  mit  6,084  Einw. —  Schw.-lludolstadt.  Das  Zucht- 
haus ist  nicht  mehr  in  Schwarzburg,  sondern  im  Jahre  1825 
von  da  nacli  Rudolstadt  verlegt  worden.  —  Die  freie  Stadt 
Hamburg  zählte  im  Jahre  1825  111,720  Einw.  —  Alle  übrige 
statistische  Angaben  sind  bereits  allgemein  bekannt.  —  Preus- 
sen.  Volksmenge  im  Jahre  1825  12,205,000  Einw.  Unter  allen 
Ländern  erfreut  sich  hier  Prenssen  der  reichhaltigsten  Ortsbe- 
schreibung. Denn  nur  allein  im  Reg. -Bez.  Potsdam  sind  41 
Städte  und  Marktflecken  und  10  Dörfer  ausgehoben  worden. 
Mehrere  Städte  zeichnen  sich  auch  durch  ganz  neue  Angaben 
der  Yolkszahl  aus.  Es  ist  daher  sehr  zu  beklagen,  dass  es  dem 
Verf.  nicht  möglich  gewesen  ist,  bey  allen  Orten  dergleichen 
hinzusetzen.  Die  bedeutendsten  Städte  darunter  sind:  Berlin 
mit  mehr  als  220,000,  Breslau  mit  82,284,  Köln  mit  59,153, 
Danzig  mit  55,393,  Magdeburg  mit  30,647,  Aachen  mit  35,428, 
Potsdam  mit  29,ff88,  Stettin  mit  27,020,  Elberfeld  mit  26,514, 
Düsseldorf  mit  26,371,  Posen  mit  24,598,  Erfurth  mit  21,331, 
Elbing  mit  20,707,  Barmen  mit  19,472,  Münster  mit  17,972, 
Krefeld  mit  15,945,  Trier  mit  15,318,  Koblenz  mit  14,888 
Einw.  etc.  —  Oest erreich.  Areal  12,1 47|  □  Meilen.  Volkszahl 
31,625,054  Seelen.  —  Unter  den  Nebenflüssen  der  Theiss  feh- 
len Samosch  und  Hernath ,  und  unter  denen  des  Po  der  Oglio. 
Der  Moldau  sind  gar  keine  Nebenflüsse  zugetheilt.  Unter  den 
Küstenflüssen  mangeln  der  Bacchiglione  und  die  Livenza.  — 
l)Erzherzogthum0este>re/cÄ  =  701  □  Meilen,  1,906,304  Einw. 
Wien  mit  280,000,  Linz  mit  17,243  und  Steyer  mit  10,135 
Einw.  —  2)  Steyermark  —  3091  D  Meilen  und  829,731  Einw. 
Nach  dieser  Angabe  wäre  denn  die  Bevölkerung,  die  sich  von 
der  im  Jahre  1194  gefundenen  Summe  von  830,000  im 
Jahre  1800  bis  auf  812,000  vermindert  hatte,  in  den  letzten  Jah- 
ren wieder  gestiegen.  Die  Hauptstadt  Grätz  hat  hier  aber  nur 
29,576  Einw.  —  3)  Iäyrien  =  519}  D  Meilen,  1,039,175  Einw. 
Triest  hat  hier  schon  43,602,  aber  Laibach  nur  9,446,  Klagen- 
furth  nur  9,113,  Görz  nur  8,898  und  Rovigno  nur  9,538  Einw. 

—  Die  Stadt  Gollseher,  der  man  gewöhnlich  1,600  —  2000 
Einw.  gab,  hat  deren  nur  617,  Idria  dagegen  statt  3,500,  schon 
4,139  Einw.  —  4)  Dcdmatien  =  273^  Q  Meilen,  323,500  Einw. 

—  5)  Lombardei} -Venedig  (ohne  neue  statistische  Angaben). 
Venedig  hat  hier  nur  noch  98,000,  Padua  nur  41,270  und  Vi- 
cenza  nur  28,765,  Treviso  aber  15,795  Einw.  —  6)  Tyrol  mit 
766,738  Einw.  Innsbruck  hat  nur  9,026,  Rovereith  nur  7,205, 
Botzen  nur  6,863,  Schwaz  nur  4,000,  Trient  aber  10,705,  Per- 
gen 8,000  und  Hall  4,376  Einw.  —  7)  Böhmen  mit  3,698,142 

8* 


116  Geogr   aphic. 

Einw.  —  Bey  Aufzählung  der  merkwürdigen  Orte  hat  sich  der 
Verf.  weder  an  die  Eintheilung  in  Kreise,  noch  an  ihre  Lage 
an  Flüssen  gebunden,  sondern  sie  meist  aus  allen  Theilen  des 
Landes  unter  einander  geworfen.  Hin  und  wieder  wird  man 
einen  bedeutendem  Ort  vergeblich  suchen,  z.  B.  Böhmisch  Leipa. 
Auch  zeichnet  sich  hier  allein  Prag  mit  107,325  Einw.  durch 
eine  neuere  Angabe  der  Einwohnerzahl  aus.  —  8)  Mähren  =■ 
481|;  D  Meilen ,  1,968,713  Einw.  Brunn  hat  hier  schon  35,764 
und  Olmütz  13,588,  Troppau  aber  nur  9,748  Einw.  —  9)  Ga- 
lizien  mit  1,548  Q  Meilen  und  4,293,448  Einw.  Lemberg  hat 
hier  erst  41 ,493  und  Brody  16,511  E.  — 10)  Ungarn  mit  Slavonien 
undÄroa/te»  =  4,180}  D  Meilen  mit  9,444,093  E.Pesth  hat  hier 
erst  56,561 ,  und  Ofen  28,500  Einw.  Uebrigens  zeichnen  sich 
nur  Pressburg  mit  29,248,  Ketskemet  mit  31,339  und  Gross  - 
Wardein  mit  17,521  ( ? )  Einw.  durch  abweichende  Bevölke- 
rungsangaben aus.  —  Slavonien  hat  hier  348,000,  und  Kroatien 
587,766  Einw.  auf  172J  Q  Meilen.  Agram  ist  hier  mit  10,000 
Einw.  abgespeiset.  11)  Siebenbürgen  =  842|  Q  Meilen  mit 
1,825,307  Einw.  —  12)  Militär  grunze  =  881  \  D  Meilen  und 
1,010,878  Einw.  —  Freystadt  Krakau.  —  Brittisches  Reich. 
London,  dessen  Beschreibung  nicht  weniger  als  78  enggedruckte 
Zeilen  füllt ,  hat  245,000  Häuser  und  unter  seinen  Bewohnern 
an  200,000  Arme.  Der  unterirdische  Weg  unter  der  Themse 
hin  ist  hier  schon  als  gelungen  dargestellt;  aber  es  ist  doch 
wohl  noch  eine  grosse  Frage,  ob  er  je  Zustandekommen  werde. 
—  Auch  hier  hat  Harwich  nur  3,732  Einw. ,  dagegen  Manche- 
ster 165,000,  Liverpool  150,000,  Birmingham  115,000,  Ply- 
mouth  70,000,  Bath  50,010,  Hüll  45,000,  Sheffield  65,275, 
Aberdeen 50,600,  Kilkenny  23,230,  Belfast  37,767,  Londonderry 
9,315  (soll  aber  wohl  heissen  19,315?),  Galway  27,775,  Water- 
ford 28,679  (soll  aber  wohl  heissen  48,679?)  Einw.  —  Däne- 
marks 2,8451  D  Meilen  mit  1,986,223  Einw.  Koppenhagen 
hat  schon  108,627,  Altona  23,086,  Kiel  10,025,  Schleswig 
7,823,  Aalborg  7,435  Einw.  —  Schweden  und  Norwegen  zäh- 
len jetzt  schon  3,774,910  Einw.,  wovon  2,724,773  auf  Schweden 
und  1,050,132  auf  Norwegen  fallen.  Bey  Aufzählung  der  Pro- 
dukte heisst  es:  „Getraide  seit  1820  hinlänglich,  daher  man 
jetzt  nur  in  einigen  Gegenden  bey  Missärndten  Fichtenrinde 
und  Moos  unter  das  Brodmehl  mischt."  Stockholm  zählt  jetzt 
73,210,  Bergen  20,844,  Christiania  20,581 ,  Drontheim  11,639, 
und  Christiansand  7,488  Einw.  —  Russland.  Zu  flüchtig  ist 
der  Artikel  von  den  Flüssen.  Denn  bey  dem  Dnieper  werden 
nur  der  Bog  und  bei  der  Wolga  nur  die  Twerza  und  Oka  als 
Nebenflüsse  angefübrt.  St.  Petersburg  hat  in  9,500  Häusern 
433,374,  Moskau  in  9,570  Häusern  200,000,  Tiflis  33,000,  Sa- 
ratow  26,744,  Simbirsk  13,719  und  Tobolsk  19,917  Einw. 
Warschau  in  Pohlen  zählt  schon  126,433  Einw.  Hier  findet 
der  Leser  auch  schon  die  neugegründete  Bergstadt  Konstanti- 


Stein:  Kleine  Geographie.  117 

now  angeführt.  —  Zum  Schlüsse  dieses  Abschnitts  berichtet 
der  Verf. ,  dass  die  Russisch -Amerikanische  Handels -Kom- 
pagnie, ohne  Antheil  der  Russ.  Regierung,  die  Halbinsel  Sa- 
chin, Sachalien  oder  Tschoka  im  Ochozkischen  Meere  (die  jetzt 
häufig  dem  Japanischen  Reiche  beygezählt  wird)  in  Besitz  ge- 
nommen habe.  —  Türkisches  -  Reich.  Dieser  Abschnitt  bietet 
nichts  Bemerkenswerthes  dar.  Auch  hier  ist  das  Land  nach 
der  beliebten  Eintheilung  in  Ejalets  und  Sandschaks  be- 
schrieben. 

2te  Abtheilung:  Asien.  (208— 244.)  Flächenraum  775,710 
□  Meilen,  wovon  40,154  auf  die  Inseln  kommen.  Für  den  Haupt- 
stamm aller  Gebirge  wird  der  Bogdo-Oola  unter  85  — 115°  L. 
35 — 450  n<  b.  erklärt.  Diess  kann  allerdings  wahr  seyn.  Wer 
hat  aber  das  Innere  Hoch -Asiens  schon  so  genau  erforscht, 
dass  man  auf  dessen  Autorität  diese  Hypothese  als  ausgemachte 
Wahrheit  vortragen  darf*?  —  Unter  den  Seen  sind  die  Chine- 
sischen ganz  ausser  Acht  gelassen  worden.  —  Die  unter  die 
Hauptflüsse  gestellte  Seiinga  (Selenga),  ist  ja  bloss  ein  Quellen- 
fluss  des  Jenisei.  —  Einwohnerzahl  nur  480,015,000  Köpfe,  wo- 
von auf  die  Inseln  65,824,000  kommen.  Sollte  man  nicht  glau- 
ben,  der  Verf.  habe  in  allen  Ländern  Asiens,  selbst  in  Japan, 
im  Innern  Borneo's,  Sumatra's  u.  s.  w.  genaue  Volkszählungen 
veranstalten  lassen?  —  Die  Baschkiren  werden  auch  hier,  weil 
sie  einen  Tatarischen  Dialekt  sprechen,  der  Kaukasischen,  die 
Hindus  dagegen  der  Mongolischen  Hauptrasse  zugetheilt. 
Letztere  gehören  aber  ihrer  Körperbildung  nach  offenbar  mehr 
der  Kaukasischen  Rasse  an.  Asien  wird  nur  in  Nord-,  Mittel - 
und  Süd -Asien  unterschieden.  —  Turkestan.  So  wird  auch 
hier  sehr  passend  die  freye  Tatarey  genannt.  Die  Bevölkerung 
von  Usbekistan  beträgt,  nach  Meyendorf's  Schätzung, 
2,478,000  Köpfe.  Die  Stadt  Buchara  soll  70,000  und  Samar- 
kand  50,000  Einw.  zählen.  —  Arabien.  Die  Naturbeschaffen- 
heit dieser  ausgedehnten  Halbinsel  hätte  wohl  mit  etwas  mehr 
Ausführlichkeit  und  Bestimmtheit  vorgetragen  werden  können. 
Denn  es  heisst  hier  bloss  :  „Einige  Gcbirgsstriche  ausgenommen, 
ist  das  Land  eben,  mit  vielen  völlig  nnfruchtbaren Sandsteppen." 
Also  nichts  von  denunermesslichen,  so  furchtbaren  Sandwüsten, 
die  gewiss  f  der  ganzen  Oberfläche  einnehmen!  Auch  passt  das 
Wort  Steppe  gar  nicht  auf  die  ganz  nackten  und  sterilen  Sand- 
flächen, die  sich  nur  während  der  kurzen  Regenzeit  mit  et- 
was Grün  überkleiden.  —  Bey  den  Flüssen  werden  Euphrat, 
Wadi  sebi  und  /Vstak  genannt,  ohne  zu  erwähnen,  dass  Ara- 
bien das  wasserärmste  Land  Asiens  sey.  —  Bey  dem  Reiche 
der  Wahabiten  hätte  auch  berichtet  werden  sollen,  dass  neue- 
rer Zeit  deren  Macht  durch  den  Pascha  von  Aegypten  gebro- 
chen zu  seyn  scheine,  und  dass  deren  Hauptstadt Drey eh  wahr- 
scheinlich noch  in  Trümmern  liege.  —  Persien  =  48,795 
(5!>,400)  □  Meilen.     Unter  diesem  Nahmen  hat  der  Verf.  die  3 


118  Geographie. 

Reiche  Iran,  Afghanistan  und  Beludschistan  begriffen,  was 
um  so  lobenswerther  ist ,  da  die  Gränzen  dieser  Staaten  unter 
sich  uns  nichts  weniger  als  genau  bekannt  sind ,  und  deren 
ganze  Gebiete,  mit  Ausnahme  der  Ost- Indischen  und  Turke- 
stanischen  Eroberungen,  in  Ansehung  der  Naturgränzen  nur 
ein  Ganzes  ausmachen.  Unter  den  Flüssen  vermisst  man  den 
Gyndes,  einen  Nebenfluss  des  Schat  elArab.  —  Bey  Iran  wird 
die  Insel  Kenn  oder  Keese  als  ein  seit  dem  Jahre  1821 
bestellender  Brittischer  Waffenplatz  aufgeführt.  —  Die  Afgha- 
nen stammen,  nach  dem  Verf.,  von  den  Medern  ab,  weil  die 
Assakanen  zu  Alexanders  Zeiten  ihre  Vorältern  waren.  Ist  diess 
schon  ganz  ausgemacht*?  —  Ost  -  Indien  (hier  nur  in  der  Be- 
deutung alsVorder-Indien  genommen).  Areal  =  59,535D  Meilen. 

—  üass  der  Burremputer  im  Reiche  Assam  entspringen  soll, 
darf  wohl  nur  einem  Druckfehler  zugeschrieben  werden,  und 
um  so  sicherer,  da  hier  die  Länge  seines  Laufs  auf  320  Mei- 
len geschätzt  wird  ,  und  jenes  Reich  bekanntlich  an  der  N.  O. 
Gränze  Bengalens  liegt.  Wer  hat  aber  diese  Länge  schon  aus- 
gemessen'?  —  Bevölkerung:  132  Mill.  —  Die  neuere  Ge- 
schichte der  Mahratten  könnte  etwas  umständlicher  dar- 
gestellt seyn.  Denn  es  wird  hier  nicht  erzählt ,  dass  der  grö- 
sste  Theil  der  Besitzungen  des  Paischwah  von  den  Britten  zu 
ihren  unmittelbaren  Besitzungen  geschlagen,  aus  dem  Ueber- 
reste  aber  das  ihrer  Oberherrschaft  unterworfene  Fürstenth. 
Sattarah  (  Sittarah  )  gebildet  worden  ist ,  und  dass  zu  gleicher 
Zeit  die  Staaten  des  Holkar,  des  Guikowar  und  von  Nagpur 
mit  Verlust  bedeutender  Gebietsteile  die  Oberherrlichkeit  der 
Ost- Indischen  Kompagnie  haben  anerkennen  müssen,  und  dass 
selbst  das  Reich  des  Scindia  mehrere  erhebliche  Einbussen  an 
Land  erlitten  habe.  Endlich  sind  die  Findaren ,  die  doch  in 
dem  letzten  Kriege  mit  den  Mahratten  eine  so  wichtige  Rolle 
spielten,  ganz  mit  Stillschweigen  übergangen.  —  Der  Haupt- 
stadt des  Reichs  des  Scindia  Oogen  (wohl  richtiger  Udschein) 
sind  nur  30,000  Einw.  zugemessen.  —  In  Nepal  sollen  die 
höchsten  Berge  zu  finden  seyn.  Wenn  aber ,  wie  der  Verf.  in 
der  Einleitung  behauptet,  der  Bogdo-Oola  der  Ilauptstamm 
aller  Asiatischen  Gebirge,  mithin  auch  des  Himalaja  ist,  so 
steht  doch  wohl  mit  Recht  zu  vermuthen,  dass  der  Hauptstamm 
die  Nebenäste  an  Höhe  noch  übertreffen  müsse?  —  Die  Brit- 
tisch -  Ost-  Ind.  Komp.  hatte  im  Jahre  1825  20,528,763  Pf.  Ster- 
linge  Einkünfte,  19,737,318  Pf.  Sterlinge  Ausgaben,  318,176,050 
Gulden  Schulden,  und  stüzte  ihre  Macht  im  Jahre  1827  auf 
280,863  Krieger ,  worunter  22,000  Mann  Europäische  Truppen. 

—  Bey  Kochin  wird  nicht  erwähnt ,  dass  der  Ort  von  den  Nie- 
derländern an  die  Britten  vertauscht  worden  sey.  Ueberhaupt 
muss  es  gerechte  Bewunderung  erregen,  dass  der  alle  politische 
Veränderungen   so    fleissig   beachtende  Verf.   hier  den   Nie- 


Stein:  Kleine  Geographie.  119 

derläiidern  noch  ein  besonderes  Gehiet  von  37nMe*'e'1  Imt 
110,000  Einw.  angewiesen  Jiat.  Dass  aher  die  Besitzungen 
der  Franzosen ,  Dänen  und  Portugiesen  als  besondere  Gebiets- 
teile beschrieben  werden,  wird  jedermann  als  zweckmässig 
erkennen.  —  Binder  -  Indien  =  40,020  □  Meilen, 36MÜL  Einw. 
ßirman  =  13,000 n  Meilen, OiMill.Eiuw.  Ohne  des  vor  kurzem 
beendigten  Kriegs  zwischen  diesem  Reiche  und  den  Britten  mit 
einem  Worte  zu  erwähnen,  werden  zum  Schlüsse  des  Artikels 
die  au  die  Britten  abgetretenen  Prov.  aufgezählt.  Auch  wird 
schon  von  der  neuen,  im  Jahre  1820  von  den  Britten  an  der 
Mündung  des  Flusses Martaban  gegründeten  Stadt  Amherstown 
gesprochen.  —  Slam.  Die  heutige  Ilauptst.  ist  nicht  Si-yo-thiya, 
sondern  Bankasuy  oder  Bankok  mit  150,000  Einw.  —  Das  Ge- 
biet Malakka  wird  auch  hier  noch  den  Niederländern  zugetheilt. 
—  Anum.  Unter  den  Einw.  rechnet  mau  schon  380,000  kathol. 
Christen.  —  Ost -Indische  Inseln.  Bey  Sumatra  wird  zwar  das 
vormahls  Brittische  Fort  Marlborough  (ohne  jedoch  des  Nah- 
mens  Benkulen  zu  gedenken,)  als  eine  seit  dem  Jahre  182-1  den 
Niederländern  gehörige  Besitzung  angeführt ,  ohne  jedoch  zu 
sagen,  was  die  Britten  dafür  eingetauscht  haben.  —  China, 
Areal  218,300  G  Meilen  mit  179  (?)  Mill.  Einw.  —  Die  grosse 
Mauer  empfängt  hier  eine  Länge  von  711  (*?)  Meil.  und  geht 
über  2  —  300  (soll  avoIü  heissen  2—3000)  Fuss  hohe  Berge. 
Das  eigentliche  China  enthält  01,138  □  Meilen  und  zählt  (im 
eigentlichen  Sinne)  140,280,143  Menschen,  worunter  im  Jahre 
1820  40,287  Christen.  Von  wem  hat  nun  der  Verf.  diesen  an- 
scheinend so  genauen  Volkszensus'?  Ist  es  überhaupt  bey  der 
Verfassung  dieses  Reichs  möglich,  dass  an  eine  vollständige 
Volkszäblung  gedacht  werden  dürfe?  Und  wenn  ja  hier  wirk- 
lich Seelenregister  geführt  werden  sollten,  ist  es  wahrschein- 
lich, dass  die  so  misstrauischeu  Chinesen  solche  den  Euro- 
päern mittheilen  werden'?  Dass  übrigens  diese  Summe  viel  zu 
niedrig  seyn  müsse,  liegt  für  jeden  Unbefangenen  klar  am  Tage. 
Denn  nach  derselben  fallen  noch  nicht  einmahl  2,400  Köpfe  auf 
1  □  Meile,  so  dass  in  der  Stärke  der  Bevölkerung  China  selbst 
Preussen  nachstehen  würde.  Recht  gern  gesteht  Rez.  zwar 
«u,  dass  nicht  alle  Theile  im  Innern  so  stark  bevölkert  seyn  mö- 
gen, als  die  östlichen  Provinzen.  Aber  in  diesem  wohnen  gewiss 
im  Durchschnitt  auf  1  Q  Meile  mehr  als  10,000  Köpfe.  Wie 
stark  nun  auch  von  Natur  unfruchtbare  Striche  hier  bebaut  und 
bewohnt  sind,  davon  giebt  Timbowskiin  seiner  Reise  von  Ki- 
achta  durch  die  Mongoley  nach  Pekin  ausführliches  Zeugniss. 
Rez.  lebt  daher  der  Ueberzeugung,  dass,  wenn  man  bey  die- 
sem in  jeder  Beziehung  einzigen  Reiche  im  Durchschnitt  4,000 
Köpfe  auf  1  □  Meile  annehme,  man  sicherlich  nicht  über  die 
Schnur  hauen  werde,  und  in  diesem  Falle  hätte  China 
244  \  Million  Einwohner.  —  Die  Verf.  geographischer  Hand- 
bücher sollten  in  dergleichen  Fällen  nie  ihrer  eigenen  Ansicht 


120  Geographie. 

oder  auch  Ueberzeugung  folgen,  sondern  alle  vorhandenen  An- 
gaben und  Schätzungen,  sie  mögen  so  unwahrscheinlich  seyn 
als  sie  wollen,  zur  Yergleichung  neben  einander  stellen,  und 
die  Auswahl  dem  Leser  überlassen.  —  Auch  hier  ist  die  Por- 
tug.  Besitzung  Makao  als  eine  Halbinsel  geschildert.  Der  Chi- 
nesischen Ladronen  geschieht  gehörige  Meldung.  Der  Abschnitt 
Mongoley  verdient  auch  nachTimbowski'sMittheilungen über  die- 
ses Land  berichtigt  zu  werden.  Die  Halbinsel  Sachalien  (Tschoka 
Karasta)  wird,  obgleich  weiter  unten  bey  Japan  zugestanden 
ist,  dass  die  Japanesen  im  südlichen  Theile  Niederlassungen 
haben ,  doch  zur  Manschurey  gerechnet ,  wohin  sie  freylich 
auch  der  Lage  nach  gehört.  —  Japan.  Der  Flächenraum  von 
12,569  □  Meilen ,  der  hier  auch  angenommen  wird,  muss  sich, 
sobald  das  eben  erwähnte  Karasta  zur  Manschurey  geschlagen 
wird,  um  2,244  □  Meilen  vermindern.  Uebrigens  darf  man  in 
diesem  Abschnitt  keine  neuen  Aufschlüsse  erwarten,  doch  wird 
auch  die  neu  aufgefundene  Insel -Gruppe  Binin  genannt. 

3ter  Absch.  Afrika.  (S.  245—211.)  Flächenraum  =  523,1390 
Meil.  wovon  11,336  auf  die  Inseln  gerechnet  sind.  —  Beym  Strome 
Niger  werden  in  der  Einleitung  bloss  2  Fälle  angenommen, 
nähmlich  dass  er  entweder  in  den  Aegyptischen  Nil  oder  in  den 
Binnensee  Sudans  fliese.  Nur  erst  bey  Sudan  werden  die  übri- 
gen Hypothesen ,  dass  er  auch  in  westlicher  Richtung  entweder 
durch  den  Kongo ,  oder  durch  den  Benin  ins  Atlantische  Meer 
ausströmen  könne,  erörtert.  —  Beym  Klima  wird  nicht  bemerkt, 
dass  Afrika  der  heisseste  Erdtheil  unter  allen  sey.  Auch  bey 
diesem  Erdtheil,  unstreitig  dem  unbekanntesten,  legt  der  Verf. 
durch  Mittheilung  ganz  genauer  Populationsangaben  seine  be- 
sondere Kenntniss  davon  an  den  Tag;  denn  er  giebt  Afrika, 
man  lese  und  staune!  119,371,000  Einw.  —  Die  vom  Pascha 
von  Aegypten  schon  vor  einem  Jahrzehend  vernichteten  Mame- 
luken werden  hier  noch  als  ein  besonderer  Volksstamm  ange- 
führt, was  sie  doch  nie  waren.  —  Aegypten  =  6,256  □  Meilen. 
Die  Berge  —  die  hier  auch  nicht  näher  bezeichnet  werden ,  — 
sollen  meistens  —  nicht  durchaus  ?  —  kahl,  so  wie  der  Boden 
grösstenteils  sandig  und  dürr  seyn.  Genauer  sollte  es  heissen: 
Das  ganze  Land  ist,  mit  Ausnahme  des  Nilthals  und  desDelta's, 
so  weit  beyde  bewässert  werden,  eine  dürre  sandige  oder  fel- 
sige Wüste ,  in  welcher  nur  nach  Westen  zu  einige  Oasen  ge- 
funden werden.  —  Einw.  2,514,100  Seelen,  also  nicht  4  Mill., 
wie  beym  Osmanischen  Reiche  angegeben  worden  war.  —  In 
Alexandria  hat  der  Verf.  12,528  Einw.  gezählt.  —  Die  neuen 
Eroberungen  des  Aegyptischen  Statthalters  sollen  in  Nuba, 
Hedschas  und  dem  steinigenArabien6,704n Meilen  mit  1,485,000 
Einw.  enthalten.  —  Barka  gehört  grösstenteils  zu  Tripolis, 
doch  sollen  die  Städte  Barka,  Tolometa,  Kurang  u.  s.w.,  Bestand- 
teile Aegyptens  seyn.    —    Sahara.    Vom  Klima  wird  weiter 


Stein:  Kleine  Geographie.  121 

nichts  gesagt,  als  dass  das  Land  eine  heisse  Ehene  sey,  also 
nicht ,  dass  hier  die  Sonnenhitze  einen  solchen  Grad  erreiche, 
dass  sie  Hühner -Eyer  im  Sande  zum  Genüsse  der  Menschen 
gar  koche.  Auch  über  die  Bestandtheile  des  Bodens  wird  nichts 
Näheres  erzählt.  —  Nubien.  Auch  hier  wird  nicht  berichtet, 
dass  der  Landstrich  zwischen  dem  Ml  und  Rothen  Meere  fast 
durchgehends  aus  nackten  dürren  Felsenbergen,  und  wasserlo- 
gen Thälern  und  Schluchten  bestehe.  —  Der  lste  Abschnitt: 
Türkisch  Nubien  und  die  Küste  von  Habesch,  ist  in  so  fern  un- 
richtig dargestellt,  dass  die  hier  genannten  Inseln  und  Orte, 
welche  doch  auf  der  Küste  von  Habegeh  liegen,  gleichwohl  zu 
Nubien  gerechnet  werden ,  und  dass  das  eigentliche  Osmani- 
sche  Nubien  zum  Paschal.  Dschidda  geschlagen  wird  ,  aber  in 
der  That  zu  Aegypten  gehört.  Auch  sind  die  vielen  kleinen 
Gebiete  zwischen  Aegypten  und  Dongolah,  als  Derr,  Ibrim, 
Sukkot,  Sai  u.  s.  w.,  welche  jetzt  sämmtlich  den  Befehlen  des  Statt- 
halters von  Aegypten  gehorchen,  ganz  mit  Stillschweigen  über- 
gangen worden.  —  Dass  Sennaar  ebenfalls  von  den  Truppen 
desselben  erobert  worden  ist ,  wird  auch  nicht  erwähnt.  End- 
lich wird  das  gleichermaassen  von  den  Osmanen  bezwungene  Kor- 
dofan  nur  beyläufig  als  zinnsbar  an  Dar  Für  angeführt.  —  Sene- 
gambien.  Auch  hier  sucht  man  die  bereits  im  Jahre  1816  gegrün- 
dete Brittische  Niederlassung  Bathurst ,  welche  an  die  Stelle 
des  verlassenen  James -Forts  getreten  ist,  vergebens.  —  Das 
innere  Afrika  soll,  obgleich  eingeräumt  wird,  dass  es  fast  ganz 
unbekannt  sey,  im  Ganzen  aus  unfruchtbarem  Steppenlande 
bestehen  und  mit  brennend  heissem  Sande  bedeckt  seyn.  Wo- 
her weiss  er  aber  diess ,  da  er  selbst  unsere  grosse  Unbekannt- 
schaft damit  eingesteht?  Darf  man  von  einzelnen  bekanntern 
Strichen  sofort  aufs  Ganze  schliessen?  —  Ostküstenländer.  Mo- 
nomotapa  und  Mokaranga  werden  hier  als  zivey  besondere  Rei- 
che aufgestellt:  doch  ist  vom  erstem  nur  der  Nähme  genannt. 

—  Das  Kapland  zählt  schon  107,216  Einw.  und  die  Kapstadt 
18,422  Einw.  —  Madagaskar.  Interessant  ist  was  der  Verf. 
über  das  Reich  Oval  berichtet.  —  Die  jetzt  von  den  Britten 
besetzte  Insel  Ascension,  die  gewöhnlich  als  ganz  wasserarm  ge- 
schildert wird ,  ist  hier  reich  mit  Wasser  versehen ,  von  wel- 
chem stets  40  Tonnen  für  die  anlandenden  Schilfe  bereit  ge- 
halten werden.     Sie  erzeugt   auch  jetzt  mannigfache  Gemüse. 

—  Die  Kanarischen  Inseln  zählen  215,100  Einw. 

4ter  Abschnitt :  Amerika.  (S  272  —  318.)  Flächenraum  = 
744,920  D  Meil.,  wovon  8659  auf  die  Inseln,  und  71,010  auf 
die  Polarländer  kommen.  —  Die  Apalachischen,  blauen  und  Al- 
leghanischen  Gebirge  werden  hier  als  eine  Fortsetzung  der 
Anden  ausgegeben.  Dieser  Ansicht  kann  Rez.  aber  nicht  bey- 
st  i  mm  eil ,  weil  diese  ausgedehnte  auf  der  Ostküste  hinlau- 
fende Gebirgskette  von  den  auf  der  Westküste  fortstreichenden 


122  Geographie. 

Anden,  die  aber  hier  verschiedene  Nahmen  tragen,  durch  das 
weite  Thal  der  Ströme  Missuri  und  Missisippi  geschieden  wird, 
auch  sich  erst  auf  dem  linken  Missisippi-Ufer  mit  niedrigen  Ber- 
gen erhebt.  Auch  wird  hier  den  Nord -Amerikanischen  Anden 
kein  besonderer  Nähme  gegeben:  eben  so  wenig  wird  gesagt, 
dass  diese  in  dem  nordwestlichen  Theile  unter  dem  Nahmen 
Felsengebirge  wieder  eine  beträchtliche  Höhe  erreichen.  Dem 
Landeshaupte  Nord- Amerika' s  wird  endlich  eben  so  wenig  als 
dem  Chiquitos  -  und  dem  Brasilischen  Küstengebirge  hier  eine 
Stelle  vergönnt.  —  Unter  den  Meeren  wird  das  nördliche  Eis- 
oder Polarmeer  nur  schlechthin  der  Skandinavische  oder  Nord - 
Ozean  genannt.  Zwar  sind  dessen  früher  bekannte  Theile  und 
Busen,  aber  noch  nicht  die  vonParry  entdeckten  Eingänge  oder 
Strassen  aufgezählt,  was  nur  der  Eile  zugemessen  werden  darf. 
Eben  so  wird  der  grosse  Ozean  hier  nur  der  Asiatische  Ozean 
oder  das  Südmeer  genannt.  —  Unter  den  Seen  ist  noch  die 
räthselhafte  Parime  mitgezählt.  —  Dem  Maranuon  wird,  nach 
älterer  Annahme,  noch  sein  Ursprung  am  Tschimborasso  ange- 
wiesen ,  und  daher  die  Länge  seines  Laufs  nur  auf  570  Meilen 
berechnet.  Auch  findet  man  zwar  den  Magdalenen  -  Strom, 
aber  nicht  den  viel  mächtigern  St.  Francisco  angeführt.  Bevölke- 
rung: 30,333,000  Seelen,  worunter  6,433,000  Neger.  Dass  aber 
auch  diese  Zahl  auf  einer  willkührlichen  Schätzung  beruhe, 
weil  die  zahlreichen  Indianerstämme  noch  keine  Populations- 
liste bekannt  machen,  wird  nicht  bemerkt.  —  Nord- Amerika. 
Nördliche  Polarländer.  Hieher  werden  das  arktische  Hoch- 
land, wo  die  neuern  von  Parry  und  Gue'don  gemachten  Entdeckun- 
gen nachgetragen  sind;  Grönland,  wo  auch  Scoresby's  Erfor- 
schungen auf  der  Ostküste  angeführt  werden,  Spitzbergen,  La- 
brador und  Neu -Wales  gerechnet.  —  Kanada  hat  hier  20,902 
□  Meilen  und  903,195  Einw.  —  Den  Ländern  der  freyen  In- 
dianer ,  die  häulig  neuerer  Zeit,  aber  sehr  freygebig,  den 
Brittischen  Besitzungen  zugetheilt  werden,  ist  hier  zweckmä- 
ssig ein  eigner  Abschnitt  gewidmet  worden.  Columbia  undOre- 
gal  (soll  heisseu  Oregan)  werden  hier  aus  Uebereilung  als 
2  besondere  Flüsse  angesehen.  Nach  dem  Verf.  besteht  die 
Brittische  Niederlassung  am  Nutka  -  Sund  noch  und  zählt  an 
2,000  Einw.  —  Vereinigte  Staaten  von  N.  A,.  —  Beym  Klima 
hat  der  Verf.  anzumerken  unterlassen,  dass  dasselbe  jenseits 
der  Apalachen  >iel  milderund  beständiger  ist,  als  diesseits  der- 
selben. Das  gelbe  Fieber  erscheint  auch  nur  in  den  Küsteuor- 
ten.  Dass  der  Mischigan  -  See  nur  ganz,  die  übrigen  genannten 
Seen  aber  bloss  zum  Theil  hieher  gehören,  ist  auch  nicht 
erwähnt.  Der  Ausdruck  :  in  einigen  SProv.  herrscht -völlige  R&> 
ligionsfreyheit,  ist  wohl  ein  Druckfehler,  und  sollte  heisseu: 
in  allen.  —  Bey  Aufzählung  der  Unterrichtsanstalteu  hätte  be- 
merkt werden  können,  dass  der  Jugendunterricht  in  mehrern 


Stein :  Kleine  Geographie.  123 

Staaten,  zumahl  in  den  neuem,  noch  sehr  weit  zurück  sey. 
Auch  hier  ist  Mischigau  unter  die  wirklichen  Staaten  einrangirt. 
—  Neu- York  hat  schon  100,080,  Baltimore  70,000  und  Pitts- 
burg 10,515  Binw.     Sonst  liat  Rez.  keine  neuen  Angaben  ge- 
funden. —  Mexico  und  Mittel- Amerika  werden  noch  unter  der 
Aufschrift:  Das  bisherige  Spanische  Nord-  Amerika,  abgehan- 
delt, doch  fehlen   keine  neuern  statistischen  Angaben  dieser 
jungen  Republiken.    Gleichwohl  sind  deren  Staaten  oder  Prov. 
noch  nicht   näher  beschrieben,   ja  bey  Mexico  nicht  einmahl 
nahmentlich  angeführt.  —  Der  vor  wenig  Jahren  von  dem  Schot- 
tischen Abentheurer  Mac  Gregor  auf  der  Musquitoküste  ver- 
suchsweise angelegten  Kolonie  wird  nicht   gedacht.   —   Süd- 
Amerika.     Das  vor  malus  Spanische  Süd- Amerika.    Es  enthielt 
102,09b*  Q  Meilen  mit  5,739,000  Einw.  —  Bey  Kolumbien  wird 
der  Parime-See  als  räthselhaft,  und  der  Ucayale  als  der  wah- 
re Stamm  des  Marannon  bezeichnet.     Die  12  Departem.  wer- 
den zwar  genannt ,  aber  nicht  einzeln  dargestellt.     Die  Topo- 
graphie ist  vollständiger ,  als  zu  vermuthen  stand.     Doch  fehlt 
Neu -Barcelona.    —    Peru.    Dass  die  ganze  Küstenstrecke  äu- 
sserst selten  durch  Regen  bewässert  werde,  und  desshalb  nur 
an  den  nicht  zahlreichen  Küstenffüssen  kulturfähig  sey,  ist  zu 
erzählen  nicht  für  nöthig  erachtet  worden.     Dagegen  w  ird  be- 
richtet, dass  die  eigentliche  Quelle  des  Marannon  in  demApuri- 
mak  zu  suchen  sey.     Die  8  Provinzen  sind  auch  nur  mit  Nah- 
men genannt.     Der  Hauptstadt  Lima  ist  eine  Bevölkerung  von 
73,000  Seelen  gegeben.  —  Chile.  Dass  die  südlichen  Provinzen 
wegen  häufigem  Regen  viel  fruchtbarer  sind,  als  die  nördlichen, 
ist  auch  nicht  bemerkt.   —    La  Plata.    Mit  besonderer  Flüch- 
tigkeit ist  dieser  Abschnitt  behandelt  und  umgeändert  worden. 
Die  allgemeine  Schilderung  betrifft,  bis  auf  den  Flächenraum 
(50,000  D  Meilen)  und  die  Volkszahl  (720,000,  nach  Engl.  Be- 
richten gar  nur  431,000  S.),  das  ganze  vormahlige  Vize-Königr. 
d.  N.     Allein  S.  305  geht  der  Verf.  sofort,  ohne  erst  ein  Wort 
von  der  Zertheilung  desselben  in  3  Freystaaten  zu  verliehren, 
auf  die  heutige  Republik  la  Plata  über,  zählt  13  Staaten  der- 
selben auf,    giebt  die  wichtigsten  Städte  an,    worunter  sich 
aber  auch   die  zu  Bolivia  gehörige,  in  der  Prov.  Charcas  lie- 
gende Stadt  la  Plata  eingeschlichen  hat,  und  erwähnt  nun  erst, 
dass  gegenwärtig  die  Banda  oriental  und  Paraguay  (dem  letz- 
tern werden  nur  500,000  Einw.  zugeschrieben)  davon  getrennt 
wären.     Nun  folgt  unter  einer  eignen  Nummer  (die  natürlich 
darauf  hinweisen  muss,  dass  die  Bestandteile  desselben  vorher 
nicht  zum  V.  KR.  la  Plata  gehört  hätten,)  der  Freystaat  Boliv  ia. 
Da  nun  aber  Ober -Peru  unter  Spanischer  Herrschaft  nie  einen 
eigenen  Verwaltungsbezirk  ausgemacht  hat ,  so  hätte  er  auch 
unter  dem  vormahligen  V.  KR.  la  Plata  mit  beschrieben  wer- 
den sollen.  —  Noch  muss  Rez.  tadeln,  dass  in  der  allgemeinen 


124  Geographie. 

Schilderung  dieses  Landstriches  die  ausgedehnten,  in  der  Regel 
mit  mannshohem  Graswuchs  hedeckten  Pampas  liier  schlecht- 
hin unabsehbare  Wüsten. mit  trockenem  Sandlande,  auch  vielen 
Salz-  und  Salpeterstrichen  genannt  werden.  —  Patagonien. 
Auch  diess  wird  zu  abschreckend  gemahlt.  Denn  es  heisst :  „Auf 
der  Küste  sind  viele  grosse  dürre  Sandflächen,  im  Innern  viele 
Moräste.  Die  Luft  ist  sehr  rauh.'-'-  Das  Letztere  gilt  doch  wohl 
nur  von  der  Südspitze  1  —  Brasilien.  Die  Ungeheuern  Ebenen, 
aus  denen  das  Reich  grössten  Theils  besteht,  hätten  richtiger 
Hochebenen  genannt  werden  sollen.  Unter  den  Gebirgen  sind 
bloss  Carussa  und  Peidade  genannt,  ohne  ihre  Lage  anzugeben. 
Die  ausgedehnten  Küstengebirge  bleiben  aber  unerwähnt.  —  Die 
Bevölkerung  wird  (mit  Anführung  der  Schäfer  sehen  Berech- 
nung, in  welche  also  mit  Recht  Misstrauen  gesetzt  wird)  zu 
3,878,000  Köpfen  angeschlagen.  Ganz  richtig  werden  hier  Re- 
eife  und  Olinda  unterschieden.  —  Brittisches-Süd- Amerika,  hat 
schon  132,990  Einw.  —  West  -  Indien.  Vom  heissfeuchten, 
für  Europäer  so  verderblichen  Klima  wird  nichts  berichtet. 
Nach  den  grossen  Antillen  folgen  die  kleinen,  die  nicht 
nach  ihrem  Besitzstande,  sondern  nach  ihrer  Lage  beschrieben 
sind.  —  Beym  Eyland  Bruba  wird  nichts  von  seinem  Reich- 
thum  an  Gold  gesagt.  Die  Bahama-  Inseln  zählen  jetzt  10,318 
Einwohner. 

5ter Abschnitt:  Australien. (S. 319 — 332.)  Flächenraum  = 
158,000  □  Meilen.  Bevölkerung  2,088,000  Seelen.  Auch  diese 
Angabe  ist  für  unsere  noch  so  geringe  Kenntnis«  eines  so 
grossen  Theils  dieses  Erdabschnitts  viel  zu  genau.  Wer  kann 
mit  Zuversicht  läugnen,  dass  nicht  nur  allein  auf  Neu -Guinea 
mehr  Menschen,  als  obige  Summe  besagt,  gefunden  werden 
können?  Auf  dem  Kontinente,  das  immer  noch  Neu -Holland  ge- 
nannt wird,  fehlen  die  neu  entdeckten  Ströme  Macquarie  und 
Brisbane;  doch  wird  solcher  in  der  Beschreibung  von  Neu- 
Süd- Wales  nachträglich  gedacht.  Sidney-Cove  hat  hier  schon 
17,000  Einw.  —  Der  Insel  Van  Diemensland  giebt  der  Verf. 
übertrieben  einen  Flächengehalt  von  3,438  Q  Meilen.  —  Ota- 
heiti  hat  hier  wieder  16,000 Bewohner.  —  Auch  auf  den  Sand- 
wichs -  Inseln  macht  das  Christenthum  starke  Fortschritte. 
Schon  blühen  0  Missions -Stationen  mit  eben  so  vielen  Kirchen 
und  Schulen ,  in  welchen  über  1,000  Kinder  unterrichtet  wer- 
den. —  Uebrigens  sind  hier  alle  neuere,  von  Brittischen,  Rus- 
sischen und  Nord- Amerikanischen  Seefahrern  gemachie  Ent- 
deckungen sorgfältig  eingeschaltet  worden. 

Diess  wäre  nun  der  Inhalt  dieser  sogenannten  Meinen  Geo- 
graphie, deren  Stärke  aber  (22  Bogen,  ohne  das  4 Bogen  starke, 
vollständige  Register)  nicht  gut  zu  diesem  Beynahmen  passen 
will,  und  daher  nur  in  Beziehung  auf  ein  noch  grösseres  Werk 
so  benannt  werden  darf.     Der  Leser  wird  aus   dieser  Beur- 


Stein  :    Kleine  Geographie.  125 

theilung —  bey  welcher  Rez.,  weil  dieses  Buch,  nach  den 
zahlreichen  Auflagen  zu  urtheilcn,  so  weit  verbreitet  ist,  sich 
länger  verweilt  hat,  als  sein  Vorsatz  war,  —  ersehen,  wieviel 
er  für  den  geringen  Preis  erhalte,  und  mit  welchem  Fleiss  auch 
diese  Auflage  berichtigt  und  erweitert  worden  sey.  Doch  wer- 
den auch  gewiss  mehrere  Leser  mit  dem  Rez.  beklagen,  dass 
der  Verf.  auf  Umarbeitung  verschiedener  Abschnitte  nicht  mehr 
Zeit  verwenden  konnte,  und  dass  derselbe  insonderheit  unter- 
lassen hat,  auch  bey  den  Unterabtheilungen  der  Staaten  und 
Länder  Areal  und  Volksmenge,  so  weit  solche  bekannt  sind, 
hinzuzufügen.  Denn  nur  bey  den  Regierungsbezirken  Preus- 
sens,undbey  den  Inseln  hat  er  hiervon  eine  Ausnahme  gemacht. 
Durch  diese  Zugabe,  die  so  vielen  Aufschlug»  über  den  ver- 
schiedenen Umfang,  über  den  stärkeren  oder  geringern  Anbau 
u.  s.  w.  der  einzelnen  Landestheile  gewähren,  und  vielleicht  kaum 
|  Bogen  Papier  mehr  erheischt  haben  würde,  hätte  er  ohne 
Zweifel  den  Werth  dieses  Werks  noch  bedeutend  erhöht,  und 
so  die  Wünsche  vieler  Leser  und  Lehrer  vollkommen  befriedigt, 
zumahl  da,  hauptsächlich  in  Europa,  die  vornehmsten  statisti- 
schen Angaben  nirgends  fehlen.  Noch  muss  Rez.  versichern, 
dass  auch  den  meisten  Städten  die  Volkszahl,  und  zwar  in  ge- 
nauem Summen,  beygesetzt  worden  ist. 

Druck  und  Papier  sind  gleich  ausgezeichnet.  Insbesondere 
ist  der  Druck  bey  der  Ortsbeschreibung  so  kompendiös  einge- 
richtet, dass  nicht  weniger  als  55  Zeilen  auf  eine  Seite  kom- 
men. Ueberdiess  hat  sich  der  Verf.  zur  fernem  Ersparung  des 
Raumes  mehrerer  sachgemässer ,  leicht  verständlicher  Abbre- 
viaturen bedient.  Eben  so  wenig  wird  das  Werk  durch  viele 
Druckfehler  verunstaltet. 

Eine  sehr  schätzbare  Zugabe  ist  endlich  auch  die  tref  liehe, 
nach  Mercator's  Projektion  behandelte,  sehr  sauber  und  deut- 
lich gestochene  Weltcharte ,  welche  12^  Zoll  hoch  und  16  § 
Zoll  breit  ist.  Sowohl  Gebirgszüge  als  Flusssysteme  sind  auf 
derselben  richtig  eingetragen  worden.  Nur  im  Innern  Asiens 
hat  sich  ein  nicht  unerheblicher  Fehler  eingeschlichen.  Hier 
ist  nähmlich  der  Baikal -See  nicht  allein  in  Osten  sondern  auch 
in  Westen  von  einer  Gebirgskette  eingeschlossen  und  nur  nach 
Norden  zu  offen,  auch  ohne  Abfluss  dargestellt,  so  dass  man 
dieser  Zeichnung  nach  den  Ausfluss  der  obern  Angara,  und  die 
Verbindung  des  Sees  mit  dem  Jenisei  für  unmöglich  halten  muss. 
Ein  kleinerer  Fehler  ist  noch  der,  dass  in  der  Asiatischen  Tür- 
key der  Tigris  seine  besondere  Mündung  im  Norden  des  Euphrats 
in  den  Persischen  Meerbusen  erhalten  hat.  Dagegen  sind  die 
von  Parry  gemachten  Entdeckungen  in  der  Polargegend  recht 
ileissig  benutzt  worden.  Auch  wird  in  Afrika  der  muthmaassliche 
Lauf  des  Niger  nach  dein  Meerbusen  von  Guiuea,  und  dessen  31  im 


126  Miscellen. 

düng  in  2  Armen ,  so  wie  dessen  Verbindung  mit  den  Seen 
im  Osten  Sudans  durch  einen  beträchtlichen  Nebenfluss  ange- 
deutet. 

Dr.   Weise. 


Miscellen. 


Auf  Cannings  Tod. 

Als  Canning  starb,  lebte  in  England  ein  Grieche,  der  früher  in  Ja- 
nina Lehrer  gewesen  war,  und  in  reiner  Begeisterung  für  die  Sache  seines 
Vaterlandes  die  weite  Reise,  die  ihm  bei  der  Unbekanntschaft  mit  den 
Sprachen  Europa's  doppelt  schwierig  sein  musste,  nicht  scheute,  um, 
obgleich  nur  als  Einzelner,  das  Schicksal  des  unglücklichen  Landes  dem 
grossen  Staatsmann  ans  Herz  zu  legen.  Bald  nach  der  Ankunft  des 
weitgereisten  Fremdlings  starb  der  Britische  Minister,  und  Georgios 
Christi  an  os  verfasste  folgende  lainben ,  die,  obgleich  an  einigen 
grammatischen  und  metrischen  Schwächen  leidend,  doch  die  Theil- 
nahme  der  Deutschen  Philologen  erregen  werden.  Man  kann  auch 
aus  ihnen  6ehen,  wie  weit  bis  jetzt  das  Studium  der  alten  Sprache 
vorgeschritten  ist.  Der  Einsender  erhielt  sie,  die  früher  schon  in  Eng- 
lischen Blättern  mitgetheilt  Maren,  von  dem  Verfasser  selbst,  der  jetzt 
auf  der  Rückreise  durch  Deutschland  begriffen  ist. 

4i  Iccfißav  syxcoixiov  tov  &avovrog  ricoQylov  Kavviyx 
xov  Tfjq  BQLtruvviag  [ilv  stQwrov  vitovgyov  iQri^iatiöavxog, 
rrjg   ö'    dv&QCjnorrjTOS    xoivov     svegyerov    (iaQTVQO(xävov. 

Zjjg  a>  (iDLY.dQ  Kävviyx,  v.al  ov  &üvsg  9avdv 

o  nüg  yao  cticov  ovnoz  ollvGi  xleog, 

ovnsQ  cvys  ttqo  7tavz6s  ctQzicpQ(ov  scov, 

i^yoig  6cpQaylg  nitpavGai  Sr]    ya9ols  fiovog. 

"AvaKTag,    tv  yccg  nsiGug   oQ&wg    ^vficpQOveip, 

av&qconözrjzog  itQOGzüzccg  Tiaarjs  nilsiv 

noivovg ,   Gv  zovzoig  ctlziav  ys  rrjv  nalrjv 

didmtag,   cogzs  firjKSz'  slvai  cog  nular 

„  Ovzoi  (tat,    Gol  ö'  ixetvoi,   rjfiHg  diGiioxai." 

'All'   ovv  coepovg  tfar'  i'/jiSQOv  6%bvztg,  ß(>ozoi$ 

tov  tcqIv  xä%iGz   ä^ovGi  vrjvS(iov  ßiov. 

vtatriQ  yuQ  (og  anccvzag  ?|  I'gov  laovg 

rpililv  slov%' ,   olg  svvofisla&c'i  av  ftfljj. 

o&tv  gv  GcotrjQ  ov  ftovov  Sift    EllccSog, 

üü'  r\v  rslst6z7]zcc  övvctvzcci  ßoozol 

oN^£ö'^•'  in   eaav,  cd'ttos  TavzT]$  av  sf. 


Miaccllen.  127 

cot»  ovv  nXfog  fiiy  ov  fiövov  nocQu  ßgoroig, 
aXX'  ißtai  gol  sv   x  ovQmoig  dö£  ay&irog. 
«coxf ,   rfj   r\  avyovazov 

iv  Aovöivw.  rswQyiog  Xqi<sriav6g. 

In  dem  ersten  Bande  von  Külin's  Opusculis  academicis  medicis 
et  phiiologicis  sind  nur  die  ersten  drei  Abhandlungen  ffir  Philologen 
Wichtig,  nämlich:  1)  De  causa  mortis  hpminum  aqua  submersorum  eos- 
que  in  vi  tarn  revocandi  ratwne,  veteribus  Graeciae  medicis  usurpata. 
v.  J.  1778.  2)  Quaedam  de  dubia  Aretaei  aetate  constituenda  novaeque 
editiouis  ejus  specimen.  v.  J.  1779.  [Aretäus  wird  in  die  Regierungs- 
zeit  des  K.  Nero  gesetzt.]  3)  De  philosophis  ante  Hippocratem  medi- 
cinae  cultoribus,  ad  Celsi  de  media,  praejat.  Spec.  I.  v.  J.  1781.  [Nur 
Pythagonis,  Alkmäon  und  Empedokles  werden  behandelt.]  —  Von 
dem  Museum  criticumy  er  Cambridge  Classical  Research.es  ist  zu  Cam- 
bridge, printed  at  the  University  Press,  for  J.  Murray,  1826  Vol.  II 
Nr.  V11I  erschienen  (Nr,  VII  erschien  bereits  1821.),  und  mit  dieser 
Nummer  die  Zeitschrift  geschlossen  Morden.  Das  Wichtigste  dieses  Hef- 
tes sind  27  in  Bootien  gefundene  Griech.  Inschriften  von  Leake  mit 
Anmerkk.  von  B  lomf  ield  ,  und  dann  Emendationes  in  Anthologiam 
Graecam  ,  Bio  m  fiel  dii  animadversiones  in  Sapphonis  ,  Alcaei  et 
Stesichori  fragmenta,  und  die  Fortsetzung  der  Fragmentensamrnlung 
des  Sophron  Syracusanus.  Nächstdem  sind  zu  beachten  eine  Abhand- 
lung über  die  Griechische  Cursivschri/t  und  eine  sehr  ausführliche  Re- 
cension  von  Elmslej's  und  Hermanns  Ausgaben  der  Bacchae  des  Eu- 
ripides.  Wenig  werth  ist  das  Memoir  of  Dr.  James  Duport.  Noch  sind 
17  Briefe  von  Rieh.  B  e  n  1 1  e  y  mitgetheilt,  die  aber  auch  in  Burney'a 
Sammlung  und  in  dem  Leipziger  Abdruck  stehen,  und  6  Prolusionesvon 
Boeckh  aus  den  Berliner  Lectionsverzeichnissen  von  1812  —  23  wie- 
der abgedruckt  worden. 


Zu  Turin  sind  1826  erschienen:  M.  Tullii  Ciceronis  opera  ex  re- 
censione  Chr.  G.  Schützii  additis  commentariis ,  welche  nach  einer 
kurzen  Nachricht  im  Tübing.  L.  Bl.  1827  Nr.  96  S.  384  ausser  einem 
eehr  correcten  Text  und  zahlreichen  Conjecturen  des  Correctors  im 
5n  Bande  auch  Varianten  aus  einem  Turiner  Codex  rescriptus  [wahr- 
scheinlich die  früher  von  Peyron  bekannt  gemachten]  enthalten  sollen.  — 
Das  AVerk :  Les  etudes  greetjues  sur  Virgile,  ou  recueil  de  tous  les  pas- 
sages  des  poetes  grecs  imites  dans  les  Boucoliques,  les  Georgiques  et 
V  Enc'ide,  avec  le  texte  latin  et  des  rapproch emens  litteraires ,  par  F. 
G.  Eich  ho  ff  (Paris  1825.  III  voll.  8.),  welches  Wagner  in  der 
Hall.  Lit.  Zeit.  1826  Nr.  51  recht  gut  gewürdigt  hat,  ist  von  dem  kön. 
Rathe  des  öffentlichen  Unterrichts  in  Paris  unter  die  Zahl  der  classi- 
schen  Bücher  aufgenommen  worden,  welche  in  diesem  Jahre  in  den 
Cursen  der  Rhethorik  und  der  Humaniora  erklärt  werden  sollen.  — 
In  Wien  in  der  Jacob   Meyer'schen  Buchhandlung  erscheinen:    Romi- 


128  M  i  8  c  e  1  1  e  n. 

sehe  und  Griechische  Dichter  in  Deutschen  Uebersetzungen  der  Tauch- 
nitzer  Leipziger  Stereotypausgaben ,  von  denen  bis  zum  Januar  1828 
fertig  geworden  ist :  Quintus  Horatius  Flaccus  nach  Vossens  Ueberse- 
tzung.  [Bloss  die  Oden  und  Epoden.]  Nebst  Biographie  und  Bildniss, 
dann  geograph isch  -  historisch  -  mythologischem  Erklär ungswörterbuche 
und  einer  Bibliographie  aller  Horazischen  Ausgaben.  Der  l)is  Ende 
Januars  1828  gültige  Priinumerationspreis  war  1F1.,  auf  Velinpapier  1F1. 
30  Kr.,  der  spätere  Ladenpreis  1  Fl.  15  Kr.,  auf  Velpp.  2  Fl.  Auch 
wird  das  Buch  in  2  Abtheilungen  verkauft;  die  Oden  und  Epoden,  nebst 
Horazens  Bildniss  und  Biographie  für  20  Kr.  (Velpp.  36  Kr.);  das  Er- 
klärungswörterbuch nebst  der  Bibliographie,  als  Anhang  zu  allen  Deut- 
schen Uebersetzungen  des  Horaz ,  für  30  Kr.  (Velpp.  48  Kr.).  Nach 
dem  Horaz  sollen  Aeschylos  und  Virgilius,  ebenfalls  nach  Voss  über- 
setzt, folgen.  Bei  diesem  Nachdruck  der  Vossischen  Uebersetzungen 
ist  bloss  der  absurde  Zusatz  nach  den  Tauchnitzer  Stereotypausgaben, 
sonderbar,  und  beweist,  in  welcher  Achtung  dieselben  in  Oesterreich 
(-teilen  müssen. 


Vom  Anfang  des  Jahres  1828  an  wird,  von  Bottiger  herausge- 
geben, eine  neue  Zeitschrift,  Archäologie  und  Kunst,  in  zwanglosen 
Heften  bei  Max  in  Breslau  erscheinen.  Ihre  Gegenstände  bezeichnet  der 
Titel  zur  Genüge :  sie  wird  die  mit  dem  dritten  Bande  geschlossene 
Amahhea  ersetzen  und  gewissermaassen  fortsetzen.  Das  erste  Heft  er- 
öffnet eine  Abhandlung  des  Staatsraths  von  Köhler  in  Petersburg, 
Dioskorides  und  Solon ,  nebst  einer  Einleitung  über  die  Gemmen  mit 
den  Namen  der  Künstler;  eben  so  reich  an  neuen  eigenen  Ansichten, 
wie  an  Berichtigungen  früherer  Forscher  über  denselben  viel  bespro- 
chenen Streitpunkt,  besonders  Millin's  und  Visconti's.  Dasselbe  Stück 
wird  eine  Abhandlung  des  gelehrten  Herausgebers  über  Behexun- 
gen durch  das  Auge ,  den  Fascinus  der  Alten,  eine  Uebersicht  über  das 
Toilettenwesen  der  alten  Aegyptierinnen  aus  den  Passalacquaschen  Schä- 
tzen von  Levezow,  einen  Beitrag  zur  Erklärung  des  dreiseitigen 
Candelaberfusses  in  Dresden  von  Passow  u.  a.  enthalten.  —  Bei  Ge- 
legenheit der  Aufstellung  einer  alten  Römischen  Inschrift  im  Stadthause 
zu  Trento  hat  der  dortige  Podesta,  Graf  Giovanelli  zwei  archäo- 
logische Gelegenheitsschriften  {Biscorso  sopra  un1  iscrizione  Trentina 
del  tempo  degli  Antonini,  und:  Trento,  Citta  de  Rezj  e  Colonia 
B.omana.')  drucken  lassen,- über  welche  im  Tübinger  Lit.  Bl.  1827  Nr. 
95  sehr  ungnügend  berichtet  wird.  In  der  letztern  soll  behauptet  seyn, 
dass  Trento  nicht  von  den  Cänomanischen  Galliern,  sondern  von  den 
Rhätiern  erbaut  sey,  aber  schon  vor  Unterjochung  der  Rhäticr  durch 
August  eine  Römische  Colonie  war,  und  dass  Trento  der  Ort  war,  wo 
Catulus  von  den  Cimbern  geschlagen  ward.  Der  Dos  di  Trento  auf  dem 
rechten  Ufer  der  Etsch  soll  das  castellum  editum  ad  Athesin  seyn.  Den 
Campus  Baudius ,  wo  Marius  die  Cimbern  schlug ,  dürfe  man  nicht 
hei  Vercclli  im  Piemontcsischen,  sondern  in  der  Venctianischen  Ebene 


M  i  s  c  c  I  1  c  n.  129 

suchen,  weil  sonst  nicht  einzusehen  sey,  wie  die  Tiguriner,  welche  die 
Naclihut  hatten,  in  den  dorischen  Bergen  stehen  konnten.  Vielleicht 
sey  statt  ad  Vercellas  zu  lesen  ad  Veronam.  —  Ueher  die  von  Har- 
ris und  Angell  hei  Sclinus  in  Sicilien  gefundenen  Bildwerke  sind  in  Ita- 
lien zwei  ziemlich  seichte  Schriften  erschienen.  Die  erste :  Memoire 
autle  opere  di  scultura  in  Selinunte  uUimamente  scoperte  da  Pie  tro 
Pisani  (Palermo,  1823)  sucht  die  Bildwerke  als  Hetrurische  und  die 
Stadt  als  von  den  Sikulern  gegründet  nachzuweisen.  Ihr  widerstreitet 
mit  seichten  Gründen  Francesco  I  n  ghi  r  aiu  i  in  der  Sehr.:  Os- 
Servazipni  sulle  antichitä  di  Selinunte  illustrate  dal  Sig.  Pietro  Pisani 
(Poligrafia  Fiesolana  1825),  welche  auch  in  dessen  Nuova  Collezione 
di  opusculi  e  notizie  di  scienze ,  lettere  ed  arti  steht.  Wichtiger  ist 
die  Beurtheilung  heider  Schriften  in  d.  Tübinger  Kunsthl.  1827  Nr.  98, 
welche  zugleich  gegen  Pisani  erweist,  dass  Syrakus  Ol.  XI,  4  gegründet 
ist,  dass  die  Besetzung  Hybla's  durch  die  Megarer  um  Olymp.  XV,  4 
und  die  Gründung  von  Sclinus  also,  welches  Pisani  noch  vor  1442  v.  Chr. 
erbaut  seyn  läs&t,  gegen  Ol.  XL,  4  fällt. 


Zu  Mailand  und  London  sind  von  1816  bis  1826  in  Italienischer 
und  Französischer  Sprache  in  9  Foliobänden,  welche  mit  vielen  Kupfern 
und  Charten  versehen  sind,  erschienen :  Moeurs  et  coutumes  ancien- 
nes  et  modernes,  ou  histoire  du  gouvernement ,  de  la  milice,  de  la  re- 
ligion,  des  arts  et  des  usages  de  tous  les  peuples,  d" apres  les  monumens 
de  Vantiquite.  Das  Werk  wird  in  der  Revue  encyclop.  empfohlen  und 
soll  über  Waffen,  Kleidung,  Insignien,  Kriegsgeräthschaften,  Opfer- 
gebräuche ,  Feierlichkeiten ,  Ceremonieen  u.  s.  w.  der  verschiedensten 
Völker  eine  oft  bis  in  die  kleinsten  Züge  ausgeführte  Darstellung  liefern.  — 
Dass  die  Römer  eben  so  wie  die  neuern  Völker  jedem  Kriegsschiffe 
einen  besondern  Namen  gaben,  hat  der  Antiquar  Cardinali  in  einem 
Kataloge  Römischer  Schiffsnamen  nachgewiesen  und  in  demselben  alle 
aus  Inschriften  bekannt  gewordenen  Namen  Römischer  Kriegsschiffe  auf- 
gezählt, auch  die  Namen  einiger  ausgezeichneten  Römischen  Seehe- 
fehlshaber  beigefügt.  Beispiele  solcher  Schiffsnamen  sind :  Amnion, 
Mars,  Neptunus,  Aesculapius,  Sol,  Athena,  Isis,  Ops,  Augustus,  Ar- 
sinoe,  Padus,  Dacicus,  Aquila,  Galea,  Iuventus,  Pater,  Pietas,  Salus, 
Triumphus,  Vinum ,  Providentia ,  Victoria ,  Armata ,  Clypeus ,  Grypi, 
Arusma  etc. 


„In  der  Nähe  des  Mineralbades  Topusco,  zwei  Stunden  von  Glina 
im  Banal-  Gencralat,  lag  die  Römische  Colonialstadt  Siscia ,  Szissegg. 
Gemäuer  von  Rom.  Ziegeln,  hie  und  da  verstreute  Münzen  und  manche 
noch  wichtigere  Reste  des  Alterthums  beweisen  diess  zur  Guüge,  sind 
leider  aber  grösstcntheils  durch  Nichtbeachtung  wieder  verwendet  oder 
zerstört  worden.  So  ward  ein  steinerner  Meilen  zeiger  mit  der  Aufschrift : 
Tausend  sechshundert  acht  und  achtzigster  Meilenzeiger  von  Aquileja 
Jahrb.  f.  Phil.  u.  Pädag.  Jahrg.  111.  Heft  Q 


130  M  i  s  c  e  1  1  c  n. 

nach  Siscia  ,  daselbst  von  dem  Bischof  von  Agram ,  Wcrhovacz ,  ent- 
deckt, aber  noch,  bevor  er  ihn  zu  retten  vermochte,  wieder  vermauert. 
Ein  Stciii  mit  der  Inschrift : 

CANTABRIA 
SACR. 

CVSTOD. 

EIVSDEM. 
befand  sich  noch  voriges  Jahr  daselbst,  ist  aber  nunmehr  [1825]  schon 
verschwunden.  Die  meisten  Römerspuren  finden  sich  auf  einer  schlam- 
migen Wiese,  wo  mehrere  Quellen  aufsprudeln,  die  jetzt  noch  die  hei- 
ssesten  sind  und  49°  Wärme  zeigen.  Da  nun  Cantabries ,  wie  ich  mir 
sagen  Hess,  Wasser  bedeutet,  welches  aus  Wiesen  quillt,  so  scheint  es 
mir  sehr  glaublich,  dass  jener  Stein  einst  hier  gestanden,  und  ein  Al- 
tar war,  den  die  II '  iesenquelle  ihren  Schutzern  ,  etwa  den  Nymphen 
oder  den  Genien  des  Orts,  welchen  die  Römer  allenthalben  so  gern 
Altarsteine  setzten,  weihte."  [Jnsz.  aus  der  Wiener  Zeitschr.  für  Kunst, 
Lit.,   Theat.  u.  Mode,  1827  Nr.  121  S.  999.] 


In  der  1824  von  der  päpstlichen  Regierung  angekauften  Isola  di 
Farnese  hat  man  bei  angestellten  Nachgrabungen  viele  Lateinische  In- 
schriften aufgefunden,  durch  welche  die  Lage  des  alten  Veji,  dessen 
Mauern  der  Fluss  Creincra  bespülte,  bestimmt  Avird  und  auf  denen  die 
Obrigkeiten  der  Vejenter  genannt  werden.  Die  vorzüglichste  ist  fol- 
gende: IUI  VIRIS  VEIENT1VM.  MVN1CIPES  MVNIC.  I  AVGVSTI 
INTRAMVRANI   PATRONO. 


Wer  Griechische  Mythologie  gern  mit  dem  Glauben  anderer  Völ- 
ker vergleicht,  der  kann  dazu  künftig  auch  die  Araucaner  in  Südame- 
rica  benutzen.  Diese  Indianer  glauben  nämlich ,  dass  die  Seelen  der 
Verstorbenen  in  abgesondertem  Zustande  fortdauern  und  alles  das  be- 
sitzen werden,  was  Mährend  ihrer  Vereinigung  mit  dem  Körper  ihr  Ei- 
genthum  war.  So  hat  die  Seele  eines  Mannes  ihre  Weiber,  aber  ohne 
geistige  Nachkommenschaft,  weil  das  neue  Land  von  den  Geistern  der 
Todten  bevölkert  wird.  Dieses  Land  der  Todten  liegt  jenseit  des  Mee- 
res nach  Westen,  und  dorthin  bringt  die  Seelen  die  alte  Fährfrau  Tem- 
pulagi,  welche  sich  derselben  bemächtigt,  nachdem  die  Verwandten  bei 
dem  Körper  getrauert  und  ihn  beerdigt  haben ,  und  sie  über  das  Meer 
fährt. 

Plutarch  (Pompej.  36)  und  andere  alte  Schriftsteller  erzählen, 
dass  Pompejus  im  Kriege  mit  Mithridat  (690  n.  R.  E.)  vom  Voi-dringen 
bis  zum  Caspischen  Meere  durch  eine  Menge  giftiger  Schlangen  abge- 
halten worden  sey.  Dass  die  Nachricht  keine  Fabel  sey,  hat  der  Franz. 
Reisende,  Ritter  Gam  ba,  nachgewiesen,  indem  er  berichtet,  dass  sich 
in  der  Steppe  von  Mougan  während  der  Monate  Juni,  Juli  und  August 
so  viele  Schlangen  finden,  dass  Menschen  und  Pferdesich  nicht  blicken 


M  i  s  c   e  1  1  e  n.  131 

lassen  dürfen,  ohne  der  grössten  Gefahr  ausgesetzt  zu  seyn.  Als  im  J. 
1800  der  General  Zuboli'  auf  der  Ebene  von  Moiigan  mit  seinem  Heer 
ein  Winterlager  bezog  und  die  Soldaten  die  Zcltpfühle  eingruben,  fand 
mau  eine  grosse  Auzabl  von  Schlangen  im  Zustünde  der  Erstarrung. 
VgL  Spiker's  Jour.  f.  die  neuesten  Land-  und  Seereisen,  1827,  August 
S.  321. 


In  Paris  bei  Didot  ist  1827  der  erste  Theil  folgender  Reisebeschrei- 
bung  erschienen :  Relation  (Tun  vojage  dans  la  Marmarique.  la  Cy- 
renaique  et  les  Oasis  d\Judjelah,  aecompagnee  de  cartes  geographiques 
et  topographiques  et  de  planches  repre'sentant  les  memumens  de  ces 
contrdes ;  par  M.  J.  It.  P  a  e  h  o.  (Lpz.,  bei  Ponthieu,  die  ersten  3  Liefr. 
mit  2  Heften  Atlas  12  Thlr.)  Es  erregt  schon  ein  gutes  Vorurtheil, 
dass  der  Verfasser  durch  die  Reise,  welche  hier  beschrieben  ist,  den 
von  der  geographischen  Gesellschaft  zu  Paris  für  eine  antiquarische 
und  topographische  Untersuchung  des  alten  Cyrenaika  ausgesetzten  Preis 
eich  erwarb,  und  dass  er  zu  der  Herausgabe  des  Buchs  von  der  Re- 
gierung Unterstützung  erhielt.  Auch  enthält  der  erste  Band ,  der  die 
Reise  durch  Marmarika  beschreibt,  in  2  Heften  Kupfertafeln  gute  Dar- 
stellungen der  dort  gefundenen  Alterthümer.  Besonders  aber  wird 
diese  Schrift  durch  ihren  zweiten  Theil,  die  Beschreibung  des  alten 
Cyrene,  wichtig  werden ,  weil  wir  von  diesem  Landstrich  im  Ganzen 
nur  wenig  wissen ,  und  uns  meist  immer  noch  mit  den  von  dem  Italie- 
ner De  IIa  Cella  gegebenen  Nachrichten  begnügen  müssen. 


Zu  den  wichtigsten   Werken    und  Quellen  über   die  Geographie, 
Geschichte  und  Cultur  Asiens,  besonders  Hindostans,  gehören  die  Me- 

moirs  of  Zehir-ed'din  Muliamined  llaber  Emperor  of  Hindoostan,  writ- 
ten  by  himself,  in  the  Jaghatai  Turki  and  translated  partly  by  the la- 
te  JohnLeyden,  partly  by  William  Erskine,  welche  in  Lon- 
don 1826  in  4  erschienen  sind.  —  Zu  Paris  hat  D  uf  our  eine  Charte 
von  Palästina  zur  Zeit  Christi,  gestochen  von  Blondeau ,  herausgege- 
ben, welche  vorzüglich  seyn  soll. 


In  Paris  ist  1827  erschienen:  Manuel  de  Ihistoire  ancienne  con- 
sideree  sous  le  rapport  des  constitutions ,  du  commerce  et  des  colomes 
des  divers  etats  de  l'antiquiti  ;  trad.  de  l ' allemand  de  Mr.  A.  II.  L. 
Heeren,  par  Thurot.  2e  eüit.  8.  SFr.  In  London  erschien  in 
dems.  J. :  Elements  of  universal  history  ;  containijig  a  selection  of  the 
most  remarkable  events.  Translated,  with  alternations  and  additions, 
fr  um  the  Geriuan  of  G.  G.   Bredow,    12. 

Für  die  Geschichte  des  Mittelalters  und  des  Kreuzzuges  unter  Kais. 
Friedrich  I  ist  aus  einer  Peigainenthandschr.  aus  dem  Anfange  des 
13  Jahrb.,  die  aus  den  Händen  eines  Juden  gerettet  worden  ist,  er- 
schienen :  Ilistoria  de  expeditione  Friderici  Imperatoris ,  edita  a  quo- 
dam  Austriensi  clerico,    qui  eidem  interfuit,   nomine  Ansbertus.    Ptunc 


132  M  i  a  c  e  1  1  e  n. 

■primum  e  Gerlaci  chronica  ,  cuius  ea  partem  constituit ,  typis  expres- 
sa,  curante  J  o  h.  Dobrowsky.  Prag  bei  Cajetan  von  Mayregg. 
1827.  XIV  u.  138  S.  8.  1  Thlr.  4  Gr.  In  der  Vorrede  wird  nocb  nach- 
gewiesen, dass  das  Böhmische  Chronicon,  welches  man  unter  dem  Na- 
men des  Chr.  Vincentii  et  Chrouographi  Siloensis  kennt,  von  dem  Abt  Ger- 
lach von  Milewsk  verfasst  sey.  —  Ein  anderer  und  früherer  Thcil  des 
Mittelalters  ist  sehr  gut,  vielleicht  mit  etwas  zu  wenig  Scepticismus, 
behandelt  in  d.  Sehr. :  Histoire  des  expeditions  maritimes  des  Nor- 
mands  et  de  leur  etablissement  en  France  au  dixieme  siede.  Par  G< 
Depping.  Ouvrage  couronne  en  1822  par  l'academie  royale  des  ins- 
criptt.  et  b.  lettr.  Paris,  Ponthieu  et  Sautelet.  1826.  II  Voll.  LH, 
464  u.  348  S.  8.     Vgl.  Lpz.   L.  Z.  1827  Nr.  317  f. 


Von  Historikern  sind  nicht  zu  übersehen  die  Lettres  sur  V histoire 
de  France  pour  servir  d'introduction  ä  V  etude  de  cette  histoire.  Par 
Augustin  Thierry.  Paris ,  Ponthieu.  1827.  XII  u.  472  S.  8. 
2  Thlr.  12  Gr.  Sie  sind  nicht  bloss  als  Kritik  der  Franz.  Geschichte  und 
Geschichtschreibung  wichtig,  sondern  enthalten  viele  allgemeine  tref- 
fende Bemerkungen  über  Behandlung  der  Geschichte  überhaupt,  unter 
andern  eine  scharfe  Prüfung  der  drei  historischen  Methoden  [der  histo- 
rischen Romanschreiber ,  der  Nachahmer  der  alten  Geschichtschrei- 
bung, der  philosophirenden  und  reflectirenden  Geschichtschreiberj  seit 
dem  16  Jahrhundert.  —  Eine  der  wichtigeren  Erscheinungen  der  histo- 
rischen Literatur  der  neusten  Zeit  ist  John  Lingard's  Geschichte 
von  England  seit  dem  ersten  Einfalle  der  Romer,  von  welcher  jetzt 
zwei  Deutsche  Uebersetzungen  (die  eine  in  Quedlinburg  bei  Basse,  die 
andere  und  sorgfältigere  von  C.  A.  von  Salis  in  Franf.  a.  M.  bei 
Wesche)  erscheinen.  Das  Werk  hat  in  England  eine  ungemein  gün- 
stige Aufnahme  gefunden ,  obschon  man  gegen  den  katholischen  Prie- 
ster, welcher  Lingard  ist,  Vorurtheile  hatte.  Auch  tritt  es  durch  ei- 
nige Eigenthümlichkeiten  der  bestehenden  Sitte  scharf  entgegen.  Zu- 
erst nämlich  hat  sich  Lingard  zum  Gesetz  gemacht,  nichts  aus  neuern 
Historikern  zu  nehmen ,  sondern  in  seinen  Forschungen  sich  überall 
auf  die  Originaldocumcnte  und  ältesten  Autoren  zu  beschränken,  neue- 
re aber  erst  dann  zu  Käthe  zu  ziehen ,  wenn  er  sein  eigenes  Urtheil 
schon  festgestellt  und  niedergeschrieben  hatte.  Sodann  hat  er  sich  al- 
ler philosophischen  Betrachtungen  und  Combinationen  enthalten,  in- 
dem er  behauptet ,  dass  die  philosophischen  Historiker  bei  ihrem  Ei- 
fer, eine  Lieblingstheorie  durchzuführen,  nicht  selten  sich  verleiten  las- 
sen ,  Thatsachen  zu  entstellen  oder  ganz  wegzulassen ,  wenn  sie  dem 
von  ihrer  Phantasie  geschaffenen  System  widerstreiten.  Nur  der  histo- 
rische Romanschreiber  habe  das  Vorrecht,  die  geheimen  Beweggründe 
derjenigen  anzugeben,  deren  Charakter  und  Handlungen  er  beschreibt; 
der  Historiker  dürfe  nicht  mehr  davon  wissen,  als  was  die  Quellen  sagen 
oder  was  sich  aus  der  Thatsache  nothwendig  ergiebt.  Endlich  ist  es 
nicht  gering  anzuschlagen ,  dass  er  die  Thatsachen  der  frühern  Zeit 
nicht  von  dem  Civilisaüonspunctc  unserer  Zeit  aus  betrachtet  und  schil- 


M  i  S  c  c  1  1  e  n.  133 

dert,  sondern  6ic  stets  von  ihrem  cigenthümlichen  und  ihrer  Zeit  an- 
gehangen Gesichtspunctc  aus  würdigt. 

In  Wien  bei  Schrämbl  soll  im  J.  1828  erscheinen :  Grosses  ety- 
mologisches If^orterbuch  der  Oberdeutschen  Sprache  ;  a)  als  einer  ei~ 
genthümlichen  Stammsprache ;  b)  als  einer  Tochter  der  Altgriechischen, 
Hebräischen,  Lateinischen,  Slavischen  etc.  Sprachen ;  c)  als  der  er- 
sten Quelle  der  Hochdeutschen  ujid  Niederdeutschen  Mundart  ;  kritisch 
bearbeitet  und  herausgegeben  von  Joseph  A.  Moshamer.  Aller 
14  Tage  soll  ein  Heft  von  4  Bogen  ausgegeben  und  das  Ganze  in  einem 
Jahre  vollendet  werden.  Auf  jedes  Heft  kann  man  mit  20  Kr.  pränu- 
meriren;  doch  ist  der  Priinumerationstermin  bereits  zu  Ende  des  Ja- 
nuars geschlossen.  —  In  Paris  bei  Didot  hat  M.  Suckau  1827  her- 
ausgegeben :  Tableaux  sjnoptiques  de  la  langue  allemande ,  und  :  E** 
ercices  gradue's  pour  apprendre  Vallemand  d' 'apres  la  methode  natu- 
relle. Das  erste  Buch  ist  zum  Gebrauch  des  Herzogs  von  Bordeaux, 
das  zweite  für  die  Vorlesungen  bestimmt,  die  Suckau  in  Paris  über 
Deutsche  Sprache  hält. 


In  Paris  hat  der  Jurist  Vernier  eine  neue  Methode  im  Unter- 
richt der  Sprachen  erfunden,  wodurch  das  Studium  derselben  sehr  ver- 
einfacht und  beschleunigt  wird.  Eine  im  vorigen  Sommer  öffentlich 
angestellte  Probe  gab  das  Resultat ,  dass  5  junge  Leute  von  12  Jah- 
ren, die  vorher  das  Lateinische  gar  nicht  kannten,  nachdem  sie  4  Mo- 
nate lang  täglich  eine  Stunde  darin  unterrichtet  worden  waren,  den 
Phädrus ,    Curtius  und  Virgilius  interpretiren  konnten. 


Schul-  und  Universitätsnachrichten,  Beförderungen  und 
Ehrenbezeigungen. 


Aaches.     Der  Lehrer  W.  Körten  am  Gymnasium  ist  zum  Oberlehrer 
ernannt  worden.      Vgl.  Preusseiv. 

Berlin.  Se.  Majestät  der  König  haben  dem  geh.  Oberregierungs- 
rath  Dr.  /.  Schulze,  dem  Oberbibliothekar  Prof.  IVilken  und  dem 
Professor  BÖckh  in  Berlin,  dem  Professor  Mackeldey  in  Bonn  und  dem 
Consistorial-  undSchulrath  Mohnike  in  Stralsund  den  rothen  Adlerorden 
3r  Classe  zu  ertheilen  geruht.  Der  geh.  ORB.  Dr.  Schulze  ist  von  der  kön. 
Deutschen  Gesellschaft  zu  Königsberg  in  Preussen  und  vom  Thüringisch- 
Sächsischen  Vereine  zur  Erforschung  der  vaterländischen  Alterthümer 
zum  Ehrenmitgliede  gewählt  worden.  Dem  Dr.  Lehmus  ist  das  Prädi- 
cat  eines  Professors  beigelegt,  der  Professor  an  der  kön.  Kriegsschule 
Dr.  Zumpt  zum  ausserordentlichen  Professor  in  der  philosoph.  Facult. 
der  Universität,  der  Privatgclehrte  TVilh.  Bindorf  in  Leipzig  zum  au- 


131  Schul- und  Universitätsnachrichten, 

sserordentlichen  Professor  in  derselben  Facultät  und  zum  ersten  Custos 
der  kön.  Bibliothek  ernannt.  Der  Candidat  der  Philologie  Moritz  Pin- 
der  und  der  Studierende  Knorr  sind  als  Gehülfen  bei  derselben  Biblio- 
thek gegen  eine  monatliche  Remuneration  von  12  Thlrn.  angenommen. 
Für  das  kön.  Museumist  die  vom  verstorbenen  Generalconsul  liartholdy 
hinterlassene  Sammlung  von  Aegyptiscben,  Hetrurischen,  Griechischen 
und  Römischen  Alterthümern  und  Kunstwerken,  deren  Beschreibung 
Panofka  in  der  Sehr,  il  Museo  Bartoldiano  geliefert  hat ,  angekauft 
worden.     Vgl.  Preussen. 

Bonn.  Dem  Professor  Dr.  Ernst  Bischojf  ist  der  Charakter  eines 
geh.  Hofraths,  dem  Prof.  Dr.  IJüllmann  der  Charakter  eines  geh.  Re- 
gierungsraths  ertheilt.  Vgl.  Berlin.  Die  hiesige  kön.  wissenschaftliche 
Prüfungscommission  hat  im  vergangenen  Jahre  37  gelehrte  Schulamts- 
candidaten  (darunter  35  katholische)  geprüft. 

Cöln.  Der  Dr.  d.  Theol.  JSico/aus  München  hat  den  Titel  eines 
geistlichen  Raths  erhalten. 

Cottbus.  Der  Schulamtscandidat  Carl  Christian  Stäber  ist  als 
Cantor  und  Lehrer  beim  Gymnasium  angestellt  worden. 

Dessau.  Der  bisher.  Inspector  Lindner  an  der  herzogl.  Franz- 
schule in  Zerbst  ist  mit  dem  Beginn  dieses  Jahres  als  herzogl.  Biblio- 
thekar und  als  Lehrer  an  der  hiesigen  Ilauptschule  an  fVilh.  Müller's 
Stelle  eingetreten. 

Erfürt.  Der  Conrector  Gott  hilf  Härtung  hat  vom  Fürsten  zu 
Schwarzburg- Sondershausen  den  Titel  eines  Educationsraths  erhalten. 
Vgl.   Preussen. 

Glogau.  Am  evangel.  Gymnasium  ist  der  Schulamtscandidat  Carl 
Erdmann  Klose   als  Lehrer  angestellt  worden. 

Greifswald.  Der  ausserordentliche  Professor  Dr.  Stiedenroth  ist 
ordentlicher  Professor  in  der  philosoph.  Facult.  geworden. 

Guben  Der  Elementarlehrer  Fechner  ist  als  Zeichen-  u.  Schreib- 
lehrer beim  Gymnasium  gegen  Kündigung  angenommen. 

Halle.  Dem  Professor  der  Franz.  Spr.  Bonafont  ist  vom  Herzog 
von  Sachsen  -  Coburg  -  Gotha  das  Prädicat  eines  Legationsraths  beige- 
legt worden.      Vgl.  Preussen. 

Königsberg  in  d.  Neumark.  Der  erste  Collaborator  am  Gymnas. 
Dr.  Haupt  hat  das  Prädicat  eines  Oberlehrers  erhalten. 

Königsberg  in  Preussen.  Der  Privatdocent  Dr.  C.  G.  Jacobi  ist 
zum  ausserord.  Professor  der  Mathematik  in  der  philosoph.  Facult.  der 
Universität  ernannt. 

Magdeburg.  Der  bisher,  interimistische  Lehrer  Dr.  Stern  am  Pä- 
dagogium unsrer  lieben  Frauen   ist  definitiv  angestellt  worden. 

]\eu-  Stettin.  Der  Director  Dr.  Kauljüss  hat  für  das  unter  seiner 
Leitung  stehende  Gymnasium  einen  Verein  zur  Unterstützung  hilfsbe- 
dürftiger Gymnasiasten  gegründet.  Dieser  Verein  zählt  bereits  40  Mit- 
glieder, welche  sich  zu  vierteljährlichen  oder  jährlichen  Beiträgen  an- 
heischig gemacht  haben. 

Potsdam.  Der  Schreib-    und  Zeichenlehrer  aui    Schuilchrerscmi- 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  135 

nar  C.  JV.  Heinrich  ist  auch  am  Gymnas.  als  Zeichenlehrer  angestellt 
worden.   Vgl.  Preussev. 

Preussen.  Von  den  sämmtlichen  Gymnasien  dieses  Staates  sind  im 
J.  1826  im  Ganzen  120!)  Schüler  nach  bestandener  Abiturientenprüfung 
zur  Universität  entlassen  worden:  von  ihnen  erhielten  194  das  Zeug- 
niss  Nr.  1  (unbedingter  Tüchtigkeit) ,  930  das  Zeugn.  Nr.  II  (bedingter 
Tüchtigkeit),  77  das  Zeugn.  Nr.  III  (Untüchtigkcit  zu  den  Universitäts- 
studien).  Ausserdem  wurden  von  den  wissenschaftlichen  Prüfungscom- 
missionen  in  dems.  J.  noch  517  pro  immatriculatione  geprüft,  von  wel- 
chen 200  das  Zeugniss  Nr.  II  und  279  das  Zeugn.  Nr.  III  erhielten,  38 
aber,  als  nicht  einmal  für  die  Prima  eines  Gymnas.  reif,  gänzlich  ab- 
gewiesen wurden.  Die  Gesanimtzahl  der  Geprüften  war  demnach  1726. 
Von  ihnen  waren  unter  17  Jahren  8 ,  17  Jahr  alt  waren  71 ,  18  J.  249, 
19  J.  382,  20  J.  419,  über  20  J.  579.  Davon  wollten  763  Theologie, 
537  Jurisprudenz,  158  Medicin  ,  143  Philologie  und  52  Kaincralwissen- 
schaften  studiren,  1457  inländische ,  101  ausländische  und  29  erst  in- 
ländische und  dann  ausländische  Universitäten  besuchen.  Die  Zahl  der 
im  J.  1827  Geprüften  lässt  sich  noch  nicht  mit  Sicherheit  angeben.  Sie 
betrug  1631  im  J.  1825,  1662  im  J.  1824,  1433  im  J.  1823,  1189  im  J. 
1822,  1139  im  J.  1821  und  950  im  J.  1820.  —  Dem  Gymnas.  in  Arns- 
berg ist  ein  jährlicher  Zuschuss  von  500  Thlrn.  aus  Staatsfonds  bewil- 
ligt worden.  Gehaltszulagen  erhielten  in  Berlin  der  Prof.  Levezow 
450  Tlilr.,  in  Breslau  der  Leetor  an  der  Univ.  Dr.  Otto  40  Thlr.;  ebenso 
die  Consistorial-  und  Schulräthe  Freymark  in  Brosiberg,  Bruch  und 
Kraft  in  Cöln  und  Pithon  und  Kortum  in  Düsseldorf,  jeder  100  Thlr. 
Dem  Director  Riegler  in  Cleve  ward,  um  ihn  für  die  mit  seiner  frü- 
hern Stelle  in  Aachen  verbundenen  Einkünfte  zu  entschädigen,  eine  per- 
sönliche Zulage  von  150  Thlrn.  jährlich,  dem  kathol.  Geistlichen  und 
Schulrath  Schonger  in  Ereirt  eine  ausserordentliche  Unterstützung  von 
600 Thlrn.  als  Umzugs-  und  Einrichtungskosten  bewilligt.  Ausserordent- 
liche Bemunerationen  wurden  ertheilt  in  Aacren  den  Lehrern  Körte 
und  Oebecke  (jedem  50  Thlr.);  in  Berlin  dem  Prof.  Dr.  Bemhardy 
an  der  Univ.  150  Thlr.,  dem  Oberlehrer  Dr.  Uhlemann  am  Fricdrich- 
Wilh.-Gymn.  75  Thlr. ,  dem  Schulamtscandidaten  Dr.  Paldamus  für 
an  demselben  Gymn.  ertheilte  Lehrstunden  50  Thlr. ,  dem  Schulamts- 
candidaten Salomo  am  Joachim sth.  Gymn.  50  Thlr.;  in  Fraustadt  dem 
Lehrer  Dr.  Lagner  an  der  Kreisschule  100  Thlr. ;  in  Halle  dem  Pri- 
vatdocenten  Dr.  Weber  100  Thlr. ;  in  Potsdam  dem  Gymnasiallehrer 
Dr.  Klingebeil 50  Thlr.;  in  Prenzlau  dem  Conrector  Dr.  Schmidt  50 
Thlr. ;  in  Salzwedel  dem  Lehrer  Dr.  Solbrig  am  Gymn.  75  Thlr.  und 
dem  Collaborator  JVoltersdorf  100  Thlr. ;  in  Wetzlar  dem  Zeichen- 
lehrer Deicker  am  Gymn.  50  Thlr. ;  in  Wittenberg  dem  Zeichenleh- 
rer Dietrich   am  Gymn.  50  Thlr. 

Ratibor.  Der  bisher  am  Gymnas.  interimistisch  beschäftigte  Schul- 
amtscandidat  Dr.  Müller  ist  als  zweiter  Oberlehrer  definitiv  angestellt 
worden. 

Salzwedkl.     Der  Diaconus  und  Collaborator  JVoltersdorf  hat  bei 


136         Schul-  und  Universitätsnachrichten  etc. 

seinem  50jähr.  Amtsjubiläum  das  allgem.  Ehrenzeichen  erster  Classe 
erhalten.  Auch  soll  demselben  die  Besoldung,  welche  er  als  Lehrer  des 
Gymnasiums  bisher  bezogen  hat,  auch  nach  seiner  Entbindung  von  den 
Lehrgeschäften  als  lebenslängliche  persönliche  Zulage  belassen  werden. 

Stettin.  Der  Superintendent  Richter  ist  zum  dritten  Consisto- 
rialrath  im  dortigen  Consijtorium  ernannt.  Am  Gymnasium  ist  der  Dr. 
Rhades  als  Arzt  und  ausserordentlicher  Lehrer  der  Naturwissenschaften 
vorläufig  auf  ein  Jahr  angenommen  worden. 

TnoRN.  Der  Professor  Schirmer  am  Gymnasium  ist  zum  Director 
der  dasigen  Bürgerschule  ernannt  worden. 

Ulm.  Am  Gymnasium  hat  der  ausserordentl.  Professor  Hassler 
den  Titel  und  Rang  eines  ordentlichen  Gymnasialprofessors  erhalten. 


Nachschrift. 


i».uf  die  von  mehrern  Seiten  her  gemachte  Anfrage,  oh  die 
Jahrbücher  auch  freiwillig  eingesandte  Recensionen  aufneh- 
men, erklären  wir,  dass  diess  sehr  gern  geschehen  wird,  so- 
bald dieselben  nicht  Werke  betreffen ,  die  bereits  in  den  Jahr- 
büchern recensirt  oder  einem  ordentlichen  Mitarbeiter  zur  Be- 
urtheilung  übertragen  sind,  und  sobald  sie  ihrer  Form  und 
ihrem  Werthe  nach  zur  Aufnahme  sich  eignen.  Entsprechen 
sie  den  zu  machenden  Forderungen,  so  werden  wir  sie  nicht  al- 
lein recht  freundlich  willkommen  heissen ,  sondern  wünschen 
auch  recht  sehr,  dass  recht  viele  dergleichen  Beiträge  eingehen* 
mögen.  Denn  wenn  wir  auch  im  Allgemeinen  den  Grundsatz 
festhalten  müssen ,  für  zu  beurtheilende  Werke  die  Recensen- 
ten  uns  selbst  zu  wählen,  so  sind  uns  doch  desshalb  freiwillige 
Anerbietungen  nicht  minder  angenehm,  ja  vorzüglich  erwünscht 
in  der  Rücksicht,  dass  die  Zahl  unserer  ordentlichen  Mitarbei- 
ter noch  lange  nicht  eine  vollständige  ist,  sondern  in  ihrer  Reihe 
noch  sehr  viele  Gelehrte  fehlen ,  deren  Theilnahme  den  Jahr- 
büchern die  gediegensten  kritischen  Aufsätze  bringen  und  ih- 
nen zur  besondern  Zierde  gereichen  würde.  Viele  von  ihnen 
fehlen  vielleicht  durch  unsere  Schuld ,  indem  sie  von  uns  dazu 
nicht  aufgefordert  wurden,  theils  weil  wir  ihre  Theilnahme 
kaum  erwarten  zu  dürfen  glaubten,  theils  weil  uns  der  Umfang 
ihrer  iutellectuellen  Kraft  und  Gelehrsamkeit  nicht  gehörig  be- 
kannt war.  Da  wir  nun  nicht  gern  durch  unsere  Unkunde  und 
Nachlässigkeit  mehrere  tüchtige  Arbeiter  für  die  Jahrbücher 
verlieren  möchten,  so  sey  hiermit  jeder,  der  sich  überzeugt  hat, 
dass  unsere  Zeitschrift  für  die  philologisch-pädagogischen  Wis- 
senschaften etwas  Gründliches  leisten  wolle,  und  der  sie  darum 


Nachschrift.  137 

seiner  Beihülfe  nicht  für  unwerth  hält ,  öffentlich  aufgefordert, 
uns  freiwillig  und  aucli  ohne  unsere  specielle  Aufforderung  mit 
Beurtheilungen  hierher  gehöriger  Schriften  zu  unterstützen.  Be- 
sonders sey  diese  Aufforderung  denjenigen  ans  Herz  gelegt, 
welche  nicht  gerade  Willens  sind,  als  permanente  Mitarbeiter 
unsers  Instituts  aufzutreten ,  aber  doch  in  einzelnen  Fallen  ge- 
neigt seyn  dürften ,  über  irgend  ein  Werk  ihr  Urtheil  öffent- 
lich abzugeben.  Um  ihnen  die  vorher  nöthige,  aber  vielleicht 
unwillkommene  Anfrage  zu  ersparen,  ob  das  zu  wählende  Werk 
an  einen  Recensenten  bereits  versagt  sey,  werden  wir  künftig 
am  Schluss  der  einzelnen  Hefte  allemal  die  Schriften  anzeigen, 
deren  Beurtheilung  einem  Mitarbeiter  bereits  überlassen  ist  *), 
und  wünschen  daher  von  dem,  welcher  eine  noch  unbesetzte  zu 
wählen  gedenkt,  nur  eine  kurze  jNachricht  darüber,  damit  sie  wäh- 
rend der  Abfassung  der  Recension  nicht  anderweit  versagt  werde. 
In  Bezug  auf  die  Einrichtung  solcher  ausserordentlichen  Be- 
censiojien  sey  bemerkt,  dass  wir  nicht  blosse  Inhaltsanzeigen 
oder  kurze  lobende  oder  tadelnde  Berichte,  sondern  vollständige 
Kritiken  zu  erhalten  wünschen ,  welche  das  Wesen  und  den 
Standpunct  des  beurtheilten  Buchs  gehörig  erörtern  und  wohl 
auch,  wofern  dies  nöthig,  über  den  Inhalt  desselben  sich  selbst- 
ständig weiter  verbreiten.  Am  willkommensten  werden  uns 
daher  die  Beurtheilungen  seyn,  welche,  von  dem  bestehen- 
den Standpuncte  des  in  der  recensirten  Schrift  behandelten 
Wissenschaftszweiges  ausgehend,  derselben  ihren  Platz  genau 
anweisen  und  mit  Umsicht  darlegen,  wie  weit  sie  den  behandelten 
Zweig  gefördert  hat  und  Mas  sie  noch  zu  wünschen  übrig  lässt. 
Natürlich  wünschen  wir  auch  zu  Beurtheilungen  der  Art  solche 
Schriften  gewählt  zu  sehen  ,  die  ihrerii  Inhalte  nach  als  wich- 
tig hervortreten  und  deren  Werth  eine  ausführlichere  Erörte- 
rung verdient.  Fällt  die  Wahl  'auf  Programme  oder  seltnere 
ausländische  Schriften,  so  wünschen,  wir  hier  vorzüglich  einen 
gedrängten  Inhaltsbericht,  welcher,  mit  Uebergehung  des  Ge- 
wöhnlichen und  schon  anders  woher  Bekannten,  dasjenige  im 
Auszuge  darlegt,  was  als  neu  und  eigenthümlich  oder  philolo- 
gisch wichtig  hervortritt.  Gedrängte  Kürze  ist  für  jede  dieser 
Arbeiten  ein  Haupterf orderniss ,  so  wenig  wir  auch  gesonnen 
sind,  für  irgend  eine  Beurtheilung  eine  bestimmte  und  nicht  zu 
überschreitende  Länge  festzusetzen.  Für  jeden  Beitrag  müssen 
wir  auch  noch  die  Namensunterschrift  des  Verf.  verlangen, 
da  keine  Recension  anonym  oder  pseudonym  aufgenommen  wer- 


*)  Im  ^ oraus  machen  wir  desshalb  auf  das  bibliographische  Ver- 
zeichniss  des  in  diesen  Tagen  erscheinenden  vierten  Heftes  des  fünften 
Bande»  aufmerksam ,  wo  die  bereits  versprochenen  Werke  mit  einem 
Kreuz  bezeichnet  sind. 

9* 


13H  Nachschrift. 

den  kann.  Ob  übrigens  eine  freiwillig  uns  zugeschickte  Re- 
cension  in  Acn  Jahrbüchern  Aufnahme  finden  könne  oder  nicht, 
darüber  müssen  wir  uns  freilich  unser,  von  dem  Werthe  der- 
selben abhängiges,  Urtheil  vorbehalten,  weil  sich  kaum  erwar- 
ten lässt,  dass  sie  alle  der  Art  sind,  dass  über  ihre  Zulässig- 
keit  nie  ein  Zweifel  obwalten  könnte.  Sollten  wir  aber  auch 
in  einzelnen  Fällen  die  Aufnahme  verweigern  müssen,  so  sey 
doch  den  Verfassern  solcher  Arbeiten  im  Voraus  die  gewis- 
senhafteste Discretion  und  die  strengste  Verschwiegenheit  dar- 
über von  unserer  Seite  zugesagt.  Findet  aber  die  Aufnahme 
der  llecensiou  statt,  so  wird  sie  nicht  blos  ebenso,  wie  die 
von  den  ordentlichen  Mitarbeitern  verfassten  Beurtheilungen, 
honorirt ,  sondern  überhaupt  in  allen  Zugeständnissen  densel- 
ben völlig  gleich  gestellt.  Von  allen  solchen  freiwillig  einge- 
schickten Arbeiten  wird  ferner  portofreie  Zusendung  verlangt, 
wogegen  wir  erbötig  sind,  das  Porto  zu  vergüten,  sobald  die 
Aufnahme  in  die  Jahrbücher  stattfindet.  Doch  wird  für  die- 
sen Fall  die  Zusendung  soviel  als  möglich  durch  Buchhändler- 
gelegenheit oder  doch  auf  dem  mindest  kostspieligen  Wege  ver- 
langt Alle  Zusendungen  aber ,  die  der  Redaction  zur  eigen- 
händigen Eröffnung  zukommen  sollen ,  bitten  wir  entweder  auf 
den  Namen  des  Redacteurs  (M.  Jahn)  zu  stellen,  oder  mit  fol- 
gender Addresse  zu  bezeichnen: 

An  die  Redaction   der  Jahrbücher  für  Philologie  und 
Pädagogik 

zu 

Leipzig. 

Was  dagegen  für  die  Verlagshandlung  bestimmt  ist,  diess  werde 
an  die  Expedition  der  Jahrbücher  addressirt. 

Noch  sieht  sich  die  Redaction  genöthigt,  zu  erklären,  dass 
sie  ihrer  vielfachen  Geschälte  wegen  nicht  immer  jeden  an  sie 
eingegangenen  Brief  beantworten  kann,  und  bittet  daher,  nur 
auf  solche  Briefe  Antwort  zu  erwarten,  deren  Inhalt  dieselbe 
unumgänglich  nothwendig  macht.  Um  indess  den  Absendern 
wissen  zu  lassen,  dass  ihre  Briefe  richtig  eingegangen  sind, 
wird  sie  künftig  am  Schlüsse  der  einzelnen  Hefte  den  Empfang 
derselben  notiren,  und  ersucht  diese  desshalb,  sich  den  Monats- 
tag zu  merken ,  an  welchem  die  Briefe  geschrieben  sind. 

Die  Redaction. 


Inhalt 

von  des  ersten  Bandes  erstem  Hefte. 


Vom     Gymnasiallehrer    Dr. 
Bobertag  in  Brieg. 


Vom  Dr.  Weise  in  Orla- 
münde. 


3 

30 


39  —    59 


59 


81 


Müller:  Prolegomena  zu  einer  wissenschaftlichen  Mythologie. —  Vom  Pro- 
fessor Dr.  Baur  in  Tübingen.  .....         S. 

/  idua :  Inscriptiones  antiquae.    —   Vom  Profess.  Dr.  Osann  in  Giessen.     . 

Ueber  die  neuesten  Bearbeitungen  der  Griechischen  Anthologie.  Zweiter 
Artikel.  [IVcichert :  Anthologia  Graeca;  Sjoestrocm  et  Bergen- 
heim :  Anthologium  epigrammatum  Graecorum ;  H.  de  Bosch :  01>- 
servatt.  et  nott.  in  Anthol.  Graec. ,  absolvit  van  Lennep ;  Antho- 
logia Graeca,  edit.  Tauchuitz.;  JVelcker:  Epigrammata  Graeca  es 
marmoribus  collecta.]  —  Vom  Prof.  Dr.  Passow  in  Breslau. 

Matthiä :  Lehrbuch  für  den  ersten  Unterricht 
in  der  Philosophie.     . 

Mussmann:    Darf  auf  Gymnasien  philosoph. 
Unterricht  ertheilt  werden  1 

Bobertag :  Ueber  den  Unterricht  in  der  Phi- 
losophie auf  Gymnasien. 

Hermsdorf :    Leitfaden  beim    Schulunterricht 
in  der  mathematischen  Geographie. 

Heusinger :   Elementargeographie    oder  To- 
pographie des  Erdbodens.   ■ 

Hicrschc:  Wegweiser  durch  das  Gebiet  der 
allgemeinen  Geographie. 

Petersen  :  Kurzer  Abriss  der  Erdbeschreibung. 

Selten :    Grundlage  beim  Unterricht  in    der 
Erdheschreibung.         .         . 

Stein:  Kleine  Geographie. 

Miscellen 126  —  133 

Schul  -  und  Universitätsnachrichten ,    Beförderungen   und  Ehrenbezeigungen.      133  —  136 

Nachschrift 136  —  138 


81  —  126 


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JAHRBUCHER 

FÜR 

PHILOLOGIE  und  PÄDAGOGIK. 


Eine  kritische  Zeitschrift 
in  Verbindung  mit  einem  Verein  von  Gelehrten 

herausgegeben 
von 

Bf.  Joh.  Christ.  Jahn. 


Dritter  Jahrgang, 


Erster  Band.    Zweites  Heft. 

Oder  der  ganzen  Folge 
Sechster  Band.     Zweites  Heft. 


Leipzig, 

Dmck  und  Verlag  von  B.  G.  Teubner. 
18     2     8. 


Si  quid  novisti  rectius  istis, 
Candidus  imperti;  si  nun,  his  utero  mccuni. 


Römische   Litteratur. 


Luc ilii  lunioris  Aetna.     Recensuit  notasque  Jos.  Scaligeri, 
Frid.  Lindcnbrachii  et  suas  addidit  Fridericus  Jacob.  Lipsiac,  sum- 
tibus  Frider.  Christ.  Guil.  Vogelii.    1826.    XXIV   und    270  S.   und 
ein  Blatt  Corrigenda  et  Addenda.  8.  1  Tbl*.  12  Gr. 
[Vgl.  Jahrbb.  Bd.  V  S.  374.] 

"ie  meisten  der  früher  dem  Virgil  beigelegten  Gedichte  hat 
das  Schicksal  betroffen ,  unwissenden  oder  gewissenlosen  Ab- 
schreibern in  die  Hände  zu  fallen.  Die  dadurch  entstandenen 
Verderbnisse  sind  in  mehrern  derselben  so  gross,  dass  man 
?.n  ihrer  gänzlichen  Heilung  um  so  mehr  zu  verzweifeln  anfängt, 
je  genauer  man  sich  mit  ihnen  bekannt  macht*  Aber  nicht  die 
Handschriften  allein  tragen  die  Schuld ;  mehr  noch  kommt,  wie 
überhaupt  bei  den  meisten  classischen  Schriftstellern,  auf  die 
Rechnung  der  Herausgeber,  die  an  die  Bearbeitungen  solcher  Ue- 
berreste  des  Alterthums  ohne  die  nöthige  innere  und  äussere 
Vorbereitung  gingen,  und  den  Lesern  zumutheten,  ihre  sub- 
jectiven  Urtheile  für  objective  Wahrheit  anzunehmen.  Unbe- 
kümmert um  das  Dasein  und  die  Lesarten  der  Handschriften 
schrieben  sie  den  frühern  theiis  aus  schlechten  Quellen  entlehn- 
ten theils  proprio  Marte  interpolirten  Ausgaben  diplomatischen 
Werth  zu ,  und  indem  so  Conjectur  auf  Conjectur  gebaut  und 
die  ächten  Quellen  ganz  vernachlässigt  wurden ,  entstand  ein 
Text ,  über  dessen  Fehler  der  Verf. ,  wenn  er  ihn  zu  Gesicht 
bekäme,  erschrecken  würde.  Das  Gedicht  nun,  von  dessen 
neuster  Bearbeitung  ich  hier  Bericht  geben  will,  ist,  wie  weni- 
ge, auf  die  oben  angegebne  Art  gemisshandelt  worden.  Nur 
Seal  ig  er  und  Wernsdorf,  beide  mit  sehr  beschränkten 
äussern  Hülfsmitteln  versehen,  suchten  der  Sache  gründlicher 
auf  die  Spur  zu  kommen.  Beide  haben  durch  richtige  Kritik 
und  Interpretation  manche  Stelle  berichtigt,  manche  Schwierig- 
keit gehoben.  Allein  immer  blieb  noch  eine  sehr  reiche  Nach- 
lese übrig,  und  man  muss  sich  freuen,  dass  endlich  in  unsern 
Tagen  ein  Mann  sich  des  lange  vernachlässigten  Dichters  annahm, 
der  seinen  Gegenstand  scharf  betrachtend  keine  Mühe  scheute, 
um  eine  Arbeit  zu  liefern ,  die  dem  uiisieheni  Schwanken  und 

10* 


142  Römische   Litteratur. 

Vermuthen  ein  Ende  machen,  und  für  Kritik  und  Interpretation 
des  Gedichts  eine  sichere  Grundlage  hilden  sollte.  Jeder  Un- 
befangne wird  gestehen  ,  dass  Hrn.  J.  diese  Bemühung  gelun- 
gen ist  und  er  sich  den  Dank  aller  Philologen  durch  seine  sorg- 
fältige und  gelehrte  Arbeit  verdient  hat.  Ohne  eine  vorhan- 
dene Recension  zum  Grunde  zu  legen,  folgte  er  den  unten  nä- 
her zu  beschreibenden  Handschriften,  und  wo  diese  nicht  auszu- 
reichen schienen,  seinem  eignen  Urtheil,  das  ihn  nicht  selten 
zu  sehr  glücklichen  Vermuthungen  leitete ,  die  er  nur  bisweilen 
etwas  zu  dilatorisch  hinstellt.  Mit  Glück  ist  die  Lesart  der 
Handschriften  oft  gegen  voreilige  Aenderungsversuche  gerecht- 
fertigt (s.  zu  Vs.  9, 13, 15, 20, 31, 36,  57,61),  falsche  aber  blenden- 
de Lesarten  dieser  oder  jener  Handschrift  abgewiesen  (s.Vs.  11, 
12),  bisweilen  auch  die  keines  weitern  Beweises  bedürftige  Lesart 
stillschweigend  aufgenommen  worden  (s.  Vs.fS).  Treffliche  Be- 
merkungen, besonders  über  den  poetischen  Sprachgebrauch, 
vermehren  unsere Kenntniss  des  Lateinischen  Idioms  (s.  zu  Vs.  1, 
20,  55,  60,  68)  und  mit  Glück  verbreitet  sich  auch  der  Hr.  Her- 
ausgeber gelegentlich  über  andere  Schriftsteller,  besonders  über 
Lucretius  und  Manilius.  Grössere  Sorgfalt  wäre  vielleicht  in 
der  Interpunction  nöthig  gewesen,  wo  namentlich  der  zu  häu- 
fige Gebrauch  des  Comraa  stört ;  bisweilen  finden  sich  auch  Ver- 
sehen in  der  Angabe  der  Lesarten  der  Handschriften,  die  nicht 
immer  aufgenommen  worden  sind,  selbst  wo  Hr.  J.  sie  für  rich- 
tig erklärt.  So  steht  Vs.  29  noch  jetzt  fallacia,  da  doch  alle 
codd. pellacia  haben,  was  in  Ann  Bemerkungen  mit  Recht  vor- 
gezogen wird.  Nach  dieser  allgemeinen,  aus  voller  Ueberzeu- 
gung  ausgesprochenen  Anerkenntniss  der  Leistung  des  Herrn 
Herausgebers,  der  sich  auch  besonders  durch  die  aus  der  Phy- 
sik und  Naturkunde  der  Alten  entlehnten  Erklärungen  um  den 
Dichter  verdient  gemacht  hat ,  und  namentlich  auch  durch  die 
Gleichmässigkeit ,  mit  der  er  das  Ganze  behandelt,  sich  sehr 
zu  seinem  Vortheil  von  andern  neuem  Herausgebern  unterschei- 
det, will  ich  nun  Herrn  J.  durch  einen  Theil  seines  Buches  be- 
gleiten, und  bei  der  Erwähnung  der  Abweichungen  von  der 
Wernsdorf  sehen  Lesart  über  einige  Stellen  meine  Ansicht  mit- 
theilcn,  wo  diese  von  der  des  Hrn.  J.  abweicht.', 

In  der  Vorrede,  die,  trotz  ihres  geringen  Umfangs,  manche 
wichtige  Sache  zur  Sprache  bringt,  erzählt  zuerst  Hr.  J. ,  dass 
er  den  Aetna  zur  Erholung  von  einem  weitläuftigen  Werke  über 
die  Römischen  Partikeln  bearbeitet  hat,  durch  dessen  Ankündi- 
gung er  den  Philologen  eine  sehr  erfreuliche  Nachricht  mittheilt. 
Nach  kurzer  aber  gerechter  Würdigung  seiner  Vorgänger  in  der 
Bearbeitung  des  Aetna  gellt  er  zu  den  Handschriften  über, 
deren  Gebrauch  ihm  selbst  verstattet  war.  Er  besass  nämlich 
1)  eine  durch  Hrn.  Prof.  Lachmann  in  Berlin  verfertigte  Colla- 
tiou  des  Cod.  Hclmstadiensis,  jetzt  bei  Ebert  Nr.  917  \  —  2)  und  3) 


Lucilii  Aetna.  Rccens.  Jacob.  143 

zwei  Collationen ,  die  er  aus  dem  Nachlasse  des  verstorbenen 
F.  A.  Wernike  durch  dessen  Bruder  Julius  Wernike  erhielt.  Der 
Nr.  3  bezeichnete  Codex  ergab  sich  als  der  llehdigersche(s.  jetzt 
auch  Praef.  ad  Statium  Marklandi  p.  XX) ,  von  dem  Hr.  Prof. 
Passow  ,  der  auch  mir  mit  demselben  Codex  eine  grosse  Gefäl- 
ligkeit erzeugte,  dem  Herrn  Herausgeber  eine  zweite  eigen- 
händige sehr  genaue  Collation  überschickte.  Der  Aufbewah- 
rungsort von  Nr.  2  konnte  nicht  entdeckt  werden.  Alle  diese 
Bücher  fliessen,  wie  auch  das  Fiorentinische,  aus  einer  und  der- 
selben Quelle.  Dieser  Codex  Florentinus  aber,  von  Nie.  Heiu- 
sius  excerpirt  und  in  den  Actis  Societ.  Lat.  Jen.  V,  init.  so  wie 
auch  in  der  Pf.  Bibliothek  der  schönen  Wissenschaften  und  freien 
Künste  59,  311  in  diesen  Excerpten  jedermann  zugänglich,  führt 
nur  mit  Unrecht  seinen  Namen.  Er  enthält  nur  einen  Theil 
des  ganzen  Gedichts  (Vs.  130 — 289)  und  wird  in  keinem  Cata- 
log  der  Mediceischen  Bibliothek  erwähnt,  und  sollte  vielmehr 
Lucensis  genannt  werden.  INicolaus  Hcinsius  nämlich  sagt  in 
der  Vorrede  zum  Claudian  (Amstel.  1065)  dass  erExcerpte  ei- 
nes Cod.  Lucensis  zu  unserm  Gedichte  gefunden,  die  Hand- 
schrift aber  selbst  vergebens  gesucht  habe.  Diese  Excerpte  be- 
sass  Ernstius ,  von  dem  sie  Heinsius  entlehnte  und  den  Cata- 
lecten  des  Pithoeus  beischrieb ,  welches  Exemplar  später  an 
Kulenkamp  und  durch  diesen  an  Fr.  Chr.  Matthiae  gelangte.  In 
diesem  Exemplar  hatte  Heinsius  jene  Excerpte  als  aus  einem  Cod. 
Florent.  entnommen  angegeben,  gewiss  nur  desswegen,  weil  sie 
ihm  Ernstius  in  Florenz  mitgetheilt  hatte.  Nun  aber  Avird  wirk- 
lich in  der  Bibliotheca  Medicea  ein  an  eine  alte  Ausgabe  des 
Claudian  angebundnes  handschriftliches  Fragment  unsersGedich- 
tes  (Vs.  267  —  285)  erwähnt  (Bandini  Tom.  II  col.  96.  Cod.  I.), 
dessen  Varianten  früher  von  Schrader  den  Catalecten  des  Pi- 
thoeus beigeschrieben,  später  von  Heeren  zum  zweitenmal  ex- 
cerpirt wurden,  die  mit  dem  erstgenannten  grössern  Fragment 
genau  übereinstimmen.  Warum  aber  sogleich  daraus  gefolgert 
Averden  soll,  dass  der  Cod.  Lucensis  und  das  Fragm.  Medic. die- 
selbe Handschrift  geAvesen  seien,  ist  nicht  abzusehen.  Viel- 
mehr nimmt  Hr.  J.  richtiger  an,  dass  das  Fragm.  Medic.  aus  dem- 
selben Cod.  Luc.  abgeschrieben  sei,  Avoher  die  längern  Hein- 
sius'schen  Excerpte  genommen  werden,  widerspricht  sich  aber 
selbst,  wenn  er  diese  Excerpte  schedas  Mediceas  nennt,  da 
sie  ja  nicht  in  der  bibliotheca  Medicea  sondern  nur  in  dem  Be- 
sitz von  Ernstius,  der  Sammlung  des  Pithoeus  beigeschrieben, 
sich  befanden.  —  Hierauf  geht  S.  XII.  Ih\  J.  zu  den  Lücken 
über,  die  unser  Gedicht  entstellen  und  so  viel  zu  seiner  Sclnvie- 
rigkeit  beitragen,  und  indem  er  zuerst  bemerkt,  dass  viele 
Verse  ausfallen  konnten,  ohne  dass  A\ir  dicss  bei  der  abgeriss- 
neu Schreibart  des  Lucilius  bemerken,  sucht  er  die  Entstehung 
dieser  Lücken  auf  eine  überraschende  Weise  zu  erklären.     Er 


144  Römische  Litteratur. 

nimmt  an,  dass  der  Urcodex  mit  Longobardischen  Buchstaben 
geschrieben,  die  an  und  für  sich  zu  grossen  Verirrungen  Anlass 
geben  konnten ,  auf  jeder  Seite  achtzehn  Zeilen  enthielt ,  von 
denen  dann  die  untersten  leicht  ganz  oder  theilweis  vertilgt 
werden  konnten.  Woher  Hr.  J.  auf  diesen  Gedanken  gekom- 
men sei,  giebt  er  nicht  an,  und  erzählt  nur,  dass  er  durch  ei- 
nen Irrthum  sich  in  ihm  gebildet  habe.  Als  Beweis  aber  führt 
er  die  allerdings  auffallende  Erscheinung  an ,  dass  fast  stets 
nach  dem  18ten  Vers  bedeutende  Corruptelen  oder  Lücken  vor- 
handen seien.  So  ist  Vs.  53  (im  Urcodex  fol.  2  rect.  penult.) 
nur  in  Bruchstücken  erhalten,  Vers  70  ff.  stimmen  zu  den  frühern 
sehr  wenig;  105 — 108  seien  ebenfalls  sehr  verdorben,  u.  s.  w. 
Ich  will  nicht  leugnen,  dass  diese  Ansicht  manches  für  sich  hat. 
Allein  dennoch  scheint  es  nöthig,  die  grösste  Vorsicht  anzuwen- 
den. Denn  erstens  ist  nicht  allemal  bei  dem  18ten  Vers  eine 
Lücke;  zweitens  finden  sich ,  wie  Hr.  J.  selbst  zugiebt,  auch 
Lücken  an  andern  Stellen,  wo  die  verhängnissvolle  Zahl  nicht 
spukt ;  drittens  darf  man  einem  Dichter  wie  Lucilius  schon  man- 
chen kühnern  Uebergang  zutrauen,  ohne  desswegen  sogleich 
den  Verlust  von  einem  oder  mehrern  Versen  anzunehmen,  und 
viertens  ist  selbst  in  den  genausten  Codd.  bisweilen  die  Zahl 
der  Zeilen  auf  den  einzelnen  Seiten  verschieden.  Gleich  bei 
der  ersten  Stelle  können  wir  nicht  ganz  mit  Hrn.  J.  über- 
einstimmen. In  der  Vorrede  sagt  er,  dass  Vs.  18  der  letzte  der  er- 
sten Seite  gewesen  sei,  und  demnach  fehlte  hier  nichts,  ind  ern  eine 
hinter  ihm  befindliche  Lücke  nicht  möglich  war.  Und  doch  heisst 
es  imCommentar  S.  86  dass  Vs.19  desswegen  nicht  mit  Vs.  18 
genau  zusammenhänge,  weil  zwischen  beiden  sehr  leicht  ein  Vers 
ausfallen  konnte.  War  diess  der  Fall,  so  musste  die  Hand- 
schrift auch  an  dem  obern  Rand  der  Blätter  verstümmelt  sein, 
Mas  denn  doch  die  Sache  wohl  etwas  zu  weit  treiben  Messe. 
Ja  um  es  noch  genauer  zu  nehmen,  möchte  eben  hier  noch  be- 
sonders folgender  Umstand  beachtenswerth  sein.  Wer  sehr 
alte  oder  altern  genau  nachgebildete  Codd.  in  den  Händen  ge- 
habt hat,  weiss,  dass  die  Schreiber  die  Ueberschrift  des  Buchs 
eben  so  weit  von  dem  obern  Rand  entfernten,  als  den  Text  auf 
den  nachfolgenden  Seiten.  (Man  vgl.  z.  B.  das  Facsimile  von 
2  Handschriften  des  Coluthus  in  der  Ausgabe  von  Julien ,  Pa- 
ris 1823,  p.  2  und  32.)  Nehmen  Avir  aber  nur  den  Raum  einer 
einzigen  Zeile  an,  deu  der  Schreiber  des  Urcodex  brauchte, 
um  etwa  sein  AETNA  INCIPIT  einzuschwärzen ,  so  ergiebt 
sich  daraus,  dass  die  erste  Seite  mit  Vs.  Yi  endigte,  und  die 
zw  eile  mit  Vs,  18  anfing ,  wo  wir  dann  annehmen  müssen ,  dass 
eine  Lücke  mitten  in  den  übrigen  Versen  zwischen  18  und  19 
entstanden  sei.  Allerdings  ist  diess  möglich;  aber  wozu  bedarf 
es  denn  jener  Erklärung'?  Und  gewiss  wird  mich  niemand  der 
Kleinigkeitskrämerei  beschuldigen  ,    da  ja  Ih\  J.  durch   seine 


Lucüii  Aetna.  Recens.  Jacob.  145 

Annahme  eine  ganze  Ciasse  von  Corruptelen  statuirt ,  und  bei 
solchen  neuaufgestellten  Sätzen  jede  Möglichkeit  beachtet 
»erden  rauss ,  die  dafür  oder  dagegen  spricht.  Desswegen 
musste  hier  auch  im  Widerspruch  mit  dem,  was  ich  oben  selbst 
erwähnte,  die  gleiche  Zahl  der  Zeile»  auf  allen  Seiten  festge- 
halten werden.  Allein  es  fragt  sich  hier  noch  besonders,  ob 
denn  wirklich  Vs.  18  und  10  gar  nicht  im  Zusammenhang  ge- 
dacht werden  können.  Sie  lauten  nach  Hrn.  J.  folgender- 
maassen: 

Quis  non  Argolico  deßevit  Pergamon  igni? 
Impositam  et  tristi  gnatorum  funere  mattem? 
Früher  wurde  das  Fragezeichen  nach  igni  weggelassen,  und 
Pergamon  impositam  verbunden,  so  dass  dann  der  übrige  Theil 
des  zweiten  Verses  einen  neuen  Gedanken  enthielt.  Dagegen 
hat  Hr.  J.  eingewendet,  dass,  da  Lucilius  weiter  xyuten  flebile 
Pergamon  sage,  der  Gebrauch  desselben  Wortes  in  verschiede- 
nem Geschlecht  anstössig  sei,  obgleich  hier  die  Analogie  die 
Inconsequenz  entschuldigt.  Ileusinger  zu  Vechners  Hollenole- 
xias  S.  30  hat  diess  durch  Beispiele,  wie  Tigranocerta,  orum 
(bei  Tacit.  Annal.  XV,  5)  und  Tigranocertq,  ae  (idem  XIV,  24), 
Thyatira,  orum  (Liv.  XXXVII,  8)  und  Thyatira,  ae  (id.  44) 
vollständig  bewiesen  *).  Wenn  wir  nun  die  alte  Interpunction 
wieder  hervorsuchen,  so  fragt  sich,  welche  Erklärung  dann 
möglich  ist.  Ohne  seihst  die  Stelle  zu  erläutern,  was  auch  die 
Uebersetzung, 

Wer  hat  Pergamon  nicht  in  argivischer  Flamme  beweinet, 
nicht  vermag,  verwirft  Hr.  J.  jeden  Versuch  mit  den  Worten: 
quis  urbem  tanquam  corpus  aliquod  igni  impositam  audivit?, 
fügt  aber  freilich  unmittelbar  hinzu;  possedici,  si  quis  satis 
audas  sit,  non  nego.  Und  wahrlich,  eine  solche  Audaciä  darf 
bei  einem  Lucilius  nicht  befremden,  zumal  da  es  sich  noch  fragt, 
ob  es  denn  so  sehr  kühn  sei.  Zuerst  nämlich  hat  Hr.  J.  die  Bedeu- 
tung des  Wortes  impositam  viel  zu  eng  gefasst,  welches  hier 


*)  Aehnliche  Beispiele  hat  auch  Hofman-Peerlkamp  in  ähn- 
licher Absicht  (Biblioth.  crit.  nova  III.  p.  246)  angeführt,  dessen  Beur- 
theilung  der  vorliegenden  Ausgabe  ich  erst  nach  der  Vollendung  meiner 
Anzeige  verglehhen  konnte,  Worinnen  ich  zu  meiner  Freude  mit 
diesem  trefflichen  Gelehrten  übereinstimme ,  habe  ich  in  den  unterge- 
setzten Anmerkungen  gewissenhaft  angegeben;  und  ich  würde  dann  je- 
desmal von  mir  geschwiegen  haben,  wenn  nicht  sich  wieder  mehrere 
Verschiedenheiten  in  der  Auffassung  und  Erklärung  gezeigt  hätten;  diess, 
60  wie  der  Umstand,  dass  der  Holländische  Gelehrte  sich  gewöhnlich 
mit  der  einfachen  Erwähnung  seiner  Annahmen  begnügte,  die  Beweis- 
führung aber  für  unnöthig  hielt,  mag  mich  entschuldigen  und  gegen 
den  Verdacht  eines  Flagiums  rechtfertigen. 


146  Römische   Litteratur. 

(ähnlich  dem  entgegengesetzten  suppositus  bei  Catull.  67 ,  32) 
ganz  einfach  bedeutet  positus,  conditus  in  aliqua  re ,  super- 
structus  alicui  rei.  Die  Worte  aber  selbst  müssen  dann  durch 
die  den  Dichtern  sehr  gewöhnliche  historische  Prolepsis  erklärt 
werden,  nach  der  durch  Anticipirung  historische  Ereignisse 
als  schon  bestehend  erwähnt  werden,  während  sie  doch  erst  in 
Folge  anderer  Ereignisse  möglich  wurden.  (Bentl.  opusc.  p.  17 
— 39.  Aehnlich  ist  die  rhetorische,  über  die  zu  vergleichen  ist 
Cicero  N.  D.  I,  16,  c.  n.  Davis.)  Troja  war  nun  vom  Schicksal 
dazu  bestimmt ,  von  den  Griechen  verbrannt  zu  werden  (s.  Ca- 
tull. 64,  344  ff,  Horat.  Od,  I,  15,  35),  und  die  Worte  sind  nach 
dieser  einfachen  Erklärung  nicht  kühner,  als  die  ähnlichen  bei 
Horaz ;  et  incedis  per  ignes  suppositos  cineri  doloso.  Scheint 
nun  bis  jetzt  die  Stelle  gegen  den  Verdacht  einer  Corruptel  ge- 
rechtfertigt, so  bleibt  noch  der  Rest  des  zweiten  Verses  übrig, 
den  man  sehr  verschieden  erklärt  hat.  Einige  denken  an  die 
Medea,  andere  an  die  Aerope,  Gemahlin  des  Thyestes,  Hr.  J. 
an  dieNiobe;  auch  ist  Iocaste  erwähnt  worden,  die  nach  vie- 
len alten  Dichtern  ihre  Söhne  überlebte.  Allein  der  Zusam- 
menhang der  Stelle  zeigt,  dass  der  Gedanke  des  ersten  Verses 
in  dem  zweiten  fortgeführt  wird.  Mit  Recht  hat  daher  schon 
der  Glossator  des  Codex  Helmstadiensis  den  Namen  der  Hecuba 
zugeschrieben.  Wem  ist  ihr  Jammer  unbekannt*?  und  wie  schön 
stimmen  hierzu  die  auf  dasselbe  Ereigniss  bezüglichen  Worte 
des  Catullus(64,  319): 

Saepe  fatebuntur  gnatorum  in  funere  rnatres, 
nach  welchen  mit  einer  sehr  geringen  Aenderung,  indem  der 
einfache  Ablativus  hier  kaum  gerechtfertigt  werden  kann ,  und 
durch  Hrn.  J.  auch  mittelst  einer  vollständigem  Stelle  bei  Ne- 
mesian.  Cyneg.  38  und  einer  corrumpirten  des  Properz  (vgl.  dort 
Hrn.  Jacob  p.  226)  nicht  gerechtfertigt  worden  ist ,  die  beiden 
Verse  vielleicht  so  zu  schreiben  sind : 

Quis  non  Argolico  deflevit  Pergamon  igni 
Impositam ,  et  tristi  gnatoruM  IN  funere  malrem  ?  *) 
Wie  erklärt  sich  nun  vollends  die  Lücke  auf  der  ersten  Seite  des 
IJrcodex,  da  doch  die  zweite  Seite,  wo  Vs.  35,  36  den  Schluss 
machten,  nicht  die  geringste  Spur  einer  Corruptel  zeigt? 
Vs.  53  ist  allerdings  auf  uns  nur  in  einzelnen  Worten  gekommen, 
was  sich  aber  zum  Theil  auch  daher  erklären  lässt ,  dass  zwei 
Verse  mit  demselben  Worte  anfangen,  woraus  bekanntlich  un- 
zählige Versetzungen  und  Auslassungen  entstanden  sind.  — r 
Neuen  Anstoss  fand  Hr.  J,  und  musste  ihn  finden  bei  Vs.  70  ff., 
denen  er  allen  Zusammenhang  mit  den  vorhergehenden  Zeilen 
abspricht ;  mit  welchem  Rechte  will  ich  jet?t  dem  Leser  darie- 


*)  So  bereits  Hofnian  -  Feerlfcamp  a.  a.  0,  S.  248, 


Lucilii  Aetna    ltccena.  Jficol».  147 

gen.  Von  Vs.  41  an  hatte  Lucilius  sich  vorgenommen,  ilie  zwei- 
te mythische  Erklärung  der  Ausbrüche  des  Aetna  sä  widerlegen. 
Kr  erzählt  daher  den  Krieg  der  Giganten  gegen  die  Götter,  und 
Vs.  62  ff.  den  Sieg,  den  lupiter  durch  seine  Blitze  über  sie  da- 
von trug,  worauf  er  so  fortfährt: 

—  Tum  pax  est  reddita  coelo. 
68    Tum  Liber  celsi  venu  per  sidera  coeli, 

Defensique  decus  mundi  nunc  redditur  astris. 
70    Gurgite  Trinacrio  morientem  lupiter  Aetna 

Obruit  JjJnceladum;  vasti  quoque  pondere  viontis 

Aestuat  et  petulans  exspirat  faueibus  ignem. 

Haec  est  mendosae  vulgata  licentia  famae. 
Hr.  J.  bemerkt  in  der  Vorrede  nur :  Versus  70  sqq.  vide  quam 
aegre  ad  priora  coeant.  Ist  aber  irgend  eine  Stelle  in  einem 
Schriftsteller  des  Alterthums  unverdorben,  so  ist  es  diese.  Lu- 
cilius nämlich,  von  einem  gewissen  Oestro  poetico  getrieben,  geht 
von  der  Beschreibung  des  Siegs  sclmell  zu  seinen  Folgen  über, 
und  muss  nun,  was  früher  erwähnt  den  Gang  der  Verse  unter- 
brochen haben  würde,  den  eigentlichen  Zweck  dieser  Digression 
nachholen.  Vortrefflich  stimmt  damit  Vs.  73  überein.  Es 
kam  ja  hier  nicht  darauf  an,  die  Folgen  des  Siegs  im  Allge- 
meinen zu  schildern  —  diess  geschieht  nur  beiläufig  — ,  son- 
dern der  Schluss  des  Ganzen  musste  die  Bestrafung  des  Ence- 
ladus  sein.  Ich  werde  unten  an  einem  andern  Beispiel  zeigen, 
wie  sehr  es  dem  Sprachgebrauch  unsers  Dichters  angemessen 
ist,  solche  Parenthesen  in  sein  Gedicht  einzuflechten  und  dann 
mit  einer  etwas  kühnen  Wendung  zu  dem  zurückzukehren,  wo- 
von er  bei  dem  Anfang  der  Parenthese  ausging.  Da  ich  mich 
aber  einmal  mit  dieser  Stelle  beschäftige,  so  werde  ich  sogleich 
hier  noch  eine  Aenderiing  des  Herausgebers  erwähnen ,  die  er 
in  den  Anmerkungen  zu  ihr  vorträgt.  Grossen  Anstoss  nämlich 
erregt  in  ihm  die  Erwähnung  des  Bacchus,  wozu  er  nicht  den 
geringsten  Grund  sich  denken  kann.  Denn  Bacchus  kam  erst 
nach  vielen  auf  der  Erde  vollführten  Grossthatcn  in  den  Olymp, 
nicht  aber  damals.  (Wo  ist  denn  hier  die  Verbindung  zwischen 
der  Gigantomachie  und  den  Zügen  des  Bacchus  sichtbar'?)  An 
Bacchus  Zagreus  lässt  sich  auch  nicht  denken  (nur  ein  Cieri- 
cus  konnte  einen  so  absurden  Einfall  haben!)  und  es  muss  hier 
gelesen  werden : 

Thuribulum  et  celsi  venu  per  sidera  eoeli, 
welches  von  dem  Himmelsgestirn  des  Altars  erklärt  wird,  der 
damals  von  den  Göttern  selbst  zur  dankbaren  Erinnerung  an  ih- 
ren Sieg  unter  die  Sterne  versetzt  wurde.  So  geistreich  aber 
und  gelehrt  auch  diese  Combination  ist,  so  scheint  doch  dem 
Bacchus  sein  Platz  nicht  entrissen  werden  zu  dürfen,  indem 
schon  Wernsdorf  mit  vollem  Recht  die  Worte deslloraz  (Od. 
II,  19,  21)  angeführt  hat,  wo,  nachdem  die  Erlegung  desKhoe- 


148  Römische  Litteratur. 

tus  durch  den  Bacchus  erwähnt  worden  ist,  der  Dichter  so  fort^ 
fährt: 

Quamquam  choreis  aptior  et  iocis 

Ludoque  dictus  (es) . 

Offenbar  will  daher  auch  Lucilius  hier  sagen,  dass  neue  Freude 
und  Heiterkeit  zu  den  Göttern  zurückgekehrt  sei,  welcher  Ge- 
danke um  so  erklärlicher  wird ,  wenn  wir  ihn  in  Verbindung 
mit  Vs.  02  setzen:  Stant  utrimque  Metus.  Somit  ist  nun  wohl 
mich  kein  Zweifel ,  dass  aus  dem  tune  des  Codex  Vratisl.  tum 
geschrieben  und  in  den  Text  aufgenommen  werden  muss,  was 
wir  dann  unbedenklich  von  jenem  Himmelsgestirne  verstehen, 
indem  jede  andere  Deutung  ungelenk  und  schleppend  ist.  In 
Vs.  68  hat  Hr.  ,T.  aus  dem  Cod.  Heimst,  (wenn  ich  die  Varian- 
ten-Angabe anders  richtig  verstehe)  celsi  geschrieben,  und 
den  Sprachgebrauch  der  Präposition  per  sehr  gut  erläutert.  -~- 
Bei  der  vierten  Stelle  (Vs.  105—108),  die  Hr.  J.  zur  Bestäti- 
gung seiner  Meinung  anführt,  ist  es  zuerst  auffallend,  dass  er 
in  der  Vorrede  sie  als  eine  solche  anzeigt,  deren  Theile  non 
saniores  seien ;  was  man  in  diesem  Zusammenhange  nur  von  dem 
Vorhandensein  einer  Lücke  verstehen  kann;  während  er  in  der 
Anmerkung  sie  behandelt,  wie  jede  andere  kritisch  verdächti- 
ge Stelle  zu  behandeln  ist,  und  sogar  nach  einigen  vorgeschla- 
genen und  auch  in  den  Text  aufgenommenen  Veränderungen 
hinzufügt:  sensus  autem  expeditissimus  est.  Um  nun  den  Le- 
ser in  den  Stand  zu  setzen ,  über  Hrn.  Jacob's  Ansicht  ein 
selbstständiges  Urthcil  sich  zu  begründen,  ist  es  nöthig,  die 
ganze  Stelle  hier  im  Zusammenhang  wiederzugeben,  und  zwar 
wie  sie  bei  Wernsdorf  lautet: 

101    Scilicet  haud  olim  diviso  corpore  mundi 

In  maria,  ac  terras  et  sidera,  sors  data  coelo 
Prima,  secuta  maris,  deseditque  infima  tellus 
Sed  totis  rimosa  cavis ,  et  qualis  acervus 

105   Exsüit  imparibus  iactis  ex  tempore  saxis, 

Ut  crebro  introrsus  spalio  vacuata  corymbos 
Pendeat  in  sesc;  simüi  quoqite  terra  Jigura 
Li  tenues  laxata  vias ,  jion  omnis  in  aretum, 

109  Nee  siipata  coit, 
Für  haud  (Vs.  101)  hat  Hr.  3.  nach  Handschriften  und  Zusam- 
menhang richtig  geschrieben  mit;  Vs.  104  steht  bei  ihm  ut, 
qualis,  Vs,  10G  Sic  —  vacuata,  corymbus,  und  Vs.  107  ist  das 
Colon  gestrichen,  sodass  die  Worte  Pendeat  in  sese  das  Schluss- 
verbum  zu  terra  enthalten.  Allein  auf  den  ersten  Blick  stört 
die  beispiellose  und  ^egen  alle  Denk-  und  Sprachgesetze  strei- 
tende Durcheinanderwerfung  verschiedener  Schhissverba  eines 
Subjects,  indem  das  eine,  Pendeat  (Coiijunctivus)  in  der  Par- 
enthese, das  andere,  coit  (Indicat.)  in  dem  Hauptsatz  sich  fin- 
det.    Zweitens  ist  dann  als  Apposition  gebraucht  corymbus, 


Lucilii  Aetna.  Reoens.  Jacob,  149 

was  stillschweigend  aus  dem  corymbos  der  Handschriften  ge- 
schrieben worden  ist.  Unmöglich  kann  ohne  ein  hinzugesetztes 
velut  die  Erde  geradezu  eine  Epheutraube  genannt  werden. 
Endlich  möchte  das  sie — simili  quoque  figura  sich  kaum  recht- 
fertigen lassen.  Unendlich  schleppend  wird  überhaupt  der  Satz 
von  der  zweiten  Hälfte  des  108ten  Verses  an.  Ohne  nun  corym- 
bus  als  femininum  annehmen  zu  wollen,  denn  r\  xoQVfißrj  der 
Griechen  hierher  zu  ziehen  möchte  niemand  ungestraft  wagen, 
ohne  ferner  eine  einzige  jener  Aenderungen  des  neusten  Heraus- 
gebers zu  billigen,  glaube  ich  im  Widerspruch  mit  seiner  An- 
sicht, aber  übereinstimmend  mit  Scaliger  und  Wernsdorf,  dass 
die  Verderbniss  der  Stelle  in  dem  seiner  Bedeutung  nach  hier 
kaum  zu  rechtfertigenden  vacuata  liegt,  und  dass  für  SPATIO- 
VACUATA  gelesen  werden  muss  SPATIQEXAEQUANTE.  Die 
Aenderung  in  den  Buchstaben  wird  den  der  Paläographie  Kundi- 
gen als  sehr  unbedeutend  erscheinen,  zumal  wenn  mau  sich  er- 
innert, dass  für  qu  sehr  oft  c  und  umgekehrt  gesell  rieben  wurde. 
So ,  um  diess  kurz  zu  erwähnen ,  muss  in  der  Curia  \  s.  5  für 
sibi  quaerere,  was  gar  keinen  Sinn  giebt ,  decurrere  gelesen 
werden.  Das  Verbum  exaequare  findet  sich  unter  andern  auch 
bei  Ovid  (Amor.  III,  8,  61): 

AI  nunc,   exaequet  tetricas  licet  illa  Subinas. 
Die  ganze  Stelle  ist  nun  nach  meiner  Meinung  so  zu  interpungi- 
ren  und  zu  schreiben ; 

101    Scilicet  aut  olim,  diviso  corpore  mundi 

In  maria  ac  terras  et  sidera,  sors  data  coelo 
Prima,  secuta  maris,  deseditque  inßma  tellus, 
Sed  totis  rimosa  cavis  ,■  et  qualis  acervus 
105  Exsilit  imparibus  iactis  ex  tempore  saxis 

Ut,  crebro  introrsus  spalio  exaequante  corymbos, 
Pendeat  in  sese ,  simili  quoque  terra  ßgura 
In  tenues  laxata  vias,  non  omnis  in  aretum 
Nee  stipata  coit, 
„und  so  wie  ein  Steinhaufen  aus  ungleichen  Steinen  zufällig  zu- 
sammengeworfen sich  erhebt,  so  dass  er,  indem  die  drinnen 
„  befindlichen  häufigen  leeren  Bäume  den  Epheutrauben  gleich 
„kommen,  in  sich  selbst  schwebt,  auf  ähnliche  Weise  u.  s.  w." 
Doch  es   genüge,   durch  diese  wenigen  Beispiele  bewiesen  zu 
haben,  dass  jene  neue  Yermuthung  Herrn  Jakob's  über  die  Lük- 
ken,  deren  er  offenbar  zu  viele  annimmt,  durchaus  nicht  so  be- 
gründet sei ,  wie  sie  ihm  erscheint.     Die  Worte :  illud  profecto 
a  vero  aberraret ,   si  quis  tot  et  tanta  indicia  casui  nescio  cui 
tribuens ,   nihil  huic  meae  conjeeturae  concedere  vellct,  stellen 
allerdings  die  Untersuchung  ziemlich   als    abgeschlossen   dar. 
Erweist  sich  aber,  wie  es  nach  meinem  Dafürhalten  sich  nicht 
anders   annehmen  lässt,  dass  gleich  die  3  ersten  Stellen  (denn 
Ys.  53  lasse  ich,  wie  schon  oben  geschehen,  ganz  ausser  dem 


150  Rumische  Litteratur. 

Spiele),  auf  die  jene  Hypothese  begründet  wurde,  sich  ohne 
unkritische  Willkührlichkeit  durchaus  nicht  dafür  gebrauchen 
lassen,  so  dürfte  man  wohl,  ohne  das  Dasein  so  mancher  Lücke 
leugnen  zu  wollen,  an  dem  neuen  Erklärungsversuche  etwas  irre 
werden.  Wenigstens  müsste  die  Beweisführung  schärfer  und 
umsichtiger  sein,  als  sie  es,  wenigstens  in  den  bisher  näher 
beleuchteten  Stellen,  in  Wahrheit  ist. 

Von  diesem  Abweg  kehre  ich  jetzt  zu  der  Vorrede  zurück, 
in  der  Hr.  J.  p.  XIV  beweist,  dass  alle  Handschriften  zwar  aus 
einer  Quelle  geflossen  sind,  aber  der  Cod.  Florent.  und  Helmstad. 
einer  sorgfältigem  Abschrift  folgen,  Mährend  2  und  3  eine 
trübe  Quelle  verrathen.  Die  membrana  Scaligeri  (über  die  et- 
was genauer  zu  sprechen  war;  s.  Scaliger  ad  Vs.  224  p.  146  und 
Vs.  279  p.  163  dieser  Ausgabe)  gehört  nach  Hrn.  J.  zu  einer  an- 
dern Classe,  und  es  wäre  gut  gewesen,  der  bessern  Uebersicht 
wegen,  die  wenigen  Varianten,  die  Scaliger  aus  ihr  mitgetheilt 
hat ,  mit  der  übrigen  Varietas  lectionis  dem  Texte  unterzuse- 
tzen ,  zumal  da  diess  die  Absicht  des  Herausgebers  selbst  nacb 
seinen  eignen  Worten  (s.  p.  XV  gegen  Ende)  gewesen  zu  sein 
scheint.  Mit, dem  grössten  Recht  unterliess  er,  die  Varianten 
aus  den  alten  Ausgaben  hinzuzufügen.  Vollkommen  stimme  ich 
ferner  den  Grundsätzen  bei,  die  den  Herausgeber  bei  seinen 
Conjecturen  leiteten.  Gedichte  wie  der  Aetna,  der  Culex,  die 
Ciris  und  ähnliche  gestatten  und  verlangen  durch  ihren  jetzigen 
Zustand  eine  andere  Art  der  Behandlung,  als  z.  B.  Virgilius 
oder  Lucanus,  wo  so  viele  und  zum  Theil  so  treffliche  Hand- 
schriften uns  unterstützen.  In  dem  Namen  des  Dichters  stimmt 
Hr.  J.  mit  Wernsdorf  überein.  In  den  frühesten  Zeiten 
ward  das  Gedicht,  weil  es  mit  vielen  ähnlichen  in  Art  einer 
Anthologie  dem  Virgilius  vielleicht  einigemal  zugegeben  wor- 
den war,  diesem  beigelegt,  und  so  hat  z.B.  schon Pseudo-Ser- 
vius  in  seiner  Vita  Virgilii  (Cod.  Paris.  7959.  saec.  IX.)  folgende 
Worte:  Scripsit  etiam  septem  sive  octolibros  hos:  cirina. etnam 
(i.  e.  cirin,  aetnam,  woher  sich  auch  die  Verstümmelungen 
crina,  circina  u.  s.  w.  erklären  lassen,)  culicem.  priapeia.  cata- 

c 
lepton.  epigrammata.  copam.  diras.  Hiermit  stimmen  Cod.  7960 
und  andere  überein ;  als  merkwürdig  excerpirte  ich  mir  unter 
andern  in  Paris  folgende  Worte  aus  Cod.  7930:  Scripsit  etiam 
acthna  de  qua  ambigitur.  I  l  Folge  dieser  mit  Begierde  auf- 
gegriffnen  Nachrichten  ward  in  den  frühern  Ausgaben  diess 
Gedicht  dem  Virgilius  zugeschrieben,  bis  J.  J.  Scaliger,  der 
es  in  den  Catalectis  Virgil.  herausgab,  mit  Berufung  auf  Sene- 
cae  epist.  79  den  Cornelius  Severus,  Zeitgenossen  des  Augustus, 
als  Verf.  nannte,  ein  Maine,  der  schon  in  frühem  Ausgaben  die- 
ses Gedichts,  ja  sogar  in  Handschriften  gefunden  wird.  Jeder 
beruhigte  sich  bei  dieser  mehr  hingestellten  als  bewiesnen  Be 


Lucilü  Aetna.  Rccens.  Jacob.  151 

hauptung  des  grossen  Mannes,  und  nur  erst  Wernsdorf  fand 
«len  rechten  Verf.  im  Lucilius  Junior ,  Freund  des  Seneca.  Mit 
grosser  Gelehrsamkeit  und  tief  eindringendem  Scharfsinn  stellte 
er  diese  Untersuchung  an,  eine  der  besten,  welche  sich  in  sei- 
ner Sammlung  der  kleinern  Lateinischen  Dichter  finden.  Ihm 
tritt  Hr.  J.  bei,  beweist  gegen  Markland  zum  Statius  I,  1,  65, 
dass  das  Gedicht  einem  aevo  inferiori  nicht  angehöre,  und  bringt 
noch  folgende  Gründe  bei,  die  für  Lucilius  sprechen.  Erstens, 
wo  der  Dichter  vom  Seneca  abweicht,  dessen  Quaestiones  natu- 
rales er  übrigens  oft  nachahmt,  geschieht  diess  stets  mit  Be- 
scheidenheit und  Vorsicht.  Zweitens  bedient  er  sich  sehr  oft 
der  Hypallage,  wegen  deren  allzuhäufigen  Gebrauch  Seneca 
selbst  den  Lucilius  tadelt.  Drittens  sind  seine  poetischen  Be- 
schreibungen matt ;  glücklicher  ist  er  als  gnomischer  Dichter, 
und  die  Schwächen  seines  Freundes  kannte  Seneca  recht  gut. 
(s.  Epist.  21.) 

Die  Vorrede  beschliesst  (p.  XX  —  XXIV)  die  vollständi- 
gere Mittheilung  der  Varianten  des  Codex  Florentinus  aus  der 
N.  Bibliothek  der  schönen  Wissenschaften,  die  Hr.  J.  erst  erhal- 
ten hatte,  als  es  nicht  mehr  möglich  war,  sie  in  die  Anmerkun- 
geu  aufzunehmen.  Hr.  J.  fügt  die  Conjecturen  Matthiä's  hinzu, 
und  begleitet  sie  mit  einigen  Bemerkungen ,  die  theils  seine 
frühern  Ansichten  noch  mehr  bekräftigen,  theils  Zweifel  gegen 
dieselben  äussern. 

Vs.  6  hat  Hr.  J.  aus  den  Handschriften  richtig  geschrieben 
Seu  tibi  Dodona  mit  Berufung  auf  Statu  Thebais  III,  101  und  der 
Anführung  einer  Stelle  aus  Voss's  Antisymbolik.  Die  von  dem 
Herausgeber  nicht  entdeckte  Quelle,  woraus  Voss  theils  dort, 
theils  in  den  mythologischen  Briefen  III,  81,  110,  127  schöpfte, 
fliesst,  wenn  ich  mich  nicht  täusche,  im  Etymol.  M.  s.  v. 
dcüdavaiog,  wo  zur  Erklärung  von  II.  it.  233:  Zev  ava  4ndco- 
vale,  folgendes  auch  von  dem  Scholiasten  entlehnte  gesagt  wird: 
iv  %GJQia>  xäv  rT7tsQßogeo}v  ry  daöoovi]  rL(ic6^£ve  tfj  ©EöJtQoria, 
woraus  die  Folgerungen  leicht  gezogen  werden  können. 

Vs.  15  lautet  in  den  Handschriften  so : 

—  (quum)  pingui  Pallas  oliva 
Secretos  amnes  aleret,  quum  gratia  ruris  — . 
Frühere  Herausgeber  änderten  das ,  was  sie  nicht  verstanden, 
und  erst  Hrn.  J.  gelang  es ,  den  ersten  Theil  der  Stelle  vor  je- 
nen Anfechtungen  zu  retten,  währender  selbst  an  den  letzten 
Worten  Anstoss  nahm.  Denn  da  eine  nicht  unpoetische,  we- 
nigstens lebhafte  Beschreibung  des  goldnen  Zeitalters  voraus- 
geht, so  beleidigte  ihn  die  gleich  darauf  folgende  Mattigkeit  der 
Worte:  quum  gratia  ruris,  wofür  er  nun  quae  gratia  ruris  cor- 
rigirt,  und  diess  mit  Gratii  Cyneg.  200:  quae  gratia  prima,  zu 
rechtfertigen  sucht.  Allein  manches  scheint  gegen  diesen  Vor- 
schlag ,  der  vielleicht  etwas  zu  schnell  in  den  Text  aufgenom- 


152  Römische  Litteratur. 

men  worden  ist,  zu  streifen.  Denn  um  zuerst  bei  der  Gedan- 
kenfolge aller  vorhergehenden  Worte  stehen  zu  bleiben,  so  sieht 
wohl  jeder  ein,  dass  die  Verse: 

Au,  &  i  cjcuri  qiiis  nescii  secuta  regia  ? 
10  Qntim  domitis  nemo  €erere:n  iaetaret  in  arvis,      ^ 

Venia/  isque  malus  prohiberei  frugibus  herbas; 

Ännua  sed  sacras  complerent  horrea  messes, 

[pse  suo  flueret  Bacchus  pede ,  mettaque  lentis 

Pender ent  foliis,  et  pingui  Pallas  olica 
J  5    Secretos  amnes  ageret ,  quae  gratia  ritris ;  — 

Non  cessit  cuiquam  melius  sua  tempora  nosse. 
nicht  so  interpungirt  werden  dürfen,  wie  Hr.  J.,  dessen  Aen- 
derungen  ich  gefolgt  bin,  geüian  hat,  sondern  dass  Ys.  15  in 
der  genausten  Beziehung  zu  Vs.9  steht,  und  demnach  das  Frag- 
zeichen nach  diesem  wegfallen  muss.  Dass  diess  so  ist,  zeigt 
Vs.  16 ,  der  ,  wenn  er  für  sich  betrachtet  wird  ,  sehr  gut  auf 
Vs.9  sich  bezieht,  aber  ganz  sinnlos  ist,  wenn  man  ihn  mit 
Vs.  10  flgd.  und  der  oft  wiederholten  Partikel  quam  fit  Verbin- 
dung setzt.  Ein  zweiter  Grund  geg^n  Hrn.  J.  liegt  in  den  Wor- 
ten quae  gratia  iuris  selbst.  Denn  das,  was  sie  nach  der  Ue- 
bersetzung  ausdrücken  sollen: 

—  und  Pallas  der  fetten  Olive 
Heimlich  gleitende  Ström'  hinführte,  des  Landes  Er- 
quickung, 
bezeichnen  sie  durchaus  nicht;  und  selbst  diess  angenommen, 
sind  die  Worte  dann  weit  matter,  als  die  gewöhnliche  Lesart. 
Das  so  nachschleppende  quae  ist  unerträglich!  Ferner  streiten 
diese  Worte  gegen  den  Sinn.  Kann  man  denn  nurdemOelbaume 
gratiam  ruris  beilegen?  Verdient  nicht  vielleicht  Bacchus  viel- 
mehr den  Vorzug  ?  Wie  wird  im  Allgemeinen  rus  zu  erklären 
sein?  Wo  findet  sich  eine  Stelle,  die  gratia  in  dem  hier  ange- 
nommenen Sinne  rechtfertigt?  —  Auch  hier  ist  die  Lesart  der 
Handschriften  (denn  das  in  einem  Codex  gefundene  tum  ist  nur 
Krücke  zum  leichtern  Verständniss)  die  einzig  richtige  und  dem 
Lucilius  sehr  angemessen.  Quum  gratia  ruris  nämlich  setzt  die 
vorige  Schilderung  fort.  Der  Dichter  geht  von  der  Fruchtbar- 
keit j",nes  Zeitalters  zu  der  unveränderlichen  Lieblichkeit  über, 
in  der  damals  die  Natur  prangte  (Ovid.  Metam.  I,  107, 108). 
Er  führt  aber  diess  nicht  aus ,  sondern  unterbricht  sich  mit  ei- 
ner häufig  vorkommenden  Aposiopese,  so  dass  der  Satz  nun  als 
völlig  geschlossen  anzusehen  ist*)  und  Vs.  15  nur  zur  Verstär- 


*)  Einen  andern  Ausweg  schlägt  Hofman  -  Peerlkamp  S.  244  ein, 
ftllein  mit  zu  kühnen  Aenderungen ,  indem  er  Securos  homines  aleret 
quum  gr.  r.  vorschlägt ,  was  eich  aber  auch  aus  andern  Gründen  nicht 
rechtfertigen  läset. 


Lucilii  Aetna.  Rerens.  Jacob.  153 

kung  von  Vs.  9  «nd  zum  Uebergang  zu  den  folgender»  dient. 
Gratiaruris  ist  auf  eben  die  Art  zu  verstellen,  >\ie  gratia  vil- 
lae  bei  Plin.  Epp.  II,  17.  Eine  ähnliche,  durch  den  Affect  im- 
terbrochne  Ausdrucksweise  findet  sich  in  d.  Ciris  260,  welche. 
Stelle  aus  der  Ed.  1  nach  berichtigter  Iuterpunction  so  zu  le- 
sen ist : 

Dicam  equidem ,  quoniam  —  quid  non  tibi  dicere  nutrix 
Non  sinis  ?  —  Extremum  hoc  munus  morientis  habeto. 
Vgl.  Ciris  13X 

Nachdem  der  Dichter  verschiedene  alte  Epopöen  kurz  er- 
wähnt hat,  geht  er  mit  folgenden  Worten,  die  wir  nach  Hrn.  J. 
geben,  auf  sich  selbst  über: 

23     Quidquid  in  antiquum  iaetata  est  fabula  Carmen; 

Fortius  ignotas  molimur  pectore  curas: 
25    Quis  tanto  motus  operi,  quae  causa  perennis 
Explicet  immensum  flammas ,  extrudat  ab  imo 
Ingenti  sonitu  moles,  et  proxima  qvaeque 
Ignibus  irriguis  urat.    Mens  carminis  kaec  est. 
Scaliger  und  Wernsdorf  haben  Vs.  23  für  verdorben  erklärt, 
und  durch  Conjecturen  zu  heilen  versucht.    Auch  Nr.  J.  stimmt 
ihrem  Urtheil  bei,  und  schlägt  mit  den  Worten:  Mihi  quidem 
verissimum  est,  Luciliuni  scripsisse,  vor,  zu  lesen: 

Quid  quod  et  Aetnaeum  iaetata  est  fabula  carmen, 
weil  die  nächsten  beiden  Zeilen  zu  abgebrochen  da  stünden, 
wenn   nicht  die  Erwähnung   des  Aetna  kurz   vorhergegangen 
wäre.     Wie  aber  die  Worte  nach  dieser  Conjectur  zu  erklären 
sind,  hat  Hr.  J.  anzugeben  unterlassen.   Die  Uebersetzung: 

Ist  doch  das  Mährchen  vom  Aetna  selbst  ein  gepriesenes  Epos, 
reicht  auch  hier  nicht  aus.  Denn  entweder  müsste  es 
heissen :  Aetnaea  iaetata  est  fabula  carmen  oder  Aetnaeum 
iaetatum  est  fabula  carmen.  So  wie  jetzt  die  Worte  lauten, 
heissen  sie  nichts  anders :  Ja  sogar  auch  das  Lied  vom  Aetna 
hat  sich  als  Fabel  verbreitet ;  Fabula  iaetata  aber  für  fabula  ce~ 
lebrata  zu  erklären,  wie  es  allerdings  in  der  Uebersetzung  liegt, 
erlaubt  die  Bedeutung  von  iaetare  nicht,  und  selbst  dann,  wie 
jeder  ohne  meine  Erinnerung  sieht,  müsste  es  heissen  Aetnaea 
fabula  est  carmen  iaetatum.  Allein  gesetzt,  wir  stimmten  auch 
mit  Hr.  J.  in  dem  Wortverstand  der  Stelle  überein,  so  fragt 
sich  noch  immer,  wie  der  Vers  sich  nun  zu  den  übrigen  ver- 
hält. Wenn  schon  das  Mährchen  vom  Aetna  von  vielen  behan- 
delt worden  war,  was  übrigens  nur  von  beiläufiger  Erwähnung 
gelten  zu  können  scheint  (Heyne  ad  Virg.  Aen.  III ,  578),  nicht 
eben  von  grössern  epischen  Gedichten  gesagt  werden  kann,  die 
mit  Hesiods  und  andrer  Schilderung  der  Weltalter,  mit  den 
Argonautiken ,  Thebaiden  u.  s.  w.  an  Umfang  wetteifern  könn- 
ten, warum  nimmt  denn  der  Dichter  in  den  nachfolgenden  Versen 
den  Mund  80  voll'}    Der  Unterschied  zwischen  der  epischen 


154:  Römische  Litteratur. 

und  philosophischen  Behandlung  jenes  Stoffes ,  den  Hr.  J.  viel- 
leicht etwas  sophistisch  in  dem  Wort  cura  wiederfindet,  ist 
zu  wenig  hervorgehoben.  Wollte  diess  der  Dichter  ausdrücken, 
so  musste  er  den  Gegensatz  vor  allen  bemerklich  machen,  dass 
andere  episch ,  er  aber  (nicht  einmal  ein  nos  findet  sich)  philo- 
sophisch und  naturhistorisch  den  Aetna  besinge.  Jetzt  schlep- 
pen sich  die  beiden  Verse  mühselig  neben  einander  hin,  und 
Hr.  J.  hat  noch  immer  nicht  erklärt,  wie  dann  die  Worte  tanto 
operi  zu  nehmen  seien ,  damit  sie  nichts  von  ihrer  Bedeutung 
verlieren.  Diese  Worte  aber  enthalten  nichts,  was  eine  Aen- 
derung  nöthig  macht,  wenn  wir  uns  nur  erinneren,  dass  Luci- 
lius  sogleich  im  ersten  Verse  seines  Gedichts  den  Inhalt  genau 
angegeben  hatte.  Nach  etwas  anmaassend  schliessender  Paren- 
these von  Vs.  9  —  24,  die  ganz  im  Geist  des  Zeitalters  ist 
(vgl.  Ciris  22  —  85,  Culex  26—40),  kehrt  er  zu  seinem  Vor- 
wurf zurück.  Daher  ist  es  nöthig ,  nach  curas  vollständig  zu 
interpungiren,  dass  demnach  Vs.  25  ff.  von  den  Worten  mens 
carminis  haec  est  abhängen,  was  auch  dem  Sprachgebrauch  weit 
angemessner  ist  (vgl.  Lucret.  I,  50,  Virg.  Georg.  1, 5),  als  wenn  sie, 
wie  jetzt,  von  den  übrigen  abgerissen  sind.  Nun  kann  ich  zu 
obigem  Verse  zurückkehren ,  der  genau  zu  untersuchen  ist,  da- 
mit seine  Integrität  oder  Corruptel  erkannt  werde.  Was  wollte 
zuerst  der  Dichter  sagen4?  Offenbar  nichts  andres  als:  „Andere 
haben  den  oder  jenen  Stoff  besungen;  ich  bin  kühnerund  be- 
handle etwas  bisher  unbekanntes."  Wenn  man  nun  aber  die 
Worte,  wie  sie  in  der  Vulgata  stehen,  genau  aber  unbefangen 
betrachtet,  so  ergiebt  sich  der  Sinn:  In  welches  alte  Gedicht 
nun  auch,  sei  es  in  welches  es  wolle,  die  Fabel  geworfen  wor- 
den sei,  so  habe  ich  doch  grösseres  vor.  Fabula  steht  zuerst 
hier  absolut,  als  Begriff,  das  Ganze  der  Mythen.  So  Au- 
etor ad  Herenn.  1,8:  Id  genus  narrationis ,  quod  in  negotio- 
rum expositione  positum  est ,  tres  habet  partes ,  fabulam,  hi- 
storiam,  argumentum.  Fabula  est,  quae  neque  veras  neque 
verisimiles  continet  res.  Antiquum  cartnen  setzt  er  seinem  novo 
carmini  und  ignotis  curis  entgegen,  so  dass  jene  Worte  für 
Carmen  antiqui  generis  stehen.  Und  so  wie  nun  jedes  Wort 
dieses  Verses  eine  Verachtung  gegen  andere  Dichter  ausdrückt, 
so  ist  auch'  der  Ausdruck  iaetata  est  sehr  bezeichnend,  und  ich 
möchte  mir  nimmermehr  diesen  kühnen,  aber  durch  Analogie 
gerechtfertigten  Gebrauch  nehmen  lassen.  So  wie  nämlich  im 
Allgemeinen  die  Verba  iacere ,  iaculari  u.  s.  w.,  wo  sie  auf  die 
Rede  übertragen  werden ,  sehr  oft  den  vorherrschenden  Sinn 
des  wegiverf enden ,  verächtlichen  und  verachtenden  haben ,  so 
findet  sich  auch  dieser  Sprachgebrauch  bei  iaetare,  ganz  vor- 
züglich aber,  avo,  wie  jeder  weiss,  etwas  cum  fastu  et  alto  su- 
percilio  vorgetragen  wird.  Wie  kräftig  ist  nun  der  Vers  des 
Lucilius!  Um  zuerst  die  angegebne  Bedeutung  von  dem  Wort 


Lucilii  Aetna.  Rccens.  Jacob.  155 

iactare  selbst  zu  beweisen,  so  glaube  ich  kein  schlagenderes 
Beispiel  auführen  zu  können,  als  folgendes  aus  Cicero  de  Orat. 
I,  16  §  73:/ßc?Ye  deckt?  atur ,  utrum  *s,  gut  dicat,  tantummodo 
in  hoc  declamatorio  sit  opere  jactatus ,  an  cd  dicendum  Omni- 
bus ingenuis  artibus  instructus  accesserit.  Die  Construction 
aber  endlich  ist  dieselbe,  welche  sich  oft  bei  dem  Verbo  con- 
jicere  findet,  welches  Lucilius  aber  verschmähte,  weil  ihm  das 
andere  nachdrücklicher  war.  So  Cicero  ad  Att.  XVI,  6 :  itague 
—  conjeci  {istud  prooemiuin)  in  eum  librum,  guem  tibi  misi. 
VII 5  16:  plura  praeter ~ea  in  eandem  epistolam  conjeci.  —  In 
dem  folgenden  Verse  hat  Hr.  J.  guis  aus  Handschriften  aufge- 
nommen, trefflich  immensum  corrigirt  (entgangen  ist  ihm,  dass 
Markiand  ad  Stat.  Silv.  III,  1,  1(53  dieselbe  Emcndation  ge- 
macht hatte),  und  exlrudat  (wofür  Markland  guae  ructet)  aus 
den  Handschriften  wiederhergestellt,  so  dass  die  Stelle,  nach 
meiner  Ansicht  interpungirt ,  nun  so  lautet : 

Quidguid  in  antiguum  iactata  est  fabula  carmen, 
Fortius  ignotas  molimur  pectore  curas. 
Quis  tanto  ?notus  operi,  guae  causa  per ennis 
Kxplicet  immensum  flammas ,  extrudat  ab  irno 
lngenti  sonitu  moles ,  et  proxima  guaegue 
Ignibus  irriguis  urat ,  mens  carminis  kaec  est  *). 
Vs.  29  ff.  ist  abermals    die  Interpunction  nicht  genau  genug, 
wodurch  sogar  der  Zusammenhang  leidet.     Offenbar  ist  nach 
dem  sehr  häufigen  Sprachgebrauch ,  dass  die  auf  eine  Paren- 
these folgenden  Worte  in  genaue  Verbindung  zu  jener  gesetzt 
werden  (s.  Ramshorn's  Lat.  Gr.  S.  704,  c),  so  zu  schreiben: 
Principio,  ne  guem  capiat  fallacia  vatum, 
Sedes  esse  Dei,  tumidisgue  e  faucibus  ignem 
Vulcani  ruere  et  clausis  resonare  cavernis 
Festinantis  opus,  non  est  tarn  sordida  Divis 
Cura. 
Die  durch  Semicola  in  einzelne  Sätzchen   zerstückelte  Inter- 
punction des  Herausgebers  ist  störend. 

So  richtig  auch  Vs.  40  et  geschrieben  ist  (man  kann  über 
diesen  Gebrauch  Markland  ad  Stat.  Silv.  III,  1,  44  vergleichen), 
so  weiss  man  doch  nicht  ob  es  aus  Handschriften  oder  Conje- 
ctur  wiederhergestellt  ist.  Denn  das  Stillschweigen  in  der  Va- 
rietas  lectionis  lässt  annehmen,  dass  die  im  Texte  befindliche 
Lesart  die  der  Handschriften  sei,  und  gleichwohl  heisst  es  in 
der  Annotatio :  Omnes  habent :  turpe  est. 

\  s.  49  haben  alle  Handschriften,  Pelion  Ossa  creat,  die 
Ausgaben,  ohne  Zweifel  aus  blosser  Vermuthung,  terit.  Hr.  J. 


*)  Ueber  Vs.  23  stellt  eine   eigne  Vermuthung  Hofman  -  Peerlkamp 
a.  a.  O.  S.  248  flgd.  auf. 

Jahrb.  f.  Fhil.  u.  Fädag.  Jahrg.  III.  Heft  2.  \\ 


1 56  Römische  Litteratur. 

schlägt  gravat  vor,  welches,  wenn  sich  nicht  creat  durch  Ossa 
Pelion  quasi  ex  se  progignere  videtur  erklären  lässt,  das  an- 
nehmbarste zu  sein  scheint. 

Vs.  54  und  55  hat  Hr.  J.  durch  genaues  Befolgen  der  hand- 
schriftlichen Lesart  zuerst  geniessbar  gemacht.  Et  coelo  scheint 
das  einfachste  und  richtigste  zu  sein,  wenn  anders  die  Be- 
schaffenheit der  Stelle  ein  Urtheil  über  sie  erlaubt.  Die  Er- 
klärung des  Wortes  removet,  auf  die  allerdings  schon  Wernsdorf 
hingezeigt  hatte  ,  ist  jetzt  gegen  alle  Zweifel  gerechtfertigt. 

Vs.  57  ist  Scaliger's  Conjectur  Hinc  statt  hie  behalten,  ob- 
gleich alle  Hülfsmittel  und  der  Sprachgebrauch  diess  schützen. 
Denn  hie  wird  bekanntlich  sehr  oft  für  tum  gebraucht.  Man 
vergleiche  die  Stellen  aus  Catull  im  Index  des  ltecensenten  und 
die  Erklärer  zu  Phaedrus   I,  14,  0. 

Höchst  gelungen  und  gut  begründet  scheint  mir  die  Con- 
jectur Aptaque  in  arma  ruit  zu  Vs.  60. 

Vs.  63  liest  man  nach  Scaliger  und  Wernsdorf  auch  bei 
Hr.  J.,  wie  folgt: 

—  validos  tum  Jupiter  ignes 
Increpat  et  iacto  proturbat  f ulmine  montes. 
Es  wird  aber  niemandem  entgehen,  dass  iacto  nach  dem  incre- 
pat höchst  matt  ist.  Auch  Hr.  J.  scheint  es  gefühlt  zu  haben, 
indem  er  sich  in  der  Ungewissheit,  was  aus  dem  victo,  vinetos, 
victor  und  iacto  der  Codd.  zu  machen  ist ,  nur  mit  einem  ge- 
wissen Widerwillen  für  das  letzte  entscheidet.  Mir  scheint 
hier  nichts  anders  stehen  zu  können,  als  iuneto ,  über  welches 
Wortes  hier  geltende  Bedeutung  Gronov  in  den  Observationi- 
bus  II,  3  p.  232  (ed.  L.  B.  1662)  und  Markland  zu  Statius  Silv. 
IV,  6,  18  p.  329  ed.  Dresd.  gesprochen  haben.  Bestätigt  wird 
meine  Emendation  durch  Hesiod's  Theogonie  Vs.  690  ff. 

In  dem  zunächst  folgenden  Verse  hat  Hr.  J.  gegen  Werns- 
dorf dieVulgata  wiederhergestellt  mit  folgender  Interpunctiou: 
Illinc  deveetae  verterunt  terga  ruinae  ; 
65    Infestae  Divis  acies,  atque  impius  hostis 
Praeceps  cum  castris  agitur. 
Wie  er  die  Worte  deveetae  ruinae  erklärt ,  ist  mir  nicht  klar 
geworden.     Denn  während  er  in  stillschweigender  Ueberein- 
stimmung  mit  Wernsdorf  s  Aenderung  übersetzt: 

Jetzo  im  jählingen  Sturz'  abrollend  wandte  zur  Flucht  sich 
Eilig  die  Götterbedrohende  Schlacht, 
führt  er  im  Commentar,  ohne  die  Stelle  eigentlich  zu  inter- 
pretiren ,  nur  Ovid's  Trauerelegieen  III,  5,  5  an : 

Versaque  amicitiae  terga  dedere  ?neae, 
welcher  Pentameter  aber  erst  seinen  Sinn  und  zwar  einen  von  Hrn. 
Jacob's  Deutung  ganz  verschiedenen  durch  den  Hexameter  erhält : 

Ut  cecidi ,  eunetique  metu  fuger e  ruinae. 
Die  Redensart  ruinae  deveetae  terga  verlere  möchte  sich  eben 


Lucilii  Aetna.   Recens.  Jacob.  157 

so  schwer  rechtfertigen  lassen ,  als  wenn  Ovid  inimicitiae  ge- 
sagt hätte.  Der  einzig  mögliche  Ausweg,  den  man  zur  Er- 
klärung der  Vulgata  einschlagen  könnte,  dürfte  der  sein,  dass 
man  ruina  für  den  herabstürzenden  Blitz  nähme,  wo  aber  de- 
vectae  wiederum  sehr  matt  ist.  Und  wie  schlecht  schliesst  sich 
das  gleichsam  in  der  Luft  schwebende  Infestae  Divis  acies  mit 
dem  darauf  folgenden  atque  an  !  So  wie  aber  ruina  für  die  her- 
abstürzenden Giganten  gar  nicht  genommen  werden  kann,  eben 
so  wenig  möchte  ich  Wernsdorf's  Aenderung  billigen,  der  aber 
darin  wenigstens  das  richtige  gesehen  hat,  dass  er  Vs.  64  mit 
Vs.  63  verbindet.  Aus  den  bisher  angeführten  Gründen  glaube 
ich  allerdings,  dass  die  Stelle  verdorben  ist,  zugleich  aber 
auch ,  dass  sie  durch  folgende  sehr  leichte  Aenderung  geheilt 
werden  kann : 

Mine  deveetae  verterunt  terga  ruinä 
Infestae  Divis  acies 
was  durch    die  schon  von  Wernsdorf  angeführten  Worte  des 
Livius  V,  47:  ruindque  totd  prolapsa  acies  in  praeeeps  deferri, 
trefflich  bestätigt  wird  *). 

Ueber  die  in  dem  67ten  Vers  aufgenommene  Aenderung 
könnte  ich  mit  dein  Herausgeber  übereinstimmen,  wenn  er  nur 
die  Construction  gerechtfertigt  hätte ,  nach  der  in  den  Worten 
materque  iacentes  involvens  utero  das  Participium  geradezu 
für  involvit  genommen  werden  soll. 

Das  Verständniss  von  Vs.  80  f.  hat  zuerst  Hr.  J.  möglich 
gemacht ,  und  theils  um  des  Herausgebers  Scharfsinn  und  Ge- 
lehrsamkeit gebührend  anzuerkennen,  theils  um  darüber,  wo 
er  noch  nicht  das  Wahre  getroffen  zu  haben  scheint,  meine 
Vermuthung  mitzutheilen,  will  ich  Hrn.  Jakob's  Untersuchung 
genauer  darlegen.  In  Scaliger's  Catalecten  findet  sich  folgende 
Lesart : 

Sollicitant  (poetae)  magna  te  circum  Tantale  poena, 

Sollicitantqtie  Sciri/n.  Minos  etc., 
wo  aber  Scaliger  selbst  die  in  den  ältesten  Ausgaben  befindli- 
che Lesart  siti  vorzieht,  und  für  circum  entweder  siecum  oder 
cur  tum  vermuthet.  Wernsdorf  schrieb:  Sollicitant  stagno,  te 
circum ,  Tantale,  pleno,  SoUicitantque  siti,  was  Hr.  J.  mit  sehr 
gutem  Grund  widerlegt.  Jene  matte  Lesart  nun  magna  poena 
findet  sich  im  Cod.  2,  während  der  Helmstad.  Uli  und  pena, 
der  Vratislav.  aber  Uli  und  poena  haben,  und  siti  ganz  deutlich 
in  beiden  steht.  (Für  sirit  3  muss  es  in  der  Varietas  lectionis 
p.  1 1  lin.  3  von  unten  heissen  sirit  2.  s.  Anmerkungen  S.  102.) 
Diese  Lesarten  der  Handschriften  führten  Hrn.  J.  auf  den  ein- 


*)  Ruina  bat  auch  Hofman-Peerlkamp  S.  250,  der  aber  auch  de- 
ieetae  schreiben   will. 

11* 


158  Römische    Litteratur. 

zig  richtigen  Weg ,  so  dass  er,  mit  Beziehung  auf  Od.  A,  588 
schrieb : 

Sollicitant  malo  te  circum,  Tatale,  Poeno 

Sollicitant  que  siti, 
welches  malo  er  aus  dem  magna  und  Uli  der  Codd.  entnimmt, 
zwischen  denen  jenes  gleichsam  in  der  Mitte  stehe.  So  willig 
nun  jeder  für  die  Richtigkeit  der  Lesart  im  Allgemeinen  sich 
entscheiden  wird  und  muss,  so  möchte  doch  wohl  noch  ein 
Zweifel  über  das  malo  walten,  indem  der  sehr  gute  Cod.  Vra- 
tisl.  etwas  anderes  giebt.  Sollte  sich  diess  nicht  auf  eine  andere 
und  weniger  gewaltsame  Art  benutzen  lassen*?  Es  gilt  einen 
Versuch ,  den  unbekannten  Schreiber  des  Cod.  Vratislav.  von 
dem  Vorwurf  der  Ungenauigkeit  zu  befreien.  —  Zuerst  will 
ich  von  der  Bemerkung  ausgehen,  dass  poena,  wie  es  der  Co- 
dex hat,  hier  substantivisch  zu  nehmen  ist,  und  mala  hinzuge- 
dacht werden  muss.  Dieser  bis  jetzt  sehr  wenig  beobachtete 
Sprachgebrauch  wird  bestätigt  durch  Columella  XII,  41,  2,  Pal- 
lad. Mart.  10,  wo  sich  beidemal  punicea  findet,  und  durch  die 
Analogie  ähnlicher  Fälle.  So  findet  sich  Sicyonia  sc.  calcea- 
menta  (vgl.  Gronov.  obss.  IV,  25 ,  p.  3J)ö) ,  IIsqöixu,  AaxavLXttl 
bei  Aristophanes.  Dieses  poena  ist  nun  natürlich  der  Accusa- 
tivus,  abhängig  von  sollicitant*  wozu  illi  (poetae)  das  Subject 
ist.  Nun  muss  freilich  die  Bezeichnung  desselben  Subjects 
durch  hi  und  z'/fo'Anstoss  erregen.  Allein  es  fragt  sich  sehr, 
was  von  dem  hi  zu  halten  sei.  Die  Stelle  nämlich  im  Zusam- 
menhange lautet  so : 

—  vates 

S/ib  terris  nigros  viderunt  carmine  Manes 

Atqne  inter  einer  es  Ditis  pallentia  regna  ; 

Mentiti  vates  Stygias  undasque  canesque ; 

Hi  Tityon  Septem  stravere  in  iugerafoedum; 

Sollicitant  illi  — 
Wie  ungeschickt  stehen  hier  diese  einzelnen  Verse  ohne  irgend 
eine  Verbindung !  Wie  zeigt  sich  so  ganz  als  Stütze  des  Ver- 
ses das  nach  einem  Participio  {rnentiti)  unerträgliche  hi,  wel- 
ches Hr.  J.  durch  seine  Uebersetzung  entfernt  hat!  Nichts  ist  ge- 
wisser, als  dass  Lucilius  geschrieben  hat:  HICTITYON,  wel- 
ches theils  aus  Nachlässigkeit,  theils  wohl  auch  durch  lächer- 
liche Verbesserungssucht  in  das  hi  der  Handschriften  überging. 
Hie,  nämlich  in  der  so  eben  kurz  beschriebnen  Unterwelt.  Nun 
ist  das  illi  höchst  kräftig,  und  dem  Sprachgebrauch  ganz 
angemessen,  und  ich  kann  nun  zu  dem  Vers  zurückgehen,  der 
diese  ganze  Untersuchung  veranlasst  hat.  Te  circum  stellt  nun 
ganz  einfach  für  circum  te ,  und  poena  sollicitare  für  mala  pu- 
nica  movere.  Dass  aber  sollicitare  auch  von  äussern  Gegen- 
ständen gebraucht  wird ,  zeigt ,  um  alle  Anführungen  zu  er- 
sparen ,  Gesner  im  Thesaurus  s.  h.  v.  2.    Nun  bleiben  nur  noch 


Lucilii  Aetna.   Recens.  Jacob.  151) 

die  Worte  Sollicüantque  siti  übrig,  wo  aus  dem  darauf  folgen- 
den Minos  zu  lesen  ist  sitim,  worauf  auch  das  sirim  der  alten 
Ausgaben  führt.  Aus  dem  kurz  vorhergehenden  te  muss  tuam 
stipplirl  werden,  und  die  ganze  Stelle  ist  demnach  so  zu 
schreiben: 

—  vates 
Sab  terris  nigros  viderunt  carmine  Manes 
Atqite  inter  eine  res  Dilis  pallcntia  regna. 
Mentiti  vates  Stygius  undasque  canesque 
Hie  Tityon  Septem  stravere  in  iugera  foedum ; 
Sollicitant  Uli  te  cireuni  Tantale  poena, 
Sullicitantque  sitim ;  Minos  etc. 
Diess  genüge,  um  sich  eine  Ansicht  von  dieser  Ausgabe  eines 
sehr  schwierigen  Gedichts  zu  verschaffen,  das  ausserdem  noch  um 
4  Verse  bereichert  worden  ist,  indem  Vs.  53  (lückenhaft),  187, 
195  und  236  bei  Wernsdorf  vergebens  gesucht  werden,  die  Hr. 
J.  grösstenteils  aus  dem  Codex  Florentinus  aufgenommen  hat. 
Was  die  äussere  Einrichtung  anlangt,  so  sind  die  Anmerkungen 
von  S.  76 —  270  enthalten;  unter  dem  Text  stehen  die  Varian- 
ten der  3  neu  verglichenen  Handschriften,  ihm  gegenüber  die 
metrische  Uebersetzung,  mit  deren  Erwähnung  ich  diese  Anzeige 
schliessen  will.     Hr.  J.  hat  sie  nicht   einmal  auf  dem  Titel  er- 
wähnt ,  und  auch  in  der  Vorrede  sie  sehr  kurz  abgefertigt.    Er 
wünscht,  nach  S.  XX,  dass  sie  als  Interpretation  dienen  möge, 
und  wenn  ich  auch  schon  oben  an  einigen  Stellen  bemerkte,  dass 
sie  nicht  immer  den  Sinn  des  Lucilius  trifft,  so  wird  doch  ge- 
wiss jeder  den  Versuch   des  Herausgebers  rühmen ,   einen  so 
dunkeln  und  verdorbenen  Dichter  metrisch  zu  verdeutschen.  Es 
bedarf  nicht  der  Erwähnung,  dass  Hr.  J.  keine  Ansprüche  an  die 
Verfertigung  eines  metrischen  Kunstwerks  macht,  und  man  wird 
meiner  Versicherung  wohl  glauben,  dass  nicht  selten  die  Dun- 
kelheit der  Uebersetzung  mit  der  der  Urschrift  sehr  nahe  ver- 
wandt ist.     Wo  aber  Lucilius  selbst  klar  und  fasslich  ist ,  da 
liest  sich  auch  die  Uebersetzung  sehr  angenehm ,  und  zum  Be- 
weis will  ich  den  Anfang  des  Gedichts  hier  wiederholen: 
Aetna,   und  jach  aus    der  Esse  Geklüft  verbrechende  Flammen, 
Welch  ein  Betrieb  doch  iso  kraftvoll  aufwalze  den  Glutl>rand, 
Welches  Gebot  er  beinurrt,   was  heiser  die  Lohe  hervorzwängt, 
Das  ist  mein  Lied.   Gunstvoll ,  o  nahe  dich ,  Spender  des  Liedes, 
Ob  du   in  Xanthos  weilst,   ob  Delos  lieber  als  jenes, 
Ob  Dodona  dir  thenerer  ist;    und  in  freundlicher  Eile 
Leite  zu   neuem  Gebet7  vom  Tierischen  Quelle  die  Schwestern; 
Sicherer  wandl'  ich  in  Phöbua  Geleit  unkundige  Bahnen. 

Goldene  Zeit,   wem  wärest  du  fremd,  des  friedlichen  Herrschers  '{ 
Wo  in  gebändigte  Flur  niemand  ausstreute  die  Ceres, 
Oder  die  keimende  Frucht  vor  verderblichem  Kraute  bewahrte, 
Jaliresbedarf  anfüllte  das  Haus  mit  heiliger  Erndte, 


160  Griechische   Litteratur. 

Bacchus  dem  eigenen  Fuss'  entfloss,  und  zähe  der  Honig 
Niederträufte  vom  Blatt',  und  Pallas  der  fetten  Olive 
Heimlich  gleitende  Ström'  hinführte,  des  Landes  Erquickung. 
Besser  gelang's  niemandem ,  die  eigene  Zeit  zu  erkennen. 
Schwieg  vom  Colchier  wer,   der  Jüngling'  äusserstem  Kampfe? 
Wer  hat  Pergamon  nicht  in  argivischer  Flamme  beweinet? 
Oder  die  Mutter,  dem  traurigen  Grab'  der  Erzeugten  ein  Benkmal? 
Oder  des  Tags  Wandlung?  und  die  Zahn'   als  Saame  gestreuet? 
Wer  nicht  beklagt  den  Verrath  des  treulos  täuschenden  Kieles, 
Minos  Tochter,   verlassen  am  einsamen  Ufer,  bejammernd? 
Ist  doch  das  Mährchen  vom  Aetna  selbst  ein  gepriesenes  Epos  ! 
Kühner,   zu  noch  unkundigem  Trachten  erhebt  sich  die  Brust  mir; 
Welcherlei  Grund  so  Grosses  bewirkt,   was  nimmer  versiegend 
Flamm'  ausspreize  zum  Himmel  empor,  auspresse  dem  Abgrund 
Mit  unsäglichem  Schall  Felsmassen ,  und  rings   die  Gefilde 
Brenne  mit  flüssiger  Glut ;  diess  ist  des  Liedes  Gedanke. 

Julius    Sillig. 


Griechische    Litteratur. 

Piatonis  Meno.  Prolegomenis  et  commentariis  illustravit  Go- 
dofr.  Stallbaumius.  Accesserunt  scholia  graeca.  Lipsiae  e  libraria 
Hartmanni.  MDCCCXXVH.  LX  u.  156  S.  8.  18  Gr. 

T  orliegende  Ausgabe,  über  deren  Plan  die  vorausgeschickte 
gründliche  Abhandlung  de  Menone  Platonico  keine  Andeutung 
und  nur  eine  Hinweisung  auf  die  ähnlich  eingerichtete,  von 
demselben  Gelehrten  besorgte,  Ausgabe  des  Eythyphron,  die 
Rec.  nicht  vorliegt,  enthält,  kündigt  sich  durch  ihre  ganze  Ein- 
richtung, vorzüglich  insofern  die  Varianten  nur  mit  Auswahl 
mitgetheilt  sind,  als  eine  Schulausgabe  an.  Sie  hat  wegen  der 
vielen  eigenen  Bemerkungen  des  Herausgebers  und  der  instru- 
ctiven  Hinweisungen  auf  andere  Schriften  und  auf  erläuternde 
Bemerkungen  anderer  Gelehrten  manche  Vorzüge  vor  der  sonst 
vortrefflichen  Butt  mann' sehen  Ausgabe,  ausweicherauch 
die  Sachbemerkungen ,  wenn  auch  zuweilen  nur  in  zweckmä- 
ssigen Auszügen  mitgetheilt  sind.  Nur  hätte  Rec.  gewünscht, 
dass  nicht  manche  Bemerkungen  Buttmann's  übergangen, 
oder  nur  kurz  angedeutet  seyn  möchten,  damit  wenigstens  jun- 
gen Studirenden  Buttmann's  Ausgabe  entbehrlich  gemacht  wäre, 
und  ferner  dass,  da  dieser  Dialog  theils  wegen  seiner  Leichtig- 
keit, theils  wegen  jener  auf  gründliche  Belehrung  der  Jugend 
berechneten  Bearbeitung  Buttmann's  jungen  Leuten  zuerst  in  die 
Hände  gegeben  zu  werden  pflegt ,  um  durch  die  Lesung  dessel- 
ben zum  Studium  der  Platonischen  Dialoge  vorbereitet  zu  wer- 


Piatonis  Meuo.   lliustravit  Slallbaum.  1G1 

den  und  zu  einem  tiefern  Eindringen  in  die  griechische  Syntax 
und  in  den  Sprachgebrauch  jener  Schriften  Anleitung  zu  erhal- 
ten, die  Zweckmässigkeit  des  Buchs  noch  dadurch  erhöht  seyn 
möchte,  dass  die  eigenen  Sprachbemerkungen  noch  mit  andern 
vermehrt  wären ,  wozu  sich  zuweilen  Gelegenheit  darbot,  und 
dafür  manche  weggelassen  seyn  möchten ,  die  unpassend  und 
nicht  zur  Sache  gehörig  sind.  Doch  über  jenes  wollen  wir  mit 
Herrn  Stallbaum  nicht  rechten  und  nur  einige  Bemerkungen 
über  das  wirklich  Gegebene  mittheilen.  Wir  übergehen  dabei 
alle  Stellen,  wo  Herr  St.  das  von  Butt  mann  und  Bekker 
aus  Mss.  schon  aufgenommene  gleichfalls  in  den  Text  aufgenom- 
men hat.  Wenn  Hr.  St.  auch  in  diesem  Falle  zuweilen  sagt, 
reposui,  emendavi  ex  Codd.,  so  ist  der  Grund  hiervon  wohl  da- 
rin zu  suchen ,  dass  Hr.  St.  selbst  schon  früher  jenes  für  die 
richtige  Lesart  erkannt  hatte.  Ausserdem  ist  manches,  was 
Buttm.  nur  in  den  Anmerkungen  als  die  richtige  oder  ihm  rich- 
tig scheinende  Lesart  bezeichnet,  nun  wirklich  aufgenommen 
und  die  Aufnahme  von  Hr.  St.  durch  eigene  Gründe  und  oft  durch 
die  Auctorität  seiner  von  Bekker  und  Buttm.  noch  nicht  benutz- 
ten Codd.  gerechtfertigt.  Bei  Conjecturen  ist  Hr.  St.  sehr  vor- 
sichtig, die  er  meist  in  die  Anmerkungen  verweist.  Um  so  mehr 
wunderte  es  Rec. ,  an  zwei  Stellen  Conjecturen  aufgenommen 
zu  sehen,  die,  wie  nachher  gezeigt  werden  soll,  bestimmt  ver- 
fehlt sind.  Es  sind  dies  zwei  mathematische  Stellen,  wo  sich 
Hr.  St.  seinen  Vorgängern  in  die  Arme  geworfen  hat.  Da  Rec. 
über  die  schwierige  dritte  mathemat.  Stelle,  wo  Hr.  St.  eine 
eigne  Erklärung  versucht  hat,  ein  Mehreres  wird  sagen  müssen, 
so  mögen  zunächst  in  einem  vorausgeschickten  kleinen  Aufsatze 
jene  Stellen  zusammenbehandelt  werden. 

Ueber  drei  mathematische  Stellen  im  Menon. 

1)  P.  83  C  (p.  69):  ovyl  dito  aev  xavzr\g  XBtQaitXdGiov;  — 
tstagtov  ds  a%o  tijg  r^ucöeag  ravrrjöl  rovti',  Gedike  zeich- 
nete hier  ein  grösseres  Quadrat  ABCD,  welches  das  ursprüng- 
liche Quadrat  Abcd,  dessen  Seite  zwei  Fuss  war,  4  mal  in  sich 
schliesst,  und  lässt  nun  den  Socrates  sagen:  „Nichtwahr  jenes 
grössere  Quadrat  slBCD  (dessen  Seite  noch  einmal  so  gross 
ist,  als  die  des  ursprünglichen)  ist  das  vierfache  von  diesem 
Abcd,  und  dieses  Abcd,  welches  über  der  halben  Seite  des 
grösseren  construirt  ist,  ist  das  Viertel  von  jenem?"  Hieran 
nahm  Buttmann  mit  Recht  Anstoss,  denn  es  ist  doch  sonder- 
bar zu  sagen:  Dieses  Quadrat  ist  das  vierfache  von  jenem,  und 
jenes  das  Viertel  von  diesem ;  diese  Seite  ist  das  Doppelte  von 
jener,  und  jene  ist  die  Hälfte  von  dieser.  Dies  würde  eine  nichts 
sagende  Tautologie  seyn,  und  wer  wird  denn  das  Gegebnein 
derselben  Zeile  durch  das  daraus  erst  gemachte  bestimmen, 
wenn  dadurch  durchaus  nichts  erreicht  wird'*  Buttm.  sagt  da- 


162 


Griechische  Litteratur. 


her :  „Quare  unice  vera  est  Cornarii  emendatio  tstgaTtow1,1  (st. 
tstccqtov).  Hr.  Stallb.,  der  wörtlich  Buttm.  Anmerkung  wie- 
dersieht, nimmt  dieses  tEtgänow  in  den  Text  auf.  Aber  wie? 
wenn  nun  Gedike  eine  falsche  Figur  gezeichnet  hat'?  Ist  darum 
jenes  Wort  falsch'?  Die  Lesart  der  Mss.  ist  allein  richtig.  So- 
crates  geht  in  beiden  Bestimmungen  von  der  Seite  des  ursprüng- 
lichen Quadrats  aus.  Erst  hatte  er  ein  grösseres  Quadrat  ABCD 
über  der  öiitXuöia,  ypa^iju^  construirt,  dies  gab  das  vierfache 
des  ursprünglichen  Quadrats  Abcd ,  dann  zeichnet  er  noch  ein 
kleineres  and  r?}g  rjpiötag  ravtrjöi  d.  i.  ein  Quadrat  über  der 
halben  Seite  des  ursprünglichen  Quadrats ,  und  dieses  (Aßy§) 
ist  nothwendig  das  Viertel  des  ursprünglichen.  Um  also  dem 
Menon  recbt  anschaulich  zu  machen,  dass  er  um  das  doppelt 
so  grosse  Quadrat  zu  finden,  nicht  die  Seite  doppelt  so  gross 
nehmen  dürfe,  zeigt  er  ihm  dies  auf  doppelte  Weise:  „Nicht- 
wahr  das  Quadrat  über  der  doppelten  Seite  ist  das  vierfache, 
und  eben  so  das  Quadrat  über  der  halben  Seite  das  Viertel  des- 
selben (ursprünglichen)  Quadrats  ?"  Demnach  ist  zugleich  ein  Irr- 
thum  in  einer  Anmerkung  Biest  er 's  über  eine  frühere  Stelle 
zu  berichtigen.  Oben  p.  82  C  (p.  66)  ist  der  Ausdruck  xavtaöl 
dia  fisöov  auch  nach  Rec.  Meinung  nicht  von  Diagonalen  sondern 
von  Parallelliuien,  die  das  Quadrat  in  4  kleinere  theilen ,  zu  ver- 
stehen; aber  falsch  ist,  wenn  Biester  sagt,  es  werde  jetzt  schon 
die  Figur,  die  nachher  gebraucht  wird,  d.  i.  das  grössere  Qua- 
drat gezeichnet ,  was  erst  p.  83  A,  B  geschieht.  Vielmehr  wird 
hier  das  ursprüngliche  Quadrat  in  4  kleinere  getheilt,  wovon 
jedes  =  1  Q  Fuss,  eben  dasriraotov,  was  nachher  erwähnt 
wird  ,  ist. 


Die  Figur  ist  also  diese: 
A  ß  b 


B 


d 

d 

D 


2)  P.  85  A  (p.  76),  wo  Socrates  Diameter  oder  Diagonalen 
zieht,  heisst  es   in  allen  Mss.:  ovjcom/  zöziv  carry  yoaftfti}  Ix 


Ucber  drei  mathemat.  Stellen  im  Menon.  1C3 

ycoviag  sZg  ycoviav  xiva  xe{ivov6a  8i%a  zxaGxov  xovxcov  tav  %co- 
qlgjv;  denn  dass  in  dem  Cod.  Par.  E  bei  xiva  über  t  drüber  ge- 
schrieben ist  £i  und  über  cc  ovöcc,  ist  mit  Buttm.  für  eine 
Emendation  eines  Späteren  zn  halten ,  der  eine  gleich  dranf 
folgende  ähnliche  Stelle  benutzt  hat.  Buttm.  schob  mit 
Struve  nach  avxr\  den  Artikel  ein;  F.  A.  Wolf,  der  mit 
Recht  an  dem  unpassenden  xiva  Anstoss  nahm ,  conjicirte  ij  — 
zbIvbi.  Diese  Conjecturen  nimmt  Hr.  St.  auf,  indem  er  sagt: 
„Non  dubitavi  recipere  F.  A.  Woljii  emendationem,  quippe  quae 
tantam  habeat  verisimilitudinem,  ut  faciliorem  loci  corrigendi 
rationem  nemo  quisquam  reperiat.'-''  Wir  wollenden  Versuch  ei- 
ner leichteren  Emendation  machen.  Schon  Schleiermacher 
bemerkt  richtig,  dass  das  von  Wolf  hinzugesetzte  xeivu  zur 
Vollständigkeit  des  Sinnes  nicht  nothwendig  sei;  denn  es  würde 
die  adverbialische  Form  des  Prädicats  7}  Ix  ycoviag  tig  ycoviav 
ygapp,r)  grammatisch  vollkommen  genügen.  Offenbar  verdorben 
ist  das  tiväy  aber  leicht  zu  corrigiren.  Es  ist  nämlich  auch 
hier  durch  jenes  so  häufige  Versehen  der  Abschreiber  die  letzte 
Silbe  des  vorhergehenden  Wortes  statt  zweimal  nur  einmal  ge- 
schrieben. So  bekommen  wir  ycoviav  dvxiva.  Wer  erkennt  nun 
nicht  sogleich  das  richtige  avxiav'l  Nun  fragt  sich  ferner,  ob 
jener  von  den  Herausgebern  ein  geschwärzte  Artikel  7}  nöthig 
sei.  Man  verbinde  yQttp,{irj  nicht  mit  avxr],  sondern  nehme  avxiq 
allein  als  Subject,  und  ziehe  yga^^iT]  zum  Prädicat,  in  welchem 
nichts  als  die  ganz  natürliche  Definition  der  Diagonale:  ygap,- 
p,rj  sx  ycoviag  sl§  ycoviav  dvxlav  xip,vov6a  to  %coqiov,  enthal- 
ten ist.  Man  übersetze:  Nonne  haec  est  (talis)  linea^  quae 
spatium  ab  angulo  uno  ad  alterum  oppositum  in  daas  partes 
dissecat  ? 

3)  Wir  kommen  nun  auf  die  bekannte,  nun  fast  fabelhaft 
gewordene,  mathem.  Stelle,  von  welcher  Herr  St.  eine  neue 
Erklärung  versucht  hat.  Rec.  wird  hier  nothgedrungen  seines 
früheren  Studentenschriftchens ,  welches  Hr.  St.  an  das  Licht 
gezogen  hat,  {Commentatio  de  loco  mathemat ico  in 
Piatonis  Menone.  Halle  1825,  bei  Anton.)  Erwähnung 
thun  müssen.  Ohne  anmaasslich  in  dieser  Sache  das  letzte  Wort 
behalten  zu  wollen,  was  allein  Herrn  Prof.  Dr.  Schleier  ma- 
ch er  gebührt,  der  nach  einer  brieflichen  Mittheilung  in  den 
Nachträgen  zu  seiner  Uebersetzung  des  Piaton  noch  einmal  auf 
diese  Stelle  znrückkommen  wird,  will  Rec,  ehe  er  zur  Beur- 
theilung  der  Stallbaum'schen  Erklärung  übergeht,  die 
dargebotne  Gelegenheit  benutzen,  das,  was  seit  dem  Erschei- 
nen jener  kleinen  Schrift,  in  welcher  die  früheren  Versuche  mit- 
getheilt  und  beurtheilt  wurden,  in  einer  Recension  derselben 
und  anderwärts  über  die  Stelle  gesagt  worden  ist ,  für  Schul- 
männer zusammenstellen,  so  dass  folgendes  als  ein  Anhang  zu 
jener  Schrift  angesehen  werden  kann. 


164  Griechische  Litteratur. 

Die  Erklärung,  die  Rec.  damals  dem  Publicum  vorlegte, 
glaubte  er,  trotz  der  dabei  notwendigen  aber  durchaus  nicht 
unwahrscheinlichen  Annahmen ,  so  lange  für  richtig  halten  zu 
müssen,  bis  durch  entscheidende  Gründe  etwas  geradezu  als 
falsch  bewiesen  oder  eine  andere  Erklärung  aufgestellt  seyn 
würde ,  die  keine  Voraussetzungen ,  aber  zugleich  auch  ,  wie 
die  des  Rec. ,  keine  Textesänderung  nöthig  machte.  Eine  neue 
Erklärung  mit  Ausnahme  der,  Rec.  muss  es  schon  jetzt  sagen, 
ihm  ganz  unstatthaft  scheinenden  Stallbaum'scben  ist  nicht  er- 
schienen ,  und  was  anderwärts  über  jene  bemerkt  worden  ist, 
konnte  Rec.  in  jener  Meinung  nicht  irre  machen,  zumal  da  seine 
Erklärung  von  mehrern  Seiten  gebilligt  wurde.  Rec.  erlaubt  sich 
nur  Hrn.  Prof.  Ideler  zu  nennen,  und  man  deute  es  ihm  nicht 
falsch,  wenn  er  blos  um  der  Sache  willen  die  Worte  dieses 
Gelehrten  aus  einem  Briefe  anführt :  „Nachdem  ich  alles  noch 
einmal  erwogen  habe,  zweifle  ich  nicht  länger,  dass  Ihre  An- 
sicht ,  wenn  den  Worten  weder  durch  Emendation  noch  durch 
Interpretation  Gewalt  geschehen  soll,  die  richtige  ist,  so  sehr 
mich  auch  die  grosse  Einfachheit  des  Sinnes  überrascht,  weil 
ich  immer  einen  tiefern  Sinn  in  ihr  vermuthet  hatte." 

Zuerst  erschien:  Vollständige  Auflösung  der 
Aufgabe ,  in  einen  Kreis  ein  Dreieck  mit  einem 
gegebnen  Winkel  und  Inhalt  zti  be schreiben.  Zur 
Prüfung  der  von  Dr.  Wex  versuchten  Erklärung  der  mathemat. 
Stelle  in  Piatons  Meno  dargestellt  von  Joh.  ffolfgang  Müller, 
Professor  der  Mathematik.  Mit  einer  Steindrucktafel.  Nürn- 
berg, bei  Riegel  und  Wiessner.  1826. 

Herr  Prof.  Müller  bestreitet  einige  Sätze  in  dem  jener 
Schrift  angehängten  mathematischen  Excurse ,  und  behandelt 
den  mathematischen  Satz ,  den  Rec.  in  jener  Stelle  gefunden 
hatte,  selbstständig  und  ausführlich  von  neuem.  Dadurch  aber 
kann  keineswegs  die  philologische  Erklärung  der  Stelle  selbst 
als  falsch  nachgewiesen  werden.  Denn  durch  jenen  angehäug- 
ten Excurs  wollte  Rec.  damals  nur  zeigen,  dass  jener  Satz,  der 
nach  der  gegebnen  Erklärung  und  der  in  den  Worten  gefun- 
denen Auflösung  blos  eine  auf  unmittelbare  Anschauung  gegrün- 
dete höchst  einfache  Erörterung  für  den  der  Mathematik  ver- 
muthlich  nicht  sehr  kundigen  Menon  enthielt ,  dennoch  einen 
tieferen  mathematischen  Sinn  und  ein  aus  der  Schule  der  Geo- 
meter  wirklich  entnommenes  Problem  in  sich  schliessen  kön- 
ne, welchem  Socrates  nur  durch  seine  Popularisirmethode  den 
mathematisch-wissenschaftlichenAnstrich  genommen  habe.  Diese 
Ansicht  und  Meinung  ist  völlig  dadurch  gerechtfertigt,  dass  Hr. 
Prof.  Müller  selbst  jenen  Satz  einer  tiefern  mathemat.  Behand- 
lung fähig  gefunden  hat.  Es  kömmt  hinzu,  dass  der  Satz,  wor- 
auf Rec.  seinen  geometrischen  Beweis  gründete,  sich,  was  er 
damals  nicht  wusste,  wirklich  im  Euclid  VI,  15  findet,  wie 


Uebcr  drei  niathemat.  Stellen  im  Menon.  165 

einRec.  in  der  Schulzeitung  nachgewiesen  hat.  Wie  weit  Piaton 
selbst  die  streng  geometrische  Behandlung  jenes  Satzes  gekannt 
habe,  dies  zu  untersuchen  kommt  nicht  dem  philologischen 
Erklärer  jener  Stelle  zu  ,  sondern  gehört  in  eine  Abhandlung 
über  die  mathem.  Kenntnisse  de.;  Piaton  und  seiner  Zeit.  Habe 
also  immerhin  jener  mathematische  Excurs  manche  Mängel, 
dies  schadet  der  Erklärung  nichts.  Ausserdem  aber  nimmt  Hr. 
Prof.  Müller  Anstoss  an  dem  hinzugedachten  nicht  ausdrück- 
lich in  den  Worten  bemerkten  Verfahren  bei  der  Construction 
der  Figur.  Will  jemand  die  Zulässigkeit  solcher  Annahmen  bei 
einer  gewissermaassen  dramatischen,  und  daher  des  erklären- 
den Scholiasten  bedürfenden  Scene  bezweifeln,  so  ist  zugleich 
jeder  Combination  dieser  Art  das  Urtheil  gesprochen.  So  et- 
was lässt  sich  nicht  beweisen  oder  jemandem  aufdrängen,  es 
kann  sich  nur  durch  Leichtigkeit  und  überraschende  Einfach- 
heit des  hervorgehenden  Resultats  empfehlen.  Uebrigens  musste 
ja  auch  in  dem  obigen  Gespräche  mit  dem  Knaben  manches  hin- 
zugedacht w  erden :  z.  B.  p.  85  A  werden  4  Diagonalen  gezo- 
gen; wo  aber  steht,  wie  sie  gezogen  werden  sollen'?  Warum 
zog  man  sie  nicht  so,  dass  zwei  und  zwei  parallel  sind,  oder  so, 
dass  sie  verlängert  in  der  Mitte  sich  schneiden*?  warum?  weil 
auf  diese  Weise  nichts  herauskömmt ,  und  das  Resultat  sie  so 
zu  ziehen  verlangt,  wie  man  es  gethan  hat.  Die  gegebne  Er- 
klärung von  izaQat£Tcc[iEvov  aber  durfte  Hr.  Prof.  Müller  nicht 
bezweifeln;  denn  sprachlich  ist  es  durchaus  begründet,  dass 
wenn  nagcczsivELV  verlängern,  dehnen  heisst,  icoqlov  nagatE- 
xayLEVov  die  durch  Verlängerung  (der  Linie)  gewonnene  Fläche 
bedeuten  kann. 

Hr.  Prof.  M.  vermuthet,  dass  einige  Worte  ausgefallen  sind; 
seine  eigne  frühere  Meinung  scheint  er  zurückgenommen  zu 
haben. 

Der  übrigens  sachkundige  Recensent  in  der  Schulzeitung 
(Litteraturblatt  1827,  II  Nr.  5)  scheint  gegen  das  Schriftcheu 
etwas  eingenommen  zu  seyn  wegen  des  darin  herrschenden  Stu- 
dententones, was  bei  solchen  Tirociniis  eine  leicht  verzeihliche 
Schwäche  ist.  Er  billigt  zum  Schluss  die  meisten  Erklärungen 
der  einzelnen  Worte,  nur  die  des  Wortes  jtaQUTEivco,  drüber- 
hinausziehen,  misbilligt  er  ohne  hinreichenden  Grund.  Denn 
wenn  auch  nagä  in  andern  Compositis  in  der  Sprache  der  Ma- 
thematiker eine  andre  Bedeutung  haben  sollte,  —  wovon  jener 
Rec.  keine  Beweise  oder  Stellen  anbringt;  r'as  von  Mollwei- 
de p.  39  verglichene  ttccgccxE lö&ccl  beweist  nichts,  indem  eine 
Präposition,  mit  einem  Verbum  der  Ruhe  verbunden,  eine  an- 
dre Bedeutung  haben  muss,  als  wenn  es  mit  einem  Verbum, 
das  eine  Bewegung  und  eine  zu  bewirkende  Richtung  bezeich- 
net, zusammengesetzt  ist,  —  so  folgt  daraus  durchaus  nicht, 
dass  itaqazzivuv ,  wobei  doch  gewiss  xeLveiv  der  Hauptbegriff 


166  Griechische  Litteratur. 

bleibt,  falsch  erklärt  sei;  denn  ^den  bestimmte?!  Sinn  des  Wor- 
tes in  technischer  Bedeutung"  kennen  wir  ja  nicht.  Der  Rec. 
hätte  diesen  durch  Stellen  nachweisen  sollen ;  dann  war  der 
Einwurf  begründet.  Dass  es  wirklich  ein  mathemat.  Kunstaus- 
druck sei,  dies,  aber  auch  weiter  nichts,  erhellt  aus  der  von 
mir  p.  14  citirten  Stelle  aus  Plato  de  rep.  VII  p.  521,  A,  die  Hr. 
Stallbaum  nicht  hätte  als  Beleg  für  die  Richtigkeit  der  von 
mir  gegebnen  Erklärung  jenes  Wortes  anführen  sollen.  Sehr  un- 
passend vergleicht  jener  Rec.  das  schon  von  Mollweide  benutzte 
Wort  itaQccßahksiv.  Dass  dies  ein  Parallelogramm  construiren 
heisst,  liegt  blos  in  dem  Begriffe  ßdlXEiv,  weil  man  sich  ein  Paral- 
lelogramm als  entstanden  denken  kann  durch  Aufrollen  (Aufwer- 
fen) eines  umwickelten  Stabes.  Ob  das  itccgatsiveiv  vielleicht  an- 
derwärts bey  den  griech.  Mathematikern  vorkommt,  darüber 
giebt  vielleicht  einmal  ein  in  dieser  Litteratur  belesener  Mann 
uns  Aufschluss.  Jener  Rec.  giebt  keine  eigne  Erklärung  und 
bezweifelt  mit  Klügel  die  Möglichkeit  derselben.  Auch  er  bil- 
ligt nicht  ganz  den  mathemat.  Excurs,  was,  wie  schon  bemerkt, 
ganz  indifferent  ist;  nur  durfte  er  mir  nicht  einen  Fehler  ^QSen 
die  wissenschaftliche  Methode  vorrücken ,  insofern  ich  den 
speciellen  Fall  vor  dem  allgemeinen  abgehandelt  habe.  Denn 
p.  29  entschuldige  ich  mit  einem  ganz  natürlichen  Grunde  die- 
sen von  mir  selbst  dort  gerügten  Verstoss.  Dass  %goqlov  zuwei- 
len für  Figur  vorkomme,  wusste  ich  gleichfalls  schon  selbst, 
was  jener  Rec.  aus  p.15  sehen  musste.  Mit  Recht  verwirft  Rec. 
die  von  mir  beiläufig  erwähnte  Conjectur  Tqvds  öo^slöav  als 
grammatisch  falsch ;  auch  war  sie  ganz  unnöthig ,  denn  rj  öo- 
%ü6a  yQa[i[ir]  heisst,  wie  ich  jetzt  glaube,  liuea,  qualis  data 
est,  data  alicuius  lineae  longitudo.  Welche  Linie  gemeint  war, 
sah  Menon  aus  der  Construction,  die  vor  seinen  Augen  gemacht 
wurde;  durch  die  grammatische  Form  ist  nichts  demonstrativ 
hinweisendes  auf  eine  bestimmte  Linie  gegeben.  Er  verbessert 
in  der  mathematischen  Demonstration  p.  S4  ein  Versehen ,  wo 
die  Ausdrücke  maior  und  minor  vertauscht  sind.  Das  bei  itccQa- 
TSLvavrog  zu  supplirende  tivog,  was  auch  jener  Rec.  billigt,  ent- 
schuldigt sich,  wie  ich  jetzt  glaube,  besser  durch  den  Sprach- 
gebrauch der  mathematischen  Schulen,  die  vielleicht  bei  der 
häufig  bei  Constructionen  wiederkehrenden  Formel :  wenn  man 
etc.,  das  twoq  durch  eine  gebräuchliche  Ellipse  ausliessen,  als 
durch  die  von  mir  beigebrachten  Stellen,  zu  denen  ich  noch 
Poppo  Proleg.  ad   Thucyd.  I  p.  120  hinzufügen  könnte. 

Nun  einiges  zurBeurtheilung  der Stallbaum'schen  Erklärung. 
Rec.  möchte  gern  das  harte  Urtheil,  welches  er  über  diesen  Ver- 
such eines  so  achtbaren  Gelehrten  aussprechen  muss,  unter- 
drücken, aber  er  kann  nicht  verhehlen,  dass  Ilr.  St.,  wenn 
er  als  Herausgeber  des  Menon  diese  Stelle  berühren  musste, 
besser  gethan  hätte,  irgend  einender  früheren  Versuche,  z.  B. 


lieber  drei  mathcmat.  Stellen  im  Menon.  167 

den  von  Mollweide,  abdrucken  zu  lassen,  als  denseinigen  mitzu- 
theilen.  Denn  falsch  zwar  können  alle  frühere  seyn,  aber  keiner 
kann  in  dem  Grade  unwissenschaftlich  seyn.  Die  dahin  gehöli- 
gen Schriften  scheint  Hr.  St.  nicht  mit  der  nöthigen  Aufmerk- 
samkeit gelesen  zu  haben.  Den  consequenten  Mathematiker 
Mollweide  lässt  er  dem  Worte  nctQUXElvELV  eine  zweifache, 
durchaus  von  einander  verschiedene  Bedeutung  beilegen,  indem 
er  sowohl  die  Erklärung  dieses  Wortes,  die  Ilec.  allein  zu  ver- 
antworten hat,  mit  dessen  eigenen  Worten  Mollweiden  aufdrängt, 
als  auch  die  von  jenem  wirklich  gegebne  ihm  zuschreibt.  Hr. 
St.  schwankt,  und  hält  lieber  beide  für  richtig,  was  an  sich 
unmöglich  ist,  ja  er  glaubt,  dass  das  Wort  an  dieser  Stelle 
beide  Bedeutungen  zugleich  habe,  so  dass  es  erst  verlängern 
und  dann  gleich  drauf  ein  Parallelogramm  construiren  heisse. 
Zugleich  bekommt  die  Präposition  nccQU  an  einer  und  derselben 
Stelle  eine  doppelte  Bedeutung,  indem  es  in  ticcqccxsivelv  drüber 
hinaus  und  dann  neben  heissen  soll.  Ja  dann,  wo  es  zur  Er- 
klärung der  Stelle  selbst  kommt,  behält  JiccQuxzlvuv  nicht  ein- 
mal eine  von  jenen  beiden  Bedeutungen,  sondern  Hr.  St.  corri- 
girt  durch  eine  ihm  leicht  (?)  scheinende  Aenderung  nuQaxü- 
vaöav  st.  nagaxüvavTa  und  übersetzt  TtccQuxElvuGcc  mit  intran- 
sitiver Bedeutung  ulterius  protensa  s.  ulterius  porreeta  mit  der 
Bemerkung:  „Nam  nuQUXEivEiv  nunc  intransitiva  significatione 
aeeipiendum.  Qui  usus  nihil  habet  insolentiae,  sie  enim  p.  85  B 
et  sexcentis  aliis  locis."  ltec.  sagt  dagegen :  so ,  wie  Hr.  St. 
es  nimmt,  kommt  es  bei  den  Mathematikern  nie  vor,  und  will 
zeigen ,  dass  wo  man  es  so  erklären  zu  können  glaubt ,  immer 
eine  Täuschung  zum  Grunde  liegt.  Warum  sagen  die  Alten  rj 
ygunnrj  xeLvei,  vtioxelvei  etc?  weil  sie  sich  den  Winkel  immer 
in  Verbindung  mit  dem  Kreisbogen  dachten ,  der  sein  Maas  ist. 
So  ist  z.  B.  die  Hypotenuse  ganz  einfach  die  Linie ,  die  den  Bo- 
gen, der  das  Maas  des  rechten  Winkels  ist,  als  Sehne  spannt, 
mithin  behält  es  durchaus  hier  seine  etymologische  Bedeutung 
spannen.  Wenn  es  nun  in  der  von  Hr.  St.  aus  dem  Menon  an- 
geführten Stelle  p.  85  B  heisst :  änö  xrjg  E'K  yeaviag  ag  yaviav 
xsivovörjs  (fQccnii'rjs),  so  heisst  hier  die  Diagonale  xslvovöa,  weil 
sie  den  Bogen  des  der  Diagonale  gegenüberliegenden  Winkels 
spannt.  Daraus  folgt  zur  Genüge,  dass  xeivelv  nicht  eben  so 
von  der  Richtung  einer  Linie  gesagt  werden  könne,  die  keinem 
Winkel  gegenüberliegt,  dessen  Bogen  sie  als  Sehne  spannen 
könnte. 

Ich  übergehe  eine  andere  grammatische  Schwierigkeit, 
insofern  einige  Worte  durch  eine  das  Verständniss  erschwerende 
Construction ,  als  stünden  sie  zweimal ,  doppelt  verstanden 
werden. 

In  mathematischer  Hinsicht  aber  ist  die  Erklärung  —  Hr. 
St.  verzeihe  mir  den  Ausdruck  —  ein  Unding,     Hr.  St.  verlän- 


Griechische  Litterat ur. 

gert  ganz  nach  Beliehen  eine  Linie,  ohne  dass  in  den  Worten 
Piatons  oder  durch  die  Beschaffenheit  der  entstandenen  Figur 
nur  die  geringste  Andeutung  liegt  von  einer  Gränze,  wie  weit 
man  verlängern  solle.  Ueher  der  durch  die  heliebige  Verlän- 
gerung der  Linie  entstandenen  Ausdehnung  derselben  wird  ein 
Parallelogramm  construirt,  das  gerade  so  gross  gemacht  ist, 
als  es  seyn  muss,  wenn  nach  Wegnahme  eines  gleichen  Stückes 
von  dem  gegebnen  Quadrate  (  s.  nachher)  dieses  dem  in  den 
Kreis  verzeichneten  Dreiecke  an  Flächeninhalt  gleich  ist.  Es 
ist  also  weiter  nichts  gesagt  als :  Wenn  man  soviel  wegnehmen 
kann,  als  vorher  hinzuzusetzen  beliebte,  sodass  man  sich  keinen 
Fall  denken  kann,  auf  den  die  folgenden  Worte:  ü  advvaröv 
l<5xi  rovro  Tta&slv,  anwendbar  wären.  Hier  hört  alle  Mathe- 
matik auf.  Das  eigenthümliche  der  Stallbaum'schen  Erklärung 
ist  nämlich  dies,  dass  IL  St.  nicht  wie  seine  Vorgänger  rovro 
ro  %coqiov  TQiycovov  verbindet,  sondern  rovro  rö  %cooiov  von 
dem  obigen  Quadrate,  das  in  dem  Gespräche  mit  dem  Knaben 
vorkam,  versteht,  und  rolycovov  adverbialisch  zu  avrci&rjvcci, 
bezieht.  Abgesehen  davon,  dass  dann,  um  dem  Missverständ- 
nisse vorzubeugen,  gewiss  gesagt  worden  wäre:  r.  r.  #.  ivra- 
&rjvai,  roiyavov,  so  hätte  diese  Aufgabe  blos  dann  mathema- 
tisch einen  Sinn,  wenn  von  einem  Quadrate  die  Rede  wäre,  das 
dem  einschreibbar  grössten Dreiecke  gleich  sei;  denn  welches 
Quadrat,  das  nicht  grösser  ist,  als  jenes  maximum,  liesse  sich 
nicht  als  ein  Dreieck  in  einen  Kreis  einschreiben?  Und  dass 
überhaupt,  wenn  man  von  diesem  Standpuncte  ausgeht,  nichts 
herauskomme,  beweist  der  vorliegende  Versuch. 

Wir  gehen  nun  über  zu  den  übrigen  Bemerkungen  über  das 
in  dieser  Ausgabe  gegebne. 

P.  70  B  (p.4  Stallb.)  schrieb  Buttm.  nach  demCod.Coisl. 
AttQiöcuoi  (aber  mit  66).  H.  St.,  der  dasselbe  schon  früher  ver- 
muthet  hatte,  findet  es  auch  durch  Flor.  X  bestätigt,  und  nahm 
es  gleichfalls  auf.  Da  diese  Verbesserung  richtig  scheint,  so 
sieht  man  daraus,  dass  an  der  nun  ganz  ähnlichen  Stelle  zu  An- 
fang des  Phädon  F.  A.  Wolf  (p.  7  seiner  Bemerkungen)  vor 
Ohaöiav  ohne  Grund  den  Artikel  rcov  einschob,  H  e  i  n  d  o  r  f  aber 
vor  dieses  Wort  ein  Coraraa  hätte  setzen  sollen.  Dies  beiläufig. 
—  Ibid.  ILSt.  giebt  mit  Bekker  vplv,  Rec.  billigt  dagegen 
durchaus  mit  Buttm.  die  andre  Lesart  tjfilv,  wegen  des  dann 
darinliegenden  sokratisch  ironischen  Seitenblicks  auf  die  Thes- 
salier ,  die  jetzt  auf  einmal  den  Ruhm  der  Weisheit  den  Athe- 
nern zu  rauben  drohen.  Die  Bemerkung  Buttmann's,  dass 
das  vyXv  frostig  und  nichts  sagend  sei,  hat  H.  St.  durchaus 
nicht  entkräftet.  —  P.  71  A  (p.  6)  ist  mit  Recht  B's.  Vermu- 
thung  roöovrov  st.  roöovrov  als  unnöthig  zurückgewiesen.  — 
P.  71  C  (p.  8)  finden  wir  mit  B.  den  Aor.  anayyslco^tv  st.  des 
Praes.,  was  II.  St.  aus  der  Mehrzahl  der  Mss.  giebt,   für  noth- 


Piatonis  Mcno.  Illustravit   Stallbaum.  169 

wendig.  Den  Codd.  ist  in  solchen  Kleinigkeiten  nicht  zu  trauen, 
und  hei  31atthiae  §  (nicht  p.)  517,  2,  den  H.  St.  citirt,  findet 
sich  ja  an  den  meisten  Stellen  der  Aorist.  An  den  heiden  Stel- 
len, wo  das  Praes.  steht,  ist  dies  leicht  hegreiflich,  weil  von  ei- 
ner Handlung  die  Rede  ist,  die  in  demselben  Augenblicke  der 
Gegenwart  anfangen  soll;  was  an  unsrer  Stelle  nicht  der  Fall 
ist.  —  P.  71  D  (p.  10)  schreibt  H.  St.,  so  wieB.,  den  Impera- 
tiv uitov.  Rec.  zweifelt  noch  sehr  an  der  Richtigkeit  dieser 
Accentuation.  Ueber  die  einander  sich  widersprechenden  Ue- 
berlieferungen  der  alten  Grammatiker  und  der  Codd.  urtheile 
man,  wie  man  will ;  bei  einem  im  gewöhnlichen  Leben  so  häufig 
Aviederkehrenden  Worte  Ayar  eine  Unterscheidung  durch  den 
Accent gewiss  höchst  notliAvendig.  Ibid.  Inud^  xai  äneört,.  Ue- 
ber dieses  xal,  Avelches  von  den  Herausgebern  so  wenig  beach- 
tet Avird,  Avar  eine  Anmerkung  sehr  am  Orte,  um  auf  diesen 
Gräzismus  aufmerksam  zu  machen.  Es  findet  sich  p.  30  eine 
Andeutung  davon,  aber  dort  an  einer  ganz  unpassenden  Stelle. — 
P.  72  B  (p.  12)  schreibt  H.  St.  mit  B.  richtig  (isUtrrjg  ksqI  ov- 
öiag  st.  TttQL.  Wenn  aber  in  der  Anmerkung  auf  Hermann 
Soph.  0.  Col.  v.  85  venviesen  Avird,  so  ist  der  Punct,  Avorüber 
dort,  vorzüglich  aber  an  den  Stellen  der  alten  Grammatiker,  die 
Hermann  im  Sinne  hat,  gehandelt  Avird,  ein  ganz  andrer,  der 
hierher  nicht  gehört.  Nämlich  der  Streit  zwischen  Aristarch 
und  Ptolomäus  bei  Eustathius  —  man  vergleiche  auch  Apollo- 
nius  Dyscolus  p.  303  sq.,  Neophytus  ad  Theodorum  Gazam  p. 
1051  u.  1060  —  bezieht  sich  auf  die  Anastrophe  in  dem  Falle, 
avo  zwei  Worte  im  Prädicatsverhältnisse  stehen,  nicht  wo  der 
eine  von  dem  andern  regiert  wird.  Mithin  kann  kaum  in  die- 
sem Streite  der  Grund  der  Abweichung  der  Codd.  liegen,  oder 
Avenigstens  durfte  nicht  von  dieser  Seite  die  auf  jene  Varianten 
gegründete  Vermuthung  B's. ,  die  übrigens  auch  Rec.  nicht  bil- 
ligt, zurückgeAviesen  Averden.  —  P.  72  C  (p.  14)  ist  nach  Ms- 
vcov  ein  Colon  statt  des  früheren  Comma  gesetzt,  Avodurch  die 
Construction  sich  ändert. —  Ibid.  (p.  15)  Das  Praes.  %bv  aitoxQi- 
v6[isvov  war  mit  B.  beizubehalten  und  nicht  mitBekker  mit 
a7toxQLVcc[i£VOV  zu  vertauschen.  Augenscheinlich  ist  der  Aor. 
Avie  das  Fut.,  Avas  in  andern  Codd.  sich  findet,  spätere  Emenda- 
tion.  Das  Partie,  praes.  hat  bei  gewissen  Wörtern  sehr  häufig 
ganz  seine  Tempus -Bedeutung  verloren  und  dient  geradezu  als 
Substantiv.  Vgl.  Soph.  Antig.  v.  239  u.  325:  6  dgäv  der  Thäter. 
H.  St.  behauptet,  der  Aorist  sei  oft  ganz  zeitlos,  und  gebe  den 
blosen  Begriff  des  Worts.  Gut ;  aber  nur  sind  dabei  die  Modi  zu 
unterscheiden.  Vom  Particip.  Avird  H.  St.  dies  nicht  beAveisen 
können,  nicht  einmal  vom  Indicativ ;  denn  wenn  dieser  die  Be- 
deutung des  allgemein  geltenden  hat,  da  ist  er  nicht  wirklich 
zeitlos,  sondern  ein  vergangner  Fall  Avird  als  Norm  für  alle  übri- 
gen genommen  und  so  durch  einen  Schluss ,  dass  es  auch  jetzt 
und  künftig  so  sein  werde,  erst  die  Bedeutung  des  allg.  gelten- 


170  Griechische  Litteratur. 

den  bewirkt.  So  ist  nicht  allein  die  Stelle  aus  Hom.,  über  wel- 
che Herrn,  de  emend.  rat.  g.  g.  p.  190  sq.  spricht  und  wo  der 
Schol.  Venet.  die  richtige  Ansicht  hat ,  sondern  überhaupt  alle 
zu  erklären,  wo  der  Aor.  die  Bedeutung  pflegen  haben  soll.  Vgl. 
Dissen  de  temp.  et  modis  verbi  graeci  p.  18.  —  P.  73  D  (p.  19) 
hat  H.  St.  die  vielbesprochne  Stelle  ccqiuv  occpts  üvav  sehr 
glücklich  emendirt.  Die  diplomatisch  leichte  Aenderung  ol'avts 
hebt  alle  Schwierigkeiten,  wie  in  der  vortrefflichen  Anmerkung 
gezeigt  ist.  —  Ibid.  (p.  20)  begreifen  wir  nicht ,  wie  H.  St.  an 
den  Worten  stl  yccg  aal  rods  öxotzsl  und  an  der  Partikel  yaQ 
Anstoss  nehmen  und  Conjecturen  versuchen  konnte.  —  P.  73 
E  (p.  51)  billigen  wir  nicht,  dass  IL  St.  hier,  u.  p.  24,  wo  der- 
selbe Ausdruck  wiederkehrt,  oTLxeci  aXXa  eötl  6%r^iata  geschrie- 
ben hat  st.  fort.  Auf  alla  liegt  ein  zu  grosser  und  ausschliess- 
licher Nachdruck,  als  dass  nicht  sörl  mit  seiner  enklitischen 
Accentuation  sich  anschliessen  sollte.  —  P.  7-1  A  (p.  22)  hal- 
ten wir  den  Nimbus  von  Stellen  in  einer  nicht  im  geringsten  be- 
fremdenden Satzanknüpfung,  worin  II.  St.  ein  Asyndeton  findet, 
für  überflüssig  und  störend  für  die  Tirones.  Wir  Deutschen  re- 
den eben  so.  Richtig  ist  das  statt  des  Punctes  nach  ns7i6v&tt- 
fiEV  gesetzte  Colon.  —  P.  7-1  D  (p.  25)  zeigt  H.  St.  in  einer 
gründlichen  und  ausführlichen  Anmerkung,  dass  öötig  nie  für 
das  Fragwort  xig  stehe.  Da  kaum  zulässig  ist,  mit  den  frühe- 
ren Herausgebern  ein  Kiys,  oder  ärtoxQLVOv  zu  suppliren,  so 
konnte  H.  St.  nach  Rec.  Meinung  getrost  Gedike's  Verbes- 
serung xl  auch  in  den  Text  aufnehmen.  Das  unerwartete  An- 
heben einer  Frage  veranlasste  jene  Corruptel. —  P.75A(p.  30), 
iva  xal  ysvrjTai,  wo  das  xcci  auf  ganz  gewöhnliche  Weise  ge- 
setzt ist  und  zu  den  folgenden  Worten  Ttgög  trjv  cctcoxq.  71bq\ 
rrjs  «ogT^g  gehört,  sind  unnöthig  Stellen  verglichen.  Beson- 
ders findet  eine  störende  Verwechslung  statt  mit  dem  aal  nach 
Fragwörtern  und  Relativen,  welches  selbst  wieder  zwei  unter 
sich  ganz  verschiedne  Fälle  sind.  Rec.  wird  nächstens  in  ei- 
nem Excurs  zu  einem  andern  Schriftsteller  über  den  griechi- 
schen Gebrauch  dieser  Partikel  ein  weiteres  bemerken.  —  P.75 
C  (p.  32)  ist,  was  schon  Heusd  e  und  Heindorf  vorgeschla- 
gen hatte,  sfav  dem  Menon  gegeben,  so  dass  dessen  Rede  nicht 
unterbrochen  wird.  II.  St.  verweist  zugleich  auf  seine  Anmer- 
kung zum  Eythyphron  p.  88.  Nicht  übergehen  durfte  H.  St. 
auch  den  für  jene  Emendation  sprechenden  Grund,  dass  diese 
Partikel  beiFicinus  nicht  übersetzt  ist,  was  eher  möglich  war, 
wenn  es  in  der  Mitte  der  Rede  stand,  als  wenn  es  eine  beson- 
dere Erwiederung  des  Socrates  war.  —  P.  75  D  (p.  33)  miss- 
fällt uns  die  Anmerkung  über  das  6  £Qcorc6[ievog.  Schleierm. 
und  Buttm.  billigten  die  Emendation  des  Cornarius  6  ipö- 
fisvog.  H.  St.  ohne  einen  Grund  anzuführen,  selbst  nicht  ein- 
mal den  von  Gedike  und  Ullrich  aus  der  Sokratischen  Un- 


Platonw  Mcno.     Illustravit  Stallbanm.  171 

terrichtsweise  entlehnten,  der,  wenn  dies  auch  in  diesem  Zu- 
sammenhange der  Stelle  etwas  befremdend  bleibt,  docli  allein 
die  Schwierigkeit  zu  heben  vermochte,  übersetzt  einfach  die 
Stelle,  und  daraus  soll  folgen,  dass  6  SQCjrauivog  richtig  sei. 
Aber  II.  St.  fühlt  das  Unpassende  dieses  Wortes  selbst;  er  be- 
hält es  nicht,  sondern  will  mit  dem  Cod.  Flor,  den  Artikel  o  weg- 
lassen, so  dass  zu  dem  jtgogopoloyy  als  Subj.  xig  supplirt  wer- 
de. Ob  durch  diese  Emendation  etwas  gewonnen  wird,  zweifelt 
Ilec. ;  denn  wenn  auch  das  schleppende  Particip.  f ocjTc^ufvog 
entschuldigt  werden  könnte,  so  wird  doch  eine  besondere  Be- 
ziehung der  im  Gespräch  gegenüberstehenden  Personen  noth- 
w endig  erwartet,  und  durch  das  supplirte  xig  sehr  mangelhaft 
erreicht.  So  viel  ist  gewiss,  dass  II.  St.  6  SQaxd^iBVog  nicht 
vertheidigt  hat;  für  jetzt  muss  man  sich  also  mit  Ullrich  da- 
bei beruhigen,  dass  der  31itsprecher  in  einem  Sokratischen  Ge- 
spräch füglich  der  Befragte  genannt  werden  könne.  —  P. 75  D 
(p. 34)  ist  richtig  mit  Bekker  aus  Mss. aufgenommen  xslsvxijV 
uutelg  xi;  xoiövöc  liya  etc.  Man  vergleiche  gleich  darauf: 
xcöl;  IniTttSov  nalstg  xi — ;  statt  nüvxa  xctvxa  vermuthete 
auch  Rec.  nävxa  yaQ  xccvxcc,  wie II.  St.  vorschlägt;  doch  ist  die 
Aenderung  nicht  durchaus  nothwendig. —  P.  76  E.  (p.  39.)  'ADÜ 
ovx  böxlv,  a  Ttal  '4k8%idrjtiov,  cog  ipavxov  TtcLfta.  Hier  nimmt 
II.  St.  mit  B.  ein  Anakoluth  an.  Rec.  vermuthet,  dass  ovx  höxcv 
tag  zu  verbinden  und  ebenso  zu  erklären  sei,  wie  das  bei  Tra- 
gikern so  häufige  ovx  sö&'  onsog,  so  dass  der  ganze  Ausdruck 
auf  das  vorhergehende  xQccyix^  yccg  iötiv  etc.  sich  bezöge  und 
Socratesmit  ironischer  Parodie  selbst  in  den  tragischen  Ton  ein- 
stimmte. Freilich  sollte  man  dann  eher  das  Fut.  erwarten.  — 
P.  77  B  (p.  40)  ist  dvvttö&at,  gegen  Buttm.  richtig  erklärt  sc. 
xedec.  II.  St.  konnte  zum  Beleg  das  gleich  darauf  folgende  tco- 
qi&öQui  anführen.  Man  vergleiche  auch  p.  78  B:  oxi  i'ötiv  r} 
dgBxri  ßovk£6&cd  xe  xuyaftü  ttal  dvvaöftui. —  P.  78  B(p.43) 
hätte  II.  St.  nicht  mit  B.  die  von  Schleierm.  früher  vorge- 
schlagne und  später  zurückgenommene  Aenderung:  tourou 
xov  hzyßtivTog,  billigen  sollen.  Besser  würde  freilich  gefallen, 
was  Il.St.  dann  erwartet:  xovtov  cjfiokoyrjfiivov,  aber  xovxov 
telühxog  ist  offenbar  dasselbe.  —  P.  78  C  (p.  44)  hat  H.  St. 
bei  tö  xayu&ü  nach  Codd.  mit  Bekker  richtig  den  einen  Arti- 
kel herausgeworfen,  aber  hoffentlich  doch  wohl  nicht  das  xo 
sondern  ra;  daher  schreibt  Rec.  lieber  deutlich  xo  ayu&a  st. 
xaya&d.  —  P.  78  E  (p.  4fi,  47)  heisst  es  in  der  Anmerkung: 
„Notabilisusus  vocis  ccnogicc,  quae  hoc  loco  xcp  tioqcö  sive  quae- 
stuisic  opponitur,  utsignificet  abstinentiam  a  quaestu  faciundo." 
Nein.  cuiooLu  behält  seine  Bedeutung  Vnvermögen  und  noQog 
heisst  in  der  ganzen  Stelle  nicht  qnaestus,  sondern  facultas 
suppeditandi,  acquirendi.  - —  P.  79  B  (p.  49)  nimmt  II.  St.  seine 
frühere  Conjectur  xi  ovvdrj',  USIK.  xovxo  Myco,  in  den  Text 

Jahrb.f.FhU.  u.Pädag.  Jahrg.lW.  Heftt'  J% 


172  Griechische  Litteratur. 

auf.  Rec.  neigt  sich  mehr  zu  Heusde's  Meinung  hin,  der 
diese  Worte  zusammen  dem  Socrates  beilegt.  Rec.  schweben 
dahei  ähnliche  Stellen  aus  Cic.  vor.  Laelius  §  42 :  Quorsum  haec  *? 
quin  cet.  Cato  maj.44:  quorsum  igitur  tarn  multa  de  voluptatel 
quia  cet.  §  13:  Quorsum  tarn  multa  de  Maximo?  quia  profecto 
videtis  cet.  —  P.  79  C  (p.  50)  schreibt  II.  St.  ohne  ein  Wort  zu 
bemerken,  vermuthlich  aus  Mss.,  noXXov  ösi  ö'  bItibIv  statt  des 
gewöhnlichen  noXlov  dsig  slnslv,  was  Rec.  allein  richtig 
scheint.  —  Ibid.  schreibt  II.  St.  mit  Buttm.  und  Bekk.  aus 
iCod.u.Fic.  bI  st.  rj.  Als  Rec.  sl  las,  ohne  zu  wissen,  dass  es 
eine  Neuerung  sei,  cönjicirte  er  ij.  Nach  Rec.  Meinung  ist 
die  Stelle  durch  jene  Emendation  corrumpirt  worden.  Man 
vgl.  den  Zusammenhang,  vorzüglich  die  folgenden  Worte :  tovto 
ytxg  b6xl  Xeysiv  cet.  Der  Sinn  ist:  oder  meinst  du  vielleicht 
cet.  1  Denn  diese  Meinung  verräth  einer,  wenn  er  sagt  etc.  Bei 
dieser  Gelegenheit  wird  die  Bedeutung  des  tl  —  äv  mit  Opt.  er- 
klärt. —  P.  79  E  (p.  52)  halten  Mir  mit  Buttm.  für  hart,  zu 
dstföBödcii  skblvov  zu  supplireu,  Avas  II.  St.  thut.  Es  muss  durch- 
aus dtqösö&ai  hier  die  Bedeutung  von  Ötrjösiv  haben;  und  eben- 
so ist  es  kurz  vorher  p.  79  C  gebraucht. —  P.  80  A  (p.53)  hätte 
H. St.  mit  Buttm.  aus  einigen Codd.  die  Lesart  Oro^i«  st.  öojixo: 
aufnehmen  sollen;  denn  hätte  Piaton  öco^ia  geschrieben,  so 
würde  aus  leicht  begreiflichen  Gründen  öcö^a  vor  tyvyriv  stehen. 
—  P.  80  C  (p.  55)  ist  richtig  die  Lesart  der  Codd.  jrfol  a.QBtrtg 
o  böTiv  vertheidigt.  Denn  jenes  ist  dem  Sinne  nach  =  tr^v  ov~ 
6iav  rrjg  ägETrjg.  Es  konnte  verglichen  werden  p.  72  C  (p.  15): 
Zxeivo  dqXcoöai,  o  zvy%ävu  ovöoc.  agtry].  - — P.80E.  (p.57.)  böxv 
et.eötl.  Ibid.o  y  oüöaaus  Stob. u. Cod.  Flor.  —  P.81  A  istder  Arti- 
kel vor  IbqbmSv  weggelassen,  was  schonButtm.  wollte. — P.  81 B 
ÖE^rjtat  u.  81 E  uXXcc  nag  st.  äXl'  eexkoog  aus  Stob,  und  2  Codd. — 
P.  82  B  (p.  65)  wäre  nach  Schleiermacher's  Vorgange 
(siehe  Buttm.)  eine  Würdigung  der  Socratischen  Mäeutik  am 
Orte  gewesen.  EinCandidat,  der  bei  uns  ein  solches  Specimen, 
seiner  heuristischen  Methode  gäbe,  würde  füglich  durchfallen. 
1 —  P.  82  E  (p.  67)  bestimmen  uns  die  beiden  von  Buttm.  ange- 
führten Gründe,  die  Lesart  tovtav  für  die  richtige  zu  halten. 
H.  St.  behält  tovtov.  —  P.82E  (p.67)  brauchte  die  Wahl  zwi- 
schen den  Lesarten  oxraxovg  u.  öxtumovg  nicht  durch  die  blose 
Auctorität  der  Codd.  bestimmt  zu  werden.  Aus  der  Lehre  von 
der  attischen  Wortbildung  musste  gelehrt  werden,  dass  in  den 
Compositis,  deren  zweiter  Theil  ein  Substantiv  ist,    das  Zahl- 

wort  keinen  Umlaut  annimmt ,  hingegen  die  mit  — nkovg  und 

stkuGiog  zusammengesetzten  den  Bindevocal  a.  annehmen.  Vgl. 
Elmsley  ad  Eurip.  Med.  p.  278  not.  ed.  Lips.  —  P.  84  C. 
(p.  73.)  ou  xal  ävBvgqöEi.  «tat,  was  hier  nock,  ausserdem 
heisst,  ist  unpassend  mit  dem  xccl  nach  Fragwörtern  verglichen. 
o  tv  richtig  st.  ozl  nach  Schleiermacher's  Vorgange.  — 


PlatonU  Mcno.     lllustravit  Stallbaum.  173 

P.  84  D.  (p.  74.)  Statt  des  „cansulto  tacemus,  cur"  cct.  wäre 
eine  deutliche  Darlegung  der  Grüude  den  jungen  Lesern  sehr 
ersprieslichund  gewiss  erwünscht  gewesen. —  Ibid.  ist  die  sehr 
wichtige  Variante  rovrcov  (st.  toutov),  die  in  den  besten  Codd. 
sich  findet,  ganz  mit  Stillschweigen  übergangen,  ltec.  tritt 
li  utt  in. 's  Meinung  bei,  dass  jenes  rovrcov  die  richtige  Lesart 
sei  und  statt  tibqI  rovrcov  stelle.  Vgl.  Butt,  zu  §  7  not.  2.  — 
P.  85  C.  (p.  78.)  reo  ovx  bIöotl  ccqcc.  Leber  diese  Stelle  war 
eine  bestimmtere  und  klarere  Erörterung  nöthig.  Rec.  urtheilt 
so :  Entweder  ist  der  Satz  jisql  cov  av  ^irj  tldy  ein  eigentlich 
entbehrlicher  Zusatz,  den  die  weitschweifige  Ausführlichkeit 
des  Socrates  mit  sich  bringt ;  dann  hat  allein  II  e  i  n  d  o  r  f  Hecht, 
wenn  er  übersetzt :  qui  nescit,  quidquid  iüud  es/,  cuius  est  ne~ 
scius,  und  es  durften  Hut  tm.,  Lllrich  und  H.  St.  keine  wei- 
tere Erklärung  jenes  an  sich  einfachen  Gedankens  hinzusetzen; 
oder  es  liegt  ein  tieferer  Sinn  darin;  dann  reicht  man  nicht 
mit  einer  Lebersetzung  oder  Paraphrase  aus,  sondern  es  musste 
erörtert  werden,  worin  die  Schwierigkeit  liege.  Nämlich  das 
ovx  bIöevccl  wäre  dann  in  doppelter  Bedeutung  genommen,  wor- 
auf vielleicht  auch  die  doppelte  Construction  dieses  Wortes  aa 
unsrer  Stelle  hinweist.  Es  wäre  1)  =  äyvoelv,  das  absolute 
Nichtwissen  einer  Sache  nach  dem  gewöhnlichen  Sprachge- 
brauche im  Leben,  und  2)  =  ovx  IniöraG^at-,  d.  i.  das  nach 
Socratischer  Ansicht  noch  nicht  zum  Bewusstsein ,  zum  Durch- 
bruch gekommene  Wissen,  welches  aber  insofern  nicht  ein  ab- 
solutes Nichtwissen  ist,  weil  ja  das  Wissen  dunkel  in  der  Seele 
liegt  vermöge  der  ö6£cu.  Es  wäre  dann  zugleich  die  Negation 
des  Wissens  in  plülosophischer  Bedeutung,  d.  i.  der  deutlichen 
Vorstellung  von  der  wahren  Beschaffenheit  der  Sache.  Dann 
wäre  also  der  Sinn  mit  andern  Worten :  ööng  äyvoEÖ  xt,  ortovv 
av  y ,  äxs  ovx  £7CLöTa^iBvog  rovro,  ov  ^tlv  ETciörarat,  dlK  b\ucog 
evEiöt  avrcö  ahq%&iq  Öo^ai  jieql  rovrcov,  cov  ovx  oide.  Dies 
6ch webte  II.  St.  vor,  nur  durfte  er  nicht  in  der  Lebersetzung 
habere  polest  sagen,  sondern  habet.  Ob  der  erste  oder  zweite 
Fall  wirklich  hier  statt  finde,  mag  Rec.  nicht  entscheiden,  neigt 
sich  aber  zu  dem  erstem  hin ,  weil  diese  genauere  Darlegung 
der  Somatischen  Ansicht  hier  antieipirt  wäre. —  P.85  E.  (p.80.) 
MitBekk.  aus  Codd.  akXcog  rs  xcel.  Leber  dies  zuweilen  aus- 
gelassene xa\  wird  Belehrung  gegeben.  P.  85  E  (p.  81)  gefällt 
uns  sehr  H.  St.'s  Conjectur  ei  —  laßcov  ovx  ijdi]  rovro  örjlov 
etc.  Zwei  Codd.  geben  wirklich  ijörj,  was  freilich  die  andere 
Form  rjdr]  st.  rjÖEi  sein  könnte;  aber  kaum  findet  sich  ein  an- 
drer gleich  leichter  Weg  der  Emendation.  —  P.  86  A.  (p.  83.) 
Hier  und  früher  p.  61  ist  bemerkt,  dass  zur  Zeit  der  Abfassung 
des  Menon  Piaton  seine  Ansichten  über  manche  Lehren  noch 
nicht  so  ausgebildet  hatte,  wie  sie  in  seinen  spätem  Schriften 
erscheinen.—  P. 86  D (p.85)  ist  richtig  gegen  B.  bemerkt,  dass 

12* 


174  Griechische  Litteratur. 

oivto  auf  die  virtus  nicht  auf  die  quaestio  zu  beziehen,  sei.  — 
P.  89  E  (p.  102  u.  103)  ist  zweimal  st.  avrog  nach  Struve'a 
Conjectur,  die  durch  den  Cod.  Flor,  bestätigt  wird,  "Avvxog 
aufgenommen ,  auch  die  Bedenklichkeit  B.'s ,  dass  wenigstens 
an  der  ersteren  Stelle  nichts  zu  ändern  sei,  glücklich  gehoben 
durch  die  richtige  Auffassung  des  oj  {isxccdäfisv,  quem  partici- 
pem  faciamus  i.  e.  itaque  eum  participem  faciamus.  —  P.  90  B. 
ccQStrjg  nEQi  richtig  erklärt  durch  de  virtute,  quod  attinet  ad 
virtutem.  Anders  Buttm.  —  P.  90  E.  (p.  106.)  Bei  ^toüvt«  (tavQd- 
veiv  können  wir  weder  Uli  rieh's  noch  Butt  ra. 's  Meinung 
beitreten ,  welchem  letztern  II.  St.  folgt.  Beider  Erklärung 
scheint  uns  hart.  Könnte  man  nicht  auch  hier  die  diplomatisch 
so  leichte  und  an  vielen  Stellen  nothwendige  Emendation  t,iq- 
rovvtog  anwenden,  so  dass  man  aus  dem  vorhergegangenen  xtg 
sxblvov  supplirte?  Dann  wäre  der  Sinn:  indem  (sodass)  dann 
jener  von  denen  zu  lernen  verlangen  würde,  die  cet.  —  P.  91 
A  (p.  107  J  vergleicht  II.  St.  in  der  Anmerkung,  um  die  Lesart 
einigerCodd.  ö£  st.  öol  wahrscheinlich  zu  machen,  unpassende 
Stellen,  wie  die  angeführte  aus  Cyrop.  2,  1,  15:  £%e6xc  ö'  vfxlv 
—  kccßövxag  öxlcc — l{ißcdv£iv:  denn  solche Participia  stehen  im 
Acc.  sehr  oft  beim  Inf.,  wenn  der  Dativ  vorausgegangen  ist, 
und  was  soll  überhaupt  diese  Stelle  beweisen,  da  ja  dort  v^ilv 
steht?  —  P.  91  C  (p.  108)  behält  H.  St.  ßy'jxs  döxov  (lyxs  ijg- 
vov ,  weil  er  die  allerdings  unbestimmt  ausgedrückte  Anmer- 
kung B.'s,  der  die  Genitive  hat,  nicht  verstehe.  Buttm.  meint, 
erst  standen  die  Genitive  övyysvcov  —  tplkcov,  weil  sie  alle 
Eine  Classe  bilden  (ol  cplXoi) ,  dann  aber  geht  Socrates  auf  ein 
andres  Genus  über,  so  dass  der  Grund  zum  Genitiv  wegfällt. — 
P.92  B.(p.  111.)  xai  ür\v  ys  ist  richtig  gegen  Buttm.  erklärt  vom 
"Wunsche.  So  schon  S  c  hie  ierm  ach  er.  —  P.  92  C  musste 
H.  St.  nach  Rec.  Meinung  F.  A.  Wolf 's  Conjectur  oloi  (st.  ot), 
die  durch  2  Codd.  bestätigt  wird,  mit  Bekk.  aufnehmen,  da  bg 
nicht  wie  das  Lat.  qui  qualis  bedeuten  kann.  Denn  es  handelt 
sich  dort  nicht  darum,  wer  jene  Sophisten  wären  (so  II.  St.), 
sondern  quales  sitd.  Zwar  behauptet  Heindorf  ad  Phaedrum 
§  46,  den  H.  St.  hätte  anführen  können ,  dass  ög  zuweilen  st. 
olog  stehe;  aber  die  dort  citirten  Stellen  sind  von  andrer  Art. — 
P.  94  B.  (p.  119)  Iva  8h  {it}  oUyovg  oey  xal  tovg  cpavXoxdxovg 
cet.  Die  Herausgeber  stossen  hier  an,  weil  Männer,  wie  Ari- 
stides  und  Pericles  kurz  vorher  erwähnt  sind.  H.  St.  hält  die 
Stelle  für  corrupt  und  schlägt  eine  Emendation  vor.  Itec.  meint, 
dass  die  Vergleichung  mit  dem  vorhergehenden  auf  das  oliyovg 
zu  beschränken  sei,  und  mit  dem  cpavloxdrovg  nicht  ein  zweites 
Prädicat  denselben  Personen  gegeben,  sondern  mit  einer 
nicht  ganz  wegzustreitenden  Nachlässigkeit  das  xal  (pavhoxd- 
zovg  darum  angeknüpft  sei ,  weil  dem  Schriftsteller  der  Nach- 
satz vorschwebte :  nKüözovs  xal  xovg  övvccxazdxovg  ovopdGa. 


Piatonis  Meno.     lllustravit  Stallbauiu.  175 

Ob  vielleicht  etwas  gewonnen  würde,  wenn  man  nach  einer  be- 
kanntlich leichten  Aenderung  jj  st.  xai  läse,  will  Rec.  derBeur- 
theilung  der  Leser  überlassen.  Was  II.  St.  conjicirt :  xairot  ov 
(pavkoxürovc;,  würde  Rec.  billigen,  wenn  st.  ol?;  gesagt  wäre  Ae- 
yyS,  _  P.04  D  (p.  121)  vertheidigt  II.  St.  ov  fuv  sdsi  8an., 
indem  er  ov  für  tv  olg  gesetzt  glaubt.  Diesen  Gebrauch  der 
Partikel  ov,  dass  es  ohne  Beziehung  auf  Raum  geradezu  für  in 
quibus  rebus  stehe,  musste  II.  St.  durch  Stellen  belegen.  Rec. 
hat  es  so  noch  nicht  gefunden.  Für  jetzt  gefällt  ihm  also  mit 
Buttm.  ol,  was  der  Auetor  dialogi  devirtute  giebt,  und  was  auch 
Reisig  ind.  enarratioOed.  Col.  p.  LXXII  billigt.  Wenn  dort  ol 
quam  in  parte/n,  in  welcher  Hinsicht,  von  Reisig  erklärt  wird, 
so  weicht  Rec.  für  diese  Stelle  von  seinem  Lehrer  ab,  und  giebt 
hier  dem  ol  die  Dativbedeutung  der  Richtung  nach  etwas 
hin,  so  dass  ol  soviel  ist  als  £tg  o,  wie  auch  dccTiaväv  construirt 
wird.  —  P.  96  E  (p.  129)  ist  richtig  aus  3  Codd.  dicccpevyEi  st. 
diacpsvyuv  geschrieben.  Nur  musste  II.  St.  durch  eine  klare 
Erörterung  der  inneren  Verschiedenheit  der  Sätze,  welche 
Buttm.  vergleicht,  von  dem  unsrigen  die  Notwendigkeit  dieser 
Aenderung  darthun.  Durch  das  blose  non  omni  es  parte  simi- 
lia  sunt  wird  nichts  gewonnen. —  P.  99  C.  (p.  140.)  Das  «A^ft?) 
xcel  jtoW.a  scheint  Rec.  eben  so  erklärt  werden  zu  müssen,  als 
wenn  nach  dem  bekannten  Gräzismus  noXla  nccl  äkrj&ij  gesagt 
wäre.  Die  Griechen  verbinden  jene  Quantitätsbezeichnung  mit 
andern  Adjectiven  durch  xal,  weil  sie  dieselbe  wie  ein  beson- 
deres Attribut  behandeln.  Mithin  konnte  das  xai  noXXcc  auch 
nachstehen.  —  P.  99  D  (p.  141)  ist  aus  einzelnen  indieiis  Codd. 
glücklich  durch  Emendation  hergestellt:  do£h%  ccq  «V  kkäoZ- 
fiev.  —  Ibid.  ft&Covg  xs  cet.  hat  H.  St.  nicht  richtig  aufge- 
fasst,  weil  ihm  ein  Gebrauch  der  Partikeln  ts  -  xcci  entging, 
insofern  dieses  oft  bedeutet  itt-sic  wie  ovrs-ovts  tit  non- 
sie  non.  Ueber  letzteres  vgl.  W  e  1 1  a  u  e  r  zu  Aesch.  Choeph.  256. 
Doch  soviel.  Möge  H.  St.  diese  Bemerkungen  mit  dersel- 
ben Gesinnung  aufnehmen,  mit  welcher  sie  geschrieben  wurden» 
Freuen  würde  es  Rec,  wenn  H.  St.  einiges  brauchbare  darin 
linden  sollte. 

Dr.   C.W  e  x    in  Pforta. 


Vergleichende  Sprachkunde. 


Lettre  a  M.  Abel  -  Remusat,  de  la  nature  des  j armes 
grammaticales  eu  gene'ral,  et  sur  le  Genie  de 
la   lang  tie  Chinoise  en  particulicr ,    par  M.  G.  de 


176  Vergleichende    Sprachkundc. 

Humboldt,     Paris,    ;i    la    librairie    Orientale    de     Dondey-Duprd, 
1827.  V1U  u.  123  S.  8.     1  Thlr.  14  Gr. 

JLFör  unterzeichnete  Referent  fühlt  sich  gedrungen,  um  jegli- 
chem Vorwurfe  der  Anmaassung  zu  begegnen,  gleich  im  Ein- 
gange dieser  Anzeige  zu  erklären,  dass  er  himmelweit  entfernt 
sei ,  eine  Schrift  zu  beurtheilen ,  deren  Verfasser  einen  weiten 
Cyclus  von  menschlichen  Sprachen  mit  der  objectiven  Kraft  sei- 
nes Scharfsinnes  und  Forschungsgeistes  zu  beherrschen  und  den 
allgemeinen  Gesetzen  des  in  Wort  und  Schrift  sich  offenbaren- 
den, über  Alles  waltenden  Geistes  zu  unterwerfen  vermag.  Wir 
glauben  im  Gegentheü  schon  allein  dadurch  etwas  recht  Er- 
spriessliches  zu  bezwecken,  wenn  wir  von  dieser  geistreichen 
und  gehaltvollen  Schrift  einen  treuen  Auszug  zu  geben  uns  be- 
mühen, um  auf  diese  Weise  unsre  philologischen  Leser  nicht 
(so  sehr  auf  die  feineren  Eigenthümlichkeiten  der  Chinesischen 
Sprache,  als  vielmehr  auf  die  ebenso  neuen  als  tiefsinnigen  An- 
sichten des  Verfassers  über  die  Natur  der  grammatischen  For- 
menüberhaupt und  ihre  Beziehung  zu  der  Chinesischen  Sprache 
aufmerksam  zu  machen. 

Vorstehende  Schritt  tritt  aus  dem  Gebiet  der  Grammatik, 
wie  wir  gemeinhin  das  Wort  nehmen ,  heraus.  Denn  wir  sind 
jetzo  oft  zu  sehr  in  der  Grammatik  befangen,  um  sie  mit  Frei- 
heit der  Ansicht  zu  beurtheilen:  dadurch  aber,  dass  man  sich 
von  der  fixirten  Form  der  classischen  Sprachen  mehr  losmacht, 
hat  wirklich  schon  das  Sprachstudium  heutzutag  einen  neuen 
Standpunct  gewonnen.  Durch  alle  menschlichen  Zungen  weht 
doch  zuletzt  nur  Ein  göttlicher  Geist,  der  nur  hier  und  da 
in  einer  mehr  oder  minder  geläuterten  Form  hervortritt.  Aus 
brieflichen  Mittheilungen  des  Herrn  Staatsministers  Freiherrn 
Wilh.  v.  Humboldt  hat  Referent  gelernt,  dass  die  Sprachen 
der  Südseeinseln,  die  bisher  grammatisch  noch  so  gut  als  gänz- 
lich unbekannt  waren,  grammatischer  sind  als  die  Chinesische, 
und  ungrammatischer  als  die  Amerikanischen.  Die  Griechische 
und  Römische  Literatur  ist  nie  durch  etwas  Anderes  erreicht 
worden ;  selbst  durch  das  Indische ,  dessen  Reichthum  in  Ele- 
menten und  Formen  allgemein  anerkannt  ist,  soll  man  ihr  kaum 
nahe  kommen.  Wenn  man  aber  dem  Baue  solcher  Sprachen 
nachgeht,  die  noch  gar  keinen  Grad  der  Bildung  erreicht  ha- 
ben, öffnet  sich  die  Geschichte  des  Menschengeschlechtes  selbst, 
und  in  den  alltäglichen  Ausdrücken  des  nur  mit  materiellem 
Bedürfen  und  Ergötzen  beschäftigten  Menschen  erkennt  man 
das  Gewebe  eines  über  alles  Bewusstsein  des  Individuums  hin- 
aus in  der  Masse  liegenden  Geistes, 

In  der  Vorrede  erklärt  der  Herausgeber,  Herr  Abel-Re- 
nuisa  t,  dass  dieser  Brief  seine  Entstehung  einem  gegenseitigen 
Ideenaustausch  zwischen  Herrn  W.  von  Humboldt  und  dem 


G.  de  Humboldt:  De  la  natura  des  formes  grammaticalcs.     1^7 

gedachten  Pariser  Professor  verdanke.  Einige  in  der  Berliner 
Akademie  der  Wissenschaften  vorgelesene  Abhandlungen,  wel- 
che Hr.  v.  H.  Französischen  Gelehrten  mittheilte,  schlugen  in 
das  Gebiet  der  allgemeinen  oder  besser  vergleichenden  Sprach- 
kunde ein,  und  veranlassten  Hrn.  lt.,  weil  das  Chinesische  fast 
unberücksichtigt  geblieben  war,  auf  diese  in  ihrer  Art  einzige 
Erscheinung  besonders  aufmerksam  zu  machen.  Compare'es 
sous  ce  rapport  au  samscrit  (heisst  es  weiter),  au  grec,  a  l'alle- 
maud,  et  aux  autres  idiomes  pciir  lesquels  M.  G.  de  Humboldt 
annoncait  une  juste  predilection,  la  langue  chinoise  offrait  des 
particularite's  qu'il  n'etait  plus  permis  de  negliger.  In  diesem 
Briefe  nun  hat  Hr.  v.  H.  seine  immittelst  gewonnenen  Ergebnisse 
über  den  Geist  der  Chinesischen  Sprache  und  ihr  Yerhältniss 
zu  andern  Sprachen  in  lichtvoller  Ordnung  niedergelegt ,  ohne 
jedoch  seine  Ansichten  zur  öffentlichen  Bekanntmachung  durch 
den  Druck  selbst  bestimmt  zu  haben.  Hr.  R.  aber  glaubte  sich 
mit  Recht  ein  Verdienst  zu  erwerben ,  wenn  er  das  Resultat  so 
tief  durchdachter  Forschungen  ans  Tageslicht  ziehen  und  in 
beigegebenen  Anmerkungen  seine  eigne  Ansicht  über  diesen 
oder  jenen  Punct  aussprechen  würde. 

Hr.  v.  H.  eröffnet  seinen  Brief  mit  dem  Lobe,  welches  er 
der  Cbinesischen  Grammatik  Re'musat's  und  dessen  Ausgabe 
des  Tchoüng-yoüng  ertheilt,  und  versichert,  dass  durch  beide 
"Werke  dieses  Studium  auf  bewundernswürdige  Weise  gefördert 
worden  sei.  Der  erste  Eindruck,  welchen  das  Lesen  eines  Chi- 
nesischen Satzes  zurücklässt,  vermag  uns  zu  überzeugen,  dass 
diese  Sprache  sich  fast  von  allen  unterscheidet,  die  man  kannte; 
allein  bei  Sprachen  muss  man  vor  allgemeinen  Urtheilen  auf  sei- 
ner Huth  sein.  Man  würde  schwerlich  ßagen  dürfen ,  die  Chi- 
nesische Sprache  unterscheide  sich  ganz  und  gar  von  allen  an- 
dern. Desshalb  will  Hr.  v.  H.  sich  hauptsächlich  an  die  classi- 
schen  Sprachen  halten,  so  oft  er  auf  die  Chinesische  im  Gegen- 
satz zu  andern  Sprachen  zu  sprechen  kommt.  Er  glaubt  den 
Unterschied,  welcher  zwischen  der  Chinesischen  und  andern 
Sprachen  statt  findet,  auf  den  einzigen  Hauptstandpunct  zurück- 
führen zu  dürfen,  dass  erstere,  um  in  ihren  Sätzen  die  Verbin- 
dung der  Wörter  anzudeuten,  keinen  Gebrauch  von  grammati- 
schen Kategorien  macht,  und  ihre  Grammatik  gar  nicht  auf  die 
Eintheilung  der  Wörter  gründet,  sondern  auf  andre  Weise  die 
Verhältnisse  der  Sprachelemente  in  der  Gedankenverknüpfung 
bestimmt.  Der  etymologische  Theil  der  Sprache  geht  der  Chi- 
nesischen ab  ;  sie  kennt  nur  die  Syntaxis.  Grammatische  Ka- 
tegorien nennt  aber  Hr.  v.  H.  die  den  Wörtern  durch  die  Gram- 
matik gegebenen  Formen,  d.  h.  die  Redetheile  und  die  übrigen 
darauf  sich  beziehenden  Formen.  Es  giebt  Wortarten,  welche 
gewisse  grammatische  Eigenthümlichkeiten  an  sich  tragen,  die 
mau  theils  au  den  den  Wörtern  selbst  anhängenden  Merkinaleu, 


178  Vergleichende  Sprachkundc. 

theils  an  der  Stellung  der  Wörter,  theils  endlich  an  der  Stel- 
lung der  Sätze  erkennt.  Schwerlich  besitzt  irgend  eine  Spra- 
che alle  diese  Formen;  allein  man  darf  behaupten,  dass  eine 
Sprache  sich  ihrer  zur  Bezeichnung  der  Wortverbindung  bedient, 
wenn  zum  wenigsten  die  Hauptformen  kenntlich  sind  und  wenn 
die  Natur  der  Sprache  den  Geist  der  sie  Redenden  an  sich 
trägt,  so  dass  man  jedes  Wort,  selbst  da,  wo  es  keine  unter- 
scheidenden Merkmale  darbietet,  einem  dieser  ltedetheile  zu- 
zutheilen  in  den  Stand  gesetzt  ist.  Die  Einth  eilung  der  Wörter 
nach  grammatischen  Kategorien  leitet  ihren  Ursprung  aus  einer 
doppelten  Quelle  her:  aus  der  Natur  des  Ausdrucks,  welcher 
mittelst  der  Sprache  dem  Gedanken  eingeprägt  ist,  und  aus  der 
»wischen  dem  letzteren  und  der  wirklichen  Welt  obwaltenden 
Aehnlichkeit.  Da  man  beim  Sprechen  die  Gedanken  durch  auf- 
einander folgende  Wörter  ausdrückt,  so  muss  in  der  Vereini- 
gung dieser  Elemente  eine  bestimmte  Ordnung  herrschen ,  auf 
dass  sie  das  Ganze  des  ausgedrückten  Gedankens  bilden  kön- 
nen ;  und  diese  Ordnung  muss  eine  und  dieselbe  sein  im  Geiste 
des  Redenden  und  des  Zuhörers ,  damit  beide  sich  gegenseitig 
verstehen.  Dieses  Gefühl  für  grammatische  Kategorien  wohnt, 
wenn  gleich  nur  dunkel,  in  uns.  Es  ist  demnächst  etwas  ganz 
Verschiedenes,  1)  nach  diesenFormen  zu  sprechen,  und  2)  sich 
durch  Untersuchung  zur  Kenntnis»  derselben  zu  erheben ;  denn 
der  Mensch  würde  weder  sich  selbst  noch  Andre  verstehen, 
wenn  diese  Formen  sich  nicht  wie  Urbilder  in  seinem  Geiste 
vorfänden,  oder,  um  deutlicher  zu  reden,  wenn  sein  Sprach- 
vermögen nicht  wie  durch  eine  Art  natürlichen  Instincts  den 
durch  diese  Formen  gegebenen  Gesetzen  unterworfen  Aväre. 
Die  grammatischen  Kategorien  stehen  in  engster  Verbindung  mit 
der  Einheit  des  Satzes ;  denn  sie  bezeichnen  die  Verhältnisse 
der  Wörter  zu  dieser  Einheit,  und,  wenn  sie  bestimmt  und  deut- 
lich erfasst  sind,  machen  sie  diese  Einheit  begreiflicher.  Die 
Verhältnisse  der  Wörter  müssen  sich ,  je  nachdem  die  Sätze 
länger  und  ineinander  verkettet  sind ,  vervielfältigen  und  ver- 
ändern, und  es  ergibt  sich  daraus  natürlich,  dass  das  Bedürf- 
niss,  die  Bezeichnung  der  grammatischen  Kategorien  bis  in  ihre 
letzten  Verzweigungen  zu  verfolgen,  überhaupt  aus  dem  Bestre- 
ben hervorgeht,  lange  und  verwickelte  Perioden  zu  bilden.  Da 
wo  selten  durch  Zwischensätze  die  Grenze  des  einfachen  Satzes 
überschritten  wird,  erfordert  die  Einsicht  nur,  dass  man  sich  die 
grammatischen  Formen  der  Wörter  genau  vorstellt,  oder  dass 
man  die  Bezeichnung  derselben  bis  zu  dem  Puncto  fortführt,  wo 
eine  jede  dieser  Formen  in  ihrer  ganzen  Individualität  erscheint. 
Es  genügt  alsdann  sehr  oft  zu  wissen,  dass  ein  Wort  Subject 
des  Satzes  ist,  ohne  dass  man  sich  genaue  Rechenschaft  darü- 
ber abzulegen  hätte,  ob  es  ein  Substantivum  oder  ein  Infiniti- 
vus  ist;  dass  ein  anderes  Wort  dadurch  ein  drittes  bestimmt, 


G.  de  Humboldt:  De  Ia  nature  des  formcs  grainmaticales.     171) 

ohne  dass  man  es  als  ein  Participium  oder  Adjectivum  ansehen 
müsste. 

Die  Wörter  werden  natürlich  unter  diejenigen  Kategorien 
gebracht,  zu  welchen  die  darzustellenden  Gegenstände  gehö- 
ren. Daher  gibt  es  in  jeder  Sprache  Wörter  von  substantivischer, 
adjeetivischer  uud  verbalischer  Bedeutung,  und  die  Begriffe 
dieser  drei  grammatischen  Formen  entspringen  sehr  natürlich 
aus  ebendenselben  Wörtern.  Aber  diese  können  auch  einem 
andern  Begriff  angepasst  werden:  was  also  seinem  Begriffe  nach 
substantivisch  ist,  kann  in  ein  Verbum  umgewandelt  werden, 
oder  umgekehrt.  Es  gibt  in  der  TJiat  Wörter,  deren  ideale 
Bedeutung  durchaus  nicht  ebendieselbe  Aehnlichkeit  in  der 
wirklichen  Welt  findet.  Demnach  hat  man  in  jeder  Sprache 
zwei  Wortarten  zu  unterscheiden:  1)  solche,  denen  ihre  Be- 
deutung, d.  h.  der  Gegenstand,  welchen  sie  vorstellen,  (Substanz, 
Thätigkeit  oder  Beschaffenheit)  eine  grammatische  Kategorie 
beilegt;  2)  solche,  die  nach  dem  Gesichtspuncte,  unter  wel- 
chem man  sie  betrachtet,  in  einem  höheren  Sinne  aufgefaßt 
werden  können,  als  eine  grammatische  Kategorie.  Wenn  eine 
Sprache  den  letzteren  die  Gestalt  der  Kategorien  gibt,  so  er- 
halten sie  wirklich  eine  grammatische  Bedeutung,  sie  werden 
Substantiva  oder  Verba.  Wenn  dagegen  die  Kategorien  dieser 
Wörter  unbestimmt  bleiben,  so  haben  selbst  diejenigen,  deren 
Bedeutung  die  grammatische  Kategorie  andeuten  wird,  keine 
grammatische  Geltung  mehr :  es  sind  bloss  Ausdrücke  von  Ver- 
bal- oder  Substantiv -Begriffen.  Man  kann  also  nur  dann  zu 
grammatischen  Kategorien  gelangen,  wenn  ein  Volk  darauf  aus- 
geht, seine  Sprache  zwar  als  eine  besondere,  aber  der  wirkli- 
chen ähnliche  Welt  zu  betrachten ,  in  jedem  Worte  ein  Indivi- 
duum zu  erblicken  und  kein  einziges  gelten  zu  lassen,  das  man 
nicht  irgend  einer  Gattung  zutheilen  könnte.  Dieses  Bestreben 
entspringt  im  Allgemeinen  aus  dem  Eifer  einer  der  Sprache 
angepassten  Einbildungskraft;  und  in  denjenigen  Sprachen, 
welche  sich  durch  eine  reiche  und  mannigfaltige  Grammatik 
auszeichnen,  scheint  dieser  Eifer  den  intellectuellen  Instinct 
entwickelt  zu  haben.  In  solchen  Sprachen ,  welche  die  gram- 
matischen Kategorien  nur  unvollkommen  unterscheiden,  oder  in 
welchen  diese  Unterscheidung  ganz  und  gar  zu  schwinden  scheint, 
müssen  gleichwol  die  zu  einem  Satze  verketteten  Wörter  eine 
grammatische  Geltung  haben:  diese  jedoch  besteht  nicht  indem 
Worte  für  sich  genommen,  sondern  sie  ist  von  der  als  gramma- 
tische Regel  festgestellten  Anordnung  der  Wörter  oder  von  dem 
Gedankengange  abhängig. 

Jedes  Urtheil  des  Geistes  ist  eine  Vergleichung  von  zwei 
Vorstellungen,  deren  Gleichheit  oder  Ungleichheit  man  aus- 
spricht. Jedes  Urtheil  kann  also  auf  eine  mathematische  Glei- 
chung zurückgeführt  werden.     Die  Sprachen  verfahren  hierbei 


180  Vergleichende  Sprachkunde. 

synthetisch,  indem  sie  den  Begriff  des  Daseins  hinzufugen;  und 
dazu  bedienen  sie  sicli  des  flectirten  Verbums,  als  der  Verwirk- 
lichung des  Verbalbegriffs.  Daher  wird  das  Verbum  der  Mit- 
telpunct  der  Grammatik  aller  Sprachen.  In  jedem  Satze  ist  ein 
Begriff  (das  Wort,  welches  das  Subject  eines  Satzes  bildet) 
entweder  thätig  oder  leidend  dargestellt.  Die  innere  Thätig- 
keit,  mittelst  deren  man  ein  Urtheil  bildet,  bezieht  sich  auf 
den  Gegenstand,  über  den  man  etwas  ausspricht.  Anstatt  zu 
sagen:  Ich  finde  die  Idee  des  höchsten  Wesens  und  der  Eivig- 
heit  identisch,  setzt  man  folgendes  Urtheil  dafür:  Das  höchste 
Wesen  ist  ewig.  Dieses  könnte  man  die  imaginative  Seite  der 
Sprachen  nennen ,  welche  ihren  Culminationspunct  in  den  clas- 
sischen  Sprachen  erreicht  hat.  Die  Chinesische  Sprache  nimmt 
nichts  davon  an,  als  was  geradezu  nothwendig  ist,  um  zu  re- 
den und  verstanden  zu  werden. 

Die  Unterscheidung  der  Redeth eile,  welche  den  classischen 
Sprachen  eigenthümlich  ist,  vielen  andern  hingegen  abgeht, 
gehört  ganz  und  gar  zur  imaginativen  Seite  der  Sprachen.  So- 
bald die  jugendliche  und  tbätige  Einbildungskraft  eines  Volkes 
alle  Wörter  belebt,  die  Sprache  der  wirklichen  Welt  ganz  gleich 
knacht  und  dadurch  die  Personification  vollendet,  dass  man  aus 
jeder  Periode  ein  Gemälde  bildet,  worin  die  Anordnung  der 
Theile  mehr  zum  Ausdruck  des  Gedankens,  als  zum  Gedanken 
selbst  gehört;  alsdann  müssen  die  Wörter  Gattungen  haben, 
gleichwie  die  lebenden  Wesen  zu  einem  Geschlechte  gehören. 
So  wie  ein  Volk  auf  dieser  Bahn  fortschreitet,  vervollständigt 
sich  das  System,  weil  der  Begriff  von  einer  dieser  Kategorien 
natürlich  zu  der  andern  hinführt. 

Die  Chinesische  Sprache  gebraucht  alle  Wörter  in  dem 
Zustande,  in  welchem  sie  den  auszudrückenden  Gedanken  be- 
zeichnen, ohne  Rücksicht  auf  irgend  ein  grammatisches  Ver- 
hältniss.  Obgleich  alle  Chinesischen  Wörter  in  einen  Satz  ver- 
kettet sind ,  befinden  sie  sich  dennoch  in  einem  status  absolu- 
tus,  und  gleichen  desshalb  den  Wurzeln  der  Sanscrit -Sprache. 
Die  ChinesischeSprache  hat  also  keine  eigentlichen  Verba,  son- 
dern nur  Ausdrücke  von  Verbal -Begriffen,  welche  in  Gestalt 
Ton  Infinitiven  erscheinen,  d.h.  in  der  unbestimmtesten,  die 
wir  kennen.  Man  kann  in  der  That  sagen,  dass  bei  vorherge- 
hendem Substantivum  oder  Pronomen  der  Ausdruck  eines  Ver- 
bal-Begriffs  im  Chinesischen  eben  so  gut  die  Geltung  eines 
flectirten  Verbums  hat,  als  im  Englischen  die  Wörter  they  like. 
Die  Zeit  ist  im  Chinesischen  grösstentheils  nicht  bezeichnet, 
oder  ist  es  nicht  als  ein  unumgängliches  Zubehör  des  Verbums, 
sondern  als  zum  Ausdruck  der  Idee  des  Satzes  gehörig.  Will 
man  dem  Chinesischen  Verbum  eine  grammatische  Form  anwei- 
sen, ohne  ihm  zu  geben,  was  es  weder  andeutet  noch  besitzt, 
so  ist  es  ein  Infinitivus ,  d.  h.  in  einem  zwischen  dem  Verbum 


G.  de  Humboldt:   De  la  nature  des  forme«  grammaticales.     181 

und  Substantivum  in  der  Mitte  befindlichen  Zustande  *).  Man 
erkennt  die  Nomina  daran,  dass  sie  vorangehen  und  die  Verba 
daran,  dass  sie  nachfolgen. 

Die  Präpositionen ,  welche  das  Ziel  einer  Handlung  anzei- 
gen (v.  Re'musat  Grammaire  Chin.  No.  81 — 91),  enthalten  ur- 
sprünglich fast  ohne  Ausnahme  einen  Verbal -Begriff.  Die  Be- 
griffe von  Substantivum  und  Yerbum  fliessen  im  Chinesischen 
nothwendig  zusammen. 

Man  kann  als  Grundsatz  aufstellen,  dass,  sobald  ein  gram- 
matisches Verhältniss  den  Geist  eines  Volkes  lebhaft  ergreift, 
dieses  Verhältniss  irgend  einen  Ausdruck  in  derjenigen  Sprache 
findet,  welche  ebendasselbe  Volk  spricht.  Alles  was  der  Mensch 
mit  Lebhaftigkeit  und  Klarheit  im  Gedanken  erfasst,  drückt  er 
unfehlbar  in  seiner  Sprache  aus.  Man  kann  gleicherweise  die- 
sen Grundsatz  umstellen  und  sagen:  Wenn  ein  grammatisches 
Verhältniss  keinen  Ausdruck  in  einer  Sprache  findet,  so  ergreift 
es  nicht  lebhaft  das  Volk ,  welches  sie  spricht ,  und  ist  daher 
nicht  mit  Klarheit  und  Bestimmtheit  gefühlt  worden.  Denn 
das  ganze  Werk  der  Sprache  besteht  darin,  dem  Gedanken  ei- 
nen Körper  zu  geben.  Die  beiden  Mittel ,  deren  sich  die  Chi- 
nesische Sprache  zur  Anzeige  der  Wortverbinduug  bedient,  die 
Partikeln  und  die  Wortstellung,  scheinen  nicht  die  Bezeichnung 
der  grammatischen  Formen  zum  Zweck  zu  haben,  sondern  um 
auf  eine  andre  Weise  zu  dem  Verständniss  des  Satzgefüges  zu 
führen.  Die  Partikeln  bezeichnen  bloss  den  Uebergang  eines 
Gedankens  zum  andern,  und  können,  wie  durch  zahlreiche  Bei- 
spiele dargethan  wird ,  auf  mehrere  grammatische  Kategorien 
angewandt  werden.  Hinsichtlich  der  Wortstellung  kann  man 
mit  Sicherheit  behaupten,  dass  das  Subject  dem  Verbum vor- 
angeht, und  die  näheren  Bestimmungen  darauf  folgen ;  aberdie 
Stellung  allein  bietet  kein  Mittel  zur  Erkennung  des  Verbums 
dar,  dieses  ersten  Kettenringes,  an  den  man  die  übrigen  anzu- 
reihen hat.  Da  in  diesem  Falle  die  grammatischen  Regeln  nicht 
zulänglich  sind,  bleibt  keine  andre  Ausflucht  übrig,  als  zu  der 
Bedeutung  der  Wörter  und  zum  ganzen  Zusammenhange.  Ohne 
dieses  Mittel  ist  die  Wortstellung  an  und  für  sich  selten  eine 
sichere  Führerin  zum  Verständniss  Chinesischer  Schriften. 
Hieraus  geht  zur  Genüge  hervor,  dass  etwanige  Amphibologien 
nur  durch  richtige  Auffassung  der  lexikalischen  Wortbedeutung 
vermeidlich  sind. 


•)  Wer  die  Ansichten  des  Verfassers  über  die  Bedeutung  des  Infini- 
tivus  genauer  kennen  lernen  will,  der  lese  dessen  geistvolle  Abhand- 
lung hierüber  in  A.  W.  von  Schlegels  Indischer  Bibliothek ,  Bd.  2  Hft. 
2  (1824)  und  vergleiche  damit  ein  gehaltreiches  Programm ;  über  den 
1  nfi  nitiv,  von  M*  Schmidt.     Breslau  1826,  4. 


182  Vergleichende  Spvachkunde. 

Fast  alle  Chinesischen  Sätze  sind  sehr  kurz,  und  seihst 
diejenigen  ,  welche  lang  und  verwickelt  zu  sein  scheinen,  zer- 
fallen leicht  in  mehrere  sehr  kurze  und  einfache  Sätze,  und  diese 
Art  der  Ansicht  scheint  dem  Geiste  der  Sprache  am  meisten  zu 
entsprechen.  S.  46  f.  werden  folgende  fünf  Hauptpuncte  her- 
vorgehoben, um  sich  einen  richtigen  Begriff  von  der  Chinesi- 
schen Sprache  zu  machen : 

1)  Die  Chinesische  Sprache  bezeichnet  weder  die  gramma- 
tische Kategorie,  zu  welcher  die  Wörter  gehören,  noch 
auch  ihre  grammatische  Bedeutung  im  Allgemeinen.  Die 
Zeichen  für  die  Gedanken  in  Aussprache  und  Schrift  blei- 
ben dieselben ,  wie  es  sich  auch  immerhin  mit  dieser  Be- 
deutung verhalten  mag. 

2)  Die  Chinesische  Sprache  hängt  gar  nicht  die  bedeutungs- 
losen Wörter  an  die  bedeutungsvollen  an,  um  jedesmal,  so 
oft  man  ein  bedeutungsvolles  Wort  mit  seinem  bedeutungs- 
losen aus  dem  Satze  herausnimmt ,  mit  Hilfe  des  letzteren 
die  Kategorie  der  ersteren  bestimmt  erkennen  zu  können. 

3)  Die  grammatische  Bedeutung  ist  also  nur  in  der  Zusam- 
mensetzung des  Satzes  selbst  erkennbar. 

4)  Sie  ist  es  selbst  alsdann  nur  dadurch  ,  dass  man  die  Be- 
deutung eines  oder  mehrerer  Wörter  des  Satzes  kennt. 

5)  Die  Chinesische  Sprache  befolgt  in  ihrer  Art,  die  gram- 
matische Bedeutung  anzugeben ,  niemals  das  System  der 
grammatischen  Kategorien,  speeificirt  sie  niemals  in  ihren 
feinsten  Nuancen ,  und  bestimmt  sie  nur  in  soweit ,  als  die 
Sprache  es  unbedingt  nothwendig  macht. 

Wach  dieser  Voraussetzung  könnte  man  die  Chinesische 
Sprache  mit  jenen  unvollkommncn  solcher  Völkerschaften  zusam- 
menwerfen, welche  niemals  eine  bedeutende  Entwickclung  ih- 
rer geistigen  Fähigkeiten  erreicht  haben,  oder  bei  welchen 
diese  Entwickelung  niemals  kräftig  auf  die  Sprache  eingewirkt 
hat.  Allein  das  wäre  ein  ausgemachter  Irrthum.  Die  Chinesi- 
sche Sprache  zeichnet  sich  vor  all  diesen  unvollkommnen  Spra- 
chen durch  ihre  Folgerechti^keit  und  Begelmässigkeit  aus,  wo- 
mit sie  das  einmal  angenommene  System  geltend  macht ,  wäh- 
rend die  Sprachen  barbarischer  Völker  entweder  auf  der  Mitte 
des  Weges  stille  stehen,  oder  das  vorgesteckte  Ziel  verfehlen. 
Alle  diese  Sprachen  geben  ihre  Mangelhaftigkeit  zugleich  durch 
Abwesenheit  und  unnützen  Ueberflnss  grammatischer  Formen 
kund.  Die  Chinesische  Sprache  dagegen  stellt  sich  durch  Zier- 
lichkeit und  Reinheit  in  Anwendung  ihres  grammatischen  Sy- 
stems den  classischen  Sprachen  gleich ,  d.  li.  den  vollkommen- 
sten ,  die  wir  kennen. 

Wenn  man  die  Sprachen  von  dem  Gesichtspuucte  aus  be- 
trachtet ,  von  dem  wir  hier  ausgehen ,  so  wird  man  drei  ver- 
schiedne  Arten  finden.     Die  Chinesische  Sprache  leistet  auf  die 


G.  de  Humboldt:  De  la  nature  dea  formen  grammaticalc«.     183 

bestimmte  und  pünctliche  Unterscheidung  der  grammatischen 
Kategorien  Verzicht,  ordnet  die  Wörter  der  Sätze  nach  einer 
minder  an  die  Bestimmung  der  Gedanken  gebundenen  Reihen- 
folge, und  gibt  den  Perioden  einen  für  dieses  System  anwend- 
baren Bau.  Die  Sanscrit- Sprache,  die  mit  ihr  in  offenbarer 
Verwandtschaft  stehenden  und  vielleicht  noch  andre  Sprachen 
setzen  die  Unterscheidung  der  grammatischen  Kategorien  als 
einzige  Grundlage  ihrer  Grammatik  fest,  verfolgen  diese  Un- 
terscheidung bis  in  ihre  letzten  Verzweigungen,  und  lassen 
in  der  Bildung  ihrer  Sätze  Allem  freien  Lauf,  was  dieser  sichre 
und  treue  Führer  ihnen  zu  ergreifen  verstattet.  Die  Griechi- 
sche Sprache  geniesst  diesen  Vortheil  im  höchsten  Grade :  denn 
fürwahr  stehen  selbst  die  Lateinische  und  Sanscrit-Sprache  tief 
unter  ihr  in  dieser  genauen,  reichhaltigen  und  zugleich  schö- 
nen Satzbildung,  welche  sich  in  alle  Falten  des  Gedankens 
einschleicht  und  alle  seine  Nuancen  ausdrückt.  Es  sind  noch 
Sprachen  übrig,  welche  gewissermaassen  darauf  ausgehen,  sich 
wahre  grammatische  Formen  anzueignen ,  ohne  dieses  Ziel  zu 
erreichen;  welche  die  grammatische  Kategorie  unterscheiden, 
aber  die  Verhältnisse  nur  unvollständig  bezeichnen.  —  Die 
grammatischen  Verhältnisse  befinden  sich  in  dem  Geiste  der 
Menschen,  von  welcher  Beschaffenheit  das  Maass  ihrer  geisti- 
gen Fähigkeiten  auch  immerhin  sein  mag,  oder  genauer  gespro- 
chen ,  der  Mensch  befolgt  beim  Reden  mittelst  seines  intelle- 
ctuellen  Instincts  die  allgemeinenGesctze  des  Gedankenausdrucks 
durch  das  Wort.  Die  Voraussetzung  einer  ausdrücklichen 
Uebereinkunft  würde  zweifelsohne  ein  Hirngespinst  sein.  Der 
Ursprung  der  Sprache  im  Allgemeinen  ist  so  geheimnissvoll ,  es 
ist  rein  unmöglich  die  Erscheinung,  dass  die  Menschen  spre- 
chen und  sich  verstehen,  mechanisch  zu  erklären.  Wie  aber 
hat  man  sich  diesen  Umstand  zu  erklären'?  Untersuchungen  der 
Art  muss  man  auf  positive  Thatsachen  gründen ,  und  die  Prü- 
fung mehrerer  Sprachen  führt  zur  Erklärung  des  Ursprungs 
der  Formen,  welche  die  grammatischen  Verhältnisse  ausdrük- 
ken.  Es  ist  dem  Menschen ,  insonderlich  dem  geistig  noch 
wenig  ausgebildeten ,  angeboren ,  beim  Sprechen  dem  Haupt- 
gedanken eine  Menge  Nebengedanken  anzureihen,  welche  Be- 
ziehungen der  Zeit,  der  Orte,  der  Personen  und  der  Umstände 
ausdrücken,  ohne  darauf  zu  achten,  ob  diese  Begriffe  an  die- 
ser Stelle  ausdrücklich  nothwendig  sind  oder  nicht.  Er  ist 
nicht  nur  mit  Worten,  sondern  auch  mit  Wiederholungen  des 
schon  Gesagten  und  mit  Einschiebseln,  welche  weniger  einen 
Gedanken  als  eineGemüthsstimmung  ausdrücken,  nicht  sonder- 
lich geizig.  Diese  Nebengedanken,  welche  beständige  Gefährten 
der  Hauptgedanken  und  durch  den  intellectuellen  lustinet  so  wie 
durch  die  fortschreitende  Entwickelung  des  Geistes  und  der 
ihm  entsprechenden  Ausdrücke  bedingt  sind,  scheinen  in  vielen 


184  Vergleichende  Sprachkunde. 

Sprachen  die  Exponenten  der  grammatischen  Verhältnisse  ge- 
worden zu  sein.  Wenn  man  die  Amerikanischen  Sprachen  un- 
tersucht, so  bemerkt  man,  dass  gewisse  Verhältnisse  (z.B. 
die  des  Numerus  und  des  Genus)  nur  da  ausgedrückt  sind,  wo 
der  Sinn  es  fordert,  wogegen  eine  Menge  anderer  Verhältnisse 
engedeutet  sind,  wo  man  sie  leicht  fahren  lassen  würde.  — 
Der  Uebergang  von  Wörtern ,  welche  Nebengedanken  ausdrük- 
ken,  in  den  Zustand  von  Exponenten  grammatischer  Verhält- 
nisse findet  sich  mehr  oder  minder  deutlich  in  der  Baskischen 
und  Koptischen  Sprache,  in  denen  der  Südseeinseln  und  der 
Tartarischen  Völkerschaften,  und  ohne  Zweifel  in  allen  Spra- 
chen, welche  ganz  und  gar  der  Flexionen  ermangeln,  oder  in 
welchen  Avenigstens  das  System  der  Flexionen  unvollständig  oder 
fehlerhaft  ist. 

Wenn  die  Neigung  der  Völker  mit  dem  sprachbildendcn 
Instinct  glücklich  zusammentrifft,  wenn  sich  mit  dieser  günstigen 
Richtung  die  oben  berührte  Art  der  Einbildungskraft  vereinigt, 
welche  die  Elemente  der  Sprache  den  Gegenständen  der  wirk- 
lichen Welt  gleich  macht;  so  wird  das  Verfahren,  dem  ihre 
Grammatik  das  Dasein  verdankt,  einen  vollkommnen  Erfolg 
haben.  Alle  Verhältnisse,  welche  eine  vollständige  Analysis 
des  Wortes  unterscheidet,  werden  ihre  Exponenten  finden; 
man  wird  keine  überflüssigen  bemerken,  und  dieselben  werden 
den  Wörtern  so  fest  eingeprägt  sein ,  dass  jedes  in  einen  Satz 
verkettete  Wort  den  Geist  nur  in  einer  grammatischen  Bedeu- 
tung berühren  wird.  Gleichwie  bei  Individuen  die  Anlagen 
für  verschiedenartige  Gegenstände  sich  verschieden  entwickeln, 
ebenso  scheint  der  Geist  der  Sprachen  unter  die  Völker  ver- 
theilt  zu  sein.  Die  Kraft  des  intellectuellen  Instincts ,  welche 
den  Menschen  zum  Sprechen  antreibt,  der  Geist  und  die  Ein- 
bildungskraft ,  wenn  sie  nach  der  Gestalt  und  Farbe  gerichtet 
sind ,  welche  das  Wort  dem  Gedanken  gibt ,  ein  feines  Gehör, 
ein  glückliches  Sprachwerkzeug  und  vielleicht  wol  noch  andre 
Umstände  bilden  diese  Wunderwerke  der  Sprachen,  welche 
für  eine  lange  Reihe  von  Jahrhunderten  die  Typen  der  tiefsten 
und  erhabensten  Gedanken  werden.  Ferner  erklärt  der  Verf., 
er  wolle  lieber  denjenigen  beipflichten,  welche  den  Ursprung 
der  Sprachen  auf  eine  unmittelbare  Offenbarung  der  Gottheit 
zurückführen,  als  denjenigen,  welche  der  Sprachentwickelung 
einen  allgemeinen  und  mechanischen  Gang  unterschieben,  wel- 
cher sie  Schritt  für  Schritt  von  dem  rohesten  Beginn  bis  zu  ih- 
rer Vollkommenheit  fortschleppen  würde.  Jene  erkennen  we- 
nigstens den  göttlichen  Funken  an,  welcher  durch  alle,  selbst 
die  unvollkommensten  Sprachen  hindurchschimmert. 

Das  Eigenthümliche  der  Chinesischen  Sprache  besteht  da- 
rin, dass  sie,  insoweit  die  Natur  der  Sprache  es  verstattet,  mit 
Verschmähung  der  Farben  und  Nuancen,  welche  der  Ausdruck 


G.  de  Humboldt :  De  la  natnro  de»  forme9  grammaticales.     185 

dem  Gedanken  leiht,  die  Gedanken  hervorspringen  lässt,  und 
die  Kunst  besitzt,  selbige  unmittelbar  aneinander  zu  reihen,  und 
zwar  so ,  dass  ihre  Ähnlichkeiten  und  Gegensätze  nicht  nur, 
wie  in  andern  Sprachen,  gefühlt  und  verstanden  werden,  son- 
dern dass  sie  auch  den  Geist  mit  einer  frischen  Kraft  erfassen 
und  anregen,  ihre  gegenseitigen  Verhältniste  weiter  zu  verfol- 
gen und  sich  zu  vergegenwärtigen.  In  den  Schriftwerken  aus 
alter  und  neuer  Zeit  ist  es  hauptsächlich  der  SM,  weicher  un- 
ser Interesse  in  Anspruch  nimmt.  Betrachtet  man  aber  die  Ver- 
zichtleistung der  Chinesischen  Sprache  auf  so  viele  Mittel,  wo- 
durch andre  Sprachen  den  Ausdruck  mannigfaltig  gestalten,  so 
könnte  man  vermuthen,  der  in  andern  Sprachen  so  genannte 
Stil  müsste  ihr  ganz  und  gar  abgehen.  Allein  ihr  sehr  bezeich- 
nender Stil  entspringt  aus  der  unmittelbaren  Berührung  der  Ge- 
danken, aus  dem  ganz  neuen  Verhältniss,  dessen  Ursprung  in 
dem  fast  gänzlichen  Mangel  grammatischer  Zeichen  zwi- 
schen dem  Gedanken  und  dem  Ausdruck  zu  finden  ist,  und  aus 
der  durch  die  Chinesische  Satzbildung  erleichterten  Kunst,  die 
Wörter  so  zu  ordnen,  dass  die  gegenseitigen  Beziehungen  der 
Gedanken  aus  der  Construction  selbst  hervorgehen.  Die  Chine- 
sische Sprache  unterscheidet  sich  von  den  gemeinhin  so  genann- 
ten unvollkommnen  Sprachen  durch  ihren  folgerechten  Geist 
und  ihre  Regelmässigkeit ,  sowie  von  den  classischen  Sprachen 
durch  die  ihrem  grammatischen  System  entgegengesetzte  Na- 
tur. Die  grammatische  Vollkommenheit  in  den  classischen  Spra- 
chen ist  zugleich  ein  Mittel,  dem  Gedanken  mehr  Umfang,  Fein- 
heit, Farbe,  Genauigkeit  und  Treue  zugeben,  und  zwar  die- 
ses durch  Symmetrie  der  Formen  und  Harmonie  der  Töne,  wel- 
che dem  ausgesprochenen  Gedanken  und  den  sie  begleitenden 
Bewegungen  der  Seele  entsprechen.  Auf  der  andern  Seite  er- 
scheint uns  der  von  den  Fesseln  des  Worts  befreite  Gedanke 
weit  vollständiger  und  reiner;  wie  namentlich  selbst  dann,  wenn 
wir  in  der  Muttersprache  schreiben,  die  Verlegenheit  beweist, 
solche  Ausdrücke  zu  finden,  die  den  Sinn,  welchen  wir  ihnen 
geben  wollen,  durchaus  nicht  verändern. 

Die  Chinesische  Sprache  hat  unstreitig  eine  feste  und  re- 
gelmässige Grammatik,  und  die  Regeln  dieser  Grammatik  be- 
stimmen die  Verbindung  der  Wörter  in  der  Verkettung  der 
Sätze,  jedoch  mit  dem  Unterschiede,  dass  sie,  sehr  wenige 
Fälle  ausgenommen,  den  grammatischen  Modifikationen  keine 
Laute  in  Gestalt  eines  Zeichens  beifügt,  sondern  dem  Leser 
die  Sorge  überlässt,  sie  aus  der  Stellung  der  Wörter,  aus  ih- 
rer Bedeutung  und  selbst  aus  dem  Zusammenhange  abzuleiten, 
und  dass  sie  die  Wörter  nicht  für  den  Zweck  gestaltet,  den  sie 
im  Satze  haben.  Dieses  ist  an  und  für  sich  von  Wichtigkeit, 
aber  mehr  noch  dadurch ,  dass  es  die  Chinesische  Satzbildung 
beschränkt,  sie  zwingt  ihre  Perioden  zu  durchschneiden,  und 


186  Vergleichende  Sprachkunde. 

freien  Aufschwung  des  Gedankens  in  diesen  langen  Verkettun- 
gen der  Sätze  hemmt,  durch  welche  hindurch  die  grammati- 
schen Formen  allein  als  Leitstern  dienen  können.  Der  Chinesi- 
schen Sprache  ist  es  rein  unmöglich,  die  hesondern  Vortheile 
solcher  Sprachen  zu  erreichen,  welche  die  Construction  nach 
grammatischen  Formen  lenken,  während  diese  selbst,  falls  der 
Gegenstand  es  erheischt ,  von  ihren  Formen  nur  einen  massigen 
Gebrauch  machen,  oft  die  Ideenverbindungen  einschränken, 
die  aller  unbestimmtesten  Formen  anwenden  (man  denke  nur 
unter  andern  an  den  Lateinischen  Infinitivus  historicus) ,  und 
den  Lakonismus  und  die  Kühnheit  der  Chinesischen  Ausdrucks- 
weise in  gewisser  Beziehung  erreichen  können.  In  den  andern 
Sprachen  wirkt  die  Einfachheit  und  Kühnheit  dieses  oder  jenes 
Ausdrucks,  dieser  oder  jener  Wendung  des  Satzes  auf  den  Geist; 
in  den  Chinesischen  Schriftwerken  aber  die  Einfachheit  und 
Kühnheit  der  Sprache  selbst.  Allein  dieser  Vortheil  ist  auf  Un- 
kosten wichtigerer  und  wesentlicherer  Vortheile  erschwungen. 

Die  Abwesenheit  der  grammatischen  Formen  erinnert  uns 
an  die  Sprache  der  Kinder,  welche  gewöhnlich  die  Wörter  hin- 
stellen ohne  sie  gehörig  miteinander  zu  verbinden.  Setzt  man 
bei  Völkern  wie  bei  Individuen  eine  Kindheit  voraus,  so  wird 
auf  den  ersten  Augenblick  die  Ansicht  ganz  natürlich  erschei- 
nen, die  Chinesische  Sprache  sei  in  diesem  Zeitpuncte  der  all- 
gemeinen Sprachentwickelung  stehen  geblieben.  Richtig  ist 
dieser  Vergleich  jedoch  keineswegs.  Denn  die  Kindheit  reicht 
nur  bis  auf  einen  gewissen  Punct,  nämlich  den  der  Reife.  Nun 
lässt  sich  zwar  in  der  Entwickelung  der  Sprachen  ein  Punct 
nachweisen ,  den  sie  nicht  überschreiten  und  von  woher  sie  oft 
wieder  zurückschreiten ;  allein  den  können  wir  nicht  als  Punct 
der  Ruhe  betrachten.  Ein  Volk  kann  nicht  als  ausgewachsen, 
also  auch  nicht  als  ein  Kind  betrachtet  werden.  Denn  die  Reife 
selbst  setzt  ein  Individuum  voraus  und  leidet  keine  Anwendung 
auf  einen  Collectiv -Begriff.  Vielleicht  würde  es  natürlicher 
sein,  von  einer  Kindheit  der  Sprachen  selbst  zu  reden,  obgleich 
dieser  Ausdruck  ebenfalls  grosse  Vorsicht  verlangt.  Man  fin- 
det, dass,  wie  gross  auch  die  Veränderungen  einer  Sprache  im 
Verlauf  mehrerer  Jahrhunderte  in  gewisser  Hinsicht  sein  mö- 
gen, ihr  wahres  grammatisches  und  lexikographisches  System, 
ihr  Bau  im  Grossen  ein  und  dieselben  bleiben,  und  dass  man 
dahin,  wo  das  System  sich  ändert,  z.  B.  beim  Uebergange  der 
Lateinischen  in  die  Romanischen  Sprachen,  den  Ursprung  ei- 
ner neuen  Sprache  zu  setzen  hat.  Es  scheint  also  in  den  Spra- 
chen einen  Zeitpunct  zu  geben,  wo  sie  zu  einer  im  Wesentlichen 
nicht  mehr  veränderlichen  Form  gelangen.  Das  würde  der 
wahre  Punct  der  Reife  sein;  um  aber  von  ihrer  Kindheit  zu  spre- 
chen, müsste  man  noch  wissen,  ob  sie  diese  Form  unvermerkt 
erreichen,  oder  ob  nicht  vielmehr  ihr  erster  Keim  diese  Form 


G.  de  Humboldt:  De  la  nature  des  fornics  granimaticales.     187 

selbst  darbietet.  Da  uns  die  Geschichte  nicht  bis  in  den 
Urzustand  des  Menschengeschlechtes  zurückfuhrt,  so  bleibt 
jegliche  Untersuchung  der  Art  hypothetisch,  und  bei  Sprachfor- 
schungen ist  einzig  die  Methode  vernünftig,  welche  sich  am 
wenigsten  von  Thatsachen  entfernt. 

Der  Verf.  betrachtet  die  von  Remusat  in  seiner  Abhand- 
lung sur  la  nature  mo?iosyllabique  du  chinois  aufgestellten  bei- 
den Facta  als  Grundpfeiler  für  diesen  Gegenstand:  1)  die  Chi- 
nesische Sprache  verdankt  ihren  Ursprung  einem  Volke,  bei 
dem  uns  nichts  veranlasst,  einevollkommnere  Bildungsstufe  vor- 
auszusetzen, als  sie  der  Urzustand  der  Gesellschaft  gewöhnlich 
darstellt;  2)  Sprachen,  welche  für  sehr  alt  angesehen  werden, 
selbst  roher  und  ungebildeter  Völker,  sind,  weit  entfernt  in 
ihrer  Grammatik  den  Chinesen  gleich  zu  stehen,  im  Gegentheil 
mit  Schwierigkeiten  und  grammatischen  Unterscheidungen  über- 
laden. Dieses  findet  sich  in  der  Baskischen,  den  Amerikani- 
schen und  den  Sprachen  des  stillen  Meeres.  In  gewisser  Be- 
ziehung haben  alle  diese  Sprachen  grosse Berührungspuncte  mit 
dem  Chinesischen.  Die  Redetheile  sind  gewöhnlich  nicht  be- 
zeichnet, der  Pluralis  ist  oft  eben  so  beschaffen  wie  im  Chine- 
sischen u.  s.  w.  Man  muss  hierbei  bedenken,  dass  uns  die 
Kenntniss  nur  mittelbar  durch  Menschen  überliefert  ist,  welche 
an  ein  sehr  ängstliches  grammatisches  System  gewöhnt  sind. 
Es  gibt  wol  keine  Sprache,  welche  ein  der  Chinesischen  ganz 
gleiches  grammatisches  System  darbieten  dürfte,  wenigstens 
ist  dem  Verf.,  von  dessen  weit  verbreiteten  Sprachforschungen 
jeder  Unterrichtete  überzeugt  ist,  bis  jetzt  keine  vorgekom- 
men. Die  vorerwähnten  und  anderweitige  Aehnlichkeiten  er- 
strecken sich  fast  auf  alle  Ursprachen  und  haben  selbst  in  den 
grammatisch  ausgebildeten  Sprachen  Spuren  zurückgelassen. 
Bildet  man  nicht  im  Sanscrit  mittelst  des  Wortes  sma  ein  Prä- 
teritum und  im  Griechischen  durch  den  Indicativus  des  Ver- 
bums und  die  Partikel  av  einen Conjunctivus'?  —  Viele  Gründe 
führen  zu  der  Annahme,  dass  die  wilden  Amerikanischen  Völ- 
kerschaften von  ihrer  frühern  Bildungsstufe  herabgestossene 
Racen  sind,  oder  nach  einem  passenden  Ausdruck  Alexander 
von  Humboldt's ,  gerettete  Trümmer  eines  allgemeinen  Schiff- 
bruchs. Die  Bemerkungen  ebendesselben  Gelehrten  über  die 
Amerikanischen  Sprachen  in  seiner  Reisebeschreibuug  führen 
alle  zu  dieser  Annahme. 

Die  Chinesische  Schrift  drückt  jedes  einzelne  Wort  und  je- 
den integrirenden  Theii  zusammengesetzter  Wörter  durch  ein 
einziges  Zeichen  aus;  sie  entspricht  also  vollkommen  dem  gram- 
matischen System  der  Sprache,  welche  nach  einem  gleichför- 
migen Princip  eine  dreifache  Eigenheit  darbietet,  in  den  Ge- 
danken, Wörtern  und  Schriftzügen.  Die  Chinesische  Sprache 
hat  unstreitig  früher  bestanden,  als  man  sie  schriftlich  fixirte, 

Jahrb.  f.  Phil.  u.  Pädag.  Jahrg.  III.  Heft  2.  23 


188  Vergleichende  Sprachkundig 

und  man  hat  so  geschrieben,  wie  gesprochen.  Ohne  Zweifel 
hat  diese  Schrift  bedeutenden  Einfluss  auf  den  Geist  und  da- 
durch auch  auf  die  Sprache  der  Chinesen  ausüben  müssen.  Weil 
die  Einbildungskraft  in  allem,  was  die  Sprache  anlangt,  eine 
so  bedeutende  Rolle  spielt,  so  ist  die  Schriftart,  deren  sich 
ein  Volk  bedient,  niemals  gleichgiltig.  Die  Schriftzüge  geben 
ein  Bild  mehr,  worein  sich  die  Gedanken  einhüllen,  und  dieses 
Bild  verschmilzt  sich  bei  denen,  welche  von  diesen  Schriftzü- 
gen häufig  Gebrauch  machen ,  mit  dem  Gedanken  selbst.  Bei 
der  Buchstabenschrift  ist  dieser  Einfluss  weit  mehr  negativ.  Ob- 
gleich nach  Re'niusat  die  Schreibkunst  in  China  über  4000  Jahre 
hinausreicht ,  so  muss  doch  nothwendiger  Weise  ein  Zeitraum 
gewesen  sein,  wo  das  Chinesische  gesprochen  wurde,  ohne  ge- 
schrieben zu  werden.  Die  erste  Schrift  schien  hieroglyphisch, 
also  von  ganz  andrer  Natur  gewesen  zu  sein ,  als  heutigestags. 
Eine  der  Hauptursachen  von  dem  besondern  Baue  der  Chinesi- 
schen Sprache  ist  in  ihrem  phonetischen  Theile  zu  suchen.  Re- 
musat  hat  zur  Genüge  gezeigt,  dass  man  diese  Sprache  ganz 
mit  Unrecht  monosyllabisch  nennt.  Sämmtliche  Sprachen  sind 
aller  Wahrscheinlichkeit  nach  ursprünglich  monosyllabisch  ge- 
wesen, weil  kein  Grund  vorhanden  ist,  warum  man,  so  lange 
einfache  Worter  für's  Bedürfniss  hinreichen,  einen  einzigen  Ge- 
genstand durch  mehr  als  Eine  Sylbe  bezeichnen  soll ;  aber  es 
scheint  noch  gewisser,  dass  sich  dermalen  keine  Sprache  mehr 
in  diesem  Zustande  befindet.  Dennoch  herrscht  die  monosyl- 
labische Eigenschaft  der  Wörter  in  der  Chinesischen  Sprache, 
und  der  Verf.  erinnert  sich  nirgends  eine  Nachricht  gefunden 
zu  haben,  ob  die  Chinesen  bei  der  Aussprache  eines  mehrsilbi- 
gen ^Wortes  seine  verschiedenen  Sylben  unter  ein  und  demsel- 
ben Accent  zusammenfassen  oder  nicht;  denn  die  Einheit  des 
Wortes  ist  dnrch  den  Accent  bestimmt.  Ohne  diese  feste  Re- 
gel würde  dieVertheilung  mehrerer  Sylben  in  ein  einziges  oder 
in  verschiedene  Wörter  willkührlich  sein.  Noch  merkwürdiger 
als  der  Ueberfluss  an  einsylbigen  Wörtern  scheint  im  phoneti- 
schen System  der  Chinesen  die  beschränkte  Anzahl  der  Wörter 
überhaupt.  Es  sei  damit  nicht  gesagt,  als  ob  die  übrigen  Spra- 
chen etwa  eine  grössere  Anzahl  wahrer  Wurzelwörter  hätten, 
sondern  dass  die  Chinesen  diese  Sylben  nicht  hinlänglich  ver- 
theilt,  gemischt  und  verbunden  haben,  um  sich  dadurch  in  den 
Besitz  eines  grossen Reichthums  oder  einer  Mannigfaltigkeit  von 
Lauten  zu  setzen.  Die  grössere  oder  geringere  Mannigfaltig- 
keit und  Harmonie  in  dieser  natürlichen  Vertheilung  ist  von  dem 
grössten  Einfluss  auf  die  Natur  der  Sprachen:  sie  erstreckt  sich 
auf  die  physische  Organisation  und  auf  die  geistigen  Anlagen 
der  Völker ;  allein  sie  entspringt  vielleicht  noch  mehr  aus  der 
Berührung  und  Vermischung  verschiedener  Völkerschaften  mit- 
einander.   Die  Fülle  dieses  Urstoffes  der  Sprachen  erklärt  sich 


G.  de  Humboldt :  De  la  nature  des  formes  grammaticales.     189 

weit  natürlicher  aus  einem  Zusammenfluss  zufälliger  Ursachen, 
unter  welchen  die  Wanderungen  und  Vereinigungen  verschie- 
dener Völker  am  einflussreichsten  sind,  als  aus  den  Fortschrit- 
ten des  erfindsamen  Geistes  der  Völker.  Das  Beispiel  der  Chi- 
nesen selbst  beweist,  dass  ein  Volk  lieber  durch  allerhand 
Kunstgriffe  eine  kleine  Anzahl  von  Wörtern  seinen  Bedürfni- 
ssen anpasst,  als  dass  es  sie  zu  vermehren  oder  zu  erweitern  ge- 
denkt. Die  Absonderung  der  Völker  ist  also  keineswegs  heilsam  für 
die  Sprachen.  Sie  hemmt  unstreitig  die  Vereinigung  eines  gro- 
ssen Vorrathes  von  Wörtern,  Redensarten  und  Formen,  welcher 
unbedingt  noth wendig  ist,  auf  dass  die  glückliche  Lage  eines 
Volkes,  das  ihn  besitzt,  daraus  allinählig  eine  umfassende,  rei- 
che und  mannigfaltige  Sprache  bilden  kann.  Die  systematische 
Ordnung,  der  bezeichnende  und  passende  Gedaukenausdruck, 
die  Uebereinstimmung  der  grammatischen  Formen  mit  dem  Be- 
dürfniss  der  Unterredung,  kurzum  die  Organisation  und  der  Bau 
stammt  zweifelsohne  von  den  geistigen  Anlagen  der  Völker 
her;  aber  den  Stoff  und  den  Vorrath  der  Laute  und  Wörter 
hat  man  dem  Zusammenfluss  der  Umstände  zu  verdanken,  wel- 
che die  Völker  einigen  und  trennen,  Ursachen,  die  gewiss  von 
allgemeinen  Gesetzen  beherrscht  werden,  die  wir  aber  zufällige 
nennen,  weil  wir  ihre  Ordnung  und  Verkettung  nicht  kennen. 

In  die  Chinesische  Sprache  sind  auch  fremde  Wörter  ein- 
geschlichen. S.  Re'musat  in  den  Fundgruben  des  Orients  Th. 
3  S.  285  N.  6.  Aber  die  Geschichte  von  China  beweist,  dass 
die  gesellschaftliche  Entwickelung  des  Volkes,  soweit  wir  es 
kennen,  nicht  durch  bedeutende  Stürme  von  aussen  her  getrübt 
worden  ist.  Wenn  die  ersten  Chinesischen  Colonien  nur  unge- 
fähr 100  Ilausgenossenschaften  umfasst ,  ( s.  Tableaux  bist, 
de  l'Asie,  par  M.  Klaproth,  S.  SO.)  wenn  diese  sich  eine  lange 
Reihe  von  Jahrhunderten  hindurch  ohne  sonderliche  Verände- 
rung ihrer  Sitten,  Gebräuche  und  ihrer  Sprache  erhalten  ha- 
ben, wenn  endlich  die  Schrift  sich  vom  Ursprung  der  Monar- 
chie selbst  herschreibt,  deren  Gründer  jene  Colonisten  waren; 
so  würden  diese  historischen  Facta  zusammengenommen  ohne 
Zweifel  die  beschränkte  Anzahl  der  Sprachzeichen  und  selbst 
die  Abwesenheit  der  Bestimmungswörter  erklären,  welche  in 
andern  Sprachen  dieAffixa  und  dieFlexionen  ausmachen.  Wenn 
man  diese  Unvollkommenheiten  der  Chinesischen  Sprache  ins 
Auge  fasst,  so  hält  es  schwer,  sich  von  dem  philosophischen 
Gepräge,  von  dem  tiefen  Geiste,  welcher  sich  augenschein- 
lich in  dem  ganzen  Baue  dieser  ausserordentlichen  Sprache  kund 
gibt,  Rechenschaft  abzulegen.  Man  begreift  in  gewissem  Be- 
trachte, aus  welchen  Gründen  sie  nicht  zu  den  Vortheilen  ge- 
langt ist,  die  wir  mehr  oder  weniger  in  fast  allen  andern  Spra- 
chen antreffen;  aber  man  begreift  weit  weniger,  wie  sie  Voll- 
kommenheiten erreicht  hat,  die  nur  ihr  allein  angehören.  Einiger- 

13* 


190  Elementarbucher  der  Lateinischen  Sprache. 

maassen  erklärt  sich  diese  Frage  aus  dem  Alterthum  der  Chine- 
sischen Schrift  und  Litteratur.  Denn  gesetzt  der  grammatische 
Bau  der  Sprache  wäre  sowol  der  Schrift  als  auch  der  Litteratur 
ohne  Widerrede  vorangegangen,  so  hätte  dasjenige,  was  die 
wesentliche  Grundlage  dieses  Baues  bildet,  einem  rohen  und 
ungebildeten  Volke  angehören  können ,  und  der  philosophische 
Anstrich,  den  wir  noch  daran  gewahren,  hätte  durch  Men- 
schen von  höherer  Ausbildung  zugegeben  werden  können. 

Das  bisher  Vorgetragene  bezog  sich  bloss  auf  den  alten 
Stil  der  Chinesischen  Sprache :  der  neue  unterscheidet  sich  nicht 
wesentlich  von  dem  alten.  Die  grösste  Verschiedenheit  besteht 
in  der  grossen  Anzahl  zusammengesetzter  Wörter,  in  grösserer 
Deutlichkeit  und  Gewandtheit. 

S.  97 — 122  hat  Re'musat  einige  Bemerkungen  angefügt, 
die  jedoch,  weil  sie  hauptsächlich  das  Einzelne  berühren,  für 
unsre  Leser  weniger  Interesse  haben  dürften;  wesshalb  wir 
nunmehr  unsern  Bericht  abbrechen.  Das  Mitgetheilte  ist 
natürlich  nur  als  ein  dürres  Gerippe  zu  betrachten  von  dem  le- 
bendigen Leibe,  welchen  der  schöpferische  Geist  und  das  er- 
greifende Wort  des  Verfassers  in  allen  Theilen  durchdringt. 
Der  Referent  wird  sich  für  seine  Mühe  hinlänglich  belohnt  füh- 
len, wenn  es  ihm  gelingen  sollte,  durch  seine  Darstellung  bei 
recht  Vielen  ein  gründliches  Studium  der  Schrift  selbst  zu 
wecken. 

Oppeln,  im  November  1827.  Dr.  N.Bach. 


Elementarbucher  der  Lateinischen  Sprache. 


Lateinisches  Lesebuch  nach  der  Stufenfolge 
der  Formenlehr  e  für  die  ersten  Anfänger  mit  Hinweisung 
auf  die  Regeln  in  der  zweiten  Ausgabe  der  Schulgrammatik,  nebst 
einigen  Anhängen  für  Geübtere  von  Dr.  Joh.  Phil.  Krebs,  Prof.  der 
alten  Litteratur  am  Herzogl.  Nassauischen  Gymnasium  zu  Weilburg. 
Fünfte  verbesserte  und  vermehrte  Ausgabe.  Giessen,  bei  Georg 
Friedr.  Heyer.    1825.  VI  u.  193  S.  in  8.  10  Gr.  oder  75  Xr. 

"bgleich  dieses  Lesebuch  nicht  zu  den  neuesten  Erscheinun- 
gen im  Gebiet  der  pädagogischen  Literatur  gehört,  da  es  schon 
5  Auflagen  erlebt  hat ,  und  die  letzte  selbst  vor  einigen  Jahren 
erschienen  und  vielfach  beurtheilt  worden  ist,  so  liegt  doch 
auch  jetzt  noch  eine  neue  Beurtheilung  desselben  nicht  ausser- 
halb des  Bereiches  dieser  Jahrbücher ,  besonders  indem  Rec. 
es  mit  andern  ähnlichen  zusammenstellt ,  und  das  Buch  nicht 


Krebs:  Lateinisches  Lesebuch.  191 

eine  ephemere  Erscheinung  in  dem  Kreise  Latein.  Lesebücher 
ist,  sondern  sich  durch  mehrere  Auflagen  als  zweckmässig  er- 
wiesen hat.  Vorliegende  fite  Ausgabe  sollte  nun  nichts  weiter 
als  ein  Abdruck  der  vierten  sein,  nur  dass  in  dieser  auf  die  §§ 
der  2ten  Ausgabe  der  Schulgrammatik  des  Hrn.Verfs.  hingewie- 
sen wird.  Jedoch,  sagt  er  in  der  Vorrede,  sei  er  jetzt  der 
Meinung,  die  Abschnitte  von  den  Verben  nicht  nach  den  4  Con- 
jugationen  zu  trennen ,  da  ja  streng  genommen  nur  in  den  Zeit- 
formen der  dauernden  Handlung,  nicht  aber  in  denen  der  voll- 
endeten ein  Unterschied  in  der  Conjugation  wahrgenommen 
werde.  Ueber  diese  häufig  zur  Sprache  kommende  Ansicht, 
und  ob  ihre  Anwendung  für  ein  Schulbuch  jetzt  schon  zweck- 
mässig sei,  zu  sprechen,  kann  hier  nicht  der  Ort  sein,  da  der 
Hr.  Verf.  nur  erwähnt,  was  er  habe  thun  wollen;  dass  er  sich 
aber  an  der  Ausführung  seines  Vorhabens  durch  den  zu  schnel- 
len Abdruck  dieser  Ausgabe  hat  verhindern  lassen,  ist  kaum 
erklärlich ,  da  ja  die  dadurch  nothwendig  gewordene  Umarbei- 
tung sich  in  einem  Tage  hätte  vollbringen  lassen,  und  es  wenig- 
stens nicht  Recht  ist,  der  Hurtigkeit  der  Presse  eine  bessere 
Ansicht  zu  opfern,  deren  Verwirklichung  in  dem  Kreise  dieses 
Schulbuches  nun  wieder  auf  mehrere  Jahre  hinausgeschoben 
ist.  —  Der  Plan  des  ganzen  Buches  ist  S.  3  und  4  angegeben; 
es  enthält:  §  1  — 12  Vorerinnerungen  über  Subjekt,  Copula 
und  Prädikat,  und  Einzelnes  über  Verbindung  der  Nomina,  dar- 
auf 6  Abschnitte  über  die  Deklinationen,  unter  denen  ein  be- 
sonderer der  Griechisch  -  Latein.  Deklinat.  gewidmet  ist  (§  IS 
—  37),  dann  in  2  Abschn.  (§  38—46)  die  Adjectiva,  Zahl- 
wörter und  Pronomina,  in  1  Abschn.  (§47  —  62)  sunt  mit  sei- 
nen Compositis,  und  endlich  die  regelmässigen  und  unregelmä- 
ssigen Veiba  in  9  Abschn.  (§  63  — 127)  ,  mit  einer  Vorerinne- 
rung über  die  Latein.  Satzverbindung.  Hieran  schliessen  sich 
3  Anhänge  (S.  97  — 138):  1)  Kurze  Notizen  aus  der  Rom.  Ge- 
schichte. 2)  Geschichte  des  Rom.  Königthums  ,  ein  Auszug 
aus  Livius.  3)  Erzählungen  aus  Cicero.  Den  Schluss  macht 
das  Wörterregister  (S.  139  — 193).  Dieser  Plan  des  Lehrbuchs 
empfiehlt  sich  gewiss  einem  Jeden  als  durchaus  praktisch ,  und 
die  Art,  wie  er  vom  Hrn.  Verf.  ausgeführt  ist,  verdient  die 
Anerkennung  aller  Schulmänner,  indem  mit  fleissiger  Auswahl 
und  verständiger  Abwägung  die  Materialien  gesammelt  und  ge- 
ordnet sind,  und  nirgends  vorgegriffen  wird,  sondern  stets  des 
Schülers  stufenmässiges  Fortschreiten  in  den  Beispielen  beo- 
bachtet ist.  Nur  hätte  der  Hr.  Verf.  im  Gefühl  seiner  ange- 
wandten Mühe  nicht  aufs  Unbestimmte  hin  einen  tadelnden 
Seitenblick  auf  andere  ähnliche  Bücher  werfen  sollen.  Noch 
viel  mehr  aber  wäre  es  zu  wünschen  gewesen,  dass  am  Schluss 
der  Vorrede  der  Ausfall  auf  manche  Schullehrer  ausgelassen 
wäre,  die  ungenau  und  ungrammatisch  mit  ihren  Schülern  die 


192  Elementarbücher  der  Lateinischen  Sprache. 

Alten  läsen ;  denn  es  ist  keine  geringe  Unbedachtsamkeit  einen 
Tadel  gegen  Lehrer  vor  Schülern  auszusprechen,  denen  diese 
Worte  der  Vorrede  doch  auch  zu  Gesichte  kommen.  —  Dass 
die  gesammelten  Sätze  nicht  aus  dem  Cicero  allein  genommen 
sind,  darüber  werden  jetzt  gewiss  nur  wenig  Schulleute  den 
Kopf  schütteln,  was  der  Hr.  Verf.  meint;  allein  dass  es  heim 
Anfänger  ziemlich  gleichgültig  sei,  oh  die  Sätze  aus  den  besten 
oder  aus  weniger  durch  Reinheit  der  Sprache  sich  auszeichnen- 
den Schriften  genommen  sind,  muss  Rec.  sehr  bestreiten.  Denn, 
wenn  es  auch  wahr  ist,  dass  den  Anfänger  nur  die  Form,  ihre 
Entzifferung  und  Bedeutung ,  unbekümmert  ob  das  Wort  selbst 
ein  achtes  oder  unächtes  sei ,  beschäftige ,  so  haftet  doch  in 
jedem  Lernenden  nichts  fester  und  tiefer  als  das  zuerst  Gelern- 
te, und  woher  anders  kommt  es,  dass  selbst  den  Schülern  hö- 
herer Classen  für  viele  Bedeutungen  der  unklassische  Aus- 
druck eher  als  der  acht  Römische  zu  Gebote  steht ,  als  dass 
sie  jenen  bei  ihrem  ersten  Unterrichte  gelernt  haben*?  Daher 
scheint  es  gerade  beim  Lesebuch  für  Anfänger  unerlässlich, 
dass  Alles  in  demselben,  wenn  auch  nicht  bloss  Ciceronisch, 
doch  durchaus  klassisch  sei.  Obgleich  nun  zwar  die  meisten 
Beispiele  dieses  Lesebuches  eine  durchaus  reine  Latinität  ent- 
halten, so  befinden  sich  doch  manche  darunter,  denen  die  ei- 
gentlich Lateinische  Farbe  fehlt ,  und  die  sich  zu  sehr  als  un- 
klassisch ,  oder  als  ein  neueres  nach  moderner  Denkweise  ge- 
formtes Machwerk  kund  thun.  Dahin  rechnet  Rec.  z.  B.  S.  17 
zur  4ten  Deklinat. :  Incolae  feri  terrae  sunt  plerumque  in  spe- 
cubus  montium.  —  Firns  domus  est  commoda  habitatio.  —  Fe- 
ri» hominibus  plerumque  sunt  vestes  super  genua,  et  specus 
montium  pro  domibus.  S.  25:  Liberae  reipublicae  multi  sapien- 
tes  viri  sunt  necessarii.  —  Per  dies  festos  ogricolis  non  sunt 
labores.  —  S.  39 :  Feminae  fuerunt ,  quae  filiae  regum ,  nxo- 
res  regum  et  matres  regum  fuerint.  S.  28 :  Ex  anni  tempori- 
bus  ver  est  saluberrimum ,  deinde  hiems  ;  periculosior  est  ae- 
stas ,  et  auctumnus  est  pericidosissimus ,  und  so  noch  mehrere, 
die  aber  im  Vergleich  mit  den  vielen  guten  immer  nur  wenige 
sind.  Besonders  aber  aufgefallen  ist  es  Rec.  in  den  Beispielen 
zu  finden  S.  13:  Animalium  quadrupe  dium,  und  S.  28:  oculi 
sunt  —  collocati  in  altissimum  locum  corporis  hum. 
—  Die  3  Anhänge  sind  für  schon  Geübtere  berechnet,  von  de- 
nen der  Ite  kurze  Notizen  aus  der  Rom.  Geschichte  (S.97 — 103) 
in  tabellarischer  Uebersicht  nebst  Angabe  der  Jahreszahlen  a. 
Ch.  und  a.  U.  bis  A.  30  enthält;  allein  diese  passen  mehr  zum 
Auswendiglernen  beim  historischen  Unterricht  als  zur  Lektüre. 
Der  2te  Anh.  dagegen,  Geschichte  des  Rom.  Königthums,  ein 
Auszug  aus  Livius,  ist  sehr  geeignet  für  die  Lektüre  eines  An- 
fängers, weit  mehr  als  Eutropius ,  Aurelius  Victor,  einzelne 
Fabeln  u.  dgl.,  indem  er  den  Schüler  nicht  erst  in  eine  schon 


Krebs  :  Lateinisches  Lesebuch.  193 

verdorbene  Latinität,  sondern  ohne  bedeutende  Schwierigkeit 
in  das  klassische  Alterthum  selbst  einführt.  Der  Auszug  ist 
dabei  keinesweges  dürftig  oder  mager,  und,  ohne  bedeutende 
Veränderungen  in  den  Worten  des  Schriftstellers,  ist  der  Zu- 
sammenhang nie  verletzt  oder  undeutlich.  Der  3te  Anh.  end- 
lich (S.  128 — 136)  enthält  Erzählungen  aus  Cicero,  von  leich- 
teren zu  schwerereu  übergehend  ,  die  sich  zwar  meist  in  ande- 
ren Lesebüchern  finden,  sich  aber  doch  alle  von  einem  Knaben 
mit  Interesse  lesen  lassen.  —  Für  den  ersten  Unterricht  im 
Lateinischen  eignet  sich  dieses  Lesebuch  vortrefflich,  nur  soll- 
te ein  grösserer  Reichthum  von  Beispielen,  besonders  zur  3ten 
Conjugation  vorhanden  sein ,  damit  der  Schüler  mit  mehreren 
Formationen  der  Perfekten  und  Supinen  derselben  bekannt  ge- 
macht würde,  und  das  Buch  zugleich  durch  seine  grössere  Aus- 
dehnung für  mehr  als  einen  Cursus  ausreichte,  was  jetzt 
schwerlich  zu  erwarten  ist.  Eben  so  wäre  es  zu  wünschen  ge- 
wesen, dass  der  Ilr.  Verf.  noch  andere  und  mehr  historische 
Abschnitte  aus  dem  Livius  im  Auszuge  mitgetheilt  hätte.  Der 
Umfang  des  Buches  würde  dabei  auch  nicht  einmal  bedeutend 
zugenommen  haben,  wenn  Hr.  K.  sich  mancher  Einschränkun- 
gen bedient  hätte.  So  hätten  vorzüglich  die  Vokabeln,  die  sich 
bei  den  Beispielen  zur  Deklination  hinter  jedem  Abschnitte  be- 
finden, und  jedesmal  einige  Seiten  einnehmen,  in  das  Wörter- 
register (S.  139 —  193),  in  dem  sie  fast  alle  wiederholt  werden, 
aufgenommen  werden  müssen;  und  in  den  Anmerkk.  und  Vor- 
erinnerungen hätte  Manches  weggelassen,  Manches  weniger 
breit  aufgenommen  werden  können.  Ausgelassen  konnten  wer- 
den: entweder  die  Citationen  der  §§  der  Grammatik,  indem 
die  Regel  selbst  jedesmal  genügend  angegeben  wird,  oder  bes- 
ser in  den  meisten  Fällen  die  Regel,  damit  der  Schüler  sich 
nicht  darauf  verlasse,  sie,  wenn  er  danach  gefragt  werde,  in 
der  Stunde  abzulesen,  und  er  zugleich,  durch  das  Aufschlagen 
derselben  in  seiner  Grammatik,  mit  dieser  selbst  vertraut  wer- 
de. Ganz  überflüssig  aber  waren,  um  die  Regel  in  Anwendung 
zu  bringen,  Fragen,  wie  S.  17:  nützlich  für  die  Gesundheit; 
für  den  Körper  ;  für  Menschen  und  Thiere?  S.  19:  Was  heisst 
nach  Morgen  sm,  gegen  Abend,  nach  dem  Ocean  zu,  nach  Rom 
zu?  u.  dgl.  m.,  da  solche  dem  Schiller  wie  dem  Lehrer  zu  je- 
der Zeit  in  grosser  Menge  zu  Gebote  stehen.  Ueberflüssig  war 
es  endlich  auch,  in  den  Anmerkk.  zu  den  Zahlwörtern  von 
mei,  tui,  nostri,  cujusque  und  zu  der  lten  Conjugat.  von  ritt 
die  Nominative  und  von  summus  den  Positiv  nachzuweisen. 
Zu  breit  ist  Abschn.  6  (S.  21 — 24)  über  die  Griech.- Latein. 
Deklination,  der  ausführliche  Schemata  derselben  und  Beispiele 
dazu  enthält,  weil  der  Anfänger  davon  höchstens  die  lte  De- 
klinat.  zu  kennen  braucht,  indem  die  übrigen  nicht  einmal  der 
ganz  unverdorbenen  Latinität  angehören.  Derselbe  Vorwurf  zu 


194  Elementarbücher  der  Lateinischen  Sprache. 

grosser  Breite  trifft  noch  manches  Einzelne  in  den  Anmerkk. 
und  Vorerinnerungen,  obgleich  sie  meist  klar  und  einfach  sind. 
Dagegen  vermisst  Itec.  etwas  Ausführlicheres  über  die  Conju- 
gatio  periphrastica ,  über  deren  passive  Form  nur  kurz  der  Kath 
gegeben  wird,  sie  gleich  beim  Passivum  zu  lernen,  wobei  aber 
über  die  Form  mit  dem  Partie.  Fut.  Act.  gar  nichts  angemerkt 
ist.  Ebenso  folgen  die  Beispiele  zu  den  Deponentibus  nach  den 
Passiven  ohne  irgend  eine  Erklärung.  Zum  Schluss  möchte  Rec. 
noch  über  Einiges  in  den  Vorerinnerungen  zu  den  Verben  mit 
Hrn.  K.  rechten.  S.  42  heisst  es  nemlich  im  lOten  Abschnitt: 
„1)  Die  Hauptverben :  Die  Verba  auf  o  bezeichnen  eine  Thätig- 
keit  und  Wirksamkeit  auf  sich  und  auf  andere  ,  oder  eine  Thä- 
tigkeit,  die  auf  niemanden  wirkt.  Es  giebt  daher  2  Gattungen 
der  Verba  1)  Transitiva  2)  Intransitiva  etc."  und  die  Beispiele 
dazu  stehen  unter  der  etwas  gezierten  Ueberschrift:  „der  Acti- 
ven  erste  Ckmjügation."  Diesen  werden  S.  62  die  Passiven  ge- 
genübergestellt,  indem  der  Hr.  Verf.  sagt:  „Ausser  den  tran- 
sit.  und  intransit.  Verben  giebt  es  auch  Passiven.'-1'  Hiernach 
scheint  er  also  die  transit.  und  intransit.  Verben  den  Passiven 
gegenüberzustellen;  allein  S.  63  verliert  er  diesen  Gesichts- 
punkt ,  indem  er  §  91  sagt :  „Jedoch  nicht  jedes  transitive  Ver- 
bum  hat  ein  ganzes  Passivum  durch  alle  Personen ,"  und  §  92 : 
„Eben  so  können  intransit.  Verba  kein  Passivum  haben''1'  etc., 
wonach  dasPassivum  offenbar  nur  als  eine  Form  des  Verbi tran- 
sit. erscheint.  Dazu  kommt  nun  noch ,  dass  die  Behauptung  un- 
richtig ist,  dass  nicht  jedes  Transitivum  ein  ganzes  Passivum 
habe,  denn  disceris  und  scriberis  kann  ich,  ein  Gedicht,  Brief 
und  dgl.  anredend,  eben  so  gut  sagen,  wie  legebar  und  dgl. 
wirklich  gefunden  wird.  Eben  so  unrichtig  ist ,  wenn  Hr.  K. 
sagt :  „Indess  kommen  auch  diese  (V.  intrans.)  im  Pass.  vor, 
aber  nur  in  der  ^ten  Pers.,  welche  jedoch  auch  nur  als  Neutr. 
ohne  Subj.  gedacht  wird.*  Was  soll  das  heissen:  „als  Neu- 
trum ohne  Subjekt  ?"  Wie  kann  irgend  ein  Satz  ohne  Subj.  ge- 
dacht werden?  Endlich  war  aus  §  94  keine  besondre  Nr.  zu 
machen,  denn  dass  parco  kein  vollständiges  Pass.  haben  könne, 
versteht  sich  darum  von  selbst,  weil  es  kein  Verb,  trans.  ist; 
dagegen  ist  es  unrichtig,  dass  damit  peto  und  quaero  zusammen- 
gestellt werden,  die  ein  vollständiges  Passiv  haben,  nur  nicht 
in  der  Bedeutung  bitten  und  fragen. 

Lateinis  che  Schulgr  ammatik  für  die  untersten  Gymnasial  - 
Klassen.  Nebst  Uebungsbeispielen  zum  Uebersetzen  ins  Lateini- 
sche und  einem  Lesebuche.  Von  F.  JV.  Burchard ,  Inspektor  am 
Joachimsthalischen  Gymnasium  zu  Berlin.  Berlin,  bei  Carl  Frie- 
drich Plahn.  1827.  VIII  u.  500  S.  in  8.  20  Gr. 

Des    Hrn.    Verfs.   Absicht  war  statt   des  Auszuges    der 
Zump  Ische  n    Grammatik    und     der    Uebungsbücher     von 


Burchard:  Latein.  Grammatik.  195 

Christ.  Ferd.  Schulze  und  von  Friedr.  Jacobs  ein 
Buch  zu  geben,  das  an  die  Stelle  dieser  drei  träte,  und  zugleich 
für  den  Elementarunterricht  zweckmässiger  wäre.  Dass  in  dem 
Auszuge  von  Zumpts  Grammatik  nur  die  Masse  geringer  sei 
als  in  der  grössern,  nicht  die  Schwierigkeit,  und  der  Lehrer 
oft  verhindert  sei,  das  Aufgestellte  vom  Schüler  auswendig- 
lernen  zu  lassen,  darin  hat  Hr.  B.  allerdings  Recht;  allein  von 
einer  jeden  Regel  dieses  Auszuges  lässt  sich  der  Hauptinhalt 
mit  Beibehaltung  der  Worte  des  Verf.  so  zusammenziehen,  dass 
sie  die  einfache  Gestalt  erhält,  welche  sich  zum  Auswendig- 
lernen eignet.  Man  braucht  daher  nur  von  dem  Schüler  je- 
desmal den  Hauptbestandteil  der  Regel  unterstreichen  zu  las- 
sen, so  leistet  dieses  Buch  auch  in  Bezug  auf  das  Auswendig- 
lernen das  Gewünschte.  Dabei  entsteht  noch  derVortheil,  dass 
die  Regel  nach  dem  jedesmaligen  Bedürfnisse  ausgedehnt  und 
zusammengezogen  werden  kann ,  und  der  Schüler ,  was  nicht 
zu  gering  anzuschlagen  ist ,  nicht  nur  mit  der  Grammatik  ver- 
traut wird ,  die  ihn  bei  seinem  spätem  Unterrichte  leiten  soll, 
sondern  auch  schon  beim  ersten  Lernen  der  Regel  durch  eigne 
Ueberzeugung  inne  wird,  was  er  jetzt  lernt,  sei  nur  der  Haupt- 
inhalt derselben,  und  dass  er  später  nicht  darüber  betroffen 
wird,  was  sonst  häufig  geschieht,  dass  selbst  Schriftsteller, 
die  ihm  als  Muster  der  Latein.  Redeweise  aufgestellt  werden, 
von  den  von  ihm  gelernten  Regeln  in  manchen  Fällen  abwei- 
chen. Hr.  B.  scheint  auch  nichts  weiter  haben  leisten  wollen, 
als  einen  solchen  Auszug  von  dem  Auszuge  der  Zumptschen 
Gramm,  zur  Bequemlichkeit  der  Lernenden  drucken  zu  lassen. 
Desshalb  weicht  er  nur  in  Wenigem  von  demselben  ab ,  wovon 
Manches  auch  schwerlich  auf  besondere  Erwähnung  Ansprü- 
che macht,  wie,  dass  ille  und  iste  nach  dem  Schema  von  ipse 
flectirt  werden  sollen  u.  dgl.  Rec.  erwähnt  dagegen  als  eigen- 
thümliche  Veränderungen  des  Hrn.  B.  die  viel  reichere  Zahl 
von  Beispielen  mit  der  Deutschen  Bedeutung  zu  den  Deklinatio- 
nen, zur  lten  und  2ten  unstreitig  zu  viel,  bei  der  3ten  dagegen 
hält  die  angeführte  Menge  das  gehörige  Maass,  ist  gut  geord- 
net ,  und  recht  zweckmässig  für  die  Erlernung  der  Flexion  des 
Genit.  (doch  vergl.  Z.  Ausz.  §  14).  Anschaulich  ist  (S.  29)  die 
Anordnung  der  Pron.  relat.  und  indefin. ,  sehr  zweckmässig  (§ 
27  S.  58)  eine  ausführliche  Anweisung  über  die  Flexion  des 
Präsens  der  3ten  Conjugat.  auf  zo,  und  was  damit  zusammen- 
hängt, auch  dass  über  den  Gebrauch  von  sui,  sibi  etc.  gespro- 
chen wird:  nur  sollte  es  nicht  als  §  58  den  Schluss  der  grara- 
mat.  Regeln  machen,  sondern  seine  Stelle  lieber  unter  den  Pro- 
nominibus einnehmen.  Eben  so  würde  Rec.  die  Anweisung,  wie 
unser  man  Lateinisch  ausgedrückt  wird,  eher  beim  Pron.  oder  in 
der  Syntax  als  bei  den  Anmerkk.  zur  Conjugat.  gesucht  haben. 
Das  Bedeutendste  aber  von  dem  dieser  Grammatik  in  Vergleich 


196  Elenientarbüclier  der  Lateinischen  Sprache. 

mit  der  Zumptschen  Eigenthümlichen  ist  die  Anordnung  der 
Verba  oder  Beispiele  zur  Hebung  in  der  Conjugation  (S.  65  — 
8») ,  die  der  Hr.  Verf.,  davon  ausgehend  (S.  VI) ,  dass  es  nicht 
vier,  sondern  eine  regelmässige  Conjugation  und  drei  zusam- 
mengezogene gähe,  nicht  nach  den  Conjugationen  aufzählt,  son- 
dern nach  der  Verschiedenheit  der  Endungen  des  Perfectums 
in  vier  Klassen  ,  mit  besondrer  Berücksichtigung  des  Karakters, 
getheilt  hat.  Hierin  ist  die  Behutsamkeit,  mit  welcher  derselbe 
diese  schon  häufig  versuchte  Neuerung  in  sein  Schulbuch  auf- 
genommen hat,  zu  loben,  wiewohl  durch  diese  Methode  für  die 
Vereinfachung  beim  Erlernen  der  Conjugationen  auf  Schulen 
nicht  so  viel  gewonnen  wird,  als  man  gewöhnlich  glaubt,  weil 
der  Schüler  doch  immer  die  Aier  alten  Conjugationsformen  wird 
besonders  lernen  müssen,  die  übrigen  Vortheile  aber,  die  dar- 
aus entstellen,  auch  leicht  bei  der  alten  Methode  durch  ge- 
schickte Vergleichung  der  Formationen  der  einzelnen  Conjuga- 
tionen mit  einander  gewonnen  werden  können.  —  Indem  nun 
der  Hr.  Verf.  sich  bestrebte ,  sämmtliche  Regeln  so  einzurich- 
ten, dass  sie  verbotenus  auswendig  gelernt  werden  könnten,  ge- 
lang es  ihm,  sie  meistentheils  klar  und  einfach  auszudrücken. 
Besonders  gehören  dahin  §  53,  1  und  2  vom  Gebrauch  des  Perf. 
und  Imperf.,  §  54  von  quum  mit  dem  Indic,  §  56  über  Inf.  und 
Ger.  Allein  auch  in  der  hier  auftretenden  Gestalt  eignen  sich 
nicht  alle  zum  Auswendiglernen,  wie  §  4T,  3:  „Wenn  ein  Ad- 
jectivum  auf  mehrere  lebende  Wesen  masculiui  und  anderen  Ge- 
neris  im  Si/tgularis ,  oder  Sing,  und  Plur.  bezogen  ivird,  so 
steht  es  im  Pluralis  Generis  masculini ;  in  allen  anderen  Fällen 
entweder  im  Neutrum  Pluralis,  oder  neben  einem  der  Nomina 
in  dem  Genus  dieses;"  eben  so  §  48,  6;  §  56,  6;  §  58  und 
noch  manche  andere.  Auch  hat  Hr.  B.  durch  das  leider  erst 
nach  dem  Abdrucke  des  Buches,  laut  der  Vorrede,  bemerkte 
Versehen,  viele  Regeln  durch  so  und  daher  aneinander  zu  knü- 
pfen, ihrer  Tauglichkeit  zum  wörtlich  Auswendiglernen  gescha- 
det. Ausserdem  aber  hat  ihn  das  Streben  nach  Kürze  zu  man- 
chen Unvollständigkeiten  und  Fehlern  verleitet.  So  §  1  A.  5: 
„ti  sprich  wie  s«,u  wonach  der  Schüler  laudati  wie  laudazi 
spricht  u.  dgl. ;  §  6  fehlt  die  abweichende  Deklination  xowDeus; 
§  8,  4  über  den  Nom.  plur.  auf  ia  hätte  vetera  als  Ausnahme 
angemerkt  werden  müssen,  oder  §  15,  3  statt  zu  sagen:  „die 
Adjectiva  einer  Endung  haben  im  Pluralis  für  das  Neutrum  die 
Endung  a,  gewöhnlich  ia^  hätte  es  richtiger  heissen  sollen: 
Die  Adj.  etc.  haben  ia ,  ausser  vetera  ;  §  8 ,  5  fehlen  die  wich- 
tigsten Adjekt. ,  welche  um  behalten;  §  16  ist  es  für  den  Kna- 
ben noch  nicht  ganz  deutlich ,  wenn  von  den  Komparativendun- 
gen bloss  gesagt  wird :  „welche  statt  der  Casusendung  des  Ge- 
nitivs  i  oder  is  an  das  Adjektivum  gehängt  wird  ;u  §  26  hätte 
bei  der  Bildung  der  Tempora  der  Infinitiv  als  vierte  Grundform 


Burchard:  Lateinische  Schulgramniatik.  197 

angenommen,  und  die  abgeleiteten  Tempora  alle  vollständig 
aufgeführt  werden  müssen,  weil  eine  genaue  Kenntnis«  der  Ab- 
leitung der  Tempora  für  eine  leichte  und  sichere  Erlernung  der 
Conjugat.  durchaus  nothwendig  ist.  Durch  diese  üngenauig- 
keit  oder  eigenthümliche  Ansicht  des  Hrn.  Verfs.  sind  auch  die 
Schemata  zur  Conjugat.  auf  eine  Art  geordnet,  die  sich  der  bei 
der  Griech.  Conjugat.  üblichen  nähert,  allein  für  die  Erlernung 
der  Lat.  Conjugationsformen  nicht  so  zweckmässig  wie  die  ety- 
mologische Anordnung  ist,  indem  nach  dem  Praes.  Ind.  und 
Conj.,  der  Imperat.,  Inf.  Praes.,  Gerund.,  Partie.  Praes., 
Impf.  Ind.  und  Conj.,  das  Perf.,  Inf.  Perf,  Plusqpf.,  Fut.  I, 
Inf.  Fat.,  Part.  Fat.,  Fut.  II  und  Supin.  folgen;  wiewohl  da- 
bei wieder  in  der  Anordnung  zu  loben  ist,  dass  auf  der  gegen- 
überstehenden Seite  immer  dieselben  Formen  des  Passiv  ange- 
führt sind.  Ferner  fehlt  §  29  über  die  Frequentativa,  dass  sie 
vom  Supino  herkommen ;  §  48  die  Lehre  von  der  Apposition ; 
§  49,  1:  „Wenn  das  Prädikat  des  Subjekts  ein  Verbum  trans- 
itivum  ist ,  so  heisst  der  Gegenstand ,  auf  tvelchen  die  Thätig- 
keit  desselben  übergeht  etc.u  verführt  zur  falschen  Ansicht  vom 
Prädikat;  §  53,  3:  „Auf  ein  Praesens  folgt  tvieder  ein  Präsens 
und  sofort,1-1"  ist  falsch  und  ungenau;  §  54,  2:  „Die  Zeitpar- 
tikeln postquam  etc.  haben  den  Indikativ  nach  sich,'-1'  war  über- 
flüssig, wenn  nicht  bemerkt  werden  sollte,  dass  bei  diesen 
"Wörtern  das  Perfectum  Ind.  gewöhnlich  sei ;  §  55  hätte  auch 
von  den  hypothet.  Sätzen  gesprochen  werden  müssen.  Endlich 
ist  zu  wenig  von  dem  Gebrauch  der  Participia  angeführt,  zu- 
mal da  das  Einzige,  was  §  57  über  die  Ablativi  absol.  gesagt 
wird:  „Wenn  Vordersätze  oder  Zwischensätze  durch  Zeitpar- 
tikeln —  mit  einem  vom  Hauptsatze  verschiedenen  Subjekte  ein- 
treten ,  so  kann ,  mit  Weglassimg  der  Conjunction ,  ihr  Subjekt 
in  den  Ablat.  und  ihr  Prädik.  ebenfalls  in  den  Ablat.  —  gesetzt 
werden,1-''  die  Schüler  zu  dem  Fehler  verführt,  dass  sie  einen 
Satz,  wie:  Nachdem  Troja  zehn  Jahre  belagert  war,  eroberten 
es  die  Griechen,  richtig  zu  übersetzen  glauben  durch:  Troja 
decem  annos  oppugnata,  eam  Graeci  ceperunt ;  auf  den  Ge- 
brauch der  Particc.  in  solchem  Falle  hätte  also  noch  aufmerk- 
sam gemacht  werden  müssen.  Den  Schluss  der  Schulgramma- 
tik macht  ein  Anhang ,  die  gereimten  Genusregeln  enthaltend, 
die  Hr.  B.  (S.  VI)  als  zu  unglaublicher  Gedankenlosigkeit  ver- 
führend, verwirft,  weshalb  er  auch  die  Genusregeln  in  seine 
Grammatik  in  Prosa  aufgenommen  habe.  Allein  ein  jedes  wört- 
liche Auswendiglernen  von  Sprachregeln,  besonders  der  syn- 
taktischen, was  doch  der  Hauptzweck  des  grammat.  Theiles 
vorliegenden  Werkes  ist,  verführt  zu  Gedankenlosigkeit,  und 
kann  einer  Seits  nur  dazu  dienen,  einen  gewissen  Schatz  im 
Gedächtniss  des  Schülers  anzulegen,  in  dem  er  immer  finden 
könne,  was  er  braucht,  zu  dessen  nützlicher  Verwendung  aber 


198  ElementarMcher  der  Lateinischen  Sprache. 

nicht  nur  eine  grosse  Sicherheit  und  Festigkeit  im  Behalten 
nöthig  ist,  sondern  ein  deutliches  Bewusstsein,  in  welchem 
Fache  des  Gedächtnissschatzes  jedesmal  dasNöthige  zu  suchen 
sei ;  anderer  Seits  aber  sind  auswendig  gelernte  Regeln  das  be- 
ste Kriterium ,  wodurch  in  schwankenden  Fällen  der  Schiller 
selbst  das  Richtige  entscheiden  kann.  Dazu  werden  aber  solche 
Regeln  am  besten  dienen ,  die  sich  am  leichtesten  lernen  und 
behalten  lassen :  was  unstreitig  gereimte  Regeln  sind;  denn  der 
Rhythmus  übt  eine  gewaltige  Kraft  über  das  Gedächtniss  aus; 
und  daher  kürze  man  nur  die  gereimten  Genusregeln  etwas  ab, 
beraube  sich  aber  ja  nicht  einiger  seltener  Wörter  in  denselben 
ganz  wegen  des  grossen  Vortheils ,  den  sie  fürs  Auswendigler- 
nen haben.  Die  syntakt.  Regeln  aber  lasse  man  entweder  gar 
nicht  wörtlich  lernen ,  oder  suche  auch  für  sie ,  wo  es  angeht 
einen  rhythmischen  Fall ;  denn  jeder  Lehrer  wird  die  Erfah- 
rung gemacht  haben ,  dass  gerade  diejenigen  von  ihnen  am  fe- 
stesten im  Gedächtniss  haften,  in  denen  sich  ein  gewisser  Rhyth- 
mus findet,  wie  etwa  die  welche  anfangen:  utor ,  fruor ,  fun- 
gor oder  juvo  und  adjuvo  u.  dgl. 

S.  126  folgt  der  2teTheil  des  Buches:  Uebungsbeispiele  zu 
den  Regeln  der  Grammatik,  in  zwei  gleichen  Cursen,  welcher 
auf  dem  Joachimsthal.  Gyran.  die  Stelle  des  früher  gebrauchten 
von  Christ.  Ferd.  Schulze  vertreten  soll.  Es  folgt  den 
Regeln  der  Schulgrammatik  Schritt  für  Schritt;  ausserdem  sind 
einigen  Abschnitten  noch  ergänzende  prakt.  Regeln  vorausge- 
schickt, die  im  Ganzen  zweckmässig  sind,  von  denen  aber  S.  134 : 
„a  von  und  de  von  unterscheiden  sich  so ,  dass  sich  a  auf 
den  Urheber,  de  auf  den  Gegenstand  bezieht,  von  welchem  et- 
washandelt; oder,  a  steht  active,  de  passive,1-'-  für  den  Knaben 
wieder  einer  Erläuterung  bedarf,  und  S.  174,  ergänzende  Anm. 
zu  interest  und  refert,  und  S.  180  zu  den  Verbis  schätzen  etc. 
passender  zu  den  Regeln  selbst  in  die  Grammat.  gesetzt  wären. 
Die  Beispiele  sind  der  Fassungskraft  der  Schüler  angemessen 
und  nicht  gedankenleer,  auch  steigen  sie  gehörig  vom  Leichte- 
ren zum  Schwereren  aufwärts;  allein  zu  rasch  ist  der  Ueber- 
gang  zum  Syntaktischen,  wozu  doch  der  Gebrauch  der  Präpo- 
sitionen schon  zu  rechnen  ist,  indem  diesem  nur  7  halbe  Seiten 
gewidmet  sind ;  und  besonders  ist  zu  tadeln,  dass  für  die  regel- 
mässige Conjugat. ,  deren  Einübung  für  den  Anfänger  gerade 
das  Wichtigste  ist,  kein  einziges  Beispiel  vorhanden  ist.  Die 
Latein.  Bedeutungen,  die  Substantt.  mit  dem  Genit.,  die  Verba 
mit  den  Tempp.  thematicis,  sind  auf  jeder  Seite  unter  den  Ue- 
bungssätzen  angegeben ,  welches  ein  Fehler  in  der  Einrichtung 
des  Buches  ist,  denn  es  wird  nicht  allein  der  Text  selbst  durch 
die  grossen,  fast  hinter  jedem  Worte  eingeschalteten  Ziffern 
zerrissen ,  sondern  die  Nachlässigkeit  der  Schüler  bei  der  Vor- 
bereitung zu  sehr  begünstigt ;  auch  ist  durch  die  nicht  zu  ver- 


Burchard  :  Lateinische  Schulgrainmatik.  199 

meidende  Wiederholung  zu  viel  Raum  verschwendet.    Zweck- 
mässiger wäre  also  ein  besonderes  Wörterregister  gewesen. 

Der  3te  Theil ,  von  S.  317  an,  enthält  ein  Lat.  Lesebuch, 
welches  erst  einfache  Sätze,  dann  bekannte  Fabeln,  Etwas  aus 
der  Mythologie  und  Erzählungen  enthält,  und  am  meisten  Aehn- 
lichkeit  mit  dem  Gedickeschen  in  seiner  neuesten  Auflage  hat, 
zunächst  aber  an  die  Stelle  des  lten  Theiles  des  von  Friedr. 
Jacobs  treten  soll.  Der  Hr.  Verf.  scheint  es  nur  angefer- 
tigt zu  haben ,  um  Alles  Mas  der  Anfänger  braucht  in  einem 
Buche  zusammenzufassen;  sonst  genügte  das  Buch  von  Jacobs 
allen  Anforderungen ,  bis  auf  die  wenigen,  auch  von  Hr.  B.  ge- 
rügten, Mängel  in  den  Uebungen  in  einzelnen  Sätzen,  welche  je- 
doch in  vorliegendem  Lesebuche  nicht  ganz  beseitigt  sind.  Denn 
Beispiele  nach  den  Deklinatt.  geordnet  sind  überflüssig,  wenn 
der  Schüler  schon  konjugiren  kann,  was  in  diesem  Lesebuche 
vorausgesetzt  wird ,  deren  zu  den  Conjugatt.  aber  viel  zu  we- 
nig, weil  nur  durch  vieles  Lesen  sich  eine  Sprache  erlernen 
lässt,  der  untersten,  formalen  Classe  eines  Gymnasii  aber  vor- 
züglich Gelegenheit  gegeben  werden  muss,  mit  den  mannich- 
fachen  Formen  der  Latein.  Verben  durch  viele  Lektüre  bekannt 
zu  werden,  was  durch  die  geringe  Zahl  von  8  Seiten  in  jedem 
Halbjahre  nicht  möglich  ist.  Die  in  den  Beispielen  vorkommen- 
den Wörter  sind  (S.  439  —  500)  in  einem  Wörterbuche  verei- 
nigt. —  Zum  Schluss  bedauert  Rec.  noch ,  dass  die  einzelnen 
Theile  dieses  Buches  nicht  besonders  erschienen  sind ,  da  der 
2te  manchem  Bedürfnisse  abhilft,  und  sehr  gut  auf  Schulen  ge- 
braucht werden  könnte ,  deren  Latein.  Unterrichte  der  Auszug 
der  Zumptschen  Gfammat.  zum  Grunde  liegt,  und  in  seinen  Bei- 
spielen reicher  als  Dronke  und  für  Anfänger  fasslicher  als 
August  ist,  dessen  Anleitung  zum  Uebersetzen  mehr  für  mitt- 
lere Classen  berechnet  ist. 

Lateinis  che  s  Lesebuch  von  Rudolf  Hanhart,  Professor 
und  Rector  des  Gymnasiums  zu  Basel.  Zweiter  Theil.  Erster  Cur- 
8us.  Basel  in  der  Schweighäuserschen  Buchhandlung.  1825.  XIII  u. 
180  S.  iu  8.  12  Gr. 

Rec.  geht  ungern  an  die  Beurtheilung  dieses  Buches ;  denn 
eine  so  grosse  Achtung  er  auch  sonst  vor  dem  pädagogischen 
Rufe  des  Hrn.  Verfs.  hat,  so  ist  es  ihm  doch  nicht  möglich,  da- 
von sein  gegenwärtiges  Urtheil  abhängen  zu  lassen,  und  es  thut 
ihm  Leid ,  dass  er  nach  Durchsicht  dieses  Theils  eine  ganz 
andere  Vorstellung  von  der  Brauchbarkeit  desselben  für  den 
Unterricht  bekommen  hat,  als  er  nach  den  beiden  Cursen  des 
ersten  Theils  erwartete,  und  dem  Hrn.  Verf.  selbst  vorgeschwebt 
zu  haben  scheint.  Dieser  zweite  Theil  soll  nemlich  nur  eine 
Fortsetzung  und  Ergänzung  des  ersten  sein,  und  wie  dieser  zur 
Einübung  der  regelmässigen  Formen  aller  Redetheile  dienen 


Elementarlriicher  der  Lateinischen  Sprache. 

sollte,  so  bezweckt  er  die  Bekanntschaft  mit  den  unregelmässi- 
gen Formen  der  Deklinationen  und  Conjugationen,  besonders 
in  der  Flexion  der  Perfecta  und  Supina.  Er  ist  für  Schüler, 
die  sich  schon  etwas  mit  der  Latein.  Sprache  beschäftigt  haben, 
bestimmt,  doch  höchstens  für  die  2te  oder  3te  der  untersten 
Classen,  da  Hr.  Ilanhart  ihn  an  die  Stelle  des  Eutropius  zu 
setzen  wünscht.  Mit  grösserer  Sorgfalt  als  irgendwo  sind 
besonders  die  Deklinationen  behandelt:  zu  allen  Griech.  und 
kontrahirten  Endungen,  zu  den  Heteroclitis  und  Defektiven  al- 
ler Art  findet  man  eine  grosse  Anzahl  aus  Latein.  Schriftstel- 
lern gesammelter  Uebungssätze.  Da  liest  man  Beispiele  zu 
(S.  5)  coelicolum,  Lapühiini ,  consili,  auxüi,  (S.  15)  progenii, 
specii,  lu&urii,  Atho,  divom  u.  dgl.  Allein  kann  es  wirklich 
die  Absicht  irgend  eines  Unterrichts,  zumal  für  Anfänger,  sein, 
diese  Formen  durch  besondere  Lektüre  einzuüben,  und  sich 
nicht  bloss  darauf  zu  beschränken ,  sie  gelegentlich  zu  erklä- 
ren? und  würde  nicht  ein  Lehrer,  der  seine  Schüler  eine  Zeit 
lang  vorzugsweise  auf  eine  solche  Lektüre  beschränkte,  mehr 
ihrer  ganzen  Ausbildung  im  Lateinischen  schaden  als  nützen? 
Denn  der  Knabe  liebt  das  Sonderbare,  daher  hascht  er  gern 
nach  dem  Abweichenden  und  Ungewöhnlichen,  und  wenn  er 
sich  kaum  die  Bekanntschaft  mit  den  gebräuchlichen  Formen 
erworben  hat,  möchte  die  viele  Beschäftigung  mit  den  seltenen 
leicht  das  Streben,  was  sich  bei  den  schwächern  Schülern  ge- 
rade am  häufigsten  zeigt,  begünstigen,  in  veralteten  und  sel- 
tenen Wörtern  und  Formen  eine  besondere  Feinheit  zu  suchen. 
Dazu  kommt  noch,  dass  Hr.  llanh. ,  dessen  Beispiele  sich  in 
dem  lten  Theile  durch  ihre  Angemessenheit  empfehlen,  hier 
die  leichtesten  Sätze  mit  schwierigen  Stellen  aus  Prosaikern 
und  besonders  Dichtern  abwechseln  lässt;  aber  ein  Schüler, 
der  noch  die  Elemente  der  Sprache  lernt ,  ist  doch  unmöglich 
im  Stande  aus  dem  Zusammenhang  gerissene  Stellen  aus  Plau- 
tus,  Terenz,  Horaz,  Virgil ,  Tibull  etc.  zu  verstehen,  und 
zwar  nicht  bloss  einzelne  Sentenzen  u.  dgl.,  sondern  grössere 
Abschnitte  von  6,  8,  10  und  mehr  Versen?  wobei  am  Ende 
der  Hauptzweck,  die  Kenntniss  jener  abweichenden  Formen, 
ganz  in  den  Hintergrund  tritt.  So  werden  z.  B.  S.  4  wegen  der 
Form  Dardanidum  6  Verse  aus  Virgil ,  S.  9 ,  um  Thaleti  an- 
zubringen ,  7  Verse  angeblicher  Sprüche  dieses  Philosophen 
angeführt,  und  so  fort.  Zu  bedauern  ist  es,  dass  dessen,  was 
über  des  Anfängers  Fassungskraft  weit  hinausliegt ,  so  viel  ist, 
dass  es  bedenklich  ist ,  ihm  dies  Buch  in  die  Hände  zu  geben, 
und  ihm  daher  auch  das  Gute  entzogen  werden  muss,  was  Hr. 
Hanh.  mit  sorgsamen  Fleiss  für  ihn  gesammelt  hat.  Dahin  rech- 
net Rec.  bei  den  Deklinationen  schon  die  Beispiele  zu  den  Plur. 
tantum,  welche  zugleich  die  Erklärung  der  einzelnen  Bedeu- 
tungen auf  eine  leichte  und  zweckmässige  Art  enthalten,  wie 


lianhart:  Lateinisches  Lesebuch.  201 

S.  24 :  Impedimenta  in  exercitu  dicuntur  non  solum  sarcinae, 
sed  etiam  jumentu.  —  Inferias  dixerttnt  veter  es  sacrificia,  quae 
diis  Mariibm  inferebunt.  Justa  sunt  exsequiae  et  sacrificia,  quae 
mortuis  impenduntur ,  quod  jure  fierent  Ms,  qui  de  ?iobis  vi- 
ventes  bene  meriti  fuerant.  Besonders  aber  gehören  dahin  die 
Sätze  zur  Einübung  der  von  der  regelmässigen  Flexion  abwei- 
chenden Formen  des  Verbi,  weiche  nach  dem  in  Zumpts  Gram- 
matik gegebenen  Verzeichnisse  geordnet  sind,  und  worin  Hr. 
Hanli.,  mit  Recht  die  Einübung  der  unregelmässigen  Verba 
und  Deponentia  für  die  zweckmässigste  Uebung  eines  Anfän- 
gers haltend,  an  Vollständigkeit  alle  früheren  Beispielsamm- 
lungen  übertrifft ,  indem  er  fast  zu  jedem  Verbo  Uebungsbei- 
spiele  in  möglichst  verschiedenen  Formen  anführt.  Dass  Aktiv 
und  Passiv  nicht  gesondert  sind,  auch  bei  den  früheren  Conju- 
gationen  die  Formen  aus  den  späteren  nicht  vermieden  werden, 
war  bei  der  Voraussetzung  des  Hrn.  Verfs.  natürlich,  dass  dies 
Buch  nicht  für  die  ersten  Anfänger  bestimmt  sei.  Allein  für 
eine  Hauptbedingung  bei  einer  Beispielsammlung  zur  Conjuga- 
tion  hält  es  Rec,  dass  jedes  Verbum  wenigstens  einmal  in  sei- 
ner Grundbedeutung  vorkomme,  dagegen  poetische  und  auf 
besonderer  Eigenthümlichkeit  beruhende  lieber  ganz  vermieden 
werden,  weil  es  unmöglich  bloss  auf  die  Kenntniss  der  Latein. 
Form  ankommen  kann.  Und  doch  sind  z.  B.  zu  luo  und  solvo  (S.  4?) 
nur  vorhanden  die  Beispiele:  gravissimas  luiturum  poenas,  und: 
nos  eo  die  coenati  solvimus ,  soluta  est  navis.  Der  Vorwurf  der 
Ungleichheit  in  Hinsicht  ihres  Verständnisses  und  ihrer  Aus- 
dehnung kann  zwar  den  Sätzen  zur  Conjugation  weniger  als  de- 
nen zur  Deklination  gemacht  werden,  obwohl  auch  hier  noch 
ein  zu  grosses  Missverhältniss  herrscht.  Denn  neben  einem  Satze 
•wie  (S.  45) :  Ferunt  siccari  einulsa  pi/igue  palude  solum,  stehen 
10  Verse  aus  Virg.  Georg.,  um  mulsere  anzuführen  ;  und  so  nicht 
selten,  wie  S.  44,  wo  commixtam  in  8  Virgilischen  Hexametern, 
und  S.  56  devortar  in  einer  ganzen  Scene  desTerenz  eingehüllt 
ist.  Auch  kann  sich  Rec.  nicht  davon  überzeugen  ,  dass  die 
Beispiele  für  eine  Vorschule  der  klassischen  Latinität  zweck- 
mässig gewählt  sind ;  denn  sowohl  Dichter  als  Prosaiker  der 
schon  sinkenden  Latinität,  wie  der  ältere  Piinius ,  Celsus  u.  a., 
auch  das  Monumentum  Ancyranum,  haben  meistens  den  Stoff 
dazu  bieten  müssen.  Dabei  sind  sie ,  wenn  der  Anfänger  end- 
lich die  Schwierigkeiten  des  Verständnisses  überwunden  hat, 
zum  Theil  wenigstens  von  so  wenig  sagendem  Inhalte,  dass  er 
sie  gewiss  ohne  inneres  Interesse  lesen  wird,  welches  aber  dann 
in  ihm  nur  recht  lebendig  sein  kann,  wenn  es  ihm  Freude  macht, 
den  Inhalt  des  zu  Uebersetzenden  zu  erfahren.  Um  die  Rich- 
tigkeit dieser  Behauptung  zu  zeigen ,  müsste  Rec.  wenigstens 
eine  ganze  Seite  aus  dem  Lesebuche  abdrucken  lassen ;  allein 
er  glaubt,   dass  diejenigen  Schulmänner,  denen  dieses  Lese- 


202  Elementarbücher  der  Lateinischen  Sprache. 

buch  bekannt  ist,  schon  selbst  dieselbe  Ueberzeugung  gewon- 
nen haben;  wer  es  aber  nichtkennt  und  Misstrauen  in  des  Rec. 
Urtheil  setzen  sollte,  auch  diese  Seite  gerade  für  absichtlich 
gewählt  halten  könnte.  Den  einzelnen  Sätzen  folgen  Briefe  von 
Cicero  undPlinius,  zwar  leicht  aber  ohne  eigentliches  Interesse, 
dann  Erzählungen  und  grössere  Dichterstellen  aus  Ovid,  Horaz, 
Catull,  Martialis,  Claudian  etc.,  zu  welchen  der  Uebergang 
viel  zu  rasch  gemacht  zu  sein  scheint.  Das  Wörterregister  ist, 
wie  in  den  früheren  Theilen,  nach  den  Seiten  des  Lesebuchs 
geordnet,  und  S.  VII  verspricht  der  Hr.  Verf.,  sich  über  die 
Beibehaltung  dieser  Einrichtung  in  der  Anleitung  zum  Gebrauch 
dieses  Elementarwerks  zu  rechtfertigen.  Rec.  muss  aber  be- 
dauern, dass  ihm  von  dieser  Anleitung  noch  nichts  zu  Gesichte 
gekommen  ist,  übrigens  kann  er  die  Zweckmässigkeit  dieser 
Einrichtung  eben  so  wenig ,  wie  die  Beurtheiler  des  früheren 
Theiles  einsehen.  Was  die  äussere  Einrichtung  betrifft,  so 
wäre  eine  Sonderung  der  einzelnen  Beispiele  durch  Ziffern  zu 
Wünschen ,  da  die  Schüler ,  zumal  bei  der  Schwierigkeit  der- 
selben, häufig  nicht  wissen  werden,  ob  das  folgende  Punktum 
zum  früheren  gehöre ,  oder  für  sich  zu  verstehen  sei.  Bei  der 
Abbrechung  derSylben  sind  die  üblichen  Regeln  nicht  beobach- 
tet ,  auch  laufen  einige  garstige  Druckfehler  mitunter ,  wie  S. 
9 :  sao  sepidcro ,  S.  31 :  projectu  est. 

Lateinisch-  deutsche  Sprechübungen.  Ein  prakti- 
sches Hilfsbuch  zur  Einübung  der  lateinischen  Conversationsspra- 
che  von  Dr.  Ferd.  Philippi,  Grossherzogl.  Sächsischem  Hofrathe. 
Leipzig.  Verlag  von  Carl  Focke.  1827.  172  S.  16  Gr. 

Dieses  Buch,  das  ohne  irgend  ein  einleitendes  Wort  er- 
scheint, und  über  dessen  Zweck  bloss  der  Titel  Auskunft  giebt, 
dass  es  nemlich  zur  Einübung  der  Latein.  Conversationssprache 
dienen  solle,  ist  grösstentheils  nur  ein  Auszug  der  bekannten 
Colloquia  Erasmi,  dem  von  S.  10S  — 172  ein  Anhang  der 
„wichtigsten  und  gebräuchlichsten  Latein.  Sprichwö?ter"  folgt. 
Wie  jene  Colloquia  so  zerfällt  auch  die  erste  Hälfte  dieses  Bu- 
ches in  mehrere  Abschnitte,  welche  Gespräche  verschiedenen 
Inhalts  enthalten;  es  sind  ihrer  folgende  25,  ohne  Ueberschrif- 
ten:  1)  Begrüssungen.  2)  Unterredung  beim  Abschiede.  3)  Bei 
der  Rückkehr  von  einer  Reise.  4)  Zwischen  zwei  Knaben  auf  dem 
Schulwege.  5)  Ein  Morgenbesuch.  6)  Gespräch  zwischen  Schü- 
lern über  ihre  Lektion.  7)Ueber  das  Lesen  von  Dichtern.  8)Ueber 
schriftliche  Arbeiten.  9)  Während  des  Lehrers  Abwesenheit.  10) 
Ueber  das  Leihen  vonBüchern  u.dgl.  11)  Ein  Streit.  12)  Gespräch 
zwischen  einem  Schüler  und  einem  Fremden  über  seinen  Unter- 
richt. 13)u.  14)  Gespräche  über  die  Mahlzeit.  15)  Ueber  Feuer- 
anzünden und  Einheizen.  16)  Ueber  das  Schlafen.  17)  Gespiäch 
zwischen  Knaben,  welche  eiiien  Fürbitter  an  den  Lehrer  schik- 


Phüippi:  Lateinisch  -  Deutsche  Sprachübungen.  203 

ken  wollen.  18)  Ein  Wettlauf.  19)  Ueber  das  Schwimmen.  20) 
Leber  Jagd  und  Fischfang.  21)  Ueber  das  Würfelspiel.  22) 
Eine  Wasserfahrt.  23)  Ein  Spatziergang  in  verschiedenen  Jah- 
reszeiten. 23)  Gespräche  über  Geldscheine,  Rechtsstreitigkei- 
ten, Krankheit  und  Krieg.  24)  Ein  Schiffbruch.  25)  Philosophi- 
sche Gegenstände.  —  ]\eben  dem  Lateinischen  steht  jedesmal 
die  Deutsche  Uebersetzung,  welche  die  Denk-  und  Redeweise 
der  Latein.  Sprache  der  unsrigen  anzupassen  sucht ,  z.  B.  S.  8 : 
Nondum  togam  virilem  sumsisti:  adhuc  praetextatus  es.  „Du 
trägst  dich  noch  nicht  wie  ein  Erwachsener  ;  du  hast  noch  den 
Knaben?  ock  an."  Nempe  tirocinium  nondum  posui.  „Allerdings, 
weil  ich  noch  kein  Probestück  abgelegt  habe.1'''  Grösstentheils 
ist  diese  Uebertragung  nicht  misslungen,  obgleich  der  Hr.  Verf. 
häufig  den  entsprechenden  Deutschen  Ausdruck  nicht  trifft,  und 
bisweilen  undeutsch  übersetzt.  Man  vergleiche  z.  B.  S.  7:  Tua 
dieta  refello.  „Das  glaube  ich  ?iicht."  S.  25:  Mores  f adle  tutor. 
„Ich  will  gern  gehorchen."  S.  56:  Lepidum  caput.  „Werther 
Freund."  S.  58:  lngrediar  aqitam  usque  ad  mentum  et  submer- 
gam.  „Ich  werde  bis  ans  Kinn  ins  Wasser  gehen."  Ante  omnia 
corpora  Theophilus  emicat.  „Vor  allen  Leibern  ragt  Gott- 
lieb hervor."  Heri  partim  abfuit,  quin  submergerer.  „Gestern 
fehlte  wenig ,  dass  ich  nicht  untersank."  Jubet  excidi  funes 
onmes.  „Liess  er  alle  Taue  abschneiden."  Turrini  sacram. 
„Einen  heiligen  Thurm"  statt  Kirchthurm.  Multum  aquae  sal- 
sae.  „Viel  gesalzenes  Wasser"  st.  Salzwasser.  Geradezu  un- 
richtig ist  z.  B.  S.  51:  redit  domum  multa  de  nocte.  „Er  kehrt 
früh  zurück."  S.  57:  Hie  carcer  esto.  „Dieser  einge- 
schlossene Raum  sei  es."  S.  58:  cutn  sit  s  olstitium. 
„da  jetzt  Sommer  ist."  S.  85:  Tota  spes  erat  in  clavo.  „Die 
ganze  Hoffnung  war  noch  im  Ruder."  —  Ob  der  Hr.  Verf. 
sein  Buch  für  Schulen  bestimmt  habe,  oder  überhaupt  für  La- 
tein. Conversation ,  darüber  erhalten  wir  keine  Auskunft.  Eine 
Anleitung  dieser  Art  wäre  für  den  letzteren  Zweck  freilich  ei- 
gentlich überflüssig,  denn  Conversationssprache  im  eigentlichen 
Sinne  des  Worts  kann  die  Latein.  Sprache  nicht  wieder  werden, 
als  solche  kann  sie  jetzt  nur  Mittel  der  geistigen  Mittheilung 
zwischen  Gelehrten  sein;  aber  auch  unter  diesen  sind  die  Ver- 
hältnisse des  gewöhnlichen  Lebens  meist  von  ihrem  Kreise  ge- 
schieden. Auf  Schulen  aber  kann  sie  als  Medium  der  mündli- 
chen Unterhaltung  nur  dienen ,  um  Festigkeit  in  den  Latein. 
Kenntnissen  der  Schüler  hervorzubringen ,  und  ihnen  allmäh- 
lich die  Gewandheit  des  Ausdrucks  zu  verschaffen,  die  sie  tüch- 
tig macht,  an  den  mündlichen  Unterhandlungen  über  wissen- 
schaftliche Gegenstände  Theil  zu  nehmen.  Aber  auch  auf  Schu- 
len sind  es  nicht  die  Verhältnisse  des  gewöhnlichen  Lebens,  die 
den  Stoff  der  Latein.  Conversation  ausmachen,  sondern  durch 
die  Gegenstände  des  Unterrichts  sowohl  als  durch  den  eigent- 

Jahrb.f.  Phil.u.  Pädag.  Jahrg.  III.  Heft  2.  J£ 


204  Programme. 

liehen  Zweck  des  Studiums  der  Latein.  Sprache  würde  die 
mündliche  Unterhaltung  sich  überwiegend  auf  die  wissenschaft- 
liche Sprache  beschränken  müssen.  Nur,  wo  man  geneigt  wäre, 
schon  in  den  unteren  Classen  den  Latein.  Unterricht  durch 
Sprechübungen  zu  beleben,  wo  sich  wissenschaftliche  und  auch 
historische  Gegenstände  noch  von  selbst  verbieten,  würde  man, 
nach  der  Art,  wie  man  die  Französische  Conversationssprache 
erlernt,  den  Stoff  aus  den  Knaben  bekannten  Kreisen  des  Lebens 
nehmen  müssen,  und  für  diesen  Zweck  das  Buch  des  Hrn.  Phi- 
lippi  nicht  unangemessen  sein ,  da  theils  die  Colloquia  Erasmi, 
selbst  in  der  für  das  Dessauische  Philanthropinum  bestimmten 
Ausgabe ,  Leipzig  1775,  für  Knaben  noch  zu  viel  Unangemesse- 
nes enthalten,  theils  aber  für  einen  solchen  Gebrauch  eine 
Deutsche  Uebersetzung  neben  dem  Latein.  Texte  unentbehrlich 
ist.  —  Die  zweite  Abtheilung  enthält  eine  Sammlung  Latein. 
Sprichwörter,  deren  Bekanntschaft  immer  nützlich  und  lehr- 
reich ist ,  nur  hätte  der  Hr.  Verf.  die  grosse  Menge  von  Ge- 
meinplätzen oder  ganz  gewöhnlichen  Redensarten,  wie:  Accom- 
modabo  te  ad  ingenmm  meum ,  Ad  interrogata  non  semper  re- 
spondendum  est ,  Ad  maledicendum  nunquam  ei  verba  desunt, 
ad  benedicendum  vero  elinguis  et  mutus  est  u.  dgl.  m.  von  den 
eigentlichen  Sprichwörtern,  die  durch  ihre  kräftige  Kürze  und 
die  ewige  Wahrheit  ihres  Inhalts  Herz  und  Geist  ansprechen, 
sondern  sollen. 

E.    Bonn  eil. 


Programme. 


De  cyclo  epico  poetisque  cyclicis  commentatio  philolo- 
gica  ab  illustri  Philosophorum  ordine  in  Academia  Borussica  Rhe- 
nana  praemio  ornata.  Scripsit  Fr.  f Füllner.  Monasterii ,  ex  off. 
Coppenrathiana.   1825.    VI  und  98  S.   8. 

JCiine  durch  gediegene  Gelehrsamkeit  und  gesundes  Urtheil 
gleich  ausgezeichnete  Schrift,  bei  der  es  in  der  That  zu  ver- 
wundern ist,  dass  unseres  Wissens  ausser  Passow  *)  noch  Nie- 
mand ein  gerechtes  Urtheil  öffentlich  über  sie  ausgesprochen 
hat.  Wir  wollen  daher  den  Versuch  machen ,  ob  wir  mittelst 
einer  kurzen  Darlegung  der  aus  den  gründlichen  Forschungen 
des  Verfassers   hervorgegangenen  Resultate  auf  die  Vorzüge 


*)  Beiläufig  in  der  Recension  von  Groddecks  und  Schoells  Griechi- 
scher Litteraturgesch.,  Jahrbücher  Bd.  II  S.  153. 


Wüllner  :  De  cyclo  epico  poctisquc  cyclicisä.  205 

dieser  Abhandlung  die  Aufmerksamkeit  derjenigen  zu  lenken 
vermögen ,  die  sie  bis  jetzt  nicht  näher  angesehen  haben 
sollten. 

Pars  prior.  De  cyclo  epico  ejusque  constitutione  et  dis- 
positione. 

I)  Weil  die  Bedeutung  des  epischen  Kyklos  nur  nach  sol- 
chen Stellen  alter  Grammatiker  festgesetzt  werden  kann,  wel- 
che berichten,  dass  diese  oder  jene  Sage  darin  bebandelt  wor- 
den, keinesweges  nach  bestimmten,  den  Begriff  des  Gegen- 
standes erschöpfenden  Zeugnissen;  so  wird  es  nur  durch  Cora- 
binationskraft  möglich  der  Wahrheit  näher  zu  rücken.  Den 
Hauptschlüssel  bieten  die  Excerpte  aus  Proklos  Chrestomathie 
beiPhotios,  dessen  hierher  gehörige  Worte  (Bibl.  p.  521  ed. 
Hoeschel.)  also  lauten:  AiaXapßävei  de  [IJgoxXog]  xal  negl  xov 
Xeyofievov  emxov  xvxXov ,  og  ag%exav  fxev  ex  xrjg  Ovgavov  xal 
rrjg  (iv^oXoyov^evrjg  pl^etog'  e^  rjg  ccvral  (I.  avxoX)  xul  xgelg 
TtaiÖug  yivaöxovöi,  (1.  yevväöi)  exaxovTa%eigag  xal  xgeig  exe- 
govg  dnoxixxovGi  Kvxlanag  •  dieieg%excu  de  negl  ftecov  xd  te 
aklu  tolg"ElXri6ipv%oKoyovpeva  aal  ei  nov  xt  xal  itgog  töxogl- 
av  s^uXrjQ'i&xcci.  Kai  negaxovxai  6  Imxog  xvxXog  6v(i7tl,rjgov- 
uevog  ex  diacpogcav  Ttoirjxäv  iie%gt  xrjg  eig  'I&ecxrjv  anoßäöecog 
Odvööeag'  ev  y  xal  vjtö  xov  aaidog  TrjXeyovov,  dyvoovvrog 
cog  naxrjg  eXrj ,  xxelvexai.  Hieraus  folgert  Wüllner  ganz  rich- 
tig, der  epische  Kyklos  habe  sämmtliche  Mythen  vom  Ursprung 
der  Dinge  bis  zur  Rückkehr  der  Griechen  aus  dem  Trojanischen 
Kriege,  überhaupt  das  ganze  mythische  Zeitalter  umfasst;  je- 
doch mit  der  Einschränkung,  dass  nur  die  ältesten,  einfach- 
sten und  bekanntesten  Sagen  in  den  Kyklos  aufgenommen  wur- 
den. Dieser  Bestimmung  widerspricht  Heyne  Excurs.  I  ad 
Virg.  Aen.  II  p.  353:  Non  satis  constanter  traditur ,  quam  late 
cycli  epici  argumentum  patuerit ;  modo  enim  intra  belli  Trojani 

fines  iüe  substitisse ,  modo  ad  ipsam  cosmogoniam  evagatus 
esse  narratur.  Wüllner  entgegnet  mit  Hecht,  dass  diese 
Definition  der  historischen  Basis  ermangele;  denn  Heynes  Be- 
rufung auf  die  tabula  Iliaca,  wo  er  zu  Tgco'Cxog  supplirt  wissen 
will  xu'xÄog,  ist  insofern  für  unzureichend  zu  erklären,  als  die 
Interpretation  dieser  Stelle  auf  zu  schwachen  Füssen  steht: 
mit  grösserer  Wahrscheinlichkeit  ist  zu  ergänzen  %'ivcA,  oder 
ein  anderes  Wort  ähnlicher  Bedeutung.  Der  Sinn  freilich  ist 
unbedenklich  der,  dass  auf  der  Tafel  der  Trojanische  Sagen- 
kreis dargestellt  werden  sollte;  woraus  jedoch  keinesweges 
hervorgeht,  dass  die  Alten  den  epischen  Kyklos  nur  auf  deu 
Trojanischen  Sagenkreis  (einen  Theil  von  jenem)  bezogen 
hätten. 

II)  Cyclum  epicum  nihil  fuisse  aliud ,  quam  complexionem 
quandam  epicorum  carminum,  ex  veterum  scriptorum  aliquot 
locis  satis  apparet,    Photios  z.  B.  fährt  an  der  citirten  Stelle 

n* 


206  Programme. 

fort:  Akyu  8s,  dg  xov  litixov  xvxXov  tu  jioirmata  diaöa&Tcci 
aal  6%ovdat,sxai  xolg  TtoXkolg.  Athenäos  (VII  p.  277,  D)  deu- 
tet an,  dass  die  Titanomachie  zum  epischen  Kyklos  gehört,  und 
Sophokles  den  Stoff"  zu  vielen  seiner  Stücke  aus  den  Kyklikern 
entlehnt  habe:  s%aiQE  Ö'  6  ZocpoxXrjg  xcp  ETtixa  xvxXa  ,  dg  xal 
öka  ÖQcc^ata  itoirjöai  xaxccxokov&cov  xfj  iv  xovxco  ^iv^onoita. 
Dasselbe  ergiebt  sich  aus  Aristoteles  Analyt.  post.  I,  9  p.  84,  cf. 
Sophist.  Elench.  I,  9  p.  181.  Aus  allem  erklärt  sich  die  Stelle 
des  Photios:  6  inixog  xvxXog  ov}i7iXi]Qov^Evog  ex  öiacpoQav 
TtOLrjtäv,  cyclus  epicus  (nach  Ws.  Interpretation)  co?ista?is  ex  va- 
riorum  poetarum  carminibus. 

III)  Die  einzelnen  zum  epischen  Kyklos  gehörigen  Gedichte 
waren  nacb  dem  Inhalte  der  darin  behandelten  Mythen  derge- 
stalt angeordnet,  dass  sie  nach  der  festgesetzten  Zeitfolge  der 
Begebenheiten  auf  einander  folgten  ,  und  zwar  von  den  frühe- 
sten Zeiten  bis  zu  den  letzten  Schicksalen  des  Odysseus.  Pho- 
tios 1.  c:  AkyEi  ds,  dg  xov  ehixov  xvxlov  xcc  Ttoirniaxa  diuöd- 
tpxai  neu  67tovdd£,sxcu  xolg  Ttolkolg  ov^ovreo  dia  xr\v  ccQExqv,  dg 
ölcc  xr\v  axoXovftluv  xdv  Iv  avxco  TtQayyuxxav.  Diese  Aufeinan- 
derfolge ist  jedoch  nicht  so  zu  nehmen,  als  ob  der  gewöhnli- 
che Gang  der  eigentlichen  Geschichtschreibung  darin  beobach- 
tet worden  wäre.  Der  Verf.  bestreitet  daher  Wolfs  (Prolegg. 
ad  Homer,  p.  127)  Ansicht ,  dass  die  Kykliker  die  Homerische 
Sitte,  Episoden  einzuweben,  aufgegeben  hätten ;  indem  ja  ei- 
nesteils die  Homerischen  Gedichte  selbst  zum  epischen  Kyklos 
gehörten  (der  Beweis  im  zweiten  Theil),  anderntheils  aus  meh- 
reren kyklischen  Gedichten  sich  auf  das  Gegentheil  schliessen 
lasse.  Dazukommt,  dass  es  ja  durchaus  nicht  in  der  Absicht 
der  Dichter  selbst  lag ,  einen  Kyklos  festzusetzen.  Darum  hat 
man  ohne  Grund  die  kyklischen  Gedichte  für  eine  besondere 
Gattung  der  epischen  Poesie  gehalten ,  eine  Ansicht ,  die  erst 
ganz  und  gar  zum  Luftgebilde  wird,  wenn  man  darin  einen 
Gegensatz  zur  Homerischen  Poesie  finden  will. 

IV)  Im  Allgemeinen  wird  angenommen ,  dass  irgend  ein 
Grammatiker  die  kyklischen  Gedichte  gesammelt  und  angeord- 
net habe.  Einige  nehmen  den  Dionysios  von  Miletos ,  Andere 
einen  gewissen  Polemon  als  solchen  an.  Der  erstere  blühete  um 
die  65ste  Olympias.  Er  führte  den  Beinamen  xvxloygägiog,  und 
sein  xvxhog  wird  verschiedentlich  angeführt,  cf.  Valckenar.  ad 
Schol.  Euripid.  Phoen.  1123.  Er  war  jedoch  kein  Dichter,  son- 
dern (iv&oyQccq)og  oder  löxoQtoygaqiog.  S.  Salmas.  ad  Solin.  p. 
595.  Der  von  Athenäos  (XI  p.  481  E)  angeführte  Dionysios  von 
Samos  tceqX  xvxlov  ist  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  mit  dem 
Milesischen  eine  und  dieselbe  Person,  da  zumal  anderswoher 
ein  solcher  Samier  nicht  bekannt  ist.  Weil  ein  xvxXog  [öxogi- 
icög  und  wiederum  ein  xvxlog  {iv&ixog  des  Dionysios  angeführt 
wird,  schloss  man  auf  zwei  abgesonderte  xvxKovg,  wofür  sich 


Wüllner:  De  cyclo  cpico  poetisque  cyclicis.  207 

beim  Scholiasten  des  Pindaros  (Isthin.  IV,  104)  eine  Bestäti- 
gung zu  linden  schien:  Salmasius  aber  emendirt  iv  ngcötco  nv- 
xlov  statt  der  Vulg.  xvkXcov..  Denn  es  ist  nicht  nur  nirgends 
von  zweien  die  Rede,  sondern  Dionysios  wird  auch  ohne  wei- 
teres und  schlicht  citirt  iv  reo  xvxlco.  Es  wird  weiterhin  gründ- 
lich dargethan,  dass  x.  LöroQixog  und  x.  [iv&Lxog  auf  ein  und 
dasselbe  hinauslaufe.  Aus  dem  Gesagten  geht  hervor,  dass  Di- 
onysios nicht  als  Sammler  der  kyklischen  Gedichte  zu  betrach- 
ten ist,  sondern  vielmehr  zu  den  sogenannten  Logo-  oderMy- 
thographen  gehört.  —  Der  Scholiast  zur  Ilias  y,  242  berich- 
tet, dass  die  Geschichte  von  dem  Raube  der  Helena  durch 
Theseus  beschrieben  sei  nuQa  rolg  IlokE[iavLoig  ?}  roig  xvxXi- 
xolg.  Casaubonus  (ad  Athen,  p.  479)  will  daraus  auf  einen  Po- 
lemon  schliessen,  der  jene  alten  Dichter  zuerst  gesammelt  habe, 
so  dass  Polemonische  und  Zyklische  Dichter  gleiche  Geltung  hät- 
ten. Eine  in  der  That  wie  mit  Haaren  herbeigezogene  Erklä- 
rung. Die  Wahrheit  giebt  wohl  eine  Emendation  in  Fabricii 
Bibl.  Gr.  I  p.  242,  ed.  Harles:  Ttccgä  IloU^avc  xcci  rotg  xvxkt- 
xolg.  cf.  Welcker.  ad  Alcm.  p.  20.  Bescheiden  äussert  W.  noch 
die  Vermuthung,  dass  etwa  Polemon  (insofern  die  Lesart  der 
Codd.  feststehen  sollte)  eine  ähnliche  Chrestomathie,  wie  spä- 
ter Proklos ,  angefertigt  haben  dürfte. 

V)  Ganz  grundlos  hat  man  den  Polemon ,  der  wenigstens 
nicht  über  das  Zeitalter  der  Alexandrinischen  Grammatiker  hin- 
ausreicht, für  den  ersten  Sammler  der  kyklischen  Gedichte  ge- 
halten. Denn  nach  Proklos  haben  Zenon  und  Ilellanikos  die 
Odyssee  dem  Homeros  abgesprochen,  die  Alten  ( oi  a.Q%al ot) 
jedoch  ihm  sogar  den  Kyklos  zugeschrieben.  Hellanicos  blühe- 
ta  nicht  lange  nach  Olymp.  70.  Da  nun  aber  der  Ausdruck  ot 
ccQ%odoi  nothwendiger  Weise  auf  solche  hindeutet,  die  an  Al- 
ter dem  Hellanicos  vorangiengen;  so  muss  die  Festsetzung  des 
epischen  Kyklos  spätestens  in  die  ßOste  Olympias  fallen.  Schon 
Aristoteles  spricht  von  dem  Kyklos  als  einer  allgemein  bekann- 
ten Sache. 

VI)  Obgleich  es  ziemlich  erwiesen  ist,  dass  die  Anordnung 
des  Kyklos  nicht  von  Grammatikern  herrührt ,  so  ist  es  doch 
auffallend,  dass,  insofern  nicht  lange  nach  den  Pisistratiden 
die  kyklischen  Gedichte  gesammelt  worden,  dieses  Umstandes 
nirgends  gedacht  wird. 

VII)  In  der  älteren  Zeit  hatte  Griechenland  einen  bedeu- 
tenden Vorrath  epischer  Gedichte,  welche  zusammengenommen 
die  ganze  Mythengeschichte  umfassten.  Eine  der  Natur  der 
Mythen  angemessene  Anordnung  dieser  Gedichte  bildete  sich 
Anfangs  wohl  nur  in  der  Seele  des  mit  dem  Inhalte  derselben 
hinlänglich  Vertrauten;  und  in  diesem  Sinne  hat  man  es  auf- 
zufassen, wenn  in  früherer  Zeit  von  einem  epischen  Kjklos  die 
Rede  ist:  ein  eigends  constituirter  Kanon  oder  Katalog  dieser 


208  Programme. 

Gedichte  mochte  wohl  erst  von  den  Grammatikern  angefertigt 
worden  sein. 

VIII)  Kurz  berührt  wird  eine  oder  die  andere  Meinung, 
die  verschiedentlich  aufgestellt  worden ,  z.  B.  dass  die  Alten 
alle  epischen  Dichter  kyklische  genannt  hätten. 

IX)  Heyne  (Evcurs.  I  ad  Virg.  Aen.  II  p.  353)  nimmt  an, 
dass  zu  ebenderselben  Zeit  von  dem  einen  dieser,  von  dem  an- 
dern jener  Dichter  zu  dem  epischen  Kyklos  gerechnet  worden 
sei.  Nun  sind  allerdings  nur  die  ältesten  Homeriden  Kykliker 
genannt  worden:  dass  diese  aber  Einen  Gegenstand  in  vielen 
Gedichten  besungen  hätten,  ist  nicht  bekannt,  so  dass  in  den 
meisten  Fällen  die  Grammatiker  nicht  einmal  eine  Auswahl  tref- 
fen konnten.  Nur  bei  Homeros  stimmen  gewissermaassen  die 
Nachrichten  nicht  ganz  überein,  indem  Einige  ihn  den  Kykli- 
kern  zurechnen,  Andere  ihn  ausschliessen.  Jedoch  ist  das  Letz- 
tere noch  zweifelhaft;  denn  dass  die  Scholiasten  zu  den  Home- 
rischen Gedichten  anmerken  ltaga,  tolg  xvitfoiioig ,  oder  iv  xco 
xvxXa,  liefert  zwar  einen  indirecten  Beweis  dafür,  dass  jene 
sich  einen  Unterschied  zwischen  den  Homerischen  und  kykli- 
schen  Gedichten  gedacht  haben;  wenn  man  aber  dagegen  das 
nur  zu  oft  gedankenlose  Excerpiren  der  auf  uns  gekommenen 
Scholiasten  erwägt,  so  lässt  sich  auf  dergleichen  indirecte 
Nachrichten  nicht  immer  mit  Sicherheit  lauen. 

X)  Es  wird  mit  ziemlicher  Wahrscheinlichkeit  dargethan, 
dass  immer  eben  dieselben  Gedichte  zum  Kyklos  gehörten,  und 
niemals  ältere  solchen,  die  in  späterer  Zeit  einen  und  denselben 
Gegenstand  behandelten,  Platz  gemacht  haben  konnten. 

XI)  Es  wird  die  Frage  aufgestellt ,  ob  die  übrigen  kykli- 
schen  Gedichte  so  wie  die  Homerischen  erst  unter  den  Pisistra- 
tiden  aufgeschrieben  worden,  und  dahin  beantwortet,  dass  die- 
jenigen, deren  Verfasser  zu  einer  Zeit  lebten,  wo  die  Schreib- 
kunst allgemein  verbreitet  war,  von  ebendenselben  auch  gleich 
aufgeschrieben  sein  dürften.  Sodann  fragt  es  sich,  zu  welcher 
Zeit  die  kyklischen  Gedichte  untergegangen  sind.  Nach  der 
angeführten  Stelle  des  Photios  (xä  noirftittTa  dt,u<5ät,etai  aal 
6nov8dt,exau  rolg  sroAAofg)  wäre  die  Vermuthung  erlaubt ,  dass 
Proklos  noch  alle  gelesen  habe.  W.  will  indess  diese  Nach- 
richt dahin  einschränken,  dass  Proklos  wohl  viele,  aber  schwer- 
lich noch  alle  kyklischen  Gedichte  gelesen  habe,  und  beruft 
sich  dieserhalb  auf  die  bekannte  Sorglosigkeit  der  Epitomato- 
ren.  Wir  müssen  jedoch  gestehen,  dass  hier  der  Ausdruck  zu 
bestimmt  und  deutlich  ist,  als  dass  man  an  eine  absichtslose 
Lüge  zu  denken  habe;  und  eine  absichtliche  dem  Photios  unter- 
zuschieben wäre  doch  wohl  ungerecht.  Auf  jeden  Fall  aber 
muss  Photios  gerechtfertigt  werden :  nur  der  Fall  wäre  noch 
denkbar,  dass  Proklos  selbst  aufs  Gerathewohl  etwas  aus- 
gesprochen hätte ,  wovon  sich  ihm  bei  genauerer  Untersuchung 


Wüllner:   De  cyclo  epico  poctisque  cyclicis.  209 

vielleicht  das  Gegentheil  ergehen  haben  würde ;  dass  er  alle 
selbst  gelesen  habe,  ist  nicht  gesagt;  seinem  Auszuge  konnte 
also  leicht  ein  früherer  zur  Quelle  gedient  haben.  In  letzte- 
rer Beziehung  hätte  Heyne  (Bibl.  vett.  litt,  et  artt.  fasc.  I 
Ined.  p.  17)  Recht,  wenn  gleich  aus  dem  Titel  %Qr]GTO(i(x&Eicc 
yQap(iar  Lxrj  an  und  für  sich  eine  solche  Folgerung  nicht  ge- 
zogen werden  darf. 

XII)  Kvxhog  bedeutet  mitunter,  wie  im  Lat.  corona,  cir- 
culns,  eine  in  Ein  Ganzes  gebrachte  Mehrheit,  mullüiidinem 
in  orbern  collectam.  Sowie  nun  Agatbias  eine  Epigrammen- 
sammlung xvxkog  genannt  hat,  ebenso  könnte  ein  Inbegriff 
von  epischen  Gedichten ,  die  man  sich  wie  in  Ein  Ganzes  ver- 
einigt dachte,  denselben  Namen  verdienen.  Andere  behaup- 
ten mit  nicht  geringerer  Wahrscheinlichkeit,  dass  der  Name 
xvx'kog  auf  den  inneru  Zusammenhang  der  besungenen  Mythen 
zu  beziehen  sei,  wie  aus  dem  Gebrauche  des  Wortes  inlyxv- 
xfaog  ttcudela  hervorgeht,  cf.  Quintilian.  I,  10  init.,  Vitruv.  I, 
1,  12. 

XIII)  Carmina,  qaae  cyclum  constituebant,  et  xvxkov 
fioirjficctcc  et  sxr]  xvxXixcc  appellata  sunt.  Poetae  autem  ot 
3tQuyiiaTev6{i£Voi  xöv  izttxov  xvxXov  (v.  Phot.  1.  c), 
oi  tov  xvxXov  noentai  (v.  Clement.  Alex.  Strom.  I  p. 
333),  vel  plerumque  simpliciter  oi  xvxXixol  vocantur.  Die- 
ses ist  die  ursprüngliche  Bedeutung  des  Wortes  xvxÄLXog. 
Deinde  recentiores  poetae  quidam  xvxXixol  vocantur,  qui 
epici  carminis  naturae  et  artis  ignari  narrationem  a  primis  rei 
primordiis,  repetitam  per  singulas  partes,  tamquam  scriptores 
pedestres,  exponunt.  Auf  diese  Gattung  beziehen  sich  manche 
Stellen,  welche  der  kyklischen  Dichtungsart  mit  einer  gewis- 
sen Verächtlichkeit  gedenken.  W.  scheint  sich  dahin  zu  nei- 
gen, auch  Horatius  A.  P.  136  darauf  zu  beziehen:  wahrschein- 
licher jedoch  kommt  es  uns  vor,  dass  Horatius  einen  Kykliker 
iu  der  ersten  Bedeutung  des  Wortes  versteht;  denn  daraus, 
dass  er  im  Gegensatz  zu  Homeros  jenen  Dichter  etwas  verächt- 
lich durchzieht,  folgt  noch  nicht,  dass  gleich  ein  Xccmodvtrjg 
dXXoTQLCov  tTteav  zu  verstehen  sei.  Wie  mancher  an  und  für 
sich  preiswürdige  Dichter  zieht  sich  in  den  Schatten  zurück, 
wenn  der  dslog  doidög  ihm  zur  Seite  gestellt  wird?  W.  muss 
dieses  consequenter  Maassen  auch  zugeben ,  wenn  er  S.  38  f. 
sagt :  Non  enim  bona  carmina  cujusque  argumenti  exstabant, 
ut  etiam  minus  laudabilia  ad  cyclum  perßciendum  suseipi  ne- 
cesse  fuerit.  Kykliker  wurden  drittens  genannt  eine  Art  von 
Marktschreier -Dichtern,  die  in  sehr  später  Zeit  ihr  Hand- 
werk trieben.  Fast  dieselbe  Erscheinung  von  Bänkelsängerei 
kam  in  dem  späteren  Mittelalter  zum  Vorschein,  als  der  le- 
bendige Geist  des  Minnesanges  in  todtes  Formelwesen  und  lee- 
ren Klingklang  ausgeartet  war.     Viertens  sind  zu  berücksichti- 


210  Programme. 

gen  die  %oqoI  xvxXioi.  S.  Bentl.  Opusc.  p.  319.  KvxXioi  liei- 
ssen  sie  von  ihrer  Form,  wegshalb  niemals  xvxXcxol.  Denn  xv- 
xXiog  bedeutet  ungefähr  so  viel  als  xvxXosidqg ,  xvxXixög  aber, 
was  zum  xvxXog  gehört ,  ein  Theil  desselben.  Nach  dieser  in 
der  Natur  des  Gegenstandes  selbst  begründeten  Auseinander- 
setzung müssen  einzelne  aus  Fahrlässigkeit  corrumpirte  Stellen 
emendirt  werden.  Bentleys  (ad  Ilorat.  A.  P.  136)  Vermuthung, 
auch  für  die  epischen  Kykliker  wäre  xvxXiog  die  alte  und  wahre 
Form,  zerfällt  in  sich  selbst.  Dazu  kommt,  dass  die  Stellen 
der  Alten  zu  Wüllners  Gunsten  den  Ausschlag  geben;  denn  alle 
von  Bentley  angeführten  Stellen,  welche  xvxXiog  bieten,  sind 
mit  Ausnahme  von  zweien  auf  die  kyklischen  Chöre  zu  be- 
ziehen. 

XIV)  Hier  werden  noch  einige  Stellen  in  Betracht  gezogen, 
wo  Iv  xvxXco  gleichbedeutend  ist  mit  lyxvxXiG>g  =  xoiVG)g,  vul- 
go.  Atqui  syxvxXto  g  et  xvxXixög,  si  eorum  naturam, 
quidque  per  se  signißcent ,  spectes ,  ita  sibi  cognata  sunt ,  ut, 
si  uno  tantummodo  loco  significatio  xo  tvo  g  vocabulo  xvxXi- 
xög unice  apta  sit ,  nemo  debeat  dubitare ,  quin  haec  ibi  sit 
verissima.     Hierauf  mehrere  Beispiele. 

Pars  posterior.     De  poematis  et  poetis  cyclicis. 

Die  Gedichte,  welche  entweder  mit  Gewissheit  oder  mit 
Wahrscheinlichkeit  zum  Kyklos  gerechnet  werden  dürfen,  sind 
der  Reihe  nach  aufgezählt. 

1)  (dtoyovla.  Euseb.  Praep.  Ev.  I,  10  p.  39.  Ueber  den 
Verfasser  lässt  sich  nichts  mit  Bestimmtheit  ausmitteln. 

2)  Tixavop,a%la.  Euseb.  1.  c,  Athen.  VII  p.  277  D.  Einige 
geben  alp  Verf.  den  Eumelos  von  Korinth,  Andere  den  Arktinos 
an:  die  gewöhnliche  Annahme  der  Alten  scheint  für  den  erste- 
ren  zu  sprechen,  weil  der  Schol.  zu  Apollon.  llhod.  I,  1165  ihn 
allein  als  Dichter  der  Titanomachie  aufführt. 

3)  riyavzoncc%icc.  Euseb.  1.  c.  Der  Verf.  ist  nicht  auszu- 
mitteln. 

4)  'Hgaoyovia.  Die  Aufnahme  dieses  Gedichts  beruht 
nicht  auf  bestimmten  Nachrichten,  sondern  einzig  auf  einer 
aus  dem  innern  Zusammenhang  der  Mythen  und  der  dadurch 
bedingten  Bedeutung  des  Kyklos  hergenommenen  Vermuthung. 

Bei  den  nächstfolgenden  Titeln  sollen  die  nur  auf  dem 
Wege  der  Conjecturalkritik  auszumittelnden  der  leichteren  Ue- 
bersicht  halber  mit  einem  Sternchen  bezeichnet  werden. 

5)  davcctg  (QoQavtg,  'Ivec%Lg).*  Heyne  Exe.  I  ad  Aen.  Hp.  354. 

6)  KoQLV&iccxd.  Der  Verf.  Eumelos,  welchen  Clemens 
Alex.  Strom.  I  p.  333  und  Athenäos  VII  p.  277  D  als  kyklischen 
Dichter  bezeichnen. 

7)  'JXxpaiavig.*  Apollodor  I,  8,  5,  Heyne  p.  352,  Strabo 
X,  2,  9.     Quare  autem  hoc  poema  in  cyclo  fuisse  putem ,  causa 


Wüllner:  De  cyclo  cpico  poctisquc  cyclicis.  211 

es/,  quod  in  argumento  cycli  requiritur,  quod  nullum  aliud, 
quod  ejus  locum  esplere  potuerit ,  nolum  est  quodque  illud  satis 
antiquum  videtur. 

8)  JlyL[iiog.*  Valckenar.  ad  Eurip.  Phoen.  p.  735, 
Gr od  deck,  ia  Bibl.  vett.  litt,  et  artt.  fasc.  II  p.  84.  Einige 
schreiben  das  Gedicht  dem  Ilesiodos,  Andere  einem  gewissen 
Kerkops  von  Miletos  zu  (Athen.  XI  p.  503  D) ,  wesshalb  W.  es 
zu  den  kyklischen  zählt. 

9)  'HgccxteLa*  Es  gab  mehrere,  von  denen  am  ältesten  die 
des  Kinäthon  und  Peisandros. 

10)  Ol%aUag  ccXaöig.  Verf.  Kreophylos  von  Samos ;  auch 
dem  Homeros  zugeschrieben. 

11)  Mtvvdg.*  Pausanias  IV,  33,  7  nennt  den  Prodikos  von 
Phokäa ,  jedoch  nicht  mit  Bestimmtheit ,  als  Verf. 

12)  'slT&Lg*  Wir  glauben  dass  diese  nicht  mit  gehörigem 
Grund  aufgenommen  worden  (W.  scheint  es  übrigens  selbst  ein- 
zusehen), weil  die  nächstfolgende  ©f]ör]lg  im  Wesentlichen 
ebendesselben  Inhaltes  sein  musste.  Der  Titel  kann  hier  kei- 
nen Unterschied  machen,  weil  er  nur  zufällig  ist. 

13)  ©rjörjlg.  Aristot.  Poet.  c.  8.  Weil  es  in  den  Scholien 
zur  Ilias  y,  242  heisst,  der  Raub  der  Helena  durch  Thcseus 
und  der  Untergang  von  Aphidua  sei  von  kyklischen  Dichtern 
besungen  worden,  so  wird  diese  Notiz  mit  grosser  Wahrschein- 
lichkeit auf  die  These'is  bezogen. 

14)  'jlnecZ,ovtg.     Homeros  als  Verf.  Suidas  v.  "OpyQog. 

15)  EvQCOJtsia.  Verf.  einer  solchen  ist  vor  Stesichoros 
schon  Eumelos  gewesen.  Das  Citat  Schol.  ad  II.  £,  130  ist  falsch 
statt  131.  Ueber  den  Inhalt  des  Gedichtes  hätte  W.  noch  ver- 
weisen können  auf  W  e  1  c  k  e  r  über  eine  Kretische  Kolonie  in 
Theben  S.  51,  70,  72. 

16)  Oldinodicc.*  Auf  der  tabula  Iliaca  wird  Kinäthon  als 
Verf.  genannt.  Es  fragt  sich  aber,  ob  das  zu  Nr.  12  Bemerkte 
hier  nicht  ebenfalls  Anwendung  finden  dürfte. 

17)  ©rjßa'ig.  Zu  unterscheiden  ist  die  kyklische  Thebais 
von  der  des  Antimachos.  v.  Athen.  XI  p.  465  E,  F.  Die  ange- 
führten Verse  sind  fast  ganz  nach  der  Wolfischen  Emendation 
im  Anhange  zur  Odyssee  gegeben.  Am  meisten  corrumpirt  sind 
die  zwei  letzten  Verse,  deren  durch  Hermann  (ad  Soph. 
Oedip.  Col.  1317)  versuchte  Heilung  neuerlich  auch  Dindorf 
befolgt  hat.  In  dem  zweiten  Fragment  Vs.  3  schlägt  Butt- 
mann Griech.  Gram.  II  S.  405  vor:  Evxro  de  <d\  ßu6ih~ji.  cf. 
Boeckh.  Thes.  Inscr.  Gr.  I  N.  16.  Im  Allgemeinen  mag  W. 
Recht  haben,  dass  er  alle  Stellen,  wo  die  Thebais  ohne  nähere 
Angabe  citirt  wird ,  auf  die  kyklische  beziehen  will ,  wiewohl 
man  in  diesem  Puncte  nicht  vorsichtig  genug  sein  kann.  Von 
Einigen  wird  Homeros  selbst  als  Verf.  der  kyklischen  Thebais 
angegeben. 


212 


r  o   g    ramme. 


18)  'Eniyovoi.  Herodot.  IV,  32  nennt  sie  Homerisch,  6t 
dt]  t«  lovxi  ys  "OfiTjQog  xavxa  xcc  eitscc  Itcoltjöb.  Wolf  Prolegg. 
ad  Hom.  p.  157  hält  die  Stelle  für  interpolirt:  ob  mit  Recht, 
bleibt  billiger  Weise  dahingestellt.  Zu  der  Stelle  des  Pausa- 
nias  IX,  9,  3  ist  dem  Verf.  Franckes  (adCallin.  p.  22 sq.)  Er- 
klärung entgangen. 

19)  AQyovctvxixu*  Salmasius  hat  diese  ohne  eigent- 
lichen Grund  aufgenommen. 

20)  Ta  Kvtcqlcc.  Ein  S.  70  aufgeführtes,  verstümmeltes 
Fragment  hat  Baumgarten-Crusius  in  den  Jahrbüchern 
1827  Bd.  II  H.  1  S.  13  herzustellen  versucht.  —  In  einem  an- 
dern Fragment  S.  72  ist  der  letzte  Vers  also  geschrieben : 

frygicc  o6<5 '  TjjtSLQog  dvaxgicpu,  bq>ga  (pvyot,  (ilv. 
So  scheint  ihn  W.  aus  der  Casaubonischen  oder  Schweighäuser- 
schen  Ausgabe  des  Athenäos  abgeschrieben  zu  haben,  ohne 
zu  erwägen,  dass  der  letztere  Herausgeber  selbst  den  Weg  zur 
richtigen  Lesart  gebahnt  hat.  In  allen  Handschriften  steht 
nämlich  rjnsigog  aivä  xghyu.  Dass  das  Epitheton  aivä  zu  fra- 
gtet hier  ganz  an  seinem  Orte  ist,  wird  Niemand  in  Abrede  stel- 
len ;  min  aber  findet  sich  ein  Anstoss  im  Metrum ,  der  auf  je- 
den Fall  beseitigt  werden  muss.  Dieses  geschieht  durch  leise 
Aenderung  der  ersten  Worte  in  &7}gi'  oö'  rjnsigog  aivä  tgscpei. 
—  (iiv  am  Ende  des  Verses  statt  viv  ist  hier  wohl  nur  Druck- 
fehler. —  In  dem  S.  73  angeführten  Vers  des  Naevius  oder 
Laevius : 

Fecundo  penetrat  penitus  thalamoque  potitur. 
wird  feeundus  thalamus  erklärt:  vel  conclave  nuptiale,  at  sit 
thalamus  sensu  vulgaris  vel  id,  in  quo  opes  et  divitiae  recon- 
duntur.  Diese  Interpretation  ist  viel  zu  gezwungen  und  darum 
unmöglich  die  richtige.  Weit  natürlicher  lässt  sich  erklären, 
thalamus,  quifetus  edit,  wie  das  Griechische  yovi^iog.  Diesen 
Tropus  wird  Niemand  verwerfen,  dem  ähnliche  poetische  Aus- 
drücke schon  in  Menge  vorgekommen  sind.  —  Etwas  auffal- 
lend ist  S.  76  folgende  Aeusserung :  Si  quis  forte  feminarum, 
quae  prae  maritorum  amore  mortem  sibi  conseiverint ,  plura  no- 
mina  cognoscere  cupiat  (id  quod  fieri  potest ,  quoniam  earum 
numerus  non  ita  magnus  est  atque  exemplis  ad  mulierum  ani- 
mos  flectendos  nonnunqua?n  videtur  opus  esse),  is  igitur,  si  pla- 
cet,  Tzetzam  adeat.  Wir  wollen  hoffen,  dass  die  Parenthese 
so  ernstlich  nicht  gemeint  sei;  denn  sonst  müssten  wir  es  ja 
nur  tadeln ,  dass  die  Englische  Regierung  der  bekannten  Lei- 
denschaft der  Indischen  Frauen,  sich  nach  dem  Tode  ihrer 
Männer  lebendig  zu  verbrennen,  aus  allen  Kräften  zu  steuern 
sucht. 

21)  rO[iygov  'Ifadg. 

22)  Al&iOTilg  'JgatCvov.  Aus  dem  Schol.  zuPindar.  Isthm. 
IV,  58  geht  hervor  ,  dass  der  Verf.  mitunter  als  ungewiss  galt; 


Wüllncr:   De  cyclo  cpico  poctisquc  cyclicis.  213 

sonst  wird  Arktinos  von  Miletos  genannt,  der  wahrscheinlich 
um  Ol.  9  blühete. 

23)  'Ifoccg  (iltcqcc.    S.  84  ist  unstreitig  zu  lesen  Ivncolov 
statt  ivTtidlov.      La  den  erhaltenen  Versen  sind  Gegenstände 
behandelt ,  welche  bei  Proklos  gar  nicht  berührt  werden.  Pau- 
sanias(X,  26,  1;  III,  20,  7)  aber  nennt  denLesches  nur  als  Verf. 
der  'lUov  negöig,  und  führt  die  'Ifaag  [ilxqcc  mir  anonym  auf. 
Ferner  erzählt  Pausanias  (X,  25)   Dinge  aus  der  'IUov  asgöig 
des  Lesches,  welche  bei  Tzetzes  (ad  Lycophr.  12(>3)  wörtlich 
aus  dessen 'lfoccg  fiLHQa  citirt  werden.  Diesen  Widerspruch  weiss 
W.  geschickt  zu  heben:  Lesches  uno  carmine  in  quatuor  plu- 
resve  libros  diviso  fabulas  Troicas  inde  ab  Achillis  armorum  ju- 
dicio  iisque  ad  Trqjae  novissima  fata  exposuit.  Pars  hujus  Ilia- 
dis  parvae  posterior  Trojae  excidium  comprehendebat  et  inde 
ab  equo  Trojano  res  sie  enarrabat ,  ut  pro  novo  carmine  haberi 
posset  inscribereturque'IHov  nkgöig:  qualia  in  nmllis  carmini- 
öus  facta  esse  videmns.     Inde  facile  aeeidit ,    ut  Ilias  parva, 
siciit  alia  carmina ,  in  duas  -partes  divelleretur.    Pausanias  igi- 
lur  et  fortasse  etiani  alii  Iliadem  parvam  et  Leschis  llii  persin, 
proprie  Iliadis  parvae  particulas ,  pro  diversis  carminibus  ha- 
buerunt ;  contra  Aristoteles  et  «Y,  e  qnibus  Tzetzes  aliique  supra 
laudati  sua  hauriebant,  duas  particulas  in  unum  Carmen  adhuc 
conjunetas  legerunt.    Cum  Pausania  Proclus  consentit ,  nisi  ar- 
gumentum ab  excerptore  mutilatum  est.     Si  autem  Proclus  par- 
ticulas disjunetas  habuit ,  integra  Bias  parva  quinque  vel  pluri- 
bus  libris  constitisse  debet.     Hiermit  ist  immer  noch  nicht  die 
Frage  erledigt,  ob  denn  das  Ganze  der  kleinen  Ilias  oder  nur 
der  erste  Theil  in  den  epischen  Kyklos  aufgenommen  worden 
sei*?  Wir  glauben,   diese  Streitfrage  ist  absonderlich  dazu  ge- 
eignet ,    die  Untersuchung  über  die  Geschichte  des  epischen 
Kyklos  fester  zu   begründen.      Es  scheint   nämlich  hierdurch 
klar  zu  werden,    dass  Grammatiker  sowie   die  xavovsg,  also 
auch  den  xvxÄog  fixirt,  und  diejenigen  aus  den  vorhandenen 
Gedichten  darein  aufgenommen  haben  ,  welche  ihrem  Urtheile 
am  meisten  zusagten.     Hier  ergab  es  sich  nun ,  dass   in  dem 
zweiten  Theil  der  kleinen  Ilias  des  Lesches  auch  die'lMov  tcbq- 
öig  behandelt  war,  die  Arktinos  in  einem  besondern  Gedichte 
besungen.     Der  Letztere  scheint  nach   dem  Urtheil  der  Gram- 
matiker den  Vorrang  erhalten  zu  haben;  um  aber  kein  Gedicht 
über  einen  und  denselben  Gegenstand  doppelt  dem  Kyklos  ein- 
zuverleiben,   könnten  sie  vielleicht  folgenden  Ausweg  einge- 
schlagen haben,  dass  sie  den  ersten  Theil  des  Lesches,  als  die 
beste  unter  den  vorhandenen  poetischen  Bearbeitungen  des  Ge- 
genstandes ,  für  classisch  erklärten,  den  letzten   dagegen  weg- 
liessen ,  weil  er  bereits  durch  ein  besseres  Gedicht  des  Arkti- 
nos ersetzt  war.     Daher  könnte  es  nun  auch   gekommen  sein, 
dass  in  späterer  Zeit  nicht  immer  das  vollständige  Gedicht  des 


214  Programme. 

Lesches  abgeschrieben  wurde,  sondern  oft  nur  der  zum  Kyklos 
gehörige  Theil.  Somit  entstanden  doppelte  Exemplare,  die 
sich  nach  beiden  Seiten  hin  weiter  verbreiteten.  Setzen  wir 
dieses  mit  Recht  voraus ,  so  ist  jeder  Widerspruch  von  selbst 
gehoben. 

24)  'Riov  nsQdig.     Von  Arktinos  aus  Miletos. 

25)  Noötoi.  Von  Augias  aus  Trözen.  Mohnike  und 
Groddeck  hielten  diesen  Augias,  der  ausser  bei  Proklos 
sonst  nirgendswo  mit  Bestimmtheit  genannt  wird,  für  Eine  Per- 
son mit  dem  Komiker  dieses  Namens.  W.  stimmt  nicht  bei  und 
fährt  fort:  Fortasse  tarnen  idem  Augias  est,  quem  Clemens 
Alexandrinus  laudat  cujusque  versum  unum ,  qui  speciem  quan- 
dam  antiquitatis  habet,  servat  (Strom.  VI  p.  204).  Weil  in- 
dess  der  Name  Augias  nicht  weiter  vorkommt ,  meint  W. ,  dass 
alle  voöxov  welche  entweder  anonym  sind  oder  dem  Homeros 
zugeschrieben  werden,  mit  den  von  Proklos  dem  Augias  bei- 
gelegten zusammenfallen. 

20)  rO[l7]QOV  'OÖVÖÖEICC. 

27)   Trjksyovlu.     Von  Eugammon  aus  Kyrene ,  um  Ol.  53. 

Hiermit  hätten  wir  einen  Grundriss  der  gediegenen  Ab- 
handlung entworfen.  Wer  die  Schrift  selbst  in  die  Hand  nimmt, 
der  wird  sich  bald  schon  auf  den  ersten  Seiten  angenehm  über- 
rascht und  das  Bedürfniss  fühlen ,  selbige  bis  zu  Ende  mit  un- 
unterbrochener Aufmerksamkeit  durchzulesen.  So  gewandt, 
rein  untTungezwungen  ist  die  Schreibart  und  so  gründlich  ge- 
arbeitet und  so  schicklich  angeordnet  das  Chaotische  des  Stof- 
fes, dass  man  offenbar  ungerecht  sein  müsste,  wenn  man  die- 
ser Behandlungsweise  seinen  ungetheilten  Beifall  versagen  wollte. 
Es  wäre  daher  äusserst  wünschenswerth ,  wenn  Lobeck, 
der  alle  hierher  gehörigen  Stellen  gesammelt  hat,  falls  er  selbst 
sobald  nicht  ans  Werk  schreiten  sollte,  seinen  Vorrath  Wüll- 
nern  zur  Veranstaltung  einer  vollständigen  Fragmentensamm- 
lung der  kyklischen  Dichter  überlassen  wollte. 

Dr.   N.  Bach. 


Zur  öffentlichen  Prüfung  der  Zöglinge  des  Kö- 
niglichen D  om  -  G ymnasiums  am  21sten  und  22äten 
September  182G  ladet  ehrerbietigst  ein  Dr.  E.  K.  Tl.  Maas  ,  Dire- 
ctor.  Halberstadt,  gedr.  in  d.  Dölleschen  ßuchdruckerei.  36  S. 
in  4. 

"ieses  Programm  enthält  zuerst  eine  Abhandlung  über  Au- 
torität der  Gymnasial-  Lehr  er ,  vom  Dr.  II.  A.  Chr. 
Grimm,  Prediger  und  Oberlehrer  daselbst.  In  dieser  ist 
die  Rede  I)  von  der  Notwendigkeit  des  Ansehens  und  der  Liebe 


Grimm :  lieber  Autorität  der  Gymn.  -  Lehrer.  215 

der  Lehrer  bei  ihren  Zöglingen;  II)  wird  gefragt,  wie  der 
Lehrer  sich  dieselbe  erwerben  könne.  Die  Antwort  lautet: 
1)  durch  unzweifelhafte  Pflichtliebe  und  Amtstreue;  2)  da- 
durch dass  erSanftmuth  und  Geduld  besitze;  3)  durch  Beschei- 
denheit; 4)  durch  unbestechliche  Gerechtigkeit;  5)  durch  wohl- 
wollende Gleichmüthigkcit;  <j)  durch  Billigkeit  bei  der  Beur 
theilung  der  Schwächen  und  jugendlichen  Fehler  seiner  Zög- 
linge und  durch  den  väterlichen  Sinn  bei  ihren  Vergehungen. 
III)  Was  von  Seiten  der  Eltern  geschehen  könne,  um  das  An- 
sehn der  Lehrer  ihrer  Kinder  zu  erhöhen.  Durch  die  frühere 
häussliche  Erziehung  sollen  die  Knaben  zur  Thätigkeit ,  zum 
Gehorsam ,  zur  guten  Sitte ,  zum  anständigen  ehrfurchtsvollen 
Betragen  gegen  ältere  Personen  gewöhnt  werden;  am  wenig- 
sten sollen  Väter  ihren  Söhnen  erzählen,  wie  sie  selbst  früher 
ihre  Lehrer  getäuscht ,  und  welche  lose  Streiche  sie  ihnen  ge- 
spielt haben.  Sie  sollen  sich  ferner  nie  in  Gegenwart  ihrer 
Söhne  über  Gegenstände  des  Unterrichtes  nachtheilig  äussern, 
und  die  Erziehungs-  und  Unterrichtsmethode  der  Lehrer  nicht 
tadeln ,  sondern  vielmehr  billigen  und  loben ,  überhaupt  aber 
den  öftern  Verkehr  mit  den  Lehrern  ihrer  Söhne  für  nothwen- 
dig  und  sehr  heilsam  halten.  —  Referent,  der  von  der  Wich- 
tigkeit der  hier  abgehandelten  Materien  innig  überzeugt  ist,  hat 
diesen  Aufsatz  mit  demjenigen  Vergnügen  gelesen,  welches  uns 
auf  das  Angenehmste  durchdringt,  wenn  wir  über  heilige  An- 
gelegenheiten des  Lebens  und  Berufes  die  Stimmen  Gleichge- 
sinnter vernehmen.  Möchten  recht  viele  Gymnasien  das  Glück 
geniessen,  keinen  einzigen  Lehrer  zu  haben,  der  die  Treff- 
lichkeit dieser  Rathschläge  unbeachtet  Hesse,  und  sich  nicht 
unausgesetzt  bemühte,  auf  diesem  Wege  den  Segen  und  das 
Gedeihen  seines  Unterrichtes  zu  begründen  und  zu  verviel- 
fältigen. 

Zweitens  enthält  dieses  Programm:  Des  Herrn  Professor 
Morgenstern  Ansicht  über  Horat.  Epist.  I  ep.  11  v.  7 — 11  be- 
leuchtet von  F.  E.  Theodor  Scluuid,  Oberlehrer  daselbst. 
Der  Inhalt  dieses  kurzen  Aufsatzes  scheint  dem  Referenten  der 
Wahrheit  am  nächsten  zu  kommen ,  und  wird  deshalb  auf  all- 
gemeines Interesse  rechnen  können.  Es  war  nämlich  der  auch 
um  die  Erklärung  des  Horaz  so  mannigfach  verdiente  Profes- 
sor Morgenstern  in  Eichstädts  kritischem  Nachtrage  zu 
Nitsch  und  Haberfeldts  Vorlesungen  Bd.  4  S.  222  ff",  der  Mei- 
nung vieler  altern  Ausleger  und  Kritiker  beigetreten,  welche 
die  bezeichnete  Stelle  für  eine  dem  Bullatius  in  den  Mund  ge- 
legte Gegenrede  halten.  Bothe  zu  Fea  stimmte  ihm  bei, 
und  auch  Pottier  hat  die  dieser  Fassung  entsprechende  In- 
terpunetion.  Dennoch  ist  die  Mo  rgens  ternsche  Beweis- 
führung ganz  unhaltbar.  „Sonderbar  bleibt  es  doch,  sagt  Hr. 
M. ,  dass  Horaz  in  Rom ,   Er ,   der  unsers  Wissens   niemals  in 


216  Schmid:  Ueber  Hör.  Ep.  I,  11,  7  -11. 

Kleinasien  war ,  in  einer  Epistel  an  den  Bnllatius ,  der  in  Klein- 
asien herumreiset,  nach  einer  Erkundigung  über  das  Ionische 
Lebedos  unmittelbar  mit  einer  Frage,  wie:  Scis,  Lebedus  quid 
sit'?  nachkommen  kann.  Viel  natürlicher  wäre  sie  als  Gegen- 
frage im  Munde  des  Reisenden."  Hierauf  antwortet  Herr 
Schmid  sehr  richtig:  Die  Hypothese,  dass  Horaz  nicht  in 
Kleinasien  gewesen  sei ,  ist  sehr  unbegründet.  Es  ist  vielmehr 
wahrscheinlich,  dass  Horaz  dabei  war,  als  Brutus  und  Cassius 
mit  dem  Heere  nach  Kleinasien  übersetzten.  Ja  seine  specielle 
Bekanntschaft  mit  dem  Orte  der  Ueberfahrt  von  Sestos  nach 
Abydos  ergiebt  sich  aus  Epist.  I,  3,  4,  verglichen  mit  Strabo 
lib.  13  §  22  p.  298,  ed.  Siebenkees.  Wahrscheinlich  war  er 
auch  Augenzeuge  bei  dem  lustigen  Streite  in  der  Ionischen  Stadt 
Clazomenä,  den  er  Sat.  I,  7  erzählt.  —  Ferner  geht  keines- 
weges  eine  Erkundigung  über  das  Ionische  Lebedos  voraus, 
sondern  an  laudas  ist  dort  eben  so  zu  nehmen,  wie  das 
vorhergehende:  an  venu  in  Votum,  Endlich  sind  die  Worte: 
scis,  Lebedus  quid  sit,  gar  nicht  nothwendig  eine  Frage,  son- 
dern soviel  als:  Nosti  Lebedum,  du  weist,  was  Lebedos  für 
ein  Nest  ist. 

Wenn  ferner  Herr  Morgenstern  darauf  sich  beruft, 
dass  v.  8  sonst  nicht  mit  v.  21  und  26  zu  vereinigen  sei,  so 
macht  Herr  Schmid  darauf  aufmerksam,  dass  der  Dichter 
seine  Behauptung,  auch  an  einem  öden  Orte  könne  man  glück- 
lich leben,  von  v.  11  an  durch  den  Gedanken  einschränkt,  man 
müsse  jedoch  nicht  ohne  Noth  einen  solchen  Entschluss  fassen. 
Das  vellem  des  8ten  Verses  erklärt  er  sehr  richtig  so :  „wenn 
mir  die  Bedingung  gemacht  wäre,  die  aber  nicht  gemacht  ist, 
so  würde  ich  wählen;"  mit  Billigung  des  Wielandschen 
Zusatzes:  „müssf  es  sein."  Auch  würde  der  eben  dort  zögernde 
Bullatius  nicht  illic  sondern  hie  gesagt  haben.  In  v.  9  findet 
er  nicht  Gleichgültigkeit  gegen  die  Seinen,  sondern  gerade  den 
Ausdruck  der  zärtlichsten  Liebe.  Dass  endlich  Morgen- 
stern nach  Scis  ein  inquis  hinzudachte ,  und  so  übersetzte: 
Weisst  du  auch,  hör'  ich  dich  sagen,  was  für  ein  menschenlee- 
res Oertchen  Lebedos  ist?  erklärt  er  für  eine  ganz  unzulässige 
Ellipse,  da  hier  kein  eigentlicher  Dialag  statt  findet,  und  die 
Gegenrede  nicht  einmal  durchs,  At  vero  u.  dgl.  bezeichnet 
ist.  Auch  findet  er  es  der  Urbanität  unsers  Dichters  angemes- 
sener, wenn  er  von  v.  11  an  dadurch  dass  er  sich  selbst  corri- 
girt ,  seinen  milzsüchtigen  Freund ,  ohne  ihm  wehe  zu  thun, 
auf  den  rechten  Weg  weist;  womit  er  die  ähnliche  Darstellung 
in  Sat.  II ,  7  vergleicht.  In  der  hinzugefügten  Uebersetzung 
der  ganzen  Epistel  würde  eine  schärfere  Kritik  noch  manche 
Aenderung  wünschen,  indessen  ahmt  sie  den  Ton  des  Originals 
getreu  nach ,  und  gnügt  dem  Zwecke  ,  die  Auffassung  des  Zu- 
sammenhanges dieses  Gedichtes  anschaulicher  zu  machen. 


Nadermann  :  Dissert.  excget.  et  cvit.  de  oda  Horatü  XIV  lib.  III.  217 

Uebrigens  zeigt  die  Interpunction  bei  Jahn  und  Doe- 
ring,  dass  diese  Herausgeber  jene  Stelle  ebenso  aufgefasst 
haben. 

Sechster  Jahresbericht  über  das  KSnigl.  Gymnasium  zu  Münster  in  dem 
Schuljahre  1824—25.  Fraeniittitur  disser  t  atio  esege- 
tica  et  critica  de  oda  Iloratii  XIV  lib.  III, 
quam  scripsit  //.  L.  Naderviann ,  Professor  et  Director.  Münster, 
gedruckt  in  der  Coupenrathschen  Buchdrudkerei.    47  S.      4. 

W  i  e  1  a  n  d  hatte  in  seiner  Bearbeitung  v.  Horazens  Briefen 
S.  32  behauptet,  dieser  republikanisch  gesinnte  Dichter  habe 
sich  nie  überwinden  können,  den  Kaiser  August  zu  preisen,  oder 
ihm  zu  schmeicheln.  Dieser  Ansicht  widerspricht  Herr  Dir. 
N  ad  er  mann  durch  Yergleichung  folgender  Stellen:  Ep.  II, 

I,  18;  Od.  IV,  2,  37;  5,  33;  I,  12,  57;  2,  41;  III,  5,  2;  Ep. 

II,  1,  16.  Auch  in  dieser  Ode  preise  er  ihn ,  als  er  U.  c.  730 
nach  glücklich  beendigtem  Feldzuge,  während  dessen  er  zuletzt 
in  Tarracon  krank  gelegen  hatte,  nach  Rom  zurückkehrte  und 
den  Janustempel  schloss.  —  Wahrscheinlich  sei  die  Nachricht 
vom  seinem  Kranksein  nach  Rom  gekommen,  viele  hätten  ihn 
dem  Tode  nahe  geglaubt,  und  darauf  neue  Entwürfe  gebaut, 
die  Freiheit  des  Staates  wiederherzustellen.  An  diese  sei  ei- 
gentlich die  Ode  gerichtet,  ihre  Gemüther  wolle  der  Dichter 
beruhigen  und  mit  neuer  Bewunderung  der  hohen  Verdienste 
des  Augustus  erfüllen,  der  die  Bürgerkriege  beschwichtiget 
habe  und  so  sanft  regiere.  Bei  einer  solchen  Aufgabe  habe 
nun  der  Dichter  alle  Vorsicht  anwenden  müssen,  um  auf  keiner 
Seite  anzustossen ;  daher  sei  das  Gedicht  zum  Theil  etwas  dun- 
kel gerathen;  daher  das  Lob  Augusts  sehr  massig  und  nüchtern 
ausgefallen;  das  Benehmen  der  Unzufriedenen,  die  der  alten 
Freiheit  noch  immer  anhingen  und  sich  mit  neuer  Hoffnung 
täuschten,  sei  versteckt  angedeutet  durch  das,  was  Horaz  am 
Schlüsse  der  Ode  von  sich  sage,  dass  er  nämlich  jetzt  auch 
ein  ganz  andrer  sei,  und  anders  denke  und  handle,  als  früher 
in  seinem  23sten  Jahre ,  unter  dem  Consulate  des  Plancus ,  in 
dem  Freiheitskampfe  unter  dem  Brutus.  Nicht  also  der  2te 
Vers  ,  sondern  das  ganze  Gedicht  führe  auf  diese  Ansicht.  — 
Dies  sind  die  Grundzüge  der  aufgestellten  Ansicht.  Referent 
würde  sich  eine  nähere  Prüfung  derselben  erlauben ,  wenn  es 
ihm  nicht  wahrscheinlich  sein  müsste ,  dass  Herr  N.  selbst  bei 
fortgesetztem  Studium  dieses  Gedichts  bereits  zu  andrer  Ueber- 
zeugung  gekommen  sei. 

Aus  der  nachfolgenden  Erklärung  der  ersten  12  Verse 
wird  Manches  wegfallen,  wenn  jene  Ansicht  von  dem  Ganzen 
sich  ändert,  z.  B.  die  Behauptung  dass  v.  1  die  Anrede  o  plebs 
im  verächtlichen  Sinne  gemeint  sei.  Am  umständlichsten  ist 
v.  11  behandelt.     Die  eigenthümliche  Ansicht  des  Herrn  Ver- 


218  Programme. 

fassers  ist  am  Schlüsse  in  folgenden  Worten  niedergelegt:  „Pri- 
ma statim  fronte  conspicnum  est,  pueri  atqne  p?iellae  in  anti- 
thesi  aliqua  esse  ad  praecedens  iuvenum  et  virginum,  et  simnl 
indicare  aetatem  iiiniorem.  Si  ergo  iuvenes  sunt  milites,  qui 
Cantabricam  tulerant  sub  Augusto  militiam:  pueri  esse  possunt 
adolescentuli,  qui  aut  nondum  noinen  dederant,  aut  nondum 
interfuerant  expeditioni  bellicae.  Et  si  virgines  sunt  uxores  iu- 
veniles militum  e  bello  redeuntium:  paellae  possunt  esse  uxo- 
res militum,  qui  nondum  fecerant  stipendia  in  bello  aliquo.  Vox 
enim  pnella,  non  minus  ac  virgo,  poetis  interdum  est  uxor  ma- 
rita ,  ut  Od.  III,  22,  2,  Virgil.  Georg.  IV,  458.  Tunc  iam  virum 
expertae  est  nuperrime  nuptae.  Ergo  popellum  iuvenilem,  cui 
bella  futura  adhuc  erant  timenda  ,  alloquitur  poeta ,  dicitque: 
mittite  omnera  timorem,  ne  turbetis  publicum  gaudium  anxiis 
de  futuro  tempore  querelis  infaustisque  clamoribus;  nil  enim 
amplius  nunc  nobis  est  timendum  tenente  Caesare  terras ,  qui 
suppressis  omnibus  bellis  civilibus ,  devictisque  Omnibus  bosti- 
bus  externis,  nunc  victor  redit  in  patriam,  pacem  daturus,  Ja- 
numque  clausurus."  Ganz  dieselbe  Ansicht  dieser  Stelle  hatte 
sich  Referent  auch  gebildet.  Nur  pflegt  er  noch  bemerkbar  zu 
machen,  dass  der  Begriff  „neuvermählt"  ebenso  auf  die  pueri 
wie  auf  die  puellae  zu  beziehen  sei ,  und  dass  die  Dunkelheit 
der  Stelle  gar  sehr  verschwinde,  wenn  man  das  volle  Punct 
vor  Vos  tilge,  und  ein  Colon  setze. 

Das  Aeussere  des  Programms  ist  eleganter  als  gewöhnlich, 
aber  die  vielen  Druckfehler  geben  Anstoss.  Auf  der  4ten  Seite 
ist  dem  Herrn  Verfasser  der  Ausdruck  moderni  interpretes  ent- 
schlüpft. 

Cöslin.  Müller. 


Regiae  Friderico  -  Alexandrinae  litt,  universitatis  prorector  D.  Ad.  Chr. 

Henr.  Henke successorem  suum  civibus   academicis  com- 

mendat.  Lectionum  Homer icarum  speeim.  I praemittit 
D.  Ludov.  Doederlein ,  Graec.  et  Lat.  litt.  P.  P.  O.  et  semin.  phi- 
lol.  Director.     Erlangae,  typis  Jungeanis.  1827.   8  S.  4. 

Es  ist  gewiss  allen  Freunden  der  Homerischen  Litteratur 
eine  erfreuliche  Nachricht,  dass  der  durch  seine  etymologi- 
schen Leistungen  rühmlichst  bekannte  Verfasser  das  von  Butt- 
mann unvollendet  gelassene  Werk  Homerischer  Etymologie  auf- 
genommen hat,  und  Hoffnung  macht,  alljährig  in  seinen  Pro- 
grammen einen  Beitrag  dazu  zu  liefern. 

Den  Anfang  macht  das  vorliegende  Progr.  mit  der  Unter- 
suchung :  De  origine  voc :  koKoos-  Quid  sit  d%QBiov  lö elv. 
'Axqblos  et  uxQrjörog.  'A%Q8Zov  ysXüv.  Emendatur 
Kpigramma  adespoton  et  Theocritus.    Die  zwey  ersten  Artikel 


Dödcrlcin:  Lectionum  Horacricarura  Spec.  I.  219 

bezwecken  eine  Ehrenrettung  des  Thersites.  Wir  setzen  die 
eignen  Worte  des  Verfassers  bey :  „Plerique  Homeri  enarrato- 
res  Tbersitae  personam  deridiculam  et  fatuam  describi  existima- 
runt,  quos  ut  ita  censerent  adductos  puto  quorundam  vocabulo- 
rum  pravo  intellectu,  praecipue  verborum  dfiExgoBJitjg  IxoAa'a, 
quo  garritus,  et  d%güov  löcov,  quo  inepti  hominis  vultus  signi- 
ficari  existimabatur.u  Hr.  Dödcrlein  leitet  daher  otokcoäv  [Iliad. 
II,  212  u.  I,  575]  nicht  mit  Buttmann  von  xcckea,  xeAgj,  keXo- 
p,at  ab,  weil  er  mit  Recht  die  Bedeutung  des  Zankens  ,  von 
welcher  im  Wurzelwort  keine  Spur  liegt,  die  aber  im  Deriva- 
tum  auf  einmal  als  Hauptbedeutung  hervortritt,  unwahrschein- 
lich findet,  sondern,  wie  er  schon  in  der  latein.  Synonymik  T. 
II  p.  157  angedeutet  hat,  von  xilkuv.  „Ut  egasa  ab  gsco.  ita 
quidem ,  ut  xokaäv,  objurgare,  sive  xoXgjhv  (apud  Antima- 
chum)  sive  xoXoväv,  nokovfißäv^  si  sonum  spectes,  formae  xokov- 
uv,  xoXoßovv ,  quae  tarnen  in  metaphoricam  detrectandi  signi- 
ficationem  non  transierunt ,  sin  sensum  respicias ,  formae  xold- 
\uv  similius  sit,  quandoquidem  jto'Aaöig  justam  vel  legitimam, 
xoAodg  autem,  si  non  injustam  at  inconditam  castigationem  in- 
dicat."  'A^isxgoETtyjg  wird  ebenfalls  treffend  nicht  von  Schwatz- 
haftigkeit,  sondern  von  einem  rücksichtslosen  Hintansetzen  aller 
Bescheidenheit  erklärt.  ' ' A%qhov  Idav  [II.  II,  269]  wird  er- 
klärt :  imbellis  hominis  speciem  praebens  vultu.  Diese  Bedeu- 
tung von  äxQHog  wird  durch  Stellen,  wie  Aesch.  Prora.  360: 
aal  vvv  u%güov  aal  nagyogov  df^ag  xelxcu,  sehr  schön  aus- 
einander gesetzt,  und  ist  ein  wichtiger  Beitrag  zur  richtigeren 
Auffassung  des  Thersites.  Bey  der  iVngabe  des  Unterschiedes 
von  d%güog  und  a%gii6xog ,  der  darin  gesucht  wird ,  dass 
u%Qri<5xog  de  rebus  pleruraque,  d%geiog  autem  de  ani- 
mantibus  gesagt  werde,  ist  das  plerumque  wohl  zu  beach- 
ten. Denn  wenn  auch  die  Stelle  des  Liban.  im  Encom.  Tbersi- 
tae p.  83,  B,  ed.  Steph.:  „ag  ovv  i]v  6  0Egöixijg  xm>  tolgito- 
fafiioig  cpoßtQCQV ,  t'iys  xovg  vhlg  sxEtvav  dtö[ilovg  rtyev  si  ds 
p.r]  ovxco  xavx'  ti%zv,  aAA'  t)v  navxditaöiv  ä%gr] örog,  ovx  av 
ü%z  xt)v  dg%r)vt  ovx  Icovxog  xov  zliop,ri8ovg.i%  wegen  des  spä- 
teren Zeitalters  weniger  Gewicht  hat,  so  verdient  doch  die  von 
Stephanus  im  Thes.  angeführte  Stelle  aus  Aristot.  Oecon. :  dg 
dv  y  uxQ7]6xog  xgjv  dllcov,  Beachtung.  '  A%güog  gebraucht  Xen. 
Memor.  I,  2,  54  von  Dingen:  tXEye  ös ,  ort  xai  £,äv  exectixog 
tavxov ,  ö  ndvxcov  p,ä?uöxa  cpilti ,  xov  öaiiaxog  o,  xi  av  d%gzi- 
ov  i)  aal  dvcoq)iX\g^  avxog  xe  dcpaigü  xai  dkXca  naQ£%SL.  Ari- 
stoteles hingegen  in  der  von  Schneider  in  der  letzten  Ausgabe 
augeführten  Stelle  braucht  in  demselben  Sinne  a^o^örog. 

Blicken  wir  aber  nun  zurück  auf  den  Zweck,  von  dem  die 
angegebene  Untersuchung  ausgieng,  neinlich  zu  zeigen,  dass 
die  persona  Thersitae  durch  die  falsche  Auffassung  der  genann- 
ten Ausdrücke  als  deridicula  et  fatua  aui'gefasst  worden  sey,  so 

Jahrb.  f.  Phil.  u.  Pädag.  Jahrg.  III.  Heft  2.  J5 


220  Programme. 

scheint  es  uns ,  als  ob  auch  durch  die  gegebene  richtigere  Er- 
klärung dem  Thersites  nur  das  letztere  nicht  aber  das  erstere 
Prädicat  abgenommen  worden  sey.  Das  comische  Element 
lässt  sich  wohl  aus  dieser  Episode  des  Thersites  nicht  verban- 
nen. Man  denke  sich  diesen  verkrüppelten  Menschen,  von  dem 
esheisst,  ai6%iGxog  Vit  "Iliov  i\k%Ev.  Warum  malte  wohl  Ho- 
mer seinen  Zuhörern  das  Detail  dieser  Carricatur  so  anschau- 
lich vor,  wenn  er  nicht  durch  den  Contrast,  dass  diese  abnorme 
Gestalt  sich  mit  unbezähmbarer  Zunge  dem  göttergleichen  Herr- 
scher Agamemnon  gegenüberstellt,  Lachen  erregen  wollte?  Die- 
ser Contrast  musste  im  heroischen  Alter,  wo  auf  Schönheit  der 
Gestalt  so  hoher  Werth  gelegt  wurde,  noch  viel  auffallender 
erscheinen ,  als  izt.  Sollte  aber  der  Contrast  wirkliche 
Schneide  haben,  so  durfte  allerdings  Thersites  kein  Dumm- 
kopf seyn ;  denn  dieser  ist  nicht  mehr  lächerlich :  sondern  er 
musste  einigen  Verstand,  aber  nur  verkehrt  angewendet ,  besi- 
tzen. Befremdend  ist  uns  bei  Homer  eine  solche  comische  Scene 
nicht  im  Mindesten,  wenn  wir  uns  an  den  ähnlichen  Auftritt  in 
der  Odyssee  erinnern,  wo  die  Boxerey  des  langen  abgelager- 
ten Bettlers  Irus  mit  dem  musculösen,  stämmigen  Odysseus  so 
acht  comisch  dargestellt  ist;  daher  der  englische  Carricaturen- 
Maler  bey  seiner  Darstellung  des  Zweikampfes  zwischen  Pitt 
und  Fox  noch  nach  Jahrtausenden  seine  Farben  daher  entleh- 
nen konnte.  Wir  möchten  daher  noch  immer  den  Thersites 
lieber  mit  Plutarch  de  audiendis  poet.  c.  3  als  yslaxoTtoidg,  als 
mit  Libanius  in  seinem  Encomium  Thersitae  als  einen  der  er- 
stenllelden  vorTroja  betrachten. —  DenSchluss  macht  die  Un- 
tersuchung über  ä%QEiov  ys^äv,  aus  Veranlassung  von  Od. XVIII, 
163,  wo  es  von  Penelope  heisst:  cc^qelov  d'  iyslaööEv,  «zog  r' 
E(pax\  ek  x'  6v6[icc££v:  deren  Resultat  ist:  „Proprio  a%Q£iov 
yzkäv  est  sine  causa  {1%  ovöevl  %qeei  seu  iQ^axi)  ridcre,  sed 
hoc  loco  i.  q.  <x%QEic5dEg  yskäv,  quoniam  habebat  quidem  Pene- 
lope cur  rideret,  sed,  quum  tacita  cogitatio,  antequam  ridiculi 
aliquid  vel  dictum  esset  vel  auditum  vel  spectatum,  illum  risum 
expressisset ,  videri  debebat  sine  causa  ridere."  In  Folge  die- 
ser ebenso  gelehrt  als  überzeugend  ausgeführten  Erklärung 
kommt  der  Verf.  auf  die  Emeudation  des  Epigr.  adesp.  CCXXXII : 
ä%QEic)Q  yäkaöov  {iexu  8'  EvxXEiovg  n£cpvA.cc1-o,  wo  er  der  Con- 
jectur  von  Jacobs:  d%Q£icog  yilaöoi'  {is '  xd  d',  el  y£  xXvEig,  TiEtpv- 
A«£o,  eine  eben  so  scharfsinnige  an  die  Seite  stellt :  yslccöov  '  [i£xd 
ö'  ev  nyjcovg  TtEcpvXa^o.  Ferner  wird  Theoer.  XXV,  72,  wo  ge- 
wöhnlich gelesen  wird :  xov  öl  yEgovxa  'ji%QEiag  xXk^ovxb  tie- 
QiGOaLvöv  y  eteqco&ev,  die  Reiskische  Emendation:  d%Q£icog 
xlätpv  %e  jieqCoöcuvov  0'  eteqcj&ev,  durch  die  Erklärung  sehr 
plausibel  begründet ,  dass  xlä£ov  xe  als  ölcc  {ieGov  gesetzt  zu 
betrachten  sey. 

Ref.  schliesst  mit  der  Bitte,  uns  recht  bald  mit  der  Fort- 


Uebcr  &s<ov  iv  yovvaöi  »cirat.  221 

setzung  dieser  Forschungen  zu  erfreuen ,  und  benutzt  die  Ge- 
legenheit, in  solcher  ehrenvoller  Nachbarschaft  ebenfalls  eine 
kurze  Untersuchung  mitzutheilcn: 

Ueber   frscov  Iv  yovvaöi  xsitai. 

Die  nächste  Veranlassung  zu  näherer  Untersuchung  dieser 
sprüch wörtlich  gewordenen  Formel  gab  mir  die  von  Nitzsch  in 
seinen  sonst  sehr  schätzbaren  erklärenden  Anmerkungen  zur 
Odyssee  gegebene  Erklärung,  die  ich  wörtlich  voranstelle.  Es 
heisst  hier  zu  I,  267:  akX'  y\xoi  [i\v  xavxa  ftscov  ev  yovvaöi,  xei- 
xul.  „Auf  alle  Fälle  soll  hiermit  gesagt  werden,  dass  der  Mensch 
mit  seinem  Willen,  seiner  Kraft,  seinem  Wunsche  dabey  nichts 
vermöge.  Desshalb  können  wir  die  Ilerleitung  des  Ausdrucks 
vom  Knieumfassen ,  oder  dem  Gebrauch ,  die  Gaben  den  Göt- 
tern auf  das  Knie  zu  legen  oder  zu  heften  (Heyne  ad  II.  XVII, 
514),  nicht  billigen.  Der  Gedanke,  dabey  kann  man  nichts 
thun,  als  die  Götter  anflehen,  wäre  sogar  gezwungen  ausge- 
drückt. Sodann  gilt  es  auch  oft  die  Entscheidung  über  eine  viel- 
fache Möglichkeit:  Vs.400.  Also  ziehen  wir  die  Deutung  ev  dv- 
V&uei  vor.  Die  alte  Sprache  nennt  die  Knie  so  bestimmt,  als 
den Hauptsitz  der  Körperkraft.  II.  XIX,  354:  Iva  \iy\  At^ög  yov- 
va&'  ixoixo.  Flesiod.  egy.  509:  ävatyv^ai  (pika  yovvaxa.  Vergl. 
Aristoph.  Ran.  345.u  Gewiss  würde  Herr  Nitzsch,  dessen  Werk 
von  so  genauer  Kenntniss  des  Homer  zeugt,  dieser  Erklärung 
den  Vorzug  nicht  gegeben  haben,  wären  ihm  die  bildlichen 
Darstellungen,  auf  welche  der  Ausdruck  unverkennbar  hinweist, 
gegenwärtig  gewesen.  Die  ältesten  Götterbilder  waren  in  der 
Regel  sitzend  dargestellt ,  und  zwar  nicht  nur  die  weiblichen, 
wieWinckelmann  z.  Monument,  ined.  Nr.  50  sagt,  sondern  auch 
die  männlichen.  Sitzend  wurde  in  der  ägyptischen  Kunst  ge- 
wöhnlich die  Isis  dargestellt,  bald  mit  dein  kleinen  Orus  an 
der  Brust,  bald  ohne  ihn:  man  vergl.  Winckelm.  Monumenti 
ined.  Nr.  74,  Galleria  Reale  dt  Firenze  T.  I  PI.  40.  Den 
Osiris  finden  wir  ebenfalls  sitzend:  denn  für  einen  Osiris  wird 
wohl  mit  Recht  die  von  Lanzi  für  eine  Isis  gehaltene  Statue  von 
dem  Herausgeber  der  Galleria  Reale  di  Firenze  Tom.  I  PI.  48 
erklärt.  Auf  Thronen  sitzend  fand  Tansanias  eine  Menge  Göt- 
terbilder aus  alten  Zeiten.  Zu  Megalopolis  sass  Zeus  Soter  auf 
einem  Thron,  zur  Rechten  stand  die  Stadt  Megalopolis,  zur 
Linken  üie"Jgxe^ig  öcoxeiga.  Paus.  VIII,  30,  10.  InPatrae  sass 
Jupiter  Olympius  auf  einem  Thron,  neben  ihm  stand  Athene. 
VII,  20,  3.  Zu  Argos  war  ein  sitzender  Aesculap,  neben  dem  Hy- 
giea  stand.  11,23,4.  Viele  andere  sind  bey  Quatremere  deQuincy 
Jupiter  Olympien  nachzusehen ,  der  in  einem  eignen  Capitel  p. 
314 — 323  von  den  Thronen  der  Götter  handelt,  und  mehrere 
abgebildet  hat.  Von  den  auf  uns  gekommenen  Antiken  erin- 
nere ich  nur  an  das  dem  alten  Styl  der  Kunst  angehörige  Re- 

15* 


Programme. 

lief  in  Villa  Albani,  die  Leucothea  mit  dem  jungen  Bacchus 
auf  dem  Schoos  darstellend  (abgebildet  bei  Winckelm.  Gesch. 
der  Kunst  T.  III  Tab.  3  u.  Man,  ined.  Nr.  56),  und  an  die  nach 
dem  Muster  der  den  Orus  säugenden  Isis  gebildete  Juno ,  mit 
dem  kleinen  Mars  an  der  Brust  [Mus.  Pio  -  Clement.  T.  I  Tab.  4). 
Besonders  aber  gehören  hieher  aus  den  von  Ed.  Gerhard  zum 
erstenmal  bekannt  gemachten  Bildwerken  (Tübingen  und  Stutt- 
gardt  1827)  Tab.l:  Zeus  und  Here,  sitzend,  Idole  nach  dem 
rohesten  Styl,  aus  gebrannter  Erde,  die  zu  Samos  gefunden 
wurden ,  und  dem  Ritter  Sir  William  Gell  in  Neapel  gehören. 
Tab.  2,  wo  Demeter  und  Köre  auf  Thronen  sitzen,  der  kleine 
lacchus  zu  ihren  Füssen.  Dieselben  auf  Tab.  3  in  3  verschie- 
denen Abbildungen.  Einige  dieser  Bilder  haben  in  der  rechten 
Hand  pateras ,  welche  sie  auf  dem  Knie  auflegen,  die  zu  nichts 
anderem  bestimmt  seyn  können,  als  um  Gaben  zu  empfangen. 
Die  Frage  ist  nach  diesem  Allen  nur  die,  ob  diese  Vorstellun- 
gen auch  bei  Erklärung  des  Homer  geltend  gemacht  und  bis 
in  seine  Zeit  hinauf  gerückt  werden  dürfen.  Wir  finden  im  Ho- 
mer nur  einmal  ein  Götterbild  erwähnt.  II.  VI,  293  bringt 
Hecabe,  begleitet  von  den  troischen  Frauen,  der  Athene,  wel- 
che einen  Tempel  auf  der  Burg  hatte,  einen  Peplos  als  Weih- 
geschenk, und  diesen  legt  ihr  die  Priesterin  auf  die  Knie.  Vs. 
302:  ri  d'  aga  ittnXov  kkovöu  ©sava  Tiallmäg^og  drjxsv  'A&rj- 
valr\q  enl  yovvccöiv  ^VKOfioio.  Phidias  bildete  bekanntlich 
den  Kopf,  besonders  den  Blick  seines  Jupiter  Olympius  nach 
der  erhabenen  Schilderung  Homer's.  Derselbe  Jupiter  war 
sitzend.  Würde  ihn  wohl  der  Künstler  so  gebildet  haben, 
hätte  er  sich  nicht  diese  Stellung  als  die  der  homerischen  Idee 
angemessene,  ja  als  die  einzige  zu  solch  gewaltigem  Herrscher- 
blick passende  gedacht?  Halten  wir  diese  bildliche  Darstel- 
lung der  Götter  fest,  und  verbinden  damit  das,  was  Plin. H.  N. 
XI  cap.  45  segm.  103  von  der  heiligen  Bedeutung  der  Knie  in 
der  alten  Welt  sagt:  hominis  genibus  quaedam  et  religio  inest, 
observatione  gentium:  haec  supplices  attingunt:  ad  haec  ma- 
nus  tendunt:  haec  ut  aras  adorant,  so  ist  man,  wie  es  mir 
scheint,  genöthigt,  das  %i.av  Iv  yovvaöi  xtitai  auch  hieher 
zu  ziehen.  Die  Knie  der  Götter,  auf  denen  der  Andächtige  seine 
Gaben  niederlegte,  die  er,  flehend  um  Schutz  und  Beistand, 
umfasste,  wurden  als  der  Sitz  der  Gnade  betrachtet:  von  hier 
aus  hatte  der  unmächtige  Mensch  die  Entscheidung  seines 
Schicksals  zu  erwarten.  Aus  dieser  Idee  entstand  später  die 
Sitte,  die  Votiv- Tafeln  an  die  Knie  der  Götter  zu  kleben.  Da- 
lier sagt  Juvenal.  Sat.  X ,  54 : 

Ergo  supervacua  haec  mit  perniciosa  petuntur, 
Propter  quae  fas  est  genua  incerare  Deorum. 
wo  Ruperti  zu  vergl.  Luciau  im  Philopseudes:  noKXol,  i\  d'  og, 

%X£lVtO    oßolol  31QOS  XOIV   TtOÖOLV  CCVTOV ,   XCil  äKKa  VO(li6(iaTCi 


Ueber  &Hav  tv   yovvaat  untern.  223 

Ivia  äoyvQä  rtQog  xbv  ^tjqov  xtjQayiEXoXXrjfisvcc,  aal 
Ttttccka  ti;  ccQyvgov  £v%at  nvog,  i]  [iiöftog  inl  tfj  idöu,  onööoc 
cV  avxbv  STtavöavto  tivqstcö  1%6^vol  Wenn Rutgersius  Vor. 
Lectt.  Lib.V  Cap.  V  und  Duportus  Homer.  Gnomologia  p.  08 
den  Ausdruck  &eäv  Iv  y.  %■  aus  dieser  Sitte  entstanden  glau- 
ben, so  fehlen  sie  zwar  darin,  dass  sie  eine  spätere  Sitte  in 
die  homerische  Zeit  hinaufsetzen,  aber  den  Zusammenhang  der 
dieser  Sitte  zu  Grunde  liegenden  Idee  mit  der  homerischen  sa- 
hen diese  des  Alterthums  kundigen  Männer  doch  richtig  ein. 

So  viel  möge  genügen ,  nicht  um  eine  neue  Erklärung  auf- 
zustellen, sondern  nur  um  die  alte  fester  zu  begründen  und  ge- 
feit eine  zwar  ebenfalls  alte,  aber  mehr  nach  hebräischem*), 
als  nach  homerischem  Alterthum  riechende  Erklärung  zu  ver- 
th  einigen. 

Dr.   Christian   Walz,  aus  Tübingen. 


Kürzere   Anzeigen. 


Corpus  Script orum  Historiae  B yzantinae.  Editio 
emendatior  et  copiosior,  consilio  B.  G.  Niebuhrii  C.  F.  instituta, 
opera  Eiusdem  Niebuhrii,  Imm.  Bekkeri,  L.  Schopeni,  G.  Din- 
dorfii  aliorumque  Philologorum  parata.  —  Pars  III.  Agathias.  — 
Bonnae,  Inipensis  Ed.  Webcri.  MDCCCXXVIII. 
Und  mit  dem  besondern   Titel: 

A gathiae  Myrinaei  Historiarum  libri  quinque 
cum  versione  latina  et  annotationibus  Bon.  Vulcanii.  B.  G.  Nie- 
buhrius  C.  F.  Graeca  recensuifc.  Accedunt  Agathiae  Epigrammata. 
Bonnae,  Impensis  Ed.  Weberi.  MDCCCXXVUI.  XXXYU  und  420 S. 
gr.  8. 

JCiin  erhebendes  Geschäft  ist  es  uns ,  das  gelehrte  Publicum 
auf  die  Erscheinung  eines  Werkes  aufmerksam  zu  machen,  das 
unter  den  vielen  litterärischen  Erzeugnissen  unserer  Zeit  glän- 


*)  Dass  yovv  und  yovara  allgemein,  ohne  jedesmalige  be- 
stimmte Rücksicht  auf  die  Knie,  für  den  Begriff  der  Kraft,  Macht, 
der  hier  erfordert  wird,  gebraucht  werde,  ist  durch  die  beigebrach- 
ten Stellen  nicht  erwiesen.  Aristoph.  Ran.345:  yövv  nällizca  ytQOvrcov, 
ist  doch  das  Knie  ohne  alle  weitere  Bedeutung  zu  verstehen :  und  11. 
\I\:  Iva  [IT/  lifibs  yovva&'  i'noizo,  ist  wohl  an  nichts  als  an  den  natürli- 
chen Zusammenhang  eines  leeren  Magens  mit  wankenden  Knieen  ge- 
dacht. 


224  Kürzere  Anzeigen. 

zend  hervortritt.  Denn  Mährend  Schriften  des  klassischen  Al- 
terthums  in  unzähligen  Abdrücken,  ohne  dass  die  Wissenschaf- 
ten im  Mindesten  gefördert  werden,  wieder  erscheinen:  so 
tritt  hier  ein  Werk  hervor,  das  trotz  seiner  hohen  Wichtig- 
keit für  Philologie  und  Geschichte  dennoch  bis  jetzt  als  ein  un- 
zugänglicher Schatz  fast  ganz  verborgen  lag.  Es  ist  bekannt, 
dass  bisher  von  den  gesammten  Byzantinischen  Schriftstellern 
nur  zwei  Ausgaben,  die  Pariser,  die  in  den  Jahren  1(147  bis 
1711  erschien,  und  die  Venezianische,  die  1729 — 1733  her- 
auskam, vorhanden  gewesen  sind.  Beide  waren  wegen  ihrer 
grossen  Seltenheit  fast  bloss  das  Eigenthum  grosser  Bibliothe- 
ken Europa' s  und  konnten  daher  nur  von  wenigen  Gelehrten  be- 
nutzt werden.  Schon  aus  diesem  Grunde  musste  eine  neueAus- 
gabe  dieser  Schriftsteller  im  höchsten  Grade  wünschenswerth 
seyn,  da  zumal  die  erste  jener  Ausgaben  theils  unvollständig 
theils  sehr  incorrect  und  die  andere,  welche  grössten- 
theils  aus  der  erstem  abgedruckt  wurde,  durch  eine  Masse  den 
Sinn  störender  Fehler  auffallend  entstellt  war.  Ja  wir  behaup- 
ten, dass  ein  blosser  correcter  Abdruck  jener  Schriftsteller 
aus  den  vorhandenen  Ausgaben  einem  allgemeinen  Bedürfnisse 
abgeholfen  haben  würde.  Denn  wenn  schon  nicht  zu  läugnen 
ist,  dass  die  meisten  jener  Schriftsteller  mehr  wegen  der  Sa- 
chen, die  sie  uns  erzählen,  als  wegen  der  Sprache,  der  sie 
sich  bedienen,  gelesen  zu  werden  verdienen:  so  ist  doch  auch 
soviel  gewiss ,  dass  zu  einer  umfassenden  Kenntniss  einer  Spra- 
che die  Bekanntschaft  mit  allen  Schriftstellern ,  die  in  dersel- 
ben geschrieben  haben ,  vom  aller  ältesten  bis  zum  spätesten 
unumgänglich  nothwendig  ist.  Wir  könnten  diese  Nothwen- 
digkeit  ausführlicher  auseinandersetzen,  wenn  wir  nicht  be- 
fürchten müssten,  über  eine  Sache  zu  sprechen,  die  jedem  Le- 
ser dieser  Jahrbücher  hinlänglich  bekannt  seyn  wird.  Mag  es 
also  immer  reizender  und  bezaubernder  seyn,  sich  mit  den  klas- 
sischen Werken  der  alten  Griechen  zu  beschäftigen ;  so  darf 
doch  derjenige  auch  die  Byzantinischen  Schriftsteller  nicht  un- 
gelesen  lassen,  dem  an  einer  gründlichen  und  umfassenden 
Kenntniss  der  griechischen  Sprache  gelegen  ist.  Ganz  unent- 
behrlich aber  sind  natürlich  diese  Schriftsteller  jedem  Ge- 
schichtsforscher, der  sich  nicht  begnügt  das  blindlings  nach- 
zusagen, was  Andere  vor  ihm  aus  den  Werken  der  Vorzeit 
flüchtig  ausgeschrieben  haben,  sondern  mit  emsiger  Sorgfalt 
unmittelbar  aus  den  Quellen  seine  Data  zu  schöpfen  bemüht  ist. 
Diese  mussten  ein  grosses  Bedürfniss  befriedigt  sehen,  wenn 
ihnen  ein  correcter  Abdruck  der  Byzantin.  Schriftsteller  in  die 
Hände  gegeben  wurde. 

Wie  viel  mehr  müssen  sie  und  mit  ihnen  alle  Freunde  der 
Philologie  auf  das  Erfreulichste  überrascht  werden,  wenn  sie 
sehen ,  dass  eine  neue  Ausgabe  jener  Schriftsteller  unter  der 


Agathiae  historiarum  libb.  V.  Rec.  Niebuhr.  225 

Leitung  des  Geheimen  Staatsrath  Niebuhr  erscheint,  und  auf 
eine  Weise  besorgt  wird,  dass  sie  hinsichtlich  ihres  inaern  und 
äussern  Werthes  stets  unübertroffen  bleiben  muss.  Je  überfiü- 
ssiger  es  ist,  das  gelehrte  Publicum  darauf  aufmerksam  zu 
machen ,  wie  ein  Unternehmen ,  das  von  jenem  Manne  gelei- 
tet wird,  trefflich  hinausgeführt  werden  müsse;  um  so  weniger 
können  wir  uns  enthalten,  den  überaus  edlen  und  uneigennützi- 
gen Sinn  zu  rühmen  und  Andern  zur  Nachahmung  zu  empfeh- 
leu,  mit  welchem  der  Anordner  dieser  neuen  Ausgabe  sich  von 
den  anziehendsten  Arbeiten  losriss  und  mit  den  drückendsten 
und  beschwerlichsten  Geschäften  überhäufte,  um  seinen  Zeit- 
genossen und  der  Nachwelt  einen  lange  verborgenen  Schatz 
ohne  irgend  einen  Gewinn  für  sich  zugänglich  und  nutzbar  zu 
machen.  Freilich  hätte  er  sich  die  Arbeit  sehr  vereinfachen 
können,  wenn  er,  wie  es  so  viele  der  heutigen  Gelehrten  ma- 
chen, mit  den  ihm  gerade  zu  Gebote  stehenden  Hülfsmitteln 
zufrieden  gewesen  wäre ,  und  sich  begnügt  hätte,  mit  blosser 
Zuziehung  der  vorhandenen  Ausgaben  einen  ziemlich  lesbaren 
Text  zu  geben.  Allein  mit  welchem  Zeitaufwand  und  mit  wel- 
chem Eifer  er  dafür  gesorgt  hat  und  unausgesetzt  sorgt,  dass 
alle  in  den  Bibliotheken  Europa' s  verborgen  und  zerstreut  lie- 
genden Schätze  für  die  Verbesserung  jedes  einzelnen  Byz. 
Schriftstellers  benutzt  werden,  davon  zeugen  die  Berichte,  wel- 
che nach  und  nach  über  den  Fortgang  dieses  ruhmvollen  Unter- 
nehmens ausgegeben  worden  sind.  Doch  müssen  wir  bekennen, 
dass  diese  Bemühungen  nimmermehr  mit  einem  so  glücklichen 
Erfolg  gekrönt  worden  seyn  würden,  wenn  sie  nicht  von  einem 
Manne  ausgegangen  waren,  dem  wetteifernd  jeder  Gebildete  Eu- 
ropa's gefällig  zu  seyn  sich  zur  Ehre  und  zum  Ruhme  anrech- 
net. Auf  diese  Weise  ist  es  dahin  gekommen,  dass  für  jeden 
Schriftsteller  fast  alle  nur  vorhandenen  Hülfsmittel,  aus  denen 
seine  Verbesserung  möglich  ist ,  sich  in  den  Händen  der  Bear- 
beiter befinden.  Da  nun  die  kritische  Gestaltung  der  einzelnen 
Schrr.  theils  vom  Anordner  des  ganzen  Unternehmens  selbst, 
theils  von  den  ausgezeichnetsten  Gelehrten  Deutschlands  über- 
nommen worden  ist;  so  ergiebt  sich  von  selbst,  dass  wir  in  die- 
ser neuen  Ausgabe  einen  Text  erhalten  müssen,  der  durch  keine 
neue  Ausgabe  jemals  erheblich  verbessert  erscheinen  kann. 

Allein  nicht  minder  wird  auch  diese  neue  Ausgabe  hinsicht- 
lich ihres  Aeusseren ,  des  Druckes  und  des  Papieres  ,  stets  un- 
übertroffen bleiben.  Zwar  trifft  dieses  Lob  zunächst  den  Ver- 
leger, Hrn.  Ed.  Weber,  einen  Mann,  dessen  edles  und  unei- 
gennütziges Bestreben,  jeder  Anforderung  in  dieser  Hinsicht 
vollkommen  Gnüge  zu  leisten ,  allgemein  bekannt  ist.  Allein 
diesem  Werke ,  das  weder  einen  schnellen  noch  ausgebreiteten 
Absatz  erwarten  liess ,  würde  Hr.  Weber,  ohne  sich  selbst 
ins  grösste  Unglück  zu  stürzen,  nimmermehr  eine  so  pracht 


226  Kürzere  Anzeigen. 

volle  Ausstattung  haben  geben  können,  wenn  er  sich  nicht  der 
höhern  Unterstützung  des  K.  Ministeriums  der  geistlichen  Ange- 
legenheiten und  des  öffentlichen  Unterrichts  in  Berlin  hätte  er- 
freuen dürfen.  Es  ist  bekannt,  was  dieses  preisswürdige  Mi- 
nisterium gethan  hat,  um  dem  Verleger  einen  umfänglichen  Ab- 
satz zu  gewähren.  Nicht  unerwähnt  können  wir  hier  eine  neue 
Gnadenerzeigung  desselben  K.  Ministeriums  lassen ,  die  eben- 
falls das  glückliche  Gedeihen  dieses  Unternehmens  beabsich- 
tigt, und  darin  besteht,  dass  es  fünf  Prämien  halbjährig  für 
Studirende  in  Bonn  ausgesetzt  hat,  welche  sich  als  Correctoren 
bei  der  Herausgabe  der  Byz.  Schriftsteller  besonders  auszeich- 
nen werden.  Glücklich  in  der  That  ist  das  Land  zu  preissen, 
dessen  erhabener  Fürst  nicht  aufhört  das  Gedeihen  der  Künste 
und  Wissenschaften  auf  die  ruhmvollste  Weise  zu  befördern. 

Einen  Beleg  für  die  Wahrheit  unseres  Urtheils,  das  wir  im 
Allgemeinen  von  der  neuen  Ausgabe  der  Byz.  Schriftsteller  aus- 
gesprochen haben,  giebt  nun  der  erste  Band,  den  Agathias  ent- 
haltend, über  dessen  Beschaffenheit  wir  die  Leser  noch  genauer 
in  Kenntniss  zu  setzen  haben.  Was  das  Aeussere  anlangt,  so 
kennen  wir  keine  in  Deutschland  erschienene  Ausgabe  irgend 
eines  alten  Schriftstellers,  deren  Papier  und  Druck  ausgezeich- 
neter wäre,  als  beides  in  dieser  Ausgabe  des  Agathias  anzu- 
treffen ist.  Denn  obgleich  der  Verleger  den  Subscribenten  nur 
das  Versprechen  gegeben  hatte ,  den  Druck  nach  dem  Kühn- 
schen  Galenus  einzurichten;  so  steht  doch  jene  Ausgabe  der 
Mediciner  in  beiden  Puncten  dieser  des  Agathias  weit  nach: 
ein  Beweis  von  der  Uneigennützigkeit  des  Hrn.  Weber,  wie 
wir  sie  bei  andern  Buchhändlern  fast  nirgends  finden.  Ein  aus- 
gezeichnetes Lob  verdienen  ferner  diejenigen ,  welche  die  Cor- 
rectur  der  einzelnen  Bogen  übernommen  haben.  Denn  wenn 
wir  auch  dem  Buche  keine  völlige  Fehlerlosigkeit  zuschreiben 
können;  so  ist  doch  die  Zahl  der  Fehler  so  gering,  und  ihre 
Beschaffenheit  so  wenig  störend,  dass  sie  bei  der  übrigen  Mu- 
sterhaftigkeit der  Correctur  kaum  in  Betracht  kommen.  Wir 
haben  ausser  den  wenigen,  die  in  den  Addendis  et  Corrigen- 
dis  angezeigt  worden  sind ,  keine  gefunden,  mit  Ausnahme  sol- 
cber,  wo  etwa  ein  Accent  ausgefallen  oder  das  u  und  n  ver- 
kehrt gesetzt  worden  sind.  An  solchen  Geringfügigkeiten  kann 
aber  natürlich  kein  Leser  anstossen.  Doch  wird  in  den  folgen- 
den Bänden  in  dieser  Hinsicht  noch  mehr  und  zwar  etwas  Aus- 
gezeichnetes geleistet  werden,  wie  die  verehrungswürdige  Ver- 
fügung des  preisswürdigen  K.  Ministeriums  in  Berlin  zuversicht- 
lich erwarten  lässt. 

Höher  als  alles  dieses  ist  jedoch  der  innere  Werth  anzu- 
schlagen, den  der  Agathias  durch  diese  Bearbeitung  erhalten 
hat.  Wie  der  Titel  zeigt,  hat  der  Geheime  Staatsrath  Hr.  Nie- 
buhr  selbst  die  Bearbeitung  dieses  Schriftstellers  übernommen, 


Agathiac  historiarum  libb.  V.  Rec.  Niebuhr.  227 

wobei  er  jedoch  in  einigen  Puiicten ,  die  wir  nachlier  erwähnen 
werden,  von  Hrn.  Clas  seil,  einem  ehemaligen  Schüler  Her- 
manns, unterstützt  worden  ist.  In  der  Vorrede,  welche  die  Sei- 
ten VII  —  XU  einnimmt,  werden  die  Ausgaben  und  Handschrif- 
ten erwähnt,  die  der  Herausg.  für  die  Verbesserung  des  Aga- 
thias  benutzt  hat. 

Die  erste  Ausgahe  wurde  von  Vulcanius  in  Leiden  1594 
besorgt.  Die  Handschrift,  der  sich  jener  Gelehrte  bediente, 
ist  noch  jetzt  vorhanden  und  ziert  die  Leidensche  Universitäts- 
bibliothek. Da  die  Setzer  der  Vulcanischen  Ausgabe  die  Schreib- 
art jener  Handschrift  in  vielen  Stellen  nicht  verstanden  und 
überhaupt  ihr  Geschäft  nicht  genau  geführt  hatten,  worüber 
Vulcanius  selbst  in  den  später  erschienenen  Bemerkungen  zum 
Agathias  klagt;  so  hielt  Hr.  JNiebuhr  eine  neue  und  genaue Ver- 
gleichung  jener  Handschr.  mit  Recht  für  nöthig  und  erhielt 
sie  auch  auf  sein  Bitten  von  Hrn.  Geel.  Noch  viel  werthvoller 
und  für  die  Verbesserung  des  Agathias  einflussreicher  war  aber 
die  in  Breslau  befindliche  Rehdigersche  Handschrift,  die  Hrn. 
Niebuhr  nach  Bonn  zur  eignen  Vergleichung  zugeschickt  wurde. 
Ebendiese  bestätigte  eine  grosse  Anzahl  von  Verbesserungen, 
die  Hr.  Niebuhr  und  zum  Theil  auch  Hr.  Classen  vor  ihrem  Em- 
pfang im  Agathias  gemacht  hatten,  und  füllte  mehrere  Lücken 
aus,  die  sich  in  den  bisherigen  Ausgaben  befanden.  Sie  ist  auf 
Kosten  Rehdigers  um  das  Jahr  1560  aus  einer  Italiänischen 
Handschrift  in  Italien  abgeschrieben  worden,  und  zwar,  wie 
Hr.  Niebuhr  unstreitig  mit  Recht  muthmaasst,  aus  der  Vatica- 
nischen,  die  der  lateinische  Uebersetzer  Persona  gebraucht  hat. 
Wenigstens  stimmt  die  Uebersetzung  Persona's  meistentheils 
mit  der  Rehdigerschen  Handschrift  überein,  und  die  Rehdiger- 
sche II.  mit  der  Vaticanischen,  aus  welcher  Ang.  Mai  die  Va- 
rianten aus  dem  Anfang  des  IVten  Buches  Hrn.  Niebuhr  mitge- 
theilt  hat.  Sollte  einmal  diese  und  etwa  noch  andere  verbor- 
gen liegende  Handschriften  des  Agathias  verglichen  w  erden  und 
die  Vergleichung  einen  kleinen  Gewinn  geben,  was  jedoch  kaum 
zu  erwarten  ist ;  so  könnte  dieser  Gewinn  von  dem  Verleger, 
Hrn.  Weber,  recht  leicht  den  Besitzern  dieser  Ausgabe  in  einem 
Supplementbande  nachträglich  geliefert  werden.  Es  ist  diess 
allerdings  auch  bei  den  übrigen  Byz.  Schriftstellern  möglich, 
dass  trotz  der  ausgezeichneten  Mühe,  die  sich  der  Anordner 
giebt  in  Besitz  aller  Hülfsmittel  zu  gelangen,  dennoch  nach  be- 
endigtem Drucke  Quellen  entdeckt  werden  ,  aus  denen  die  kri- 
tische Gestaltung  einiger  Schriftsteller  noch  einen  kleinen  Ge- 
winn ziehen  kann.  Würde  diess  den  Besitzern  dieser  neuen 
Ausgabe  nach  und  nach  raitgetheilt,  so  würde  diese  Ausgabe 
für  jeden  Leser  zu  allen  Zeiten  eine  vollkommen  genügende 
bleiben. 

Es  war  natürlich ,  dass  der  Herausgeber  bei  der  Herstel- 


228  Kürzere  Anzeigen. 

lungf  des  Agathias  vorzüglich  der  Rehdigerschen  Handschrift 
folgte.  Dadurch  sind  nun  unzählige  Stellen,  die  in  allen  bis- 
herigen Ausgaben  verdorben  waren,  völlig  hergestellt  worden, 
so  dass  selbst  die,  welche  im  Besitz  früherer  Ausgaben  dieses 
Schriftstellers  sind  ,  die  Bonner  Ausgabe  auf  keine  Weise  ent- 
behren können. 

Von  'S.  XIII  bis  XX  ist  das  Leben  des  Agathias  auseinan- 
dergesetzt worden,  wobei  mehrere  Irrthümer,  die  bis  jetzt  ob- 
walteten, berichtigt  und  einige  treffende  Bemerkungen  über  die 
Aussprache  und  Accentuation  der  damaligen  Griechen  gemacht 
worden  sind.  Alles  ist  zugleich  mit  Beweisstellen  bewiesen 
worden,  so  dass  schon  dieser  Theil  eine  wahre  Zierde  des  Bu- 
ches ist.  —  Die  SS.  XXI  und  XXII  nehmen  die  Urtheile  grie- 
chischer Schriftsteller  und  einiger  neuern  Gelehrten  über  den 
Agathias  ein.  —  S.  XXIII  und  XXIV  ist  eine  Probe  von  der 
lateinischen  Uebersetzung  des  obengenannten  Christophorus 
Persona  aus  dem  zweiten  Buche  des  Agathias  gegeben  worden. 
So  erbärmlich  sie  auch  ist,  so  hat  sie  doch  von  der  Seite  eini- 
gen Werth,  dass  sie  das  Original  fast  wörtlich  wiedergiebt.  — 
S.  XXV  ist  die  Dedication  aus  der  Pariser  Ausgabe ,  S.  XXVI 
—  XXVIII  der  Brief  des  bereits  erwähnten  Bonaventura  Vulca- 
liius,  den  er  seiner  Ausgabe  vorgesetzt  hat,  S.  XXIX  — 
XXXIII  die  sfriechischeu  und  lateinischen  Lobgedichte  auf  die 
Ausgabe  des  Vulcanius ,  und  S.  XXXIV  —  XXXVII  desselben 
Vulcan.  Dedicatio  und  Praefatio  JNotarum  in  Agathiam,  die  erst 
später  erschienen,  abgedruckt  worden. 

Es  folgen  nun  von  S.  1  —  335  die  fünf  Geschichtsbücher 
des  Agathias  selbst.  Von  der  bedeutend  verbesserten  Gestalt 
des  Textes  haben  wir  bereits  gesprochen.  Es  ist  daher  nur  noch 
die  höchst  zweckmässige  Einrichtung  zu  rühmen ,  dass  erstlich 
jedem  Buche  Argumenta  vorausgesetzt  sind,  welche  mit  der 
grössten  Kürze  den  Inhalt  desselben  angeben  und  von  Hrn. 
Classen  gemacht  worden  sind;  zweitens  sind  dem  Rande  des 
Textes  durchweg  die  Seitenzahlen  der  Pariser  und  der  Venezi- 
anischen Ausgabe  beigeschrieben  und  ausserdem  noch,  wie  bei 
den  Dichtern  die  Verse  ,  so  jede  fünfte  Zeile  numerirt  worden. 
Wie  sehr  diese  Einrichtung  den  Gebrauch  dieser  Ausgabe  und 
das  Nachschlagen  von  Stellen  zum  grossen  Vortheil  der  Leser 
erleichtere,  fällt  in  die  Augen.  Auch  die  Jahreszahlen,  auf 
welche  die  einzelnen  Erzählungen  des  Agathias  sich  beziehen, 
sind  überall  am  Hantle  angemerkt  worden.  Unmittelbar  unter 
dem  Text  befinden  sich  die  abweichenden  Lesarten  der  Hand- 
schriften und  Ausgaben ,  wobei  die  zweckmässigste  Kürze  und 
Raumersparung  nicht  genug  gerühmt  werden  kann.  Auch  ist 
in  denselben  überall  auf  den  Suidas,  der,  wie  bekannt  ist,  eine 
Unzahl  von  Stellen  aus  dein  Agathias  anführt ,  verwiesen  und 
seine  Abweichung  vom  Texte  erwähnt  worden.    Unter  den  Va- 


Agatlüac  historiarum  libb.  V.  Rec.  Niebahr.  229 

rianten  steht  die  lateinische  Uebersetzung.  Zwar  hätte  es  der 
Hr.  Herausgeber  lieber  gesehen ,  wenn  sie  ganz  weggeblieben 
wäre;  allein  er  gab  in  diesem  Puncte  den  Bitten  des  Verlegers 
nach  ,  der  Ihre  Ilinzufügung  für  nöthig  hielt,  wenn  die  neue 
Ausgabe  allgemeinen  Beifall  finden  sollte.  Und  wir  stimmen 
hierin  dem  Hrn.  Verleger  durchaus  bei.  Denn  es  ist  keine  Frage, 
dass  es  noch  Aiele  Gelehrte  nicbt  bloss  im  Auslande  sondern 
auch  in  Deutschland  selbst  giebt,  die  zwar  einige  Kenntmss  von 
der  griechischen  Sprache  haben,  aber  doch  noch  nicht  soweit 
gekommen  sind ,  dass  sie  einen  griechischen  Schriftsteller  ohne 
häufigen  Gebrauch  des  Lexicon  lesen  und  verstehen  können. 
Diesen  ist  eine  lateinische  Uebersetzung,  die  die  Stelle  des 
Lexicon,  der  Grammatik,  und  des  Commentars  vertritt,  von 
der  grössten  Wichtigkeit.  Namentlich  verlangen  sie  diese  bei 
Geschichtsschreibern,  deren  Leetüre,  wenn  sie  fruchtbar  seyn 
soll,  nicht  sehr  aufgehalten  werden  darf.  Desshalb  sind  wir 
der  festen  Ueberzeugmig,  dass  diese  neue  Ausgabe  der  Byz. 
Schrr.  auch  aus  dem  Grunde  keiner  Classe  von  Lesern  etwas  zu 
wünschen  übrig  lassen  w  ird ,  weil  den  Griech.  Schrr.  durchaus 
eine  lat.  Uebersetzung  beigegeben  ward. 

Von  S.  336  —  35ß  folgen  die  Notae  B.  Vulcanii  in  Aga- 
thiae  Historias,  welche  theils  kritischen  theils  exegetischen  In- 
halts sind  und  manche  gute  Bemerkung  enthalten.  —  Nach  die- 
sen haben  die  Epigramme  des  Agathias  ihren  Platz  gefunden 
und  hinter  ihnen  die  metrische  Uebersetzung  einiger  derselben 
ins  Lateinische  von  Jos.  Scaliger,  J.  Dousa,  und  B.  Vulcanius. 

Den  Beschluss  des  Buches  machen  drei  musterhafte  Indi- 
ces,  die  Hrn.  Classen  zum  Verfasser  haben:  1)  Index  S er i- 
ptorum,  qui  in  Agathiae  Historiis  citantur,  S.399;  2)  Index  He- 
rum et  Nominum  in  Ag.  Historiis  memorabilium,  S.  400  —  408; 
und  endlich  3)  Index  Graecitatis  in  Ag Alistor ins,  S.  409  —  419. 
Nur  zum  zweiten  hat  der  Hr.  Herausg.  einige  Zusätze  gegeben. 
So  wie  der  zweite  den  Freunden  der  Geschichte  eine  höchst 
willkommene  Zugabe  ist,  so  hat  der  dritte  für  die  Philologen 
einen  grossen  Werth.  Und  in  diesem  vorzüglich  hat  Hr.  Clas- 
sen eine  ausgezeichnete  Probe  seiner  umfassenden  Kenntniss  in 
der  griechischen  Sprache  gegeben ,  in  wie  fern  er  auf  die  Ei- 
gentümlichkeiten der  Schreibart  des  Agathias  und  auf  seine 
Nachahmung  des  Homers  und  des  Thucydides  nimmermehr 
hätte  aufmerksam  machen  können,  wenn  ihm  nicht  der  Sprach- 
gebrauch der  übrigen  griechischen  Schriftsteller  bekannt  ge- 
wesen wäre. 

Aus  der  ganzen  Beschaffenheit  des  angezeigten  Buches  geht 
nun  ohne  unsere  besondere  Erklärung  unwiderleglich  hervor, 
dass  die  Art  und  Weise,  wie  der  Agathias  bearbeitet  worden 
ist,  in  jeder  Hinsicht  musterhaft  zu  nennen  ist.  Da  nun  die 
übrigen  Schriftsteller  alle  auf  gleiche  Weise  bearbeitet  erschei- 


230  Kürzere  Anzeigen. 

nen  sollen ;  so  wird  unser  oben  ausgesprochenes  Urtheil  voll- 
kommen bestätigt,  dass  diese  neue  Ausgabe  der  Byz.  Schrift- 
steller als  ein  glänzendes  Werk  unter  den  litterärischen  Erzeug- 
nissen unserer  Zeit  hervortritt.  Wir  schliessen  diese  Anzeige 
mit  dem  innigen  Wunsche ,  dass  die  Vorsehung  dem  Anordner 
Gesundheit  und  Kraft  schenken  möge,  das  begonnene  Werk  zur 
Ehre  und  zum  Ruhme  des  deutschen  Volkes  ungestört  ausfüh- 
ren zu  können. 

Eduard  Wunder. 


M.  T.  Ciceronis  Cato  Maior  seu  de  Senectute.  Zum 
Gebrauch  für  Schulen  neu  durchgesehen  und  mit  den  nothwendig- 
stenWort-  und  Sacherklärungen  ausgestattet  von  Dr.  Ludwig  Julius 
Billerbeck.  Hannover,  im  Verlage  der  Hahnschen  Buchhandlung. 
80  S.    gr.  8.  6  Gr. 

M.  T.  Cicero?iis  Laelius  sive  de  Amicitia  dialo- 
gus  ad  T.  Pomponium  Atticum.  Zum  Gehrauch  für  Schulen 
neu  besorgt  und  uiit  Deutschen  Wort-  und  Sacherklärungen  ver- 
sehen von  Dr.  Ludwig  Julius  Billerbeck.  Hannover ,  in  der  Hahn- 
schen Hofbuchhandlung.  1826.  118  S.  gr.  8.  6  Gr. 

Diese  Ausgaben  sind  für  solche  Schulen  bestimmt,  in  wel- 
chen diese  Schriften  Cicero's  mit  den  Anfängern  in  der  Latei- 
nischen Sprache  gelesen  werden.  Diesen  wird  also  in  den  No- 
ten gesagt,  dass  quaesisse  für  quaesivisse  von  quaero,  adjuro 
für  adjuvero,  levasso  für  levavero  stehe,  dass  sessum  das  Su- 
pinum  von  sedeo  sei;  ferner  wird  ihnen  über  quin  nach  non 
dubito,  über  den  Genitiv  bei  verdammen,  den  Dativ  bei  persua- 
dere,  den  Ablativ  bei  carere,  bei  ponere ,  bei  opus  est,  bei 
fungor,  und  in  allen  ähnlichen  Fällen  jedesmal  der  Paragraph 
in  der  Grotefendischen  Grammatik  genau  citirt;  jedes  quibus 
für  his  enim,  jedes  isque  in  der  Bedeutung  von:  und  zwar,  ist 
erläutert  und  nachgewiesen.  Mit  diesen  grammatischen  Bemer- 
kungen wechseln  Worterklärungen.  Diese  sind  in  folgender 
Art  abgefasst.  Cato  Maior  Seite  61)  (§  VA) :  ,Jta  fit  f.  inde  se- 
quitur ,  hieraus  folgt ,  hinc  efficitur.  —  reliquum  anstatt  eines 
Substantivs,  der  kurze  Rest,  breves  reliquiae.  —  deserendum, 
aufzugeben  brauchen.  Ein  Bild  von  denen  hergenommen,  die 
ihren  Posten  verlassen.  —  praesidio,  von  seiner  Stelle  bei  ei- 
ner Bedeckung,  Convoi,  Escorte,  Besatzung,  also  f.  von  sei- 
nem Posten.  —  statione,  Standpunct,  Standort,  Schildwache, 
Wache,  Wacht -Picketposten,  Wächtstand."  —  S.  34:  „lectu- 
lus,  das  Ruhebette,  Sopha,  Canapee,  worauf  die  Alten  studir- 
ten,  lasen,  schrieben."  —  S.  48:  „minor um  avium ,  ozqov&cc- 
ptW,  6tqov%g>v  [iMQäv,  Sperlinge,  S patze ,  Ammern  etc.u 
—  S.  56:  „diligentiam ,  Accuratesse,  sorgsamen,  geschmack- 


Ciceronis  Cato  Maior.  Herausgeg.  von  ßülerbeck  231 

vollen  Fleiss  im  Gegensatz  von  blosser  körperlicher  Anstren- 
gung, labor,  industria,  assiduitas,  deren  Begriffe  wieder  unter 
einander  schatllrt  sind."  —  S.  59 :  „salutari,  dass  einem  Alten 
der  Art  von  Geringeren  des  Morgens  um  die  erste  und  zweite 
Komische  Stunde  die  Cour  gemacht  wird."  S.25:  ^provecta  est^ 
increvit,  aucta  est,  progressus  fecit,  Fortschritte  machte."  S.  8: 
„a/vwa,  Brustwehr,  Schild,  Schutzmittel,  praesidia."  S.  12:  ^ser- 
?«o,  Unterhaltung,  praecepta,  Rathscliläge."  Hierzu  kommen 
Sacherklärungen,  grösstentheils  umständlich  und  erschöpfend, 
in  welchen  sowohl  die  erwähnten  Sachen  und  Personen,  als  auch 
der  Sinn  und  Zusammenhang  fleissig  erklärt  werden.  Z.  B.  S. 
13:  „Gorgias,  der  Chef  der  Sophisten  zur  Zeit  des  Socrates." 
S.  30:  „'2'.  Pontii.  Er  wird  auch  de  Finn.  1,3,  sonst  aber  nir- 
gends erwähnt.  Zu  Centurionen  suchte  man  nach  Vegetius  2, 
14  die  geschlankesten  und  stärksten  Männer  aus."  —  S.  46 : 
„Dass  Cicero  in  diesem  Discours  sich  so  weitläuftig  und  ganz 
vorzüglich  über  die  Vergnügungen  des  Landmanns  auslässt,  hat 
seinen  Grund  in  dessen  eigner  Vorliebe  für  das  Landleben  (S. 
de  Offic.  I,  42),  in  Cato's  Lieblingsneigung,  und  im  eigentlichen 
Leben  des  grossen  Römers ,  im  Leben  des  Landcavaliers  (ru- 
stici),  in  der  gepriesenen  rusticatio ,  rusticitas  antiqua."  —  S. 
60 :  „ludis  erg.  Panathenaicis.  Dieses  Fest  oder  diese  festlichen 
Schauspiele  bestanden  im  Pferderennen,  im  Certiren  der  Krie- 
ger, Dichter,  Musiker  etc."  Ferner  sind  häufig  Urtheile  über 
die  richtige  Lesart  vorgetragen.  Z.  B.  S.  3:  „digne  hinter  lau- 
dari  ist  aus  Gründen,  von  den  Handschriften  entlehnt,  und  we- 
gen des  in  satis  liegenden  Begriffs  gestrichen."  —  S.  4:  „ß  se 
ipsis  ist  die  richtigere  Lesart  (S.  Gernhard  ad  Offic.  I,  38, 
137.),  wofür  Andere  a  se  ipsi  petunt,  einer  der  Codd.  Manut. 
aber  nach  Wetzet  nicht  schlecht  in  se  ipsis  ponünt  liest."  — 
S.  19:  „Provehebantur ,  es  fuhren  auf  den  Staat  ein,  drängten 
ans  Staatsruder  sich ;  welches  Verbum  die  wilde  Wuth  der 
hochmüthigen  Jünglinge  trefflich  schildert.  Die  Vulgata  pro- 
veniebant  oratores  novi,  es  traten  neue  Redner  auf,  musste 
schon  desshalb  weichen,  weil  sie  für  das  Metrum  zwei  Silben 
zu  viel  hat."  —  [Waimm  benutzte  der  Herausgeber  nicht,  was 
Prof.  Hermann  in  der  Leipziger  Lit.  Zeit.  Jahrg.  1819  No. 
122  vorgetragen  hat?  — ]  S.  16:  „kaec  nicht  hanc,  weil  man 
nicht  inj  diesem  Sinne  sagt ,  agere  orationem ,  harangiren.^  — 
S.  60:  „Lacedaemone ,  zu  Lacedämon,  nicht  Lacedaemonem, 
denn  dies  hiesse:  Lacedämon  sei  nichts  als  ein  Wohnsitz  des 
Alters,  wie  Capua  der  Wohnsitz  des  Uebermuths  und  der  Uep- 
pigkeit  genannt  wird.  Der  Sinn  ist  dagegen:  zu  Lacedämon 
wurde  das  Alter  am  meisten  geehrt.  Läse  man  mit  Lambin 
senectuti,  so  gäbe  das  wieder  denverkehrten  Sinn:  das  Alter 
habe  zu  Lacedämon  in  einem  bestimmten  Hause  seinen  Aufent- 
halt gefunden."    —    Auch  Conjecturen    werden  dargeboten; 


Kürzere  Anzeigen. 

z.  B.  S.  17:  „ut  si  qui  ist  die  richtigere  Lesart  für  similesque 
sunt  üs,  qui,  weil  sie  die  schwerere  und  ungewöhnlichere  ist, 
und  Cicero  sich  derselben  Wendung  Offic.  I,  25,  87  und  an 
mehr.  St.  bedient.  Vielleicht  läse  man  noch  richtiger  similiter- 
que  faciunt,  6p,Oiov  <og  sl."  —  S.  57:  „et  nitorem  corporis  be- 
deutet dasselbe  mit  ornatumque ,  fehlt  in  den  Handschriften 
und  in  Gaza's  Uebersetzung  und  ist  desshalb  eingeklammert. 
Wenn  allenfalls  nidorem  gelesen  wäre,  so  passte  dies  sehr 
gut  zu  den  Wohlgerüchen,  von  welchen  die  Persischen  Edlen, 
wie  überhaupt  die  Orientalen  noch  jetzt,  so  grosse  Liebhaber 
waren."  —  Mit  gelehrien  Citaten  sind  die  Anmerkungen  über- 
all ausserordentlich  reich  ausgestattet.  Bei  den  Stellen  aus 
Homer  wird  auch  gewöhnlich  die  Uebersetzung  beigefügt,  bei 
andern  aber  nicht.  Zuweilen  werden  dieselben  Citate  auch 
wiederholt,  z.  B.  S.  16;  und  auch  in  der  Note  zu  bovern  vivum, 
§  33,  verglichen  mit  der  Note  zu  Milonis  im  27sten  §. 

Als  Beispiele  von  nachlässiger  Abfassung  können  wohl  fol- 
gende gelten:  S.  44  steht:  „Turpione  Amb.  L.  Turpio  Ambi- 
vius  ein  berühmter,  mit  Roscius  de  oratt.  c.  20  gepriesener, 
Schauspieler  (actor  scenicus) ,  zu  den  Zeiten  des  Terenz,  in 
dessen  Stücken  er  sich  auszeichnete."  Ist  kaum  zu  verstehen. 
Und  wo  wird  der  Schüler  wohl  jenes  Citat  suchen  1  —  Eben- 
daselbst: „secum  esse,  sich  selbst  angehören,  se  et  suam  meu- 
tern curare,  neglectis  inanibus  studiis  et  voluptatibus  populi. 
Graevius.  Also  einerlei  mit  secum  habitare."  —  Als  ob  secum 
habitare  in  der  klassischen  Prosa  gebräuchlich  wäre.  —  S.  45: 
„Scipionis  erg.  Nasicae ,  der  591  a.  u.  c.  Consul  und  (»03 ,  tff o 
dieser  Discours  gehalten  ist,  Oberpriester  und  schon  ein  Greis 
war.u  Vergl.  S.  3,  wo  gesagt  wird,  dieser  Discours  falle  in 
das  Jahr  604.  —  S.  41  steht:  „Siehe Cornel.Nep.  im  Cato  c.l, 
Brutus  c.  15,  6.  Livius  29,  14."  Wird  der  Schüler  wohl  an 
Cicero's  Brutus  denken*?  —  S.18:  „denuntio.  Denn  Cato  pflegte 
im  Senate  seine  Reden  stets  mit  den  Worten  zu  beginnen:  Ego 
vero  censeo ,  Carthaginem  esse  delendam.  S.  Vell.  Patercul.  II 
c.  13.  Plutarch.  in  Cato's  vita  c.  27.  Livius  Epitome  49.  Florus 
II,  15,  4."  —  ImVelleius  ist  es  nicht  lib.  II  sondern  lib.  I.  Und 
statt  beginnen  muss  bekanntlich  endigen  stehen.  Plutarch  sagt: 
7iQogE7ttq)G}V£Zv  und  Florus:  profiuntiabat ,  in  demselben  Sinne. 
—  S.  21  (bei  §  23)  hätte  Simonides  nicht  als  Philosoph ,  son- 
dern als  Dichter  aufgeführt  werden  sollen.  —  S.  23 :  „odiosum 
bedeutet  lästig,  unangenehm,  injucundum ,  und  ist  folglich 
nicht  einerlei  mit  ab  iis  sperni,  a  quibus  sis  coli  solitus,  was 
c.  3,  7  vorkam."  —  Hier  musste  wohl  „nicht'"''  wegbleiben.  — 
S.  24 :  „discebant  fidibus ,  wobei  canere  ausgelassen  ist.  Der 
berühmte  Saitenspieler,  ivobei  Socrates  das  Saitenspiel  erlernte, 
hiess  Connus.  S.  Epist.  9 ,  22.  Plato  im  Menexenus."  —  Wa- 
rum nicht  die  Stelle  im  Menexenus  näher  bezeichnet?    Und 


Ciceronis  Cato  Maior.  Herausgegeben  von  Billerlieck.  233 

welche  Kpistolas  wird  der  Schüler  nachschlagen*?  —  Herr 
Gernhard  Avird  wohl  die  Schuld  auf  sich  nehmen.  Denn  auch 
bei  ihm  fehlen  die  Worte :  Cic.  ad  Famil.  —  S.  16 :  „cum  Pyr- 
rho.  Im  J.  Roms  471  schickte  Pyrrhus  den  Cinneas  nach  Rom, 
um  über  den  Frieden  zu  unterhandeln.  Cicero  machte  den  Se- 
nat" u.  s.  w.  Soll  heissen :  Cinneas  machte  u.  s.  w.  —  S.  21 
ist  die  Bedeutung  von  studiorum  agitatio  durch  Stellen  aus  Se- 
neca  und  Valerius  Maximus  erläutert;  anderwärts  werden  auch 
Dichterstellen  zu  gleichem  Zwecke  gebraucht.  —  S.  20  steht: 
„sepulcra  legem,  inscriptiones  sepulcrorum.  Kamm  lectio  vul- 
go  videbatur  officere  memoriae.  Das  [Was*?]  that  Cato  bei  An- 
fertigung seiner  Origines.Vergl.  c.  2.  [Dort  steht  gar  nichts  hier- 
von.] Ueber  diesen  [Welchen4?]  Aberglauben  s.  de  Fiuibb.  5,  1, 
3.  Plautus  im  Trucul.  1,2,  G2.u  ■ —  Diese  letztern  Citate  sind 
aus  dem  reichlich  benutzten  Ger  nha  rds  eben  Commentare. 
Dieser  Gelehrte  sagt  aber:  „Kodem  pertinere  videtur  vetus  pro- 
verbium,  quod  Cicero  adbibet ;"  und:  „Nescio  an  huc  pertineat 
Plauti  locus."  Daraus  macht  unser  Herausgeber:  Ueber  diesen 
Aberglauben  siehe  etc. 

Oft  stehen  auch  blosse  Citate,  ohne  Andeutung,  wozu  sie 
dienen  sollen.  Z.  B.  S.  29 :  „non  clientes.  Siehe  Gellius  V, 
13.  VII,  3.  Plutarch  in  seinem  Leben  c.  11.  Cicero  de  Offic.  I, 
11,  33."  —  Aufschluss  giebt,  wie  gewöhnlich,  Gernhards 
Note. 

Ganz  in  gleicher  Manier  ist  der  Laelius  bearbeitet.  Zu 
wünschen  bleibt  also  mehr  Methode,  mehr  Geschmack  und 
mehr  Sorgfalt.  Dann  werden  dergleichen  Arbeiten  in  ihrem 
bezeichneten  Kreise  nicht  ohne  Nutzen  sein. 

Cöslin.  Müller. 


P.  Papinii  Statu  libri  quinque  Silvarum.  Ex  vetustis 
cxemplai'ibus  reecnsuit  et  notas  atque  emendationes  adjeeit  Jer.  Mar- 
klandus ,  Collegii  Sti  Petri  Cantabrig.  socius.  Editiu  auetior  indi- 
eibusque  instrueta.  Dresdae,  lihraria  Wagneriana.  1827.  XXXI  u, 
433  S.  gr.  4.  carton.  auf  Druckvelinpapier  4  Thlr.  18  Gr. ,  auf 
Schreibvelinpapicr  0  Tblr.  12  Gr. 

Referent  gehört  zwar  nicht  zu  denjenigen,  die  sich  im  All- 
gemeinen über  unveränderte  Abdrücke  alter  Ausgaben  unbe- 
dingt freuen,  sondern  macht  auch  bei  Wiederdrucken  der 
ausgezeichnetsten  Werke  der  vergangenen  Zeit  immer  die  Ein- 
wendung, dass  in  ihnen  vieles  steht,  was  Mir  nothwendig  bes- 
ser wissen  müssen  und  dessenFortpflanzung  also  im  günstigsten 
Falle  wenigstens  unnütz  ist.  Ja  er  muss  es  sogar  höchst  ta- 
delnswerth  finden,  dass  jetzt  die  Sitte  so  sehr  überhand  genom- 


234  Kürzere  Anzeigen. 

men  hat ,  alle  mögliche  alte  Schriften,  wenn  sie  sich  nur  eini- 
germaassen  über  Mittelmässigkeit  erheben,  wieder  abzudruk- 
ken.  Jedoch  mag  er  solche  Abdrücke  nicht  ohne  Ausnahme 
verwerfen ;  vielmehr  hält  er  sie  in  einzelnen  Fällen  für  höchst 
verdienstlich ,  nämlich  dann ,  wenn  sie  von  Werken  veranstal- 
tet werden  ,  welche  für  unsern  Gebrauch  noch  sehr  nöthig  und 
fastunentbebrlich,  dabei  aberschwer  zugänglich  sind.  Beides  ist 
beiMarkland's  1728  zu  London  erschienener  Ausgabe  derSilven 
des  Statius  in  vorzüglichem  Grade  der  Fall.  Sie  ist  so  selten,  dass 
nur  wenig  Philologen  sie  benutzen  konnten,  und  gehört  doch  um 
so  mehr  zu  den  nothwendigen  Büchern  derselben,  je  mehr  sie  an 
und  für  sich  zu  den  ausgezeichnetsten  Erscheinungen  der  da- 
maligen Philologie  zu  zählen  und  überdiess  bis  jetzt  noch  für 
die  jüngste  kritische  Ausgabe  dieser  Gedichte  anzusehen  ist.  Denn 
die  von  Hand  angefangene  Bearbeitung  des  Statius,  in  welcher 
Markland's  Noten  auch  vollständig  abgedruckt  werden  sollten, 
scheint  nicht  über  den  ersten  Band  hinausgehen  sondern  immer 
ein  Fragment  bleiben  zu  wollen.  Sonst  aber  kennen  wir  nur 
noch  Eine  neue  kritische  Ausgabe,  nämlich:  P.Pap.  Stallt  11- 
bri  quinque  Silvarum  cum  vartetate  lectionum  et  selectts  Mar- 
klandi  aliorumque  notts ,  qulbus  suas  addlderunt  J.  A.  Amar  et 
JV.  E.  Lemaire.  Paris,  1825.  II  Voll.  8.  Was  dieselbe,  die 
übrigens  schon  ihres  enormen  Preises  wegen  in  Deutschland  we- 
nig Eingang  linden  wird,  für  die  Silven  leiste,  wissen  wir  zwar 
nicht;  gestehen  aber,  dass  wir  wenig  von  ihr  erwarten,  weil 
es  uns  noch  in  zu  frischem  Andenken  ist,  wie  sehr  Amar  in  den 
ersten  beiden  Bänden  der  Ausgabe  des  Ovidius  die  Noten  von 
Heinsius ,  Burmann  und  Lennep  verhunzt  und  wie  wenig  auch 
Lemaire  in  dem  In  Bande  desselben  Buchs  einen  richtigen 
Tact  im  Auswählen  derselben  bewährt  hat.  Jedenfalls  aber 
wird  durch  sie  Markland's  Ausgabe  schon  desshalb  nicht  ent- 
behrlich gemacht ,  weil  sie  deren  Noten  nur  theilweise  wie- 
dergiebt.  Darum  hat  hoffentlich  die  Wagner'sche  Buchhand- 
lung der  gelehrten  Welt  keinen  unangenehmen  Dienst  erwiesen, 
dass  sie  sich  zum  Abdruck  derselben  entschloss,  und  diess  zu- 
gleich auf  eine  solche  Weise  that,  dass  sie  dabei  den  Rath  ei- 
nes wohlbekannten  Philologen,  des  Hrn.  M.  Julius  Sil  1  ig, 
benutzte  und  diesem  die  Besorgung  des  Buchs  übertrug. 

Was  nun  aber  diesen  Abdruck  selbst  anlangt,  so  ist  derselbe 
treu  und  vollständig.  Denn  er  giebt  die  ganze  Originalausgabe 
fast  ohne  Weglassung  eines  Buchstabens  wieder  und  hat  auch 
die  ursprüngliche  Einrichtung  derselben  bewahrt.  Der  Text 
ist  der  unveränderte  Markland'sche ,  ausser  dass  die  Lesarten, 
welche  dieser  Gelehrte  amEnde  des  Buchs  in  derFairago  vari- 
arum  lectionum  als  in  den  Text  aufzunehmende  zusammenge- 
stellt hatte,  hier  wirklich  aufgenommen  und  die  alten  Lesarten 
dieser  Stellen  in  []  und  mit  beigefügtem  ED.  ])R.  (Edltor  Dr es- 


Statu  Ubri  quinque  Silvaruin.  Reccns.  Markland :  235 

densis)  unter  den  Text  gesetzt  worden  sind.  Hinter  dem  Texte 
folgen  Markland's  Noten  mit  genauer  Angabe  der  Seitenzahlen 
der  Originalausgabe.  Auch  hier  sind  die  Addenda  et  Mutanda 
gleich  gehörigen  Orts  eingeschaltet  und  ebenfalls  durch  []  und 
ein  KD.  DR.  unterschieden  worden.  Nur  ein  einziges  zu  I,  4, 
HS  gehöriges  Addendum,  eine  tqIttj  (pQOVtlg  Markland's,  ist  am 
Ende  stellen  geblieben,  weil  es  anfangs  übersehen  worden  war. 
Der  Herausgeber  ist  hierbei  so  genau,  dass  er  in  den  Stellen, 
wo  Markland  in  den  Addendis  Worte  der  Noten  streichen  hiess, 
weil  er  sie  an  dem  letztern  Orte  verbessert  hatte,  diese  Ver- 
besserung zwar  einschaltet ,  aber  doch  auch  die  für  falsch  erklär- 
ten Worte  beibehält.  Selbst  das  kurze  Vorwort,  welches  den 
Addendis  und  der  Farrago  vorausgeht,  ist  nicht  weggeblieben, 
sondern  in  der  Vorrede  des  Herausgebers  aufgenommen.  Ver- 
bessert sind  aber  die  Druckfehler  des  Originals  bis  auf  einige 
wenige,  welche  anfangs  übersehen  und  dann  in  der  Vorrede  an- 
gezeigt worden  sind.  Neue  Druckfehler  haben  wir ,  ausser  ein 
paar  ganz  unbedeutenden^  nicht  gefunden.  Endlich  steht  auch 
die  äussere  Ausstattung  dem  Original  wenig  oder  nicht  nach. 
Das  Papier  ist  weiss  und  dicht  und  namentlich  das  Schreibvelin 
sehr  schön;  die  nach  Englischer  Manier  geschnittenen  Lettern 
sind  scharf  und  geschmackvoll ;  der  Druck  selbst  ist  rein  und 
deutlich ,  ja  nach  unserer  Ueberzeugung  geschmackvoller  als 
im  Original. 

Sind  demnach  alle  Forderungen  des  Abdrucks  vollkommen 
erfüllt,  so  ist  das  Buch  auch  noch  durch  zwei  Beilagen  berei- 
chert worden,  welche  man  für  eine  vorzügliche  Zierde  dessel- 
ben ansehen  wird.  Zuerst  nämlich  ist  hinter  Markland's  Indes 
auetot  um  ein  von  dem  Herausgeber  angefertigter,  sehr  sorg- 
fältiger und  reichhaltiger  Index  rerinn  et  verborum  in  notas 
Marklandi  beigegeben,  der  um  so  verdienstlicher  ist,  je  schmerz- 
licher man  ihn  in  der  Originalausgabe  vermisst.  Zweitens  ist 
in  der  Vorrede  S.  XXI— XXX  [nicht  XXXIII,  wie  durch  ei- 
nen Druckfehler  steht]  eine  vollständige  Collation  der  Rhedi- 
gerischen  Handschrift  der  Silven  in  Breslau  mitgetheilt ,  m  ei- 
che der  Herausg.  durch  den  Prof.  Passow  erhielt,  und  wel- 
che treifliche  Ausbeute  liefert.  Sie  ist  die  besste  aller  bis  jetzt 
bekannten  Handschriften  dieser  Gedichte,  und  ihre  Yerglei- 
cliung  war  auch  noch  desshalb  sehr  wünschenswert!!,  da  Hand 
von  derselben  nur  eine  sehr  mangelhafte  Collation  besass.  Eine 
genauere  Beschreibung  derselben  haben  Hand  zu  seinem  Sta- 
tins und  Jacob  in  der  Vorrede  zum  Lucilius  geliefert.  Der 
Collation  sind  ein  paar  Bemerkungen  Passow' s  einverleibt, 
die  derselbe  1818  in  einem  Universitätsprogramm  mitgetheilt 
hatte.  Er  billigt  nämlich  in  der  Praefatio  des  In  Bchs.  Z.  15 
die  Lesart  hahueruni  und  will  I,  2,  81),  wo  die  alten  Ausgaben 
praelusi  bieten,   woraus  Bernartius  praclusi  machte,  praejulsi 

Jahrb.  f.  Phil.  u.  Pudae..  Jahrg.  III.  Hejl  2.  1(J 


236  Kürzere  Anzeigen. 

lesen,  weil  Inder  Rhedig.Handschr.  praeulsi steht.  DieConjectur 
empfiehlt  sich  durch  Leichtigkeit  und  passenden  Sinn,  und  wenn 
wir  auch  nicht  überzeugt  worden  sind,  dass  praefulsi  longe  ex- 
quisitius  sey  als  praeluxi,  so  hat  doch  Hr.  P.  gut  nachgewiesen, 
dass  die  erstcre  Wortform  in  des  Statius  Zeitalter  sehr  gewöhn- 
lich war.  Auch  die  Verwechselung  des  E  und  F  wird  durch 
Verweisung  auf  die  Erklärer  zu  Propert.  V,  11,  30  bestätigt, 
in  welcher  Stelle  übrigens  mit  mehrern  Handschrr.  Versa  ]Su- 
mantinos  regna  loqauntur  avos  gelesen  werden  soll. 

Es  ergiebt  sich  aber  ohne  unser  Erinnern  dass  durch  die 
zweite  Zugabe  das  Buch  in  kritischer  Hinsicht  noch  werthvol- 
ler  und  durch  die  erste  für  den  Gebrauch  noch  bequemer  ge- 
worden ist  als  das  Original.  Üiess  zusammengestellt  mit  der 
Treue  und  Zuverlässigkeit  des  Abdrucks  führt  zu  dem  Resul- 
tate, dass  die  Ausgabe  alles  Lob,  und  Herausgeber  und  Verle- 
ger vollen  Dank  verdienen.  Letzterer  wird  sich  auf  diese  Weise 
gewiss  viele  Käufer  erwerben ,  und  berechtigt  durch  dieses 
Verfahren  auch  zu  guten  Hoffnungen  für  zwei  andere  Abdrücke, 
die  er  in  einer  Nachschrift  versprochen  hat.  Er  will  nämlich 
bei  günstiger  Aufnahme  des  Statins  noch  eine  neue  Auflage  des 
Drakenborchischen  Süius  und  des  Oudendorpischen  Lucanus 
veranstalten.  Die  Wahl  beider  Werke  ist  allerdings  sehr  zu 
billigen,  wenn  sie  auch  nicht  in  dem  Grade  vermisst  werden 
sollten,  als  Markland's  Statius.  Namentlich  haben  wir  bei  dem 
Lucanus  das  Bedenken,  ob  er  nach  den  zwei  ziemlich  weit- 
schichtigen Ausgaben  von  Weber  nicht  lieber  mit  einem  an- 
dern Lateinischen  Dichter  zu  vertauschen  sey.  Wenigstens 
würde  lief,  einen  W lederdruck  von  Burmann' s  Ovidius,  Hader  s 
Martialis ,  namentlich  wenn  er  mit  des  Scriverius  Ausgabe 
verbunden  würde,  oder  Burmanns  Anthologia  Latina  viel  lie- 
ber sehen.  Indess  wollen  wir  damit  nicht  verneinen,  dass  auch 
Oudendorp's  Lucanus  vielen  willkommen  seyn  werde.  Nur  ist 
zu  wünschen,  dass  bei  diesen  neuen  Abdrücken  der  Preis  etwas 
billiger  gestellt  werde,  als  es  beim  Statius  geschehen  ist:  denn 
dass  in  diesem  der  Bogen  zu  zwei  Groschen  berechnet  ist,  diess 
scheint  uns  selbst  für  seine  schöne  Ausstattung  zu  theuer  zu  seyn. 
Auch  möchte  die  Notenschrift  etwas  grösser  gewählt  werden ; 
denn  im  Statius  ist  namentlich  die  Cursivschrift  nicht  gross  ge- 
nug ,  um  ein  langes  Lesen ,  namentlich  bei  Licht ,  möglich  zu 
machen.  Sollte  übrigens  der  Herausgeber  des  Statius  auch  diese 
zu  erwartenden  Abdrücke  besorgen,  so  wünschen  wir,  dass  er 
dann  nicht  mit  eigenen  Bemerkungen  so  karg  sey,  wie  er  es 
hier  gewesen ,  sondern  uns  auch  von  seinen  eigenen  zu  den  La- 
teinischen Dichtern  gesammelten  Bemerkungen  etwas  mittheile. 
Wir  meinen  damit  nicht,  dass  er  nach  Art  mancher  Herausge- 
ber solcher  Abdrücke  hin  und  wieder  ein  Nötlein  der  Art  an- 
sprütze,  das  mit  einem  non  opus  es/,  non  liquet,  conferatur  und 


Statu  libri  quinque  SUvarum.  Recens.  Markland.  237 

dergl.  die  Sache  abzumachen  gedenkt;  sondern  dass  er  nament- 
lich solche  Stellen  erörtere,  wo  die  behandelten  Gegenstände 
noch  schwierig  oder  zweifelhaft  sind,  oder  wo  etwas  Falsches 
durch  scharfsinnige  Deduction  so  vertheidigt  ist,  dass  man  es 
leicht  für  wahr  halten  könnte.  Fälle  dieser  Art  dürften  in 
Markland's  Noten  nicht  so  gar  selten  seyn.  Auch  werden  wir 
es  gar  nicht  ungern  sehen,  wenn  er  seine  axQiߣiu  nicht  so  weit 
treibt,  dass  er  darüber  den  bequemen  Gebrauch  aufopfert.  So 
hätten  wir  z.  B.  im  Statius  es  für  keine  Verletzung  des  sorg- 
fältigen Anschmiegeiis  an  das  Original  gehalten,  wenn  in  den 
Columuentiteln  des  Textes  neben  der  Zahl  des  Buclu  auch  die 
des  Gedichtes  und  in  den  Titeln  der  Noten  auch  die  Verszahl 
angegeben,  oder  wenn  die  eingeschalteten  Addenda  gleich  mit 
den  Noten  verschmolzen  worden  wären.  Eben  so  hätten  wir 
die  Varianten  der  Rhedig.  Handschrift  entweder  unter  den 
Text  oder  doch  in  die  Noten  gestellt,  damit  der  Leser  nicht 
über  die  Unbequemlichkeit  klage,  beim  Gebrauch  jedesmal  an 
drei  verschiedenen  Stellen  nachsehen  zu  müssen.  Endlich  hät- 
ten wir  auch  die  Pariser  Ausgabe  nicht  ganz  unberührt  gelas- 
sen und  wenigstens  in  der  Vorrede  erwähnt,  wie  weit  Mar* 
kland  in  ihr  benutzt  und  was  überhaupt  durch  sie  geleistet  ist. 
Indess  wollen  wir  durch  diese  Wünsche  den  Werth  des  Buches 
nicht  schmälern,  und  legen  auf  dieselben  um  so  weniger  Gewicht, 
je  bestimmter  wir  wiederholen  müssen,  dass  Hr.  S.  nicht  nur 
die  Forderungen,  die  man  genau  genommen  an  einen  Abdruck 
machen  kann,  alle  erfüllt,  sondern  auch  besonders  durch  die 
nicht  eben  angenehme  Abfassung  des  Index  weit  mehr  geleistet 
hat,  als  man  billiger  Weise  verlangen  kann.  Darum  heissen 
wir  das  Buch  aus  Ueberzeugung  willkommen,  und  glauben  nicht 
zu  irren ,  wenn  wir  dem  Hrn.  Herausg.  dafür  den  Bank  vieler 
Philologen  zusichern. 

J  all  n. 


M     i     s     c     e     1     1     e     n. 


*u  London  erscheinen  Tiibliographica  Cantabrigiensia.  in  denen  die 
kostbarsten  und  merkwürdigsten  seltenen  Bücher  der  Universität  Cam- 
bridge  beschrieben  werden  sollen. 


In  dem  6n  Bande  der  Memoiren  Je  Pinstitute  royal  de  F/ance  etc. 
(Paris,  182b.  (»78  S.  4.)  stehen  folgende  philologische  Abhandlungen: 
Coussin:  (Jeher  die  Optik  des  Ptoleuiaeus;  Gössel  in:  Ueber  das 
Princip,    die  Basis  und  Ausgleichung  der  verschiedeneu  Systeme  der 

16* 


238  M  i  s  «  e  1  1  e  n. 

Längenmaasse  im  Altcrthunie;  Letronne:  1)  Ueber  die  Bevölkerung 
Athens;  2)  Heber  die  Functionen  der  Mneinonen,  llieromneinoncn  und 
Promnemonen,  und  die  Zusammensetzung  der  Amphiktyon.  Versamm- 
lung ;  3)  Kritik  der  Nachrichten,  welche  die  Alten  von  den  Messungen 
der  Erde  durch  Alexandrin.  Mathematiker  gehen  ;  Walckenaer:  Ueher 
die  Lage  der  Campi  Kaudii ,  wo  Marius  die  Cimhern  schlug ,  [im  Di- 
strict  von  Biandrate,  vgl.  Jhh.  VI  S.  128.]  und  den  Weg,  den  diese 
Völker  nach  Italien  nahmen;  Töchon  d'Annecy:  Ueber  die  zu 
Philippopolis  geschlagenen  Münzen  des  Marinus.  Vgl.  Beck's  Repert. 
1826  Bd.  III  S.  394. 


Das  Sanskrit  stimmt  nach  den  Forschungen  Englischer  Gelehrten 
mit  der  Griechischen  Aussprache  so  auffallend  überein,  dass  Casus  und 
Genus,  Idiom  und  Regimen  etc.,  ja  selbst  oft  die  Wurzeln  ganz  diesel- 
ben sind.  Auch  die  Prosodik  desselben  ist  so,  dass  nach  der  Versiche- 
rung von  William  Jones  die  Rede  sich  sehr  natürlich  zu  Sapphischen, 
Alcaeischen  und  iambischen  Sylbenmaassen  bildet.  Um  diese  Aehn- 
lichkeit  recht  auffallend  zu  zeigen,  will  Dan.  Brown,  Vorsteher  des 
Collegiums  von  Fort  William ,  eine  wörtliche  Uebersetzung  der  Evan- 
gelien des  N.  T.  mit  gegenüberstehendem  Griechischen  Texte  heraus- 
geben. Bei  dieser  Übereinstimmung  wird  in  den  Blatt,  f.  lit.  Unterh. 
1828  Nr.  28  S.  112  unter  der  Voraussetzung,  dass  das  Sanskrit  nicht 
älter  als  das  Griechische  sey,  sondern  sich  nach  demselben  gebildet 
habe,  Gibbon's  Vermuthung  wiederholt,  dass  diese  Sprachähnlichkeit 
vielleicht  aus  dem  alten  Verkehr  der  Baktrisch-  Griechischen  Colonie 
mit  Hindostan  zu  erklären  sey.  Diess  bestätige  sieh  zum  Theil  schon 
daher,  dass  offenbar  sehr  Vieles  von  Griechischer  Mythologie,  mit 
Vorschriften  und  Geschichten  der  Bibel  untermischt,  im  Indischen 
sich  finde. 


Ein  sehr  altes  Eteostichon  findet  man  auf  einem  bei  Padua  ausge- 
grabenen Cippus  mit  folgender  Inschrift : 

DIS 

MANIBUS 

CLAUDIA[JS] 

TI[BER1I]   AUGUSTI   h[IBERTAE] 

TOREVMAE 

ANNOR[t/M]  XVIIII. 

Hac    ego    bis   denos    nondum    matura    per  annos 

Condor  humo  multls  nota  ToreVma  jocls. 
Exlguo  VItae  spatlo  fellclter  acto 

Effugl  crimen ,    longa  seneeta ,    tuum. 
Die  Inschrift  ist  abgedruckt  und  erläutert  im  24  (55)  Bde.  des  Giornalc 
dell'  Italiana  letteratura  S.  309. 


M   i  s  c  c   I  I  c  n,  239 

In  dem  im  Decemb.  1827  erschienenen  Hefte  des  Ediaburger  Review 
stellt  ci»  langer  Aufsatz  über  den  gegenwärtigen  Zustand  der  Deutschen 
Literatur,  der  von  Car  Iy  l  e  (Lleberset/cr  des  Wilhelm  Meister)  seyn 
soll.  Er  sucht  die  Deutsche  Literatur  von  der  in  England  gewohnli- 
ehen Beschuldigung  des  gesehmaeklosen  Mysticismus  und  Unglaubens 
zu  befreien.  Das  wahre  Wesen  unserer  Dichtkunst  scy  ein  Anschauen 
des  Schönen  und  Wahren  in  der  Natur  und  im  Menschen,  u.  sey  besser 
als  die  Dichtkunst  irgend  eines  Volks  der  neuern  Zeit;  nur  als  ein 
Ganzes  betrachtet  sey  die  Deutsehe  Dichtkunst  weniger  gut  und  stehe 
unter  der  Englischen ,  Italienischen  und  Spanischen.  Unsere  Sprache 
sey  hart,  aber  männlich  und  voll  tiefer  und  ausdrucksvoller  Töne. 
Unsere  Philosophie  beruhe  auf  genauer  Zergliederung  und  strengen 
Schlussformen,  schweife  aber  noch  im  Ungewissen  und  könne  höch- 
stens als  der  Anfang  eines  Bessern  betrachtet  werden. 

Es  giebt  nur  fünf  schöne  Künste,  welche  den  fünf  Sinnen  des 
Menschen  entsprechen,  nämlich  Baukunst,  Bildhauerkunst,  Malerkunst, 
Tonkunst,  Dichtkunst.  Diess  wird  durchgeführt  von  Andreas  Er- 
hard in  seinem  Möron,  philosophisch-ästhetische  Phantasien  in  sechs 
Gesprächen  (Passau,  Pustet,  1826.  XIV  u.  400  S.  8.  1  Thlr.  8  Gr.), 
welche,  Baierns  edlen  Jünglingen  gewidmete,  Schrift  auch  für  die 
Griechische  Alterthumskunde  nicht  unwichtig  ist ,  indem  sie  in  den  drei 
letzten  Gesprächen  den  innern  Charakter  der  Griechischen  Bildung, 
das  öffentliche  u.  Privatleben  der  Griechen  und  die  epische  und  drama- 
tische Poesie  derselben  behandelt  (zwei  Dichtungsarten,  welche  aus 
der  Betrachtung  des  Widerstreites  zwischen  Schicksal  und  Freiheit 
entstanden  sind) ,  auch  über  die  Griech.  Dichtkunst  überhaupt  und  die 
dramatische  insbesondere ,  so  wie  über  das  Epos  und  andere  Dichtungs- 
arten der  Deutschen  gute  Bemerkungen  mittheilt. 


Den  Schulen,  in  welchen  Klopstock's  Gedichte  erklärt  werden, 
sind  besonders  zu  empfehlen :  Klopstock's  Oden  und  Elegien 
mit  erklärenden  Anmerkk.  und  einer  Einleitung  von  dem  Leben  und  den 
Schriften  des  Dichters  von  C.  F.  R.  Vetter  lein.  Leipzig,  Hartmann. 
gr.  8.  lr  Bd. ,  Einleitung  und  die  ersten  40  Oden  ,  1827.  XVI  u.  335 
S.  1  Thlr.  8  Gr.  2r  Bd. ,  die  Oden  41—115,  1828.  VI  u.  328  S.  1  Thlr. 
8  Gr.  Bei  der  Abhandlung  über  Klopstock's  Leben  und  Schriften  sind 
die  übrigen  Werke  über  diese  Gegenstände  nachgewiesen  und  benutzt, 
und  es  ist  eine  chronologische  Tabelle  über  des  Dichters  Leben  und  die 
Bekanntmachung  seiner  Schriften  angehängt.  Die  aufgenommenen 
Oden  und  Elegieen  sind  aus  den  Jahren  1747  — 1754  und  1758  —  1781. 
Der  Text  derselben  ist  nach  der  letzten  Leipziger  Ausgabe  gegeben, 
aber  mit  den  frühem  Ausgaben  verglichen  und  öfters  berichtigt;  be- 
sonders ist  die  Interpunktion  durchaus  verbessert.  Die  Gedichte  sind 
streng  nach  der  Zeitfolge  geordnet  und  mit  einigen  in  der  Leipziger 
Ausgabe  nicht  befindlichen  vermehrt.  Jedem  geht  eine  literarische  No- 
tiz voraus ,  welche  Veranlassung ,  Zweck  und  Ideengang  desselben  an- 


240  M  i  s  c  c  1  1  e  n. 

giebt  und  nachweist,  wo  es  in  den  Ausgauen  und  Zeitschriften  steht. 
Vorzüglich  schätzbar  sind  die  Anmerkungen,  die  theils  kritisch  sind 
und  gemachte  Textesänderungen  rechtfertigen,  theils  die  Sprache  er- 
läutern und  einzelne  Stellen  erklären ,  theils  (abgesondert)  das  Sylben- 
maass  behandeln.  Sehr  gerühmt  wird  das  Werk  in  Beck's  Repert. 
1827  Bd.  III  S.  201  — 3. 


Als  neue  geschichtliche  Erscheinung  ist  zu  erwähnen:  die  Altro- 
mische  und  Griechische  Geschichte  in  bildlichen  Darstellungen ,  nach 
den  Originalzeichnungen  des  berühmten  B.  Pinelli  in  Kupfer  gestochen. 
Beide  Geschichten  erscheinen  jede  mit  100  Kupfertafeln  in  Queerquart 
in  25  Heften,  jedes  Heft  mit  4  Blättern.  Zu  der  Römischen  Geschichte 
i<t  ein  Deutscher,  Italienischer  und  Französischer,  zu  der  Griechi- 
schen ein  Italienischer ,  Griechischer  und  Französischer  Text  gegeben. 
Von  der  Römischen  Geschichte  sind  bereits  20,  von  der  Griechischen 
19  Hefte  fertig.  Der  Pränumerationspreis  jedes  Heftes  in  40  Kr.  CM. 
in  Wien  bei  Artaria  u.  Comp. 


Ueber  die  auf  Sardinien  befindlichen  Noraghen  [d.  h.  alte  Denk- 
mäler, welche,  aus  verschiedenen  Steinarten  der  Insel  erbaut,  beson- 
ders auf  kleinen  Hügeln  sich  finden ,  an  der  Grundfläche  etwa  90  Fuss 
im  Durchmesser  und  eine  Höhe  von  etwa  50  Fuss  haben  und  am  Gipfel 
in  einen  eingedrückten  Kegel  endigen ,  bisweilen  auch  von  einem  Erd- 
walle und  einer  10  Fuss  hohen  Mauer  umgeben  sind]  hat  L.  C.  F. 
Petit-Radel  herausgegeben  :  Notices  sur  le sN ur aghe s  de 
la  Sardaigne ,  consideres  dans  leurs  rapports  avec  les  resultats  des 
recherches  sur  les  monumens  Cjclopeens  ou  Pelasgiques.  Paris  bei  Dela- 
forest.  lr  Bd.  1826.  148  S.  8.  Nebst  3  lithogr.  Tfln.  Er  leitet  diese 
Noraghen  von  den  nach  Sardinien  eingewanderten  Pelasgischen  und 
Heracliden  -  Colonieen  her  und  lässt  sie  von  Dädalus  erbaut  seyn,  den 
er  als  einen  Zeitgenossen  des  Iphikles,  Iolas,  Minos  II,  Oedipus  und 
Atreus  nachzuweisen  sucht.  Zugleich  stellt  er  geschichtliche  Untersu- 
chungen über  die  beiden  ersten  Griechischen  Colonieen  in  Sardinien 
an,  und  sucht  aus  den  alten  Nachrichten  darüber  die  Führer  dieser 
Colonieen  und  die  nähern  Umstände  derselben  festzustellen ,  und  sie  in 
Verbindung  mit  den  Pelasgischen  Wanderungen  zu  bringen ,  denen  das 
Abendland  seine  Civilisation  verdanke.  Die  Arkadische  Colonie  des  Ari- 
staeus  (Schwiegersohns  des  Cadmus)  wird  mit  der  Pelasgischen  Nieder- 
lassung unter  dem  Thessalier  Nanas  in  Italien  und  deren  Cyclopischen 
Mauern  in  Verbindung  gebracht.  Auch  ist  ein  Memoire  desselben  Ver- 
fassers über  die  Cyclopischen  Denkmäler  Italiens  und  Griechenlands 
mitgetheilt.     Vgl.  Leipz.  L.  Z.  1828  Nr.  37  S.  293  f. 


In  Boston  hat  Sidney  Morse  A  new  System   of  modern  geo- 
graphy  herausgegeben  und  der  geographischen  Gesellschaft  in  Paris 


M  i  s   c    e   1   I  c  n.  241 

zur  Prüfung  vorgelegt.  Letztere  hat  jedoch  entschieden,    dass  dieses 
System  keineswegs  so  neu  scy ,  als  der  Verf.  glaube. 


In  dem  ersten,  nächstens  erscheinenden,  Heft  von  Böttiger's  Zeit- 
schrift „Archäologie  u.  Kunst "  wird  unter  andern  ein  Aufsatz  von 
Raoul-Rochette  über  die  neuentdeckten  Ilypogäen.  von  Corneto 
(Tarquinii)  rnitgetheilt.  Der  Verf.  sah  sie  wenige  Tage  nach  ihrer 
Ausgrabung.  Das  zweite  Heft  derselben  Zeitschrift,  welches  dem  er- 
sten ungesäumt  folgen  soll,  wird  eine  Abhandlung  des  genannten 
Französischen  Archäologen  über  den  Mars  Ludovisi  enthalten  ,  die  zu- 
gleich als  integrirender  Theil  eines  von  Hrn.  R.  R.  jetzt  vorbereiteten 
grössern  Werkes  zu  betrachten  ist.  Er  hat  nämlich  auf  seiner  im  vo- 
rigen Jahr  durch  Italien  gemachten  Reise  Materialien  zu  der  Heraus- 
gabe von  Monumens  antiques  inedits  in  zwei  Foliobänden  mit  wenig- 
stens 200  Kupfer-  und  lithographischen  Tafeln  gesammelt,  die  auf  seine 
eignen  Kosten  erscheinen  werden,  jedoch  so  dass  die  Regierung  für 
den  Druck  in  der  Impriraerie  royale  sorgen  wird.  Ausser  einem  schon 
gemachten  Aufwand  von  10000  Francs  wird  die  Beendigung  dieses 
Prachtwerkes  noch  ungefähr  30000  Francs  erfordern  ,  und  nach  den 
Versicherungen  des  gelehrten  Herausgebers  selbst  soll  nichts  geschont 
werden,  was  dem  Werke  einen  bleibenden  Werth  verschaffen  kann.  Der 
Commentar  wird  grösstenteils  die  Form  von  Sendschreiben  an  be- 
rühmte, mehrentheils  Deutsche,  Archäologen  haben.  Ein  Prospectus 
wird  sehr  bald  das  Nähere  über  diese  eben  so  kostspielige  als  uneigen- 
nützige Unternehmung  mittheilen.  •' 

In  Pompeji  hat  man  in  einem  kleinen,  hinter  der  sogenannten 
Crypta  di  Eumachia  ausgegrabenen  Hause  folgende  Wandgemälde  ge- 
funden: 1)  Eine  Darstellung  des  Hercules  und  der  Iole.  Hercules 
sitzt  auf  einem  Felsblock ,  über  welchen  die  Löwenhaut  ausgebreitet 
ist,  trägt  einen  Kranz  von  Eichenlaub  um  die  Schläfe  und  stützt  seine 
Linke  auf  die  mächtige  Keule.  Er  zeigt  in  seinem  ganzen  Aussehen 
einen  aufgeregten  Zustand  und  ängstliche  Spannung  der  Seele  und 
horcht  auf  die  Worte  der  Iole.  Diese  steht  neben  ihm  mit  dem  rech- 
ten Arm  auf  einen  Pfeiler  gelehnt,  und  streckt  die  Linke  gebieterisch 
und  mit  entschlossener  Miene  gegen  ihn  aus.  Ein  weisses  durchsichti- 
ges Hemde  verhüllt  nur  schwach  einen  Theil  ihres  schönen  Körpers, 
über  den  sie  zur  Hälfte  einen  lichtblauen  in  geschmackvolle  Falten  ge- 
legten Mantel  geworfen  hat.  Ihr  üppiger  Gliederhau  steht  in  schönem 
Gegensatz  zu  dem  musculösen  Hercules.  Das  Colorit  ist  sehr  zart, 
die  Gruppirung  höchst  edel  und  wahr,  die  Zeichnung  correct,  aus- 
drucksvoll und  abstechend,  ohne  grell  zu  seyn.  Den  Hintergrund  bil- 
det ein  nur  leicht  skizzirtes  Architekturstück.  2)  Dem  ersten  Gemälde 
gegenüber  in  der  Mitte  der  Zimmerwand  sieht  man  ein  reizendes  nack- 
te; Weib,  welche  in  tanzender  Stellung  mit  ihrem  rechten  Arm  den 
Hals  eines  Stiers  umschlingt  und  in  der  rechten  Hand  den  Strick,  wor- 
an der  Stier   geleitet  m  ird ,  in  der  Linken  einen  blassvioletten  Schleier 


242  M  i  s  c  e  1  1  c  n. 

hält.  Aehnliehe  Gemälde  findet  man  häufig  in  Pompeji.  Mit  Unrecht 
hat  man  sie  gewöhnlich  vom  Jupiter  und  der  Europa  gedeutet,  woge- 
gen die  leichte  Haltung  des  Weibes  und  die  Abwesenheit  alles  Wassers 
streitet.  Vielmehr  ist  es  wohl  eine  Bacchantinn  mit  dem  dem  Bacchus 
geheiligten  Stier.  Der  Bacchusdienst  muss  überhaupt  in  Pompeji  und 
den  Meinreichen  Gegenden  Campaniens  sehr  verbreitet  gewesen  seyn; 
denn  die  meisten  aufgefundenen  Gemälde  und  Monumente  zeigen  Ge- 
genstände aus  dem  Bacchusdienste.  3)  Zwei  Centauren ,  in  schwarzem 
Felde  gemalt.  Dem  ersten,  welcher  in  Gallopp  fortstürzt,  hat  eine 
Bacchantinn  die  Hände  auf  den  Bücken  gebunden,  kniet  auf  seiner 
Gruppe,  setzt  ihm  den  rechten Fuss  in  den  Bücken,  reisst  ihn  mit  der 
linken  Hand  bei  den  Haaren  und  prügelt  ihn  mit  dem  Thyrsusstabe. 
Der  zweite  etwas  ältere  Centanr  an  einer  andern  Wand  desselben  Zim- 
mers [Chiron?]  hält  einen  blondhaarigen  Knaben  [Bacchus?]  in  seinen 
Armen  und  lehrt  ihn ,  wie  es  scheint ,  die  Leier  spielen.  Auf  der 
Schulter  trägt  der  Centaur  einen  Thyrsus  ,  an  dem  eine  Cymbel  auf- 
gehangen ist.  Die  thierische  Hälfte  beider  Centauren  ist  blass  gold- 
farben ,  ihr  menschlicher  Theil  ein  leichtes  Braun.  Die  Compositum 
ist  sehr  gefällig  und  geistreich,  die  Ausführung  höchst  gelungen. 
4)  Zwei  Centaurinnen  auf  schwarzem  Felde,  im  schnellen  Lauf  darge- 
stellt ,  mit  Schaupfennigen  und  Armspangen  geziert  und  mit  zarten 
Mänteln  bekleidet.  Die  erste  hat  ihre  Haare  in  eine  weisse  Binde  ge- 
knüpft und  galloppirt  mit  einem  blühenden  Knaben  umher ,  den  sie  hin- 
ter dem  Bücken  umschlungen  hält  und  der  ein  Deckelinstrument  ge- 
gen ein  anderes  ähnliches  stösst,  das  die  Centaurinn  in  der  rechten 
Hand  trägt ,  Mährend  sie  mit  der  linken  in  eine ,  auf  die  Groppe  ge- 
stützte, fünfsaitige  Leier  greift.  Der  Zauber  der  Bewegungen  ist  so 
gross,  dass  Spiel  und  Lauf  nach  demselben  Tacte  zu  geschehen  schei- 
nen. Der  violette  Mantel  der  Centaurinn  flattert  auf  ihrer  Groppe; 
der  Mantel  des  Knaben  ist  bleichblau.  Die  zweite  Centaurinn  trägt 
ein  junges  Mädchen,  das,  mit  dem  Bücken  gegen  den  Beschauer  ge- 
wendet, recht  bequem  auf  ihrer  Groppe  liegt,  bloss  mit  einer  gelben 
Tunika  bekleidet  ist,  und  in  der  linken  Hand  einen  Thyrsus  hält.  Die 
Centaurinn  sucht  mit  umgewendeten  Körper ,  doch  ohne  vom  Galloppi- 
reu  abzulassen ,  einen  grünen  Feston  an  den  Thyrsus  zu  heften.  Auch 
diese  Gruppe  ist  vorzüglich  ausgeführt.  Der  Körper  des  Pferdes  bei- 
der Centaurinnen  ist  weiss  ,  wie  ihr  weiblicher  Körper.  [Auszug  aus 
der  JFiener  Zeitschrift  für  Kunst,  Literatur ,  Theater  u.  Mode,  1828 
St.  9  u.  10  S.  69  f.  u.  Ti  f.] 


In  Herculanum  haben  auf  königl.  Befehl  unter  Leitung  des  Ban- 
directors  Carlo  Bonucci  neue  Ausgrabungen  begonnen.  Die  ersten  bei- 
den wurden  am  2  Januar,  eine  150  Fuss  von  der  andern  entfernt,  an- 
gestellt ,  und  man  arbeitet  seitdem  täglich  daran ,  den  äussern  Theil 
des  Theaters  von  der  Crustc  und  Asche  zu  befreien  und  die  Zimmer 
der  Schauspieler  nebst  dem  übrigen  Theile  des  Prosceniums  herzu- 
stellen.     Auch   auf  Capri  sind  Ausgrabungen  begonnen  worden,  und 


M  i  s   c  e  1  1  c  n.  243 

in  Capua  sind  30  Mann  beschäftigt  das  Amphitheater  zu  räumen.  Der 
Canonicus  Jorio  hat  zu  Neapel  1827  herausgegeben:  JSotizie  su  gli 
seavi  diErcolano,  welche  5  belehrende  Zeichnungen  über  die  Lage 
der  alten  Stadt,  des  neuen  darüber  gebauten  Orts,  des  Theaters,  der 
Basilica  u.  der  Curia  enthält. 


Die  in  Rom  auf  dem  Forum  begonnenen  Ausgrabungen  [s.  Jbb. 
V  S.  324]  haben  zwar  noch  keine  Kunstwerke  zu  Tage  gefordert,  wer- 
den aber  eine  viel  genauere  Topographie  des  Forums  möglich  machen. 
Man  arbeitet  jetzt  an  der  ausserordentlichen  Erhöhung  des  Bodens, 
welche  zwischen  dem  Bogen  des  Titus  und  der  Kirche  di  S.  Francesca 
Romana  beginnt  und  bis  zum  Colosseum  sich  hinzieht ,  und  neben  die- 
sem so  hoch  ist ,  dass  sie  mit  dem  Karnies  des  Erdgeschosses  desselben 
gleiche  Höhe  hat.  Durch  das  Nachgraben  ist  unter  dieser  Erhöhung 
ein  Mauerwerk  zum  Vorschein  gekommen,  in  welchem  sich  5  Bogen- 
gänge nebst  ihren  Oeffnungen  zeigen,  welche  ehemals  nach  hinten, 
nach  dem  Tempel  di  Venere  e  Roma ,  der  auf  dieser  Anhöhe  stand, 
zu,  einen  jetzt  mit  Schutt  angefüllten  Ausgang  gehabt  zu  haben 
scheinen.  Das  Mauerwerk  besteht  aus  zerschlagenen  Marmorstücken, 
Peperin  (Albanischem  Steine)  und  Travertin  ,  sämintlich  ohne  Ordnung 
und  unter  sich  vermischt  und  durch  einen  Kitt  verbunden,  welcher  der 
heutigen  Puzzolanerde  gleicht.  Ein  zweites  Gemäuer,  das  aus  lauter 
zerschlagenem  Kiesel  besteht,  liegt  hinter  diesem,  nach  demEsquilinus 
zu,  in  gerader  Linie  mit  der  hier  vermutheten  Via  sacra,  also  mit  dem 
Friedenstempel,  dem  Tempel  des  Romulus  etc.,  und  scheint  ein  spä- 
terer Fortsatz  des  ersteren  zu  seyn.  Das  erstere  nehmen  die  Römischen 
Antiquare  nur  für  die  Grundmauer  des  Tempels  der  Venus  und  der 
Roma;  bei  welcher  Verrauthung  nur  die  Ausdehnung  des  Gemäuers  zu 
gross  ist ,  und  die  fünf  Bogengänge  unerklärt  bleiben.  Da  man  vor 
einigen  Jahren  auf  der  entgegengesetzten  Seite ,  neben  dem  Bogen  des 
Titus ,  Marmorstufen  aufgegraben  hat ,  so  scheint  es  offenbar  zu  seyn, 
dass  diese  vom  Forum  her  auf  diese  erwähnte  Erhöhung  führten.  Auch 
steht  nicht  mehr  zu  bezweifeln,  dass  das  Niveau  des  alten  Forums  mit 
dem  des  Colosseums  ungefähr  auf  derselben  Höhe ,  d.  h.  30  Fuss  unter 
dem  jetzigen  Niveau  des  Campo  vaccino  war,  und  dass  zwischen  ihnen 
jene  Erhöhung  lag,  auf  welcher  auf  der  einen  Seite  der  Bogen  des  Ti- 
tus ,  auf  der  andern  der  Tempel  di  Venere  e  Roma  stand.  Vgl.  Mor- 
genbl.  1828  Nr.  1  f.  u.  Nr.  10. 

In  Rom  hat  man  am  12  Januar  bei  dem  Ausgraben  im  Garten 
der  Canonici  vom  Lateran  eine  mehr  als  lebensgrosse  Statue  des  Vespa- 
sianus ,  der  aber  ein  Arm  fehlt,  und  eine  Statue  seiner  Tochter  Julia 
gefunden.  Beide  sind  aus  Marmor  und  durch  schöne  Draperie  ausge- 
zeichnet. Am  Gewände  bemerkt  man  rothe  Streifen ,  welche  die  Pur- 
purfarbe der  Toga  pieta  vorstellen.  Auch  einen  colossalen  Junokopf 
im  schönsten  Griech.  Stil  hat  man  ausgegraben. 


244  M  i  s  c  e  1  1  e  n. 

Der  Unterricht  der  Kinder  muss  schon  im  zweiten  Lehensjahre 
(mit  18  Monaten)  heginnen  und  in  Hinsicht  der  Elementarkenntnisse 
mit  dem  siehenten  beendigt  seyn.  Den  Anfang  des  Unterrichts  müssen 
dalier  Mütter  und  Ammen  besorgen ,  der  spätere  Lehrer  muss  nach  der 
Bell  -  Lancaster'schen  Methode  unterrichten.  Ein  solcher  Lehrer  kann 
mit  Einem  Gehülfen  300  Kinder  unterrichten,  und  es  ist  nicht  gut, 
wenn  er  nicht  mindestens  100  hat.  Diess  und  Aehnliches  hat  der  Ame- 
rikaner Wilderspin  behauptet  in  einer  kleinen  Schrift,  welche  er 
zu  Washington  herausgegeben  hat. 


Politische  Gewissenhaftigkeit  einer  kritischen  Zeitschrift.]  Der 
Recensent  von  Joseph  von  Hammer's  Osmanischer  Geschiöhte 
in  den  Wiener  Jahrbüchern  (Bd.  XLI)  hatte  in  seiner  Beurtheilung 
mehrere  Stellen  aus  dem  Buche  ausgezogen,  welche  jedoch  der  Re- 
dacteur  ,  Hülsemann,  tilgte ,  weil  sie  den  Türken  ungünstig  und 
folglich  anstössig  wären.  Und  doch  ist  das  Buch  selbst  in  Wien  ge- 
druckt und  censirt.  Hammer  hat  dcsshalb  seine  fernere  Theilnahme 
als  Mitarbeiter  an  diesen  Jahrbüchern  verweigert. 


Todesfälle. 


"en  9  Januar  starb  zu  Paris  der  Akademiker  Franz  von  Neufchateau. 

Den  10  Jan.  zu  Groningen  der  Professor  H.  D.  Guyot,  Stifter 
des  dasigen  Taubstummen  -  Instituts  ,  74  J.  alt. 

Den  11   Jan.  zu  Paderborn  der  Lehrer  Rust  am  Gymnasium. 

Den  15  Jan.  zu  Jena  der  Consistorialrath  und  Superintendent  Dr. 
Johann  Gottlob  Marezoll ,  geb.  zu  Plauen  im  Voigtlande  am  25  Dec. 
1761.  Er  wurde  1789  Universitätsprediger  in  Göttingen,  1790  ausser- 
ordentl.  Prof.  der  Theologie  daselbst ,  1794  Prediger  an  der  Deutschen 
Petrikirche  in  Kopenhagen  und  1805  Superintendent  u.  Professor  theol. 
honor.  in  Jena.     Nekrolog  in  der  Jen.  L.  Z.  1828  Int.  Bl.  6  S.  45—47. 

Den  16  Jan.  zu  Halle  der  Professor  und  Oberbibliothekar  Dr. 
Johann  Samuel  Ersch ,  geb.  zu  Glogau  am  23  Juni  1766.  Ein  Ne- 
krolog desselben  steht  in  Pölitz'ens  Jahrbb.  der  Geschichte  u.  Staats- 
kunst Hft.  3 ,  ein  zweiter,  von  Gruber,  in  der  Hall.  Lit.  Zeit.  1828  Nr. 
35  S.  273  —  82,  ein  dritter  in  der  Allgem.  Zeit.  Beil.  59  f.  ,  ein  vierter 
in  Ebert's  Liter. -Blatt  zur  Dresdner  Morgenzeitung  Nr.  5.  f. 

Den  26  Jan.  zu  Königsberg  der  Oberlehrer  Stiemer  am  Stadt- 
gymnasium. 

Den  1  Febr.  zu  Brandenburg  der  Mathcmaticus  Fischer  am  Gy- 
mnasium. 

Den  16  Febr.  zu  Leipzig  der  kön.  Preuss.  Hnfrath  Dr.  Ernst 
Carl  IFieland,  früher  Professor  der  Geschichte  und  seit  1819  Prof. 
der  Philosophie  an  d.  Univers.,  geb.  zu  Breslau  am  22  Juli  1755. 


Todesfälle.  245 

Den  17  Fein*,  zu  Leipzig-  der  Domcapitular  und  Superintendent 
Dr.  Heinrich  Göttlich  Tzschirner  ,  Professor  der  Theologie  an  der  Univ. 
und  Ritter  des  Dancbrogordcns ,  geLoren  in  Mittweida  am  14  Nov. 
1778.  Sein  Leben  und  Wirken  haben  zwei  Freunde  des  Verstorbenen, 
Prof.  Krug  (Kurze  Charakteristik  Tzschirners  als  Gelehrten ,  Kanzel- 
redners und  Menschen.  Lpz.,  Kollmann.  26  S.  8.  4  Gr.)  u.  Hofrath  Pö- 
litz  (Biographie  Tzsch  in  den  Jahrbüchern  der  Geschichte  und  Staats- 
kunst,  1828,  Aprilheft,  welche  auch  einzeln  abgedruckt  ist.  Lpz., 
Hinrichs.  34  S.  8.  5  Gr.)  treffend  geschildert.  Beide  Schriften  ergän- 
zen sich  gegenseitig  und  sind  neben  einander  zu  gebrauchen.  Unbe- 
deutend sind  daneben  die  Nekrologe  im  Leipziger  Tageblatt  und  in 
der  Allgem.  Zeit.  1828  Nr.  68  Beil.,  sowie  eine  dritte  Biographie,  wel- 
che in  Leipzig  bei  Glück  erschienen  ist. 

Den  18  Febr.  zu  AVartenberg  der  als  Deutscher  Dichter  bekannte 
geheime  Ober- Finanzrath  Leop.  Friedr.  Günther  von  Gö'ckingk ,  geb. 
am  13  Juli  1748. 

Den  21  Febr.  zu  Bremen  der  Prof.  an  der  Handelsschule  Dr.  JF. 
Th.  Hundeiker  im  42  J. 

Den  22  Febr.  zu  Königsberg  der  Professor  der  Theologie  und 
Orientalischen  Literatur  u.  Consistorialrath  Dr.  Samuel  Gottlieb  IVald, 
geb.  zu  Breslau  am  17  Octob.  1762. 

Den  1  März  zu  Greifswald  der  Professor  in  der  philosoph.  Fa- 
cultät  der  Universität  Dr.  Overkamp. 

Den  16  April  zu  Leipzig  der  ausserordentl.  Professor  in  der  philos. 
Facult.  M.  Carl  Beier.  Einen  Nekrolog  desselben  werden  die  Jahrbücher, 
an  denen  er  ein  thätiger  Mitarbeiter  war,  nächstens  liefern. 

Ein  Verzeichniss  denkwürdiger  im  Jahr  1827  verstorbener  Perso- 
nen, mit  Angabe  ihrer  Namen,  Titel,  Geburts-  und  Sterbezeit  steht 
in  der  Berliner  Haude-  und  Spenerschen  Zeit.  1828  Nr.  38,  40  u.  41 
und  im  Nürnberg.  Correspond.  Nr.  61  —  63. 


Schul-  und  Universitätsnachrichten ,  Beförderungen  und 
Ehrenbezeigungen. 


Augsburg.  Das  seither  vereinigte  evangelisch  -  katholische  Gymna- 
sium soll  nach  königl.  Verordnung  wieder  in  zwei  Gymnasien  aufge- 
löst werden.  Als  Dotationszuschuss  zu  dem  neuzuerrichtenden  kathol. 
Gymnasium  hat  der  hiesige  Bürger  Sigmund  Geneve  30000  Fl.  ge- 
schenkt und  doshalb  vom  Könige  ein  Belobigungsschreiben  erhalten. 
Leider  ist  dieser  Ehrenmann  bald  darauf,  am  9  Febr.,  75  Jahr  alt  ge-  torben. 
Baden.  Der  weltliche  Lehrer  Hr.  Dr.  Anton  Baumstark  hat  aus 
Veranlassung  seiner  Ernennung  zum  Professor  an  dem  Gymnasium  zu 
Freyburg  im  Breisgau  eine  Abhandlung  de  Curatoribus  Emporii  et  Nau- 
todicis  apud  Athenienses  in  der  dortigen  Wagner'schen  Buchhandlung 
(80  Seiten  8.  1828.)  herausgegeben.  Dicss  ist  die  erste  und ,  wie  die 
Kritik  zeigen  wird,  ehrenvolle  Erscheinung  dieser  Art  in  der  Geschichte 


246  Schul-  und  Universitätsnächrichten, 

des  Badischen  Schulwesens.  Jeder  aufrichtige  Freund  unseres  Lehr 
Standes  kann  dabei  nur  wünschen ,  dass  sie  nicht  die  einzige  bleiben 
möge.  Die  Erfüllung  dieses  Wunsches  hängt  zuvörderst  von  der  Bil- 
dung unserer  Lehrer  ab,  insofern  diese  nicht  für  etwas  Accidentellcs 
gilt ,  sondern  eben  so  gut  wie  für  jeden  andern  Lebensberuf  im  wis- 
senschaftlichen Gebiete  eine  gründliche  Fachbildung  seyu  muss ,  die 
Lehrer  selbst  mögen  übrigens  geistlich  oder  weltlich  seyn.  So  dachte 
auch  der  in  Ruhstand  versetzte,  um  das  katholische  Schulwesen  Ba- 
dens hochverdiente  geistliche  Ministerialrath  Dr.  Phil.  Jos.  Brunner, 
durch  dessen  Verwendung  dem  H.  Dr.  Baumstark  gleich  manchem  an- 
dern Katholiken,  der  kein  Geistlicher,  aber  doch  Lehrer  werden  wollte, 
Staatsunterstützung  zu  Theil  wurde,  um  sich  im  philologischen  Semi- 
nar auf  der  Universität  Heidelberg  die  nöthige  wissenschaftliche  Vor- 
bereitung zum  Lehramte  erwerben  zu  können.  Seit  einigen  Jahren 
sieht  man  immer  Weniger  Lyceisten  oder  Gymnasiasten  sich  ausschliess- 
lich zum  Studium  der  Philologie  wenden,  sondern  diese  unter  den 
Katholiken  nur  von  Theologen  neben  ihrem  Brodstudium  auf  der  Uni- 
versität Freyburg  betrieben  werden.  —  Hr.  Joseph  Lachmann  aus  Ra- 
statt, welcher,  nach  vollendetem  Studiencurse  am  dasigen  Lyceum, 
mit  höherer  Genehmigung  u.  Unterstützung  aus  milden  Fonds  sich  auf 
der  Universität  Heidelberg  dem  Studium  der  Mathematik ,  Naturlehre 
u.  Naturgeschichte  widmete ,  um  sich  zum  Lehrer  vorzubereiten ,  ist, 
nach  Ablegung  eines  ganz  vorzüglichen  Staatsexamens  aus  den  genann- 
ten wissenschaftlichen  Fächern ,  unter  die  weltlichen  Lehramtscandida- 
ten  des  kathol.  Grossherzogthums  aufgenommen  worden. 

Bamberg.  Der  Domcapitular  Dr.  Casp.  Fraas  ist  Domdechant, 
Rector  des  Lyceums  und   Professor  der  Theologie  geworden. 

Berlin.  Die  am  Joachimstharschen  Gymnasium  durch  des  Prof. 
August  Versetzung  [Jbb.  IV  S.  344]  erledigte  Oberlehrerstelle  ist  dem 
bisherigen  Oberlehrer  am  Friedrich- Werder'schen  Gymnas.  Dr.  Passow 
übertragen  und  demselben  ebenso ,  wie  dem  Oberlehrer  Dr.  Conrad, 
das  Prädicat  eines  kön.  Professors  beigelegt  worden.  Bei  demselben 
Joach.  Gymn.  ist  der  Dr.  Constantin  I/gen  als  Alumneninspector  defini- 
tiv angestellt  worden.  Die  Universität  hat  für  den  physikalischen  Ap- 
parat ein  Mikroskop  von  Utzschneider  in  München  um  580  Gulden  an- 
gekauft. Der  Hofrath  Dr.  Borow ,  welcher  sich  jetzt  in  Rom  auf- 
hält, ist  daselbst  zum  Mitgliede  der  Academia  Romana  di  Archeolo- 
gia  gewählt  worden. 

Bonn.  Der  vormalige  k.  Russische  Etiitsrath  u.  Prof.  von  Schlo- 
zer  in  Moskau  ist  zum  ausserordentlichen  Professor  in  der  philoso- 
phischen Facultät  ernannt. 

Braunschweig.  Der  Director  Dr.  Friedemann  hat  den  Rang  ei- 
nes ordentlichen  Professors  erhalten.  Die  Doctoren  Brandes  und 
Brauns  am  Coilegium  Carolinum  sind  zu  ausserordentlichen  Professo- 
ren ernannt. 

Bbescia.    Der  Weltpricster  llieronymus  de  Stefani   ist  zum  Pro- 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.     247 

fessor  der  theoretischen  und  Moral  -  Philosophie  am  Lyceum  ernannt 
worden. 

Brkslau.  Der  bisher.  Gymnasialdircctor  Kabath  in  Glatz  ist  zum 
kathol.  geistlichen  und  Schulrath  beim  hiesigen  Provinzialschulcolle- 
giiun    ernannt. 

Bromberg.  Das  Gymnasium  erhielt  zu  Anfange  des  Jahres  1827 
zwei  neue  Lehrer,  nämlich  den  Candida!  Plath  als  interimistischen 
Ordinarius  der  sechsten  Classe  an  die  Stelle  des  tranken  Collaborators 
Kaletta,  und  den  Französ  Sprachlehrer  Bouzereau  de  Bellemain  vom 
Gymnas.  in  Cöthen.  Zur  Unterstützung  hülfsbedürftiger  Schüler  der 
Anstalt  besteht  im  dasigen  Regierungsbezirk  ein  Verein  von  Wohlthü- 
tern,  welcher  in  dem  genannten  Schuljahre  6  Gymnasiasten  unter- 
stützte und  am  Schluss  des  Schuljahrs  ein  unangreifbares  Capital  von 
2425  Thlrn.  u.  ausserdem  200  Thlr.  19  Sgr.  10  Pf.  in  Casse  besass. 
Aus  dem  zum  jüngsten  Programm  gelieferten  Schulberichte  ist  als 
auffallend  zu  bemerken ,  dass  im  verflossenen  Schuljahr  zur  Privat- 
lcctüre  für  die  Tertianer  der  Arrian  und  Justin  gewählt  wurden.  Beide 
Schriftsteller  werden  freilich  auch  in  den  öffentlichen  Lehrstunden  die- 
ser Classe  neben  Sallustii  Catilin. ,  Caesaris  B.  C.  und  Xenoph.  Ami!) 
gelesen. 

Bruchsal.  An  dem  Gymnasium  erscheint  jedes  Spätjahr  zu  den 
öffentlichen  Prüfungen  und  Feierlichkeiten  ein  gedrucktes  Verzeich- 
niss  der  Lehrgegenstände ,  welches  auch  die  Schüler  aufzählt,  ohne 
jedoch  der  sogenannten  Gäste  oder  der  im  Laufe  des  Schuljahres  allen- 
falls Ausgetretenen  zu  erwähnen;  man  erfährt  also  nicht,  ob  diese  im 
verflossenen  Studienjahr  18§^  unter  der  Gesammtzahl  von  75  Schü- 
lern mitbegriffen  sind  oder  nicht,  sondern  sieht  nur,  dass  47  davon  in 
Bruchsal  selbst  geboren,  die  übrigen  28  aber  Auswärtige  sind.  Ueber- 
haupt  begreift  man  nicht  recht,  für  wen  die  Anstalt  ihr  Lehrgegen- 
ständeverzeichniss  eigentlich  drucken  lässt,  da  sie  nicht  einmal  die 
Stundenzahl  anzugeben  für  gut  findet,  sondern  nur  den  Lehrstoff  der 
einzelnen  Schulen  aufzählt,  und  nicht  einmal  die  Lehrbücher  bei  je- 
dem Gegenstande  benennt.  Zur  klaren  Ansicht  von  der  ganzen  Schul- 
einrichtung sollte  das  alles  und  noch  einiges  andere  nicht  fehlen.  Ue- 
brigens  besteht  das  Gymnasium  aus  einer  Vorbereitungsciasse  und  aus 
andern  drei  Classen ,  wovon  eine  jede  zwei  Abtheilungen  hat,  also  iin 
Ganzen  aus  sieben  Schulen ,  die  wohl  auf  eben  so  viele  Jahre  berech- 
net sind.  Früher  gehörte  die  Vorbereitungsciasse  unter  dem  Namen 
Principien  noch  zur  Normalschule,  und  das  Gymnasium,  von  Augusti- 
nermönchen versehen ,  bestand  aus  Infinia  (I),  Grammatik  (II) ,  Syn- 
tax (III) ,  Poesie  (IV)  u.  Rhetorik  (V) ,  welche  von  vier  Lehrern  be- 
sorgt wurden.  Für  die  jetzigen  sieben  Schulen  sind  auch  nicht  mehr 
Professoren  angestellt  als  zwei  Geistliche ,  Becker  u.  Kek  *),  u.   zwei 


')  Letzterer    ist    erst  vor  kurzem  als   Gymnasialprofessor  an   die    Stelle  des 
kränklichen    geistlichen    Professors   Joh.    Bapt.   Fink   getreten,    und  ersterer  zu 


248  Schul-und  Universitätsnachrichten, 

weltliche,  JVokk  u.  Dr.  Steidel.  Das  Verzeichniss  nennt  beim  Zeich- 
nen u.  bei  der  Musik  freilich  noch  die  Hrn.  Günther,  Jljfermann  u. 
Füller,  jedoch  ohne  weitere  Bestimmung;,  so  dass  man  veranlasst  wird, 
diese  nothwendig  als  Aushelfer  anzusehen,  und  zwar  lediglich  in  die- 
sen Nebengegenständen.  Die  Hauptgegenstände  des  gesaminten  Unter- 
richtskreises sind  folgende:  Religion,  Deutsche,  Lateinische,  Griechi- 
sche u.  Französische  Sprache ,  nebst  Mathematik ,  Geschichte ,  Geo- 
graphie u.  Naturgeschichte.  Die  vier  Professoren  werden  in  diesem 
Gebiet  durch  die  sieben  Schulen  mit  ziemlich  bunter  Beschäftigung 
durcheinandergeworfen,  und  die  Lehrerzahl,  welche  früher  für  weni- 
gere Schulen  und  einen  sehr  beschränkten  Lehrkreis  hinreichend  seyn 
mochte,  kann  sich  bei  der  erweiterten  Classenzahl  und  dem  sichtbaren 
Streben,  den  Humanismus  und  Philanthropismus  zugleich  zu  befriedi- 
gen, nur  durch  gemeinschaftliche  Stunden  helfen,  was  denn  auch  in 
der  obersten  Schule ,  wo  es  gerade  am  wenigsten  passend  erscheint, 
so  weit  geht,  dass  ihr  bloss  die  Lehrstunden  der  Mathematik  und  Rhe- 
torik abgesondert  zukommen,  alle  übrigen  Gegenstände  aber  mit  der 
vorletzten  Schule  gemeinschaftlich  sind.  Aus  demselben  Grunde  ist 
auch  begreiflich ,  dass  z.  B.  die  Naturgeschichte  bruchstückweise  er- 
scheint ,  dass  neue  Geographie  neben  alter  Geschichte  gelehrt  wird, 
dass  von  alter  Geographie  gar  nichts  vorkommt ,  und  von  der  neuem 
nicht  alles ,  dass  die  Deutsche  Sprache  zuletzt  in  der  Lateinischen  und 
in  sogenannten  freien  Aufsätzen  aufgehen  muss,  dass  die  Kenntniss  der 
Griechischen  u.  Römischen  Literatur  u.  Antiquitäten  wahrscheinlich  in- 
nerhalb der  engen  Gränzen  der  zu  erklärenden  Classiker  stehen  bleibt. 
Sicht  man  dabei  die  unverkennbare  Tendenz  zu  immer  grösserer  För- 
derung des  Studiums  der  Griechischen  und  Lateinischen  Sprache ,  des 
mathematischen  Unterrichts  u.  der  Religionslehre  ,  wobei  die  Schrif- 
ten des  Neuen  Testaments  gelesen  und  erklärt  werden,  so  muss  es  der 
Anstalt  um  so  mehr  zum  Vorwurf  gereichen,  dass  sie  bei  ihrer  all- 
mähligen  Umgestaltung,  welche  die  alte  Einrichtung  nothwendig  machte, 
lieber  das  Quodlibet  der  Badischen  höhern  Lehranstalten  vermehren, 
als  einer  oder  der  andern  von  ihnen  sich  näher  anschliessen  wollte ,  da 
doch  des  Guten  vieles  in  ihnen  vorhanden  ist,  was  anerkannt  und  an- 
genommen zu  werden  verdient. 

Cöliv.  Am  Jesuiter- Gymnas.  ist  der  Caplan  Schwann  an  Smet's 
Stelle  zum  kathol.  Religionslehrer  gewählt  worden. 

Cöslin.  Als  Director  des  Schullehrerseminars  ist  der  Oberlehrer 
Henning  angestellt. 

Dorpat.  Am  24  Dec.  feierte  die  Universität  den  Gedächtnisstag 
ihrer  25jährigen  Gründung  und  ernannte  bei  dieser  Gelegenheit  unter 
andern  den  Prälaten  und  Bibliothekar  Angelo  Mai  zum  Doctor  juris, 
den  Kammerherrn  und  Ritter  Alexander  von  Humboldt  zum  Doctor  me- 


derselben    Zeit   definitiver    Gymnasial präfect  geworden,    nachdem  er  seit  mchrern 
Jahren  provisorischer  Vorstand  des  Gymnasiums  gewesen  war. 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  240 

dicinae,  den  Professor  der  Chemie  Berzelius  in  Stockholm  und  den 
Professor  der  Astronomie  ßessel  in  Königsborg  zu  Uoctoren  der  Phi- 
losophie. Der  akademische  Senat  lud  zu  der  Feier  durch  ein  Pro- 
gramm des  Ilofrath  Dr.  Francke  [de  v  ita  V.  Juni  i  Juvenalis 
quaestio  altera]  ein  und  Hess  ein  Prachtwerk  mit  vielen  Kupfern 
drucken,  welches  die  Geschichte  der  Universität  und  eine  Beschrei- 
bung ihres  jetzigen  blühenden  Zustandcs,  ihrer  Institute  und  Gebäude 
enthält.  Der  Fonds  der  Universität  betrug  bei  ihrer  Stiftung  6000 
Schwedische  Thaler,  jetzt  gegen  100000  Silberrubel.  Der  Kaiser  er- 
nannte bei  Gelegenheit  dieser  Feier  den  Rector  der  Universität  zum 
wirklichen  Staatsrath  mit  dem  Prädicat  Excellenz,  die  Professo- 
ren Struve ,  Engelhardt  u.  Ledebour  zu  Bittern  des  St.  Annen-  und 
den  Senior  der  Univers.,  Staatsrath  Dr.  Jäsche  zum  Ritter  des  St.  Wla- 
dimirordens. Eine  ausführliche  Beschreibung  dieses  Festes  steht  in 
der  Jen.  L.  Z.  1828  Int.  Bl.  8  S.  57  —  62  u.  in  der  Leipz.  L.  Z.  Nr.  66. 
Beide  Beschreibungen  sind  aus  den  Bigaer  Provinzialblättern  1828  Ute- 
rar.  Begleiter  Nr.  1  genommen:  welche  Zeitschrift  nach  Sonntags  Tode 
der  Dr.  Merkel  fortsetzt. 

Ehfncex.  Der  Bepetent  TFömer  ist  Professor  an  der  4n  Classe 
der  obern  und  der  Lehramtscandidat  Osswald  Präceptor  an  der  3n  Cl. 
der  untern  Gymnasialabtheilung  geworden. 

Elbing.  Dem  Gymnasiallehrer  Merz  ist  die  dritte  Oberlehrcrstelle, 
welche  er  bisher  interimistisch  verwaltete,  definitiv  übertragen  und  das 
Prädicat  eines  kön.  Professors  beigelegt  worden. 

Fraiskfurth  an  der  Oder.  Das  Friedrichs  -  Gymnasium  ist  aus 
zwei  gelehrten  Schulen  entstanden.  In  früherer  Zeit  hatte  Frankfurth 
zuerst  eine  Lutherische  Schule.  Das  Stiftungs- Jahr  derselben  ist  un- 
gewiss ,  wahrscheinlich  ist  es  ,  dass  sie  bald  nach  Einführung  der  Re- 
formation in  hiesiger  Stadt,  welche  im  J.  1530  erfolgte,  gestiftet  wor- 
den ist ;  gewiss  aber ,  dass  sie  schon  im  J.  1543  einen  Collegen ,  den 
nachherigen  Rector  M.  Vitus  Bach ,  später  Professor  der  Theologie  an 
der  Universität,  hatte.  Zweitens  hatte  die  Stadt  eine  reformirte  Schule, 
die  vorzüglich  durch  die  Verwendung  des  ordentlichen  Professors  der 
Theologie  D.  Rieselrnann  im  J.  1604  gegründete,  am  1  Juli  d.  J.  ,  dem 
Geburtstage  Friedrich's  I,  an  einem  Tage  mit  der  Universität  Halle, 
feierlich  eingeweihte  und  nach  dem  Namen  des  Königs  genannte  Fried- 
richs -Schule,  deren  erster  Rector  Paulus  Volckmann  war.  —  Beide 
Anstalten  wurden ,  da  sie  in  letzter  Zeit  in  Verfall  gerathen  waren  und 
Eine  gelehrte  Schule  für  die  Bevölkerung  Frankfurths  hinreichte,  im 
J.  1814  mit  einander  vereinigt,  und  so  entstand  das  Friedrichs  -  Gymna- 
sium. Letzteres  ist  aber  nicht  ganz  städtische  Anstalt  mehr,  indem 
zwei  Lehr -Stellen  an  demselben  ganz  neu  hinzugekommen  und  aus 
dem  Neu  -  Zellischen  Fonds  fundirt  worden  sind.  —  Es  besteht  in  seiner 
jetzigen  Einrichtung  aus  6  Classen,  von  denen  je  zwei  und  zwei,  im 
Lehrplane  enger  verbunden,  eine  höhere,  mittlere  und  untere  Bil- 
dungsstufe ausmachen.  Seitdem  die  ehemalige  Stadt  -  Schule ,  nach 
der  Ausscheidung  des  gelehrten  Bestandtheiles,  durch  allmählige,  sehr 


250  Schul- und  Universitätsnachrichten, 

zweckmässige  Verbesserungen  in  eine  musterhaft  organisirte  höhere 
Bürger  -  und  Elementar  -  Schule  umgestaltet  worden  ist ,  ist  unsre  An- 
stalt ausschliesslich  Gymnasium;  es  sind  daher  alle  Schüler  verpflich- 
tet, an  allen  Unterrichtsstunden  Theil  zu  nehmen;  von  keiner  wird 
ausser  nach  den  höhern  Orts  festgesetzten  Bestimmungen  Dispensation 
ertheilt.  Combinationen  mehrerer  Classen  finden ,  ausgenommen  im 
Singen  und  Zeichnen ,  nicht  Statt.  In  die  sechste  Classe  werden  die 
Schüler  gewöhnlich  mit  dem  8n  oder  9n  Jahre  aufgenommen ,  wozu 
nur  die  notwendigsten  Vorkenntnisse  erfordert  werden.  Die  Dauer 
der  Schulzeit  ist  8  — 10  Jahr,  von  denen  4  auf  Secunda  und  Prima 
kommen.  Für  die  Aufnahme  fremder  Schüler  besteht  ein  Alumnat, 
mit  5  ganzen  Stellen,  jede  zu  30  Thlrn.,  5  halben  zu  60  und  2  Pen- 
sionsstellen zu  120  Thlrn.,  welches  gegenwärtig  unter  der  Aufsicht  des 
Conrectors  Dr.  Reinhardt  steht.  Versetzungen  finden  zu  Ostern  und  Mi- 
chael Statt,  und  nicht  in  einzelnen  Fächern  und  Lectionen,  sondern 
von  Classe  zu  Classe,  besonders  aus  einer  Bildungsstufe  in  die  andere; 
innerhalb  derselben  Bildungsstufe  sucht  man,  wo  es  rathsam  scheint, 
das  Fach-  mit  dem  Classen-System  zu  verbinden.  Vor  der  Versetzung 
im  Examen  stellt  der  üirector  in  den  Classen  Privat-Prüfungen  an.  Das 
öffentliche ,  mündliche  und  schriftliche  Examen  findet  zu  Ostern  und 
das  Hauptexamen  zu  Michael  Statt,  wo  auch  in  den  Classen,  in  wel- 
chen der  Cursus  jährig  ist,  derselbe  neu  beginnt.  Jede  Classe  hat 
wöchentlich  30  Lectionen ,  abgerechnet  die  ausserordentlichen  im  Sin- 
gen ,  Zeichnen ,  Hebräischen  und  Englischen.  Das  Schulgeld  betrug 
bisher  auf  der  ersten  Bildungsstufe  vierteljährig  4,  auf  der  zwei- 
ten 3,  und  auf  der  dritten  2  Thlr.  Da  aber  in  diesem  Jahre  der  Bau 
eines  zum  Gymnasium  gehörigen  Gebäudes  dringend  nothwendig  ge- 
worden war,  und  die  Schulcasse  keine  Mittel  dazu  besass;  so  ist  zur 
Deckung  der  Zinsen  eines,  zu  diesem  Behufe  aufzunehmenden,  Kapi- 
tals mit  Genehmigung  des  königl.  Consistoriums  der  Provinz  Branden- 
burg zu  Berlin  das  Schulgeld  der  beiden  untersten  Classen  um  1  Thlr. 
vierteljährig  erhöht  und  so  dem  der  dritten  und  vierten  gleichgestellt 
worden.  —  Das  äussere  Betragen  der  Schüler  wird  durch  gedruckte, 
aus  33  Artikeln  bestehende  Schulgesetze  bestimmt. 

Freybiug  im  Breisgau.  Das  Programm ,  welches  den  öffentli- 
chen Endprüfungen  des  Gymnasiums  im  Schuljahr  18§-£  als  Ein- 
ladungsschrift vorausging,  enthält  1)  Schulnachrichten,  2)  die  Lehrge- 
genstände der  Classen  sammt  der  Prüfungsordnung  und  3)  das  Schü- 
lerverzeichniss.  Die  Schulnachrichten  sagen,  dass  drei  geistliche  Leh- 
rer neu  angestellt  wurden  ,  nämlich  der  Gymnasialpräfekt  Schmeisser 
und  die  Professoren  Bilharz  und  Haberer.  Will  man  jedoch  die  Leh- 
rerzahl vollständig  kennen,  so  müssen  die  vorhandenen  geistlichen  Pro- 
fessoren Schilling  und  ßrugger  nebst  den  beiden  weltlichen  Professo- 
ren JVeissgerber  und  Dr.  Baumstark  noch  genannt  werden ,  gleichwie 
der  Münster -Chorregent  JFeiland,  welcher  Kalligraphie  lehrt,  und  der 
Universitätsprofessor  Ge.ssler,  der  im  Zeichnen  Unterricht  giebt.  Diese 
Lehrer  haben  jetzt  miteinander  sechs   Classen,    die  auf  eben  so  viele 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  251 

Jahre  berechnet  sind ,  nachdem  nämlich  die  früher  abgesondert  bestan- 
dene Vorbereitungsciasse  mit  den  bisherigen  fünf  Schulen  des  Gymna- 
siums vereinigt  wurde.  Bei  dieser  zweckmässigen  Verbindung,  die 
leicht  durch  verlängerten  Aufenthalt  in  der  Schule  noch  zweckmässiger 
gemacht  werden  könnte ,  wird  die  wenig  vergrösserte  Stundenzahl  des 
Griechischen  Sprachunterrichts  besonders  herausgehoben  und  durch 
längst  Bekanntes  über  Wcrth  und  Bedeutung  dieses  wesentlichen  Gy- 
innasialgegenstandes  ganz  kurz  gerechtfertigt;  nur  die  ethische  Seite 
findet  miin  gegen  alles  Erwarten  so  unverhältnissmässig  lang  ausge- 
sponnen, dass  es  beinahe  den  Anschein  gewinnt,  als  werde  es  in  Frey- 
burg nöthig,  die  classische  Literatur  gegen  die  Vorwürfe  heidnischer 
Buchlosigkeit  in  Schutz  zu  nehmen.  So  liest  man  dann  als  Anhang 
zu  den  Schulnachrichten  von  ihrem  Verfasser,  Gymnasialpräf.  Schmeis- 
ser,  eine  nicht  zu  verachtende  Materialiensanuulung  zu  einem  Sopho- 
klcischcn  Katechismus  der  Sittenlehre.  Die  Lehrgegenstände  des  Gymna- 
siums sind  Religion,  Deutsche,  Lateinische,  Griechische  u.  Französische 
Sprache  nebst  Geschichte  und  Geographie ,  Mathematik ,  Kalligraphie, 
Zeichnen  und  Gesang,  grösstenteils  nach  dem  Classenlehrersystem 
vertheilt.  Wer  dabei  bemerkt,  dass  der  Schreibunterricht  natürlich 
nur  die  niedersten  Schulen  angeht,  dass  sämmtliche  Classen  zusam- 
mengenommen im  Zeichnen  gleichwie  im  Gesang  in  zwei  Abtbeilungen 
zerfallen,  dass  endlich  in  jeder  Schule  für  Religion,  Geschichte,  Geo- 
graphie u.  Mathematik  wöchentlich  nicht  mehr  als  fünf  Stunden  noth- 
dürftig  anberaumt  sind  ,  obgleich  die  ganze  Stundenzahl  mit  den  Clas- 
sen von  20  bis  zu  27  aufsteigt;  der  dürfte  nur  den  Französischen  Sprach- 
unterricht noch  aus  der  Reihe  der  gewöhnlichen  Schulstunden  hinaus- 
gewiesen sehen  ,  um  auf  den  Gedanken  zu  kommen  ,  dieses  katholische 
Gymnasium  im  Grossherz.  Baden  strebe ,  so  weit  es  die  Verhältnisse 
gestatten,  den  Forderungen  sich  zu  nähern,  welche  Hr.  Hofr.  Thiersch 
für  Bayerns  Gymnasien  aufgestellt  hat:  wenn  es  nicht  gar  zu  dem  Ex- 
trem sich  hinneigt,  welchem  zufolge  nur  der  Unterricht  in  der  alt- 
classischen,  d.  h.  Griechischen  und  Römischen,  Literatur  als  der  allein 
wesentliche  für  Gymnasien,  aller  andere  aber  lediglich  als  Nebensache 
angesehen  werden  soll.  Unsere  Zeit  sammt  der  Frequenzzahl  von  240 
Schülern  dürfte  sich  jedoch  eher  mit  den  neusten  königl.  Preuss.  Mi- 
nisterialverordnungen  über  die  Aufgabe  der  höhein  Lehranstalten  be- 
freunden, wie  sie  in  der  Allg.  Schulzeitung  1827  mitgetheilt  wurden. — 
An  der  Universität  haben  die  Professoren  Welcher,  Aniann,  Beck, 
Schulzen.  Butzengeiger  den  Charakter  als  „Hofrath"  erhalten.  Auch 
ist  der  Dr.  Carl  Alexander  Freiherr  Reichli/i-  Meldegg  zum  ausseror- 
dentlichen Professor  der  Theologie  ernannt  werden ,  gleichwie  derPri- 
vatdocent  Dr.  Zimmermann  zum  ausserordentl.  Prof.  der  Philosophie  u. 
der  Dr.  Carl  Friedrich  Baurittel  zum  ausserordentl.  Prof.  der  Rechte. 
Gera.  Der  Professor  am  Gymnasium  31.  Jonathan  Heinrich  Trau- 
gott Hehr  ist  zum  Consistorialrath,  Superintendenten  und  Pastor  Pri- 
marius an  der  St.  Johanniskirche  ernannt  worden.  Unter  dem  29  Oct. 
v.  J.  erhielt  seine  Lehrerstclle  der  Conrector  M.  Christian  Gottlob  Her 
Jahrb.  f.  Phil.  u.  Päda&.  Jahrg.  III.  Heft  2.  17 


252  Schul-   und  Uni vcraitätsnach richten, 

zog,  das  Conrectorat  aher  der  Privatiloc.  an  der  Univers.  u.  ausserordentl. 
Collaborator  an  der  Thomasschule  in  Leipzig  M.  Jdelbert  Lipsius. 

Glogai.  Beim  evangel.  Gymnasium  ist  der  Schulamtscand.  C. 
F.  Klose  [Jbb.  III,  l    S.  116]  als  Lehrer  angestellt  worden. 

Gotha.  An  die  Stelle  des  verstorh.  Regel  [s.  Jbb.  III,  1  S.  111] 
ist  der  Dr.  Hühner  am  Gymnas.  als  Collaborator  eingetreten. 

Grätz.  Am  Johanncuin  ist  unter  dem  26  Dec.  v.J.  der  Abt  des 
Cisterzienserstifts  Rein,  Ludwig  Crbphius,  zum  Studiendirector  ernannt 
worden ,  und  der  Verweser  der  Eisenwerke  zu  Kainach  in  Steiermark, 
Joseph  von  J  schauer,  hat  die  neuerrichtete  Lehrkanzel  der  technisch  - 
praktischen  Mathematik  erhalten. 

Halle.  Bei  der  Univers,  ist  der  ausserord.  Professor  Dr.  Kaul- 
fiiss  zum  ordentl.  Professor  der  philosoph.  Facultät  ernannt,  an  der 
Latein.  Schule  des  Waisenhauses  der  Dr.  Aug.  Ludw.  Steinberg  als 
Schulcollege  angestellt  worden. 

Heilbronn.  Die  Bd.  IV  S.  350  über  das  Gymnasium  gegebene 
Nachricht  ist  dahin  zu  berichtigen,  dass  dasselbe  im  vorigen  Jahre 
nicht  erst  zu  einem  Gymnasium  erhoben  wurde:  denn  es  war  immer 
Gymnasium,  von  dem  die  Universität  unmittelbar  bezogen  werden 
konnte,  und  feierte  als  solches  am  13  Nov.  1820  sein  zweites  Stiftungs- 
jubiläum.  Im  J.  1827  ist  es  durch  Allstellung  einiger  neuen  Lehrer 
nur  erweitert  und  aus  einer  städtischen  Anstalt  in  ein  Landesgymna- 
sium  umgewandelt  worden. 

Jena.  Die  geheimen  Hofräthe  Dr.  Eichstadt  und  Luden  sind  un- 
ter dem  30  Jan.  vom  Grossherzog  von  Sachsen- Weimar -Eisenach  zu 
Rittern  des  weissen  Falkenordens  ernannt  worden. 

Königsberg.  Der  Oberlehrer  Dr.  Lucas  ist  Schulrath  bei  dem 
Provinzial-  Schulcollegiura  und  der  Regierung  geMorden. 

Lahr.  In  Baden  giebt  es  viele  Pädagogien  oder  sogenannte  Latei- 
nische Schulen ,  z.  B.  zu  Meersburg  ,  Villingen  ,  Lörrach  ,  Müll- 
heim, Emmendingen,  Mahlberg  ,  Kork,  Baden,  Ettlingen,  Dim- 
lach,  Pforzheim,  Eppingen,  Philippsbitig ,  Weinheim,  Mosbach, 
Taitberbischofsheim  u.  a.  m.  Alle  zusammen  haben  wohl  den  Vor- 
theil ,  dass  die  Bewohner  dieser  Städte  und  ihrer  nächsten  Umgebun- 
gen die  Kinder  nicht  gleich  beim  Beginne  der  Studien  an  ein  entfern- 
teres Gymnasium  oderLyceum  zu  schicken  genötbigt  sind,  sondern  erst 
nach  zwei  oder  auch  drei  und  vier  Jahren  des  Studienlaufs  5  allein 
ausser  dieser  Zeitdauer  ist  von  der  Einrichtung  und  Wirksamkeit  dieser 
niedersten  Gelehrtenschulen  nicht  viel  mehr  bekannt,  als  dass  die  mei- 
sten derselben  ihre  Schüler  dahin  zu  bringen  suchen,  an  irgend  einer 
höhern  Lehranstalt  in  den  vollständigem  grammatischen  Cursus  ein- 
treten zu  können,  und  dass  in  den  protestantiseben  Pädagogien  das 
Schuljahr  gewöhnlich  an  Ostern  sich  schliesst,  in  den  katholischen  u. 
gemischten  hingegen  im  Herbste.  Keines  von  allen  macht  sein  Lectio- 
nen-  u.  Schülerverzeichniss  durch  den  Druck  öffentlich  bekannt,  aus- 
genommen das  Pädagogium  zu  Lahr,  welches  in  der  Regel  damit  noch 
«ine  kurze  Abhandlung  verbindet,  und  auch  im  Spätjahr  die  Schulen 


Beförderungen    und  Ehrenbezeigungen.  253 

endigt.  Sein  Programm  vom  letztverflossenen  Studienjahr  18|f  ent- 
hält einen  neuen  Schulplan,  welchem  zufolge  in  dem  gewerbreichen 
Städtchen  die  Aufgabe  einer  Bürgerschule  und  einer  Gelehrtenschule 
vereinigt,  also  in  beiderlei  Bücksiebt  eine  tüchtige  Grundbildung  ge- 
geben werden  soll.  Zu  dem  Ende  sind  von  den  beibehaltenen  drei 
Schulen,  die  Classen  heibsen  und  nach  Art  des  Lyceunis  zu  Carlsruhe 
von  oben  herab  gezählt  werden,  die  erste  und  zweite  in  sogenannte 
formelle  oder  gelehrte  und  in  reale  oder  nichtgelehrteAbtheilungen  ge- 
schieden worden.  Die  dritte  oder  unterste  Ciasse  bleibt  auch  in  Zu- 
kunft ein  ungeteiltes  Ganze  mit  folgendem  Lehrkreis:  Religion  2  St., 
Lesen  u.  Verstandesübung  1  St. ,  Rechnen  3  St. ,  Geographie  1  St., 
Deutsche  Sprache  2  St. ,  Französisch  3  St.  ,  Schönschreiben  4  St. ,  La- 
teinisch 10  St.,  Zeichnen  4  St.,  zusammen  wöchentlich  30  St.  In  der 
zweiten  Classe  hat  die  formelle  Abtheilung  36  und  die  Real- 
abtheilung  28;  in  der  ersten  Classe  jene  34  und  diese  29  Lehr- 
stunden.  Ueber  das  Unterrichtsmaterial  dieser  beiden  Classen  und 
seine  Verth eilung  unter  die  Realisten  u.  Gelehrtenschüler  spricht  sich 
Hr.  Prof.  Fecht  in  der  Beleuchtung  des  neuen  Schulplans  auf  folgende 
Weise  aus:  „Einige  Gegenstände,  wie  Religion,  Geschichte,  Geo- 
„graphie,  Naturkunde,  Mathematik,  Mechanik,  und  auch  von  nun 
„an  Technologie,  Französische  Sprache,  werden  densäramtlichenSchü- 
„lern  der  nämlichen  Classe  vorgetragen,  in  andern ,  als  dringendstem 
„bürgerlichen  Bedürfniss, wie  Schreiben,  Bechnen,  Deutscher  Sprache, 
„blos  der  realen  Abthcilung  mehrere  Stunden  zugeschieden,  und  da- 
„  gegen  soll  die  formale  in  diesen  Sachen  erleichtert  werden.  Iiinwie- 
„derum  erhält  die  formale  Abthcilung  einen  reichern  Unterricht  im 
„Latein  u.  Griechischen.  —  Die  realen  Abtheilungen  sind  streng  ge- 
setzlich von  den  alten  Sprachen  völlig  frei;  es  ist  jedoch  den  Real- 
schülern der  zweiten  Classe  gestattet,  mit  der  gelehrten  Abtheilung 
„an  den  wöchentlichen  drei  Justinsstunden,  und  ebenso  den  Realschü- 
„lern  der  ersten  Classe,  mit  der  gelehrten  Abtheilung  an  den  drei  C:i- 
„ Sarsstunden  Theil  zu  nehmen."  Der  Lateinische  Sprachunterricht  geht 
bis  zur  Uebersetzung  des  Virgil,  Cäsar  und  der  Briefe  Cicero's,  der 
Griechische  hingegen  bis  zu  Jacobs  Lesebuch  oder  der  Anabasis.  Da- 
bei ist  in  allen  Classen,  deren  jede  einen  zweijährigen  Kreislauf  hat, 
durch  Stundenvermehrung  Vorkehrung  getroffen  ,  dass  der  Französische 
Unterricht  mit  Rückübersetzung  eines  schwerern  Schriftstellers  künftig 
an  der  Anstalt  sich  endigen  kann,  dass  ferner  die  Deutsche  Sprache 
über  die  gewöhnliche  Prosa  hinaus  in  das  rhetorische  und  poetische 
Gebiet  fortgeführt  wird,  dass  das  Rechnen  noch  den  Wurzclkalkul  mit 
Quadrat-  und  Kubikwurzel,  und  den  Anfang  von  algebraischen,  lo- 
garithmischen u.  kaufmännischen  Rechnungen  nebst  fortgesetzter  Ue- 
bitng  des  Kopfrechnens  in  sich  schliesst,  dass  endlich  der  geometrische 
Unterricht  zuletzt  die  Planimetrie  umfasst,  und  die  Realabtheilung  der 
ersten  Classe  auch  in  der  Mechanik  u.  Stereometrie  praktisch  geübt 
wird.  Mit  solchem  Lehrplan,  der  in  dem  laufenden  Schuljahre  mit 
höchster  Genehmigung  ins   Leben  getreten  ist,  steht  das  Pädagogium, 


254  Schul-  und  Universit  ä  t  s  n  a  c  h  r  i  c  h  t  e  n, 

falls  nicht  die  aufs  Neue  dem  Lyceum  zu  Carlsruhe  angehängte  Real- 
classe  in  Vergleich  gezogen  werden  soll ,  unter  allen  Gelehrtenschulen 
des  Grossherzogthums  allein  da,  aus  demPrincip  einer  gemischten  An- 
stalt gebildet.  Es  hleibt  freilich  wahr,  dass  einiges  von  der  Grund- 
lage zum  künftigen  Gelehrten  auch  dem  künftigen  Bürger  und  niedern 
Staatsdiener  nützlich  oder  nothwendig  ist,  und  umgekehrt,  aber  diese 
Wahrheit  schützt  noch  nicht  gegen  die  Nachtheile  der  vereinigten  po- 
lytechnischen u.  philologischen  Grundbildung  an  einer  u.  derselben  An- 
stalt. Die  Zeit  muss  lehren,  ob  die  neue  Einrichtung  zu  Lahr  allen 
Missverhältnissen  einer  Mischschule  abgeholfen  hat  oder  nicht.  Viel- 
leicht dürften  in  Zukunft  die  Formalisten  oder  Gelehrtenschüler  der 
ersten  und  zweiten  Classe  von  der  Physik  u.  Technologie ,  gleichwie 
die  Realschüler  in  der  dritten  oder  untersten  Classe  schon  von  dem  La- 
tein ,  „einem  für  sie  unnützen  Ballast ,"  befreiet  werden,  zumal  da 
sie  ohne  fortgesetzte  Grammatik  in  den  spätem  Justins  -  und  Cäsars- 
stunden wenig  oder  gar  nichts  in  der  Lat.  Sprachkenntniss  gewinnen 
werden.  Dann  bliebe  wohl  zunächst  der  Uebelstand  in  der  Behand- 
lungsweise  der  vielen  gemeinschaftlichen  Lehrgegenstände  für  Reali- 
sten und  Gelehrtcnschüler.  Erfahrne  Schulmänner  wollen  behaupten, 
dass  gerade  hierin  auch  der  geschickteste  Lehrer  nicht  allem  und  je- 
dem Missverhältnisse  zu  entgehen  im  Stande  sey ,  ein  Grund,  warum 
schon  früher  einige  unserer  Gelehrtenschulen  der  allgemeiner  verbrei- 
teten Realisten  ganz  los  zu  werden  suchten.  Das  Gedeihen  der  Schule 
als  gemischter  Anstalt  dürfte  eben  so  durch  allzu  ungleiches  Alter  der 
Zöglinge  in  den  einzelnen  Classen  gestört  werden;  denn  es  ist  nicht 
wohl  möglich ,  dass  das  Pädagogium  als  Bürger-  u.  Gelehrtenschule 
für  seine  Classen  ein  ungefähres  Normalalter  gleich  dem  Lyceum  zu 
Carlsruhe  festsetzen  oder  festhalten  kann.  Herr  Prof.  Fecht  erwartet 
selbst  nur,  es  werde  dem  bisherigen  Missstande  des  Pädagogiums  durch 
die  neue  Einrichtung  ziemlich  abgeholfen  werden.  Man  darf  erwarten, 
dass  die  Frequenz  der  Anstalt,  welche  im  letzten  Schuljahre  9  in  I, 
25  in  II  u.  45  in  III,  im  Ganzen  79  wirkliche  Schüler  betrug,  worun- 
ter 20  nicht  in  Lahr  Gehörne  waren,  in  Zukunft  sich  noch  vermehre. 
Aber  auch  ohne  diess  würde  es  zweckmässig  seyn,  im  Schülerverzeich- 
niss  die  Realisten  von  den  Formalisten  zu  trennen,  oder  wenigstens  an- 
zugeben, wie  viele  Zöglinge  jährlich  von  der  ganzen  Anzahl  an  höhere 
Bildungsanstalten  ,  d.  h.  Gymnasien  oder  Lyceen  ,  abgingen.  Die  Leh- 
rer selbst  sind  auf  folgende  Weise  nach  dem  neuen  Schulplane  ver- 
theilt:  1)  Hr.  Prof.  Fecht  für  Latein  durch  alle  drei  Classen,  für 
Griechisch  u.  Deutsch  in  I ,  für  Geschichte  in  I  u.  III ,  für  Rechnen  u. 
Geometrie  in  I  u.  II,  für  Mechanik  u.  Stereometrie  in  I.  2)  Hr.  Dia- 
conus  Gebhard  für  Religion  in  I  u.  II,  für  Latein  in  I  u.  II,  für  Griech.  u. 
Gesch.  in  II,  für  Deutsch  in  II  u.  III,  für  Geographie  in  III.  3)  Hr.  Diac. 
Kröll  für  Religion  in  III,  für  Latein  in  I  u.  III,  für  Griechisch  in  III 
(welcher  Gegenstand  des  neuen  Schulschematism  nicht  in  der  Angabe 
der  Stundenzahl  der  dritten  Classe  steht),  für  Naturlehre  u.  Naturge- 
schichte u.  für  Geographie  in  I  u.  II,  für  Technologie  in  II,  für  Rech- 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  255 

nen  in  Ilf .  4)  Hr.  von  Phul  für  Französische  Sprache  in  I  —  III. 
5)  Hr.  Geiger  für  Schönschreiben  in  1  — III.  6)  Hr.  Seiler  für  Zeich- 
nen ebenfalls  in  I  — 111.  Die  Oberaufsicht  über  das  Ganze  scheint  Hr. 
Decan  Müller  zu  führen,  da  er  den  sogenannten  Redeactus  am  Schlüsse 
des  Schuljahres,  wozu  Hr.  Prof.  Fecht  einen  einleitenden  Vortrag  Hielt, 
mit  einer  Rede,  Austheilung  der  Preismedaillen  und  Bekanntmachung 
der  Promotionen  schloss. 

Leipzig.  Den  21  Febr.  feierte  der  Senior  der  Universität,  Hof- 
rath  und  Professor  Christian  Daniel  Heck,  sein  50jäbriges  Magisterju- 
bilänm  ,  unter  vieler  Theilnahme  der  Universität  und  Behörden ,  so 
wie  überhaupt  des  In-  und  Auslandes.  Schon  früher  hatte  ihn  in  Be- 
zug darauf  die  Universität  zu  Erlangen  zum  Doctor  der  Theologie  er- 
nannt [s.  Jbb.  V  S.  422]  ,  und  den  17  Febr.  erhielt  er  ein  Glückwün- 
echungsschreiben  der  theol.  Facultät  in  Jena,  die  ihn  zum  Doctor  er- 
wählt hätte,  wenn  nicht  die  Erlanger  Facultät  ihr  zuvorgekommen. 
Am  20  Febr.  erhielt  er  ein  Belobungsrescript  von  Sr.  Maj.  dem  Könige, 
begleitet  von  dem  Wunsche ,  dass  er  sein  Jubelfest  als  akadem.  Lehrer 
(1829)  gesund  erleben  möge.  Am  21  creirte  er  selbst  als  Decan  der 
philosoph.  Facultät  11  Magistri  und  erhielt  von  dieser  Facultät  ein 
neues  Diplom ,  von  der  theolog.  Facultät  das  Diplom  eines  Doctors  der 
Theologie,  von  der  Universität  eine  Epistola  gratulatoria  [verfasst vom 
Prof.  Hermann] ,  von  der  naturforschenden  Gesellschaft  und  von  der 
Gesellschaft  zur  Erforschung  der  Deutschen  Sprache  u.  Alterthümer 
Ehrendiplome.  Die  ehemaligen  Mitglieder  des  Seminarii  regii  philo- 
logici  brachten  ihren  Glückwunsch  durch  eine  Schrift  des  Rector  emerit. 
u.  Prof.  Sturz  in  Grimma  (Novae  annotationes  in  Etymologicon  ma- 
gnuni)  und  durch  ein  Latein.  Gedicht  vom  Prof.  Nobbe,  die  jetzigen 
durch  eine  Lat.  Ode  vom  Studios.  Franke  aus  Weimar  dar.  Der  Prof. 
Beier  hatte  ihm  dazu  seine  Ausgabe  von  Ciceronis  Laelius ,  der  Prof. 
Com.  Müller  in  Hamburg  die  aus  Gurlitt's  Nachlasse  herausgegebene 
Spittlerscbe  Geschichte  der  Hierarchie  gewidmet.  Ueber  andere  Feier- 
lichkeiten berichtet  das  Leipziger  Tageblatt  Nr.  64.  Der  Priv.itdoc. 
M.  Georg  Justus  Carl  Louis  Plato  ist  zum  ausserord.  Professor  der  Phi- 
losophie ernannt.  Der  Privatgelehrte  Dr.  Lindner  hat  vom  Könige 
von  Preussen  für  das  eingesandte  Exemplar  seiner  vergleichenden 
Grammatik  eine  goldene   Medaille  erhalten. 

Lemgo.  Zum  Rector  des  Gymnas.  [an  Greverus  Stelle,  s.  Jbb.  V 
S.  218]  ist  der  bisher.  Lehrer  Schierenberg  am  Gymn.  in  Detmold  er- 
nannt  Morden. 

Magdeeirg.  Am  Pädagog.  unserer  lieben  Frauen  ist  der  provi- 
sorisch angenommene  Schulamtscaud.  Grützner  wirklich  angestellt 
Morden. 

München.      Am  6  Jan.  hielt  die  Akademie  der  Wissenschaften  eine 
ausserordentliche  Sitzung,  in  welcher  der  geh.  Hofrath  Dr.  von  Schel 
ling  dem    ältesten   Mitgliede  der  Akademie,    Lorenz  vonWestenrieder, 
weichet  zu  Ende  1827  50  volle  Jahre  Akademiker  war,  das  vom  Könige 
ihm  verliehene  Ehrenkreuz  des  ueugestifteten   Ludwigsordens  (zur  Be 


256  Schul-  und  Universitätsnachrichten, 

lohnung  50jähr.  treu  geleisteter  Dienste)  überreichte  und  eine  dazu  pas- 
sende Hede  hielt. 

Offkmiukg.  Das  Verzcichniss  der  Lehrgegenstände  und  Schüler 
des  Gymnasiums,  die  gewöhnliche  Einladung  zur  öffentlichen  Prüfung 
und  Preisaustheilung ,  seitdem  die  Anstalt  keine  Abhandlung  mehr  lie- 
fert, enthält  in  Rücksicht  des  Lehrerpersonale  im  verflossenen  Stu- 
dienjahre 18f  5  keine  Veränderung.  Es  sind  noch  immer  nur  vier  Leh- 
rer vorhanden,  nämlich  zwei  geistliche,  Gymnasialdirector  u.  Prof. 
Koch  u.  Prof.  Binz,  nebst  den  zwei  weltlichen  Professoren  Scharpf  u. 
Decker,  welche  miteinander  den  wissenschaftlichen  Unterricht  in  drei 
Classen,  jede  mit  zwei  Abtheilungen,  also  in  sechs  Schulen  zu  besor- 
gen haben.  Darum  hat  denn  jeder  Lehrer  wenigstens  in  zwei,  Prof. 
Scharpf  aber  noch  mit  dem  Griechischen  Sprachunterricht,  gleichwie 
Prof.  Decker  mit  der  Mathematik  in  allen  Schulen  zu  thun.  Lebri- 
gens  ist  das  Fach  -  u.  Classenlehrersystem  unter  solchen  Verhältnissen 
möglichst  glücklich  vereinigt.  Der  Zeichnungsunterricht  wird  vom 
Lehrer  Bitte/mann  und  der  Musikunterricht  vom  Lehrer  Huber  für 
alle  Gymnasiasten  in  besondern  Abtheilungen  ausser  den  gewöhnli- 
chen Classenstunden  ertheilt.  Schüler  zählte  die  Anstalt  dieses  Jahr 
in  der  Principistenschule  9 ,  in  der  Infima  18 ,  in  der  Gram- 
matik 21 ,  in  der  Syntax  20 ,  in  der  Poesie  14  und  in  der  Rhetorik  5, 
zusammen  87,  die  Gestorbenen  und  Gäste  und  die  im  Laufe  des  Som- 
mercurses  Ausgetretenen  mitgerechnet.  Die  Schülerzahl  hat  sich  ge- 
gen früher  etwas  vermindert.  Uebrigens  ist  diese  Abnahme  der  Fre- 
quenz eine  Erscheinung,  die  sich  fast  bei  ollen  katholischen  Mittel- 
schulen des  Grossherzogthums  findet,  und  eben  darum  auf  keine  der- 
selben ein  ungünstiges  Licht  werfen  kann.  Es  ist  ja  möglich,  dass  der 
grosse  Zudräng  zum  Studieren,  der  seit  mehrern  Jahren  nicht  ohne 
Besorgniss  bemerkt  wurde,  jetzt  von  selbst  nachzulassen  anfängt.  Ge- 
genüber der  verminderten  Schülerzahl  hat  sich  aber  die  Zahl  der  Lehr- 
gegenstände  der  Anstalt  vermehrt.  Früher  enthielt  sie  in  ihrem  Unter- 
richtskreise Religion,  Deutsche,  Lateinische,  Griechische,  Französische 
und  Hebräische  Sprache  in  Verbindung  mit  Geschichte  und  Geographie, 
Mathematik,  Naturgeschichte,  Kalligraphie,  Zeichnung  und  Musik. 
In  dem  letzten  Studienjahre  sind  neu  hinzugekommen:  Naturlehre  und 
Archäologie  und  Geographie  Altgriechenlands.  Schade  nur,  dass  die 
letzte  an  der  Anstalt  um  zwei  ganze  Jahre  später  gelehrt  wird  als  die 
Geschichte  Griechenland»,  anstatt  mit  dieser  verbunden  zu  werden, 
wie  z.  B.  am  Gymnasium  zu  Freyburg,  dass  ferner  die  Archäologie 
durch  ihr  Kunstgebiet  den  so  nothwendigen  Römischen  Antiquitäten  die 
Zeit  raubt,  und  dass  endlich  die  Naturlehre,  welche  an  dem  Gymna- 
sium auch  des  aller  dürftigsten  Apparats  gleichwie  der  Mittel  zu  des- 
sen Anschaffung  entbehrt,  mithin  ohne  sonderlichen  Lehrerfolg  bleiben 
muss,  am  Ende  gar  noch  den  zeit-,  ort-  und  sachgemässen  Unter- 
richt in  den  Elementen  der  Hebräischen  Sprache  für  künftige  Theolo- 
gen entweder  schon  verdrängt  hat  oder  noch  verdrängen  wird.  So 
etwas  sollte   um  so  weniger  geschehen  ,  als  nicht  nur  die  entlassenen 


Beförderungen   und   Ehrenbezeigungen.  25* 

Gymnasiasten  während  des  pbilosoph.  Cursus  auf  einer  Landesuniversi- 
tüL  otltr  auf  einein  Lyceum  die  Physik  zu  hören  angewiesen  sind,  son- 
dern auch  der  zukünftige  Theolog  auf  der  Universität  seltner  sieh 
tun  die  Hebräische  Grammatik  viel  kümmert.  Die  Anstalt,  welche  in 
ihrem  Lehrplan  immer  noch  zu  experimentieren  scheint,  sollte  die  Ele- 
mente des  Hebräischen  nicht  aufgeben,  wohl  aber  die  IVaturlchre,  und 
dann  auch  in  Zukunft  ihre  liudimentistcn  (Cl.  I)  nicht  gleich  zum 
Willkomm  mit  Deutschen,  Lateinischen,  Französischen  u.  Griechischen 
Sprachformen  auf  einmal  überladen,  obschon  dicss  auch  z.  B.  andern 
Lyceum  zu  Itastatt  geschieht.  Will  das  Gymnasium,  welches  durch 
die  Seculax'isation  vom  J.  1804  nebst  andern  kathol.  Mittelschulen  Ba- 
dens aus  einer  Klosterschule  (der  Franciscaner  nämlich)  entsprungen 
ist,  mit  Kecht  von  der  frühern  Einfachheit  der  klösterlichen  Einrich- 
tung nichts  mehr  wissen,  weil  diese  zugleich  Dürftigkeit  war,  so  bleibt 
doch  dem  reichhaltigem  gelehrten  Material  der  jetzigen  Schulbildung 
eine  einfache  Organisation  wesentliches  Bedürfniss. 

Fabis.  In  der  Akademie  ist  M.  P.  Lebrun  an  Francois  de  Neuf- 
chateau's  [s.   S.  244]   Stelle  zum  Mitgliede  gewählt  worden. 

Petersburg.  Die  Akademie  der  Wissenschaften  hat  den  Statisti- 
ker Prof.  Hassel  in  Weimar  zu  ihrem  correspondirenden  Mitgliede  er- 
nannt. Der  Präsident  der  Akademie ,  geh.  Bath  und  Senator  Ouu'w 
rou- ,  hat  den  St.  Annenorden  Ir  Classe  erhalten.  Die  früher  in  öffent- 
lichen Blättern  mitgetheilte  Nachricht,  dass  auf  den  Russischen  Uni- 
versitäten die  philosophischen  Vorlesungen  aufgehoben  seven  [  vgl. 
Jbb.  IV  S.  353] ,  ist  ungegründet. 

Potsdam.  Der  Conrector  Schmidt  und  der  Subreetor  Heiniholz 
am  Gymn.  haben  das  Prädicat  Professor  erhalten. 

Prenzlau.  Am  Gymnasium  ist  der  zweite  Collaborator  Meinicke 
in  die  erledigte  erste,  der  Hülfslehrer  Strahl  in  die  zweite  Collabova- 
tur  aufgerückt. 

Pbeusseiv.  Se.  Maj.  der  König  haben  zum  Ankauf  einer  Samm- 
lung von  seltenen  Chinesischen  und  Mandschurischen  AVerken  für  die 
Universitätsbibliothek  in  Halle  die  Summe  von  100  Pfund  Sterling  au- 
sserordentlich bewilligt.  Zur  Vergrösserung  des  botanischen  Gartens 
der  Univ.  in  Kömcsberg  ist  die  Summe  \on  2500  Thlrn.  ausgesetzt,  der 
Etat  des  botanischen  Gartens  in  Neu-  Scuöveberg  bei  Berlin  durch  ei- 
nen jährlichen  Zuschuss  von  2448  Thlrn.  erhöht  worden.  Dem  Gymna- 
sium in  Rasteinburg  ist  zur  Anstellung  eines  Schreib-  u.  Zeichenleh- 
rers ein  jährlicher  Zuschuss  von  300  Thlrn.,  dem  Gymnas.  in  Tilsit 
zum  Wiederaufbau  des  abgebrannten  Gymnasialgebäudes  die  Summe 
von  5000  Thlrn.  aus  Staatsfonds  angewiesen.  Zur  weitern  Einrichtung 
der  Schüllehrerseminarien  in  Brühl,  Moers  und  Neuwied  wurde  aufs 
Neue  die  Summe  von  1345  Thlrn.  bewilligt,  und  am  Schullehr.erseminar 
und  der  Normalschule  in  Mauienburg  wird  aus  Staatsfonds  eine  zweite 
Lehrerstelle  gegründet.  Ebendaher  erhalten  die  Gemeinden  zu  Blax- 
KE\m  rg  im  Beg.  Bez.  Erfurt  u.  zu  Tvüeiiaisen  im  Reg.  Bez.  Münden 
zum  Neubau  ihres  Schulhauses  jede  500  Tlilr.     Dem  durch  seine  Aus- 


258  Schul-  und  Universitätsnach  richten, 

gahe  der  Sehr,  des  Ilippokrates  de  morho  sacro  bekannten  Dr.  med. 
Dietz  sind  vorläufig  150  Thlr.  als  Unterstützung  zu  einer  wissenschaft- 
lichen Reise  bewilligt,  auf  welcher  er  zu  Ilippokrates  und  Actuarius 
neue  Handschriften  vergleichen  will.  Der  Landschaftsmaler  Schirmer 
erhält  300  Thlr.  zur  weitern  Ausbildung  auf  ein  Jahr  in  Italien,  die 
Wittwe  des  verstorb.  Professorsund  Secretairs der  kön.  Akad.  der  Künste 
Schumann  in  Berlin  eine  jährl.  Pension  von  200  Thlrn.  An  ausseror- 
dentlichen Unterstützungen  sind  bewilligt:  in  Berlin  dem  Collabora- 
tor  Weise  am  Friedrichs  -  Wertherschen  Gymnas.  100  Thlr.,  in  Me- 
6eritz  dem  Conrector  Klähr  150 Thlr.,  in  Naumburg  dem  Conrector  Dr. 
Müller  50  Thlr.,  in  Nordhausen  dem  emeritirten  Collaborator  Wolfram 
50  Thlr.;  an  Gehaltszulagen:  in  Berlin  dem  Prof.  Dr.  Bemhardj  100 
Thlr.,  in  Greifswald  dem  Prof.  Dr.  Parow  (in  der  theol.  Fac.)fürdie 
Verseilung  des  akad.  Procancellariats  231  Thlr.,  in  Halle  dem  Prof. 
Dr.  Meckel  (wegen  eines  Rufs  an  die  neue  Univ.  in  London)  500  Thlr. 
nebst  dem  Prädicat  eines  geh.  Medicinalrathes ,  in  Meurs  dem  Lehrer 
Vorreiter  am  evang.  Schullehrerseminar  50  Thlr.  Remunerationen  er- 
hielten :  in  Berlin  der  Prof.  Dr.  Ranke  200  Thlr.,  in  Bielefeld  der 
Rector  Dr.  Kästner  70  Thlr. ,  in  Bonn  der  Prof.  in  der  jur.  Fac.  Dr. 
Pugge  150  Thlr. ,  in  Conitz  der  Director  Müller  50  Thlr. ,  in  Danzig 
der  Director  der  Kunst  -  u.  Handelsschule  Prof.  Breysig  200  Thlr.  ,  in 
Königsberg  der  Universitätsmechanicus  Parchem  100  Thlr. ,  in  Ratibor 
der  Gymnasiallehrer  Konig  30  Thlr. ,  in  Tilsit  der  Director  Cö'rber 
150  Thlr. ,  die  Oberlehrer  List ,  Lenz  u.  Heidenreich  jeder  100  Thlr., 
die  Unterlehrer  Schneider  u  König  jeder  75  Thlr.  Dem  Gymnasialleh- 
rer Oebecke  in  Aachen  ist  eine  jährliche  Miethsentschädigung  von  50 
Thlrn.,  dem  Gymnasialprof.  Besler  in  Erfurt  eine  ausserord. Gratifika- 
tion von   50  Thlrn.  bewilligt. 

Rastatt.  Der  Prof.  Leopold  L,ump ,  Musik-  und  Principisten- 
lehrer  an  dem  hiesigen  Lyceum  ,  ist  Domcaplan  geworden  bei  dem  neu- 
errichteten Erzbischöflichen  Sitze  zu  Freyburg  im  Breisgau. 

Rinteln.  Im  Laufe  des  Jahres  1827  sind  folgende  Gelegenheits  - 
Schriften  von  Seiten  des  Gymnasiums  herausgegeben  worden:  1) Neun- 
zehnte Nachricht  über  den  Fortgang  desselben  als  Einladung  zur  Oster- 
prüfung  von  dem  Director,  Consistorial - Rath  und  Professor  Dr.  JViss, 
welche  zugleich  eine  systematische  Uebersicht  des  ganzen  Gymnasial- 
Unterrichtes  enthält  (32  S.) ;  2)  Zwanzigste  Nachricht  von  demselben, 
welche  zugleich  neue  Disciplinar  -  Gesetze  enthält,  als  Einladung  zur 
Michaelis -Prüfung;  3)  Carmen  saeculare  academiae  Philippuiae ,  ca- 
nente  D.  JViss  ,  obtulit  gymnasium  (8  S.)  ;  4)  Dasselbe  cum  notis  histo- 
ricis ,  von  demselben,  als  Einladung  zur  Feier  des  Kurfürstlichen  Ge- 
burtstages (12  S  ) ;  5)  Theses  ad  solemnia  ecclesiae  Christianae  per 
Lutherum  emendatae  et  gymnasii  inaugurati  anniversaria  proposuit  D. 
Schiek  (4  S.).  Reden  haben,  ausser  den  gewöhnlichen ,  gehalten: 
der  Director  bei  einer  Entlassung  der  Abgehenden:  De  magno  studio- 
rum  academicorum  momento  in  totius  vitae  salutem ;  Dr.  Fuldner  bei 
einer  Versetzung  der  Schüler:    von  dem  Einßuss,  welchen  die  Bildung 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  259 

des  Sprachvermngens  auf  die  Entwich elung  der  Vernunft  hat ;  Dr.  Schiek 
bei  der  Feier  des  Kurfürstlichen  Geburtstages  über  den  Satz ,  dass  die 
Beförderung  der  Wissenschaften  die  erste  Quelle  der  öffentlichen 
Wohlfahrt  ist.  Von  Schülern  sind  zehn  öffentliche  Redeversuche  in 
Deutscher,  Lateinischer  und  Englischer  Sprache  und  ein  Disputations  - 
versuch  gemacht  worden.  Die  Zahl  der  Schüler,  welche  von  neun 
Lehrern  in  vier  Classen  unterrichtet  werden,  ist  120,  von  denen  etwa 
der  dritte  Theil  aus  der  Stadt  selbst,  ein  Drittel  aus  dem  Inlande  und 
ein  Drittel   aus  dem  Auslande  ist. 

Salzwedel.  Eine  Beschreibung  des  am  3  Jan.  gefeierten  Amtju- 
biläums  des  Pastor  11  olterstorff  [s.Jbb.VI  S.  135,  wo  falsch  JVoltersdorf 
steht]  hat  der  Rector  Banneil  (8  S.  in  4.)  herausgegeben ,  aus  welcher 
wir,  da  sie  nur  als  Manuscript  für  Freunde  des  Jubilars  nusgegeben 
wird ,  folgendes  ausheben.  Christian  TVolter storff  ward  am  3  Januar 
1778  als  Lehrer  am  Friedrichscollegium  in  Königsberg  eingeführt,  ward 
1782  Rector  in  Memel,  1785  Rector  in  Salzwedel,  1799  Diaconus  an 
der  dasigen  Marienkirche  und  1806  Diaconus  an  der  Catherinenkirche. 
Als  Prediger  behielt  er  im  Gymnasium  den  ganzen  Unterricht  im  He- 
bräischen und  den  Griechischen  des  N.  Test,  unter  dem  Titel  eines  Col- 
laborators  bei,  und  konnte  daher  am  3  Jan.  d.  J.  6ein  SOjähr.  Amtsju- 
biläum als  Schulmann  feiern.  Den  Vorabend  dieses  Festes  feierte  Wol- 
terstorft  im  häuslichen  Kreise  der  Seinen.  Seine  Enkel  bekränzten 
ihn,  sein  zweiter  Sohn,  Diaconus  an  der  Marienkirche  in  Salzwedel, 
überreichte  ein  eben  erschienenes  und  dem  Vater  gewidmetes  Bänd- 
chen seiner  Predigten,  der  Bruder  des  Jubilars  aber  Flank' 's  Geschichte 
des  Protestantischen  Lehrbegriffs.  Ein  hoher  Staatsmann  Preussens, 
der  älteste  Schüler  Wolterstorff's ,  hatte  einen  schöngeschliffenen  kri- 
stallnen  Pokal  mit  der  Inschrift:  „Segen  über  das  ehrwürdige 
Haupt.  Am  3  Januar  1828.",  und  mehrere  Flaschen  alten  Deutschen 
Weins  übersandt.  Diejenigen  seiner  Schüler,  welche  jetzt  in  Halle 
Theologie  und  Philologie  studieren,  überschickten  ein  Prachtexemplar 
von  Gesenii  thesaurus.  Den  Morgen  des  3  Januars  eröffnete  die  erste 
Gesangclasse  des  Gymnasiums  mit  dem  Liede:  Dir  dank  ich  für  mein 
Leben,  und  eine  Deputation  der  Primaner  überreichte  folgende,  vom 
Selectaner  Otto  Bernhard  Ragotzky  aus  Kahrstedt  geschriebene,  Gratu- 
lationsschrift:  Praeceptori  suo  ....  Christiano  Jf  olterstorjf, 
Pastori  ad  S.  Catharinae  aedem,  diem}  quo  ante  hos  quinquaginta 
annos  docendi  munus  suseepit,  redeuntem  .  .  .  gratulantur  .  .  .  so- 
dales  primae  classis  gymn.  Soltquellensis ,  interprete  Ottone  Bernhardo 
Ragotzky ,  selecti  ord.  cive.  Inest  C  anticum  Mosis  Deut.  XXXII 
La  t  ine  conversum  et  adnotationibus  in  s  t  r  u  c  tu  m. 
Halle,  gedr.  b.  Gebauer.  28  S.  4.  Die  Schüler  der  zweiten  Classe 
überreichten  durch  eine  Deputation  die  vom  Primus  der  Classe,  Herr- 
mann Schulze  aus  Böhmenzin,  verfasste  Sehr. :   Viro  s.  Ven Chr. 

IVolterstorjf  .  .  .  solemnia  sernisaecularia  .  .  .  feliciter  celebranti  .  . 
gratulantur  sodales  seeundae  classis  gymn.  Soltq.,  interprete  Car.  Aug. 
Fr  id.  Her  rm,  Schulze ,   sec.  cl.  cive.  Insunt    Corani  Surae   VI  ver- 


2C0  Schul-  und  Universitätsnachrichten, 

s  us  74  priores  ex  tribus  c  odd.  mss.  adjecta  lectionis 
varietat  e  emendat  i  et  hat  ine  conversi.  Halle,  gedr.  bei 
Gebauer.  15  u.  19  S.  4.  *)  Eben  so  -wurden  von  Freunden  und  ehema- 
ligen Schülern  des  Greises  allerlei  Glückwünsche  und  Ehrengeschenke 
dargebracht.  Der  Seminardirector  Dr.  Harnisch  in  Weissenfeis  hatte 
dem  Jubilar  seine  Anweisung  zum  Unterricht  im  Christenthum ,  der 
Director  Dr.  Seebode  einen  Band  seines  Archivs  für  Philologie  u.  Pä- 
dag.  gewidmet.  Um  9  Uhr  brachten  das  Lehrercollegium ,  nach  ihm 
die  Geistlichkeit  und  dann  die  einzelnen  Beamten  ihre  Glückwünsche. 
Unter  den  Lehrern  hielt  der  Senior  des  Collegiums,  Conrector  Lösener, 
früher  Mitschüler,  dann  Schüler  und  endlich  seit  1790  Amtgenosse  des 
Jubilars,  die  Anrede  und  überreichte  die  Sehr.:  Uro  pietate ,  doctri- 
na,   human,  excell.  Christ.  JVolterstorjf  KallmQjjvccicp   .    .    .   dient,    quo 

,    gratulantur   .    .    .   gymnasii   Soltq.   praeeeptores ,   inter- 

prete  Gud.  Gliemanji,  TI  oltersdorßano ,  gymn.  subconr.  Praemissum 
est  Abu  '/  Charri  '/  Momallechi  ad  Abu  H  M  eich  um  sa- 
p  ient  em  c  arm  en  Arabicum,  ex  du  ob  u  s  c  od  d.  mss.  nunc 
primum  editum,  La  t  ine  et  vernacule  conversum.  ad- 
nota  t  ionibus  criticis  et  exegeticis  in  s  tr  uc  tum.  Halle, 
gedr.  b.  Gebauer.  XII,  23  u.  4  S.  4.  Um  10  Uhr  hegann  die  im  Gy- 
mnasium veranstaltete  Feierlichkeit  mit  dem  Liede :  TFie  gross  ist  des 
Allmächtgen  Güte,  worauf  der  Rector  Banneil  die  Festrede  hielt,  und 
dann  der  Superintendent  u.  Ritter  Oldecop  das  von  Sr.  Maj.  dem  Könige  ver- 
liehene allgemeine  Ehrenzeichen  erster  Ciasse  dem  Jubilar  überreichte  und 
die  in  einem  Briefe  Sr.  Exe.  des  Ministers  von  Altenstein  mitgetheilte 
allerhöchste  Cabinetsordrc  vom  20  Oct. ,  nach  welcher  der  Greis  seiner 
Geschäfte  als  Collaborator  am  Gymn.  mit  Beibehaltung  seines  Gehaltes 
entbunden  ist,  so  wie  die  Glückwünschungsschreiben  des Consistoriums 


*)  Beide  in  einer  recht  guten  Latinität  geschriebenen  Schriften  geben  ein 
vorzügliches  Zeuguiss  von  den  gedeihlichen  Studien  des  Orientalischen  auf  dem 
genannten  Gymnasium,  und  beweisen  auch  die  Uelesenhcit  und  Kenntniss  ihrer 
Verfasser  in  den  classischen  Sprachen.  Namentlich  ist  die  erste  mit  vielen  ge- 
lehrten Citaten  und  Lateinischen  und  Griechischen  Parallelstelleu  ausgestattet.  Zu 
der  zweiten  haben  F.  Rüdiger  und  der  Subconrector  Gliemann  einige  Anmerkun- 
gen gegeben.  Letzterer  hat  namentlich  um  die  Orientalischen  Studien  auf  dem 
Gymnasium  ein  ausgezeichnetes  Verdienst ,  indem  er  eine  kleine  Anzahl  Schüler 
(gegenwärtig  C)  neben  den  öffentlichen  Lectionen  privatim  im  Arabischen  unter- 
richtet. Zu  dieser  kleinen  Schule  gehört  der  Verf.  der  zweiten  Schrift,  der  es 
unter  den  jetzigen  G  Schülern  am  weitesten  gebracht  hat.  In  diesen  Privatunter- 
richt werden  in  der  Regel  nur  Sectiudaucr  aufgenommen,  damit  sie  ihn  wenigstens 
iin  Triennium  gemessen  können.  Der  aufzunehmende  muss  durch  hervorstechende 
Anlagen  und  vorzüglichen  Flciss  sich  auszeichnen ,  entschiedene  Neigung  zu  dieser 
Sprache  und  gute  Uekauntschaft  mit  den  Elementen  des  Hebräischen  mitbringen, 
und  darf  in  der  Kenntniss  der  classischen  Sprachen  des  Altertlmms ,  namentlich 
im  Lateinisch -Schreiben,  den  bessten  seiner  Mitschüler  nicht  nachstehen.  Da  die- 
ser Unterricht  gratis  ertheilt  wird  ,  so  dient  die  Aufnahme  als  besondere  Aus- 
zeichnung und  den  besseren  Köpfen  als  Sporn,  sich  in  den  classischen  Sprachen 
hervurzuthun. 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  2G1 

und  Provinzialschulcollegiunis  und  der  Jfön.  Regierung  vorlas.  Ein 
vom  Magistrat  veranstaltete*  festliches  Mahl  beschloss  die  Feier,  hei 
welchem  dem  Greise  ein  schön  gearbeiteter  silberner  Pokal ,  die  Do- 
ctordiplorae  von  der  pbilosoph.  Facultät  in  Königsberg  und  von  der 
theolog.  Fac.  in  Halle,  ein  Lateinisches  Glückv  ünschungsgedicht  des 
Gymnasiums  zu  Stendal  und  ein  Deutsches  dos  Conrcct.  Lösener  über- 
reicht wurden.  Noch  ward  auch  ein  namentliches  Verzeichniss  von  Freun- 
den und  Verehrern  des  Greises  überreicht,  welche  auf  Veranlassung  des 
Predigers  Woltersdorf  zu  Kuhsdorf  sich  vereinigt  hatten  ,  den  Grund  zu 
einem  Schulstipcndiuni  zu  legen,  das  den  Namen  des  Jubilars  für  ewige 
Zeiten  führen  und  sein  Andenken  bei  der  Schule  erhalten  soll.  Bereits 
sind  237  Tblr.  gezeichnet  und  man  hofft  noch  Vergrösserung  der  Sum- 
me, -welche  als  Stipendium  dem  Gymnasium  um  so  willkommener  ist, 
da  dasselbe  seit  der  Einziehung  des  Kloster- Bergischen  Stipendiums 
gar  keinen  Fonds  mehr  zur  Unterstützung  armer  fleissiger  Schüler  be- 
setzt. Bei  der  Rückkehr  vom  Festmahl  erhielt  Wolterstorff  noch  ein 
Hebräisches  Gedicht,  das  einer  der  Primaner  ganz  in  der  Stille  gefer- 
tigt hatte. 

Sch.vffhai'sex.  Das  Gymnasium  hat  jetzt  folgende  Lehrer:  denDi- 
rector  und  ersten  Lehrer  für  die.  alten  Sprachen  F.  C.  C.  Bach  ;  den 
zweiten  Lehrer  für  die  alten  Sprachen,  Conrector  und  Prof.  Harter; 
den  dritten  Lehrer  C.  R.  Meyner;  den  Lehrer  der  Franz.  Spr.,  Pfar- 
rer Deageler ;  den  L.  der  Religion ,  Prof.  Ott ;  den  L.  der  Naturge- 
schichte, Prof.  Ziegler;  den  L.  der  Geschichte  und  Erdbeschreibung, 
Pfarrer  Zehenter ;  den  L.  der  Deutschen  Spr.  Max.  Gözinger ;  den  L. 
der  Mathematik  J.  C.  Enderis ;  den  Schreiblehrer  J.  J.  Sigg ;  den  Ge- 
sangl.  Fr.  Feggeier;  den  Zeichenl.  J.  J.  Beck;  den  Rechenl.  C.  L. 
Classen. 

Stargarbt.  Am  Gymnasium  wurde  der  bisher.  Collaborator  der 
Hauptschule  des  Waisenhauses  in  Halle,  Dr.  JFilh.  Gotthelf  Scliir- 
litz,  als  fünfter  Lehrer  angestellt. 

Stralsund.  Der  Schulamtscandidat  Teshe  aus  Berlin  ist  zum 
fünften  Lehrer  am  Gymnasium  ernannt  worden. 

Taitjerbischofsheim.  Das  gänzlich  in  Verfall  gerathene  Gymna- 
sium ist  wieder  als  Pädagogium  auferstanden  mit  drei  Schulen ,  deren 
unterste  einen  weltliehen  Philologen  als  Classenlehrer  mit  400  Tlilrn. 
Besoldung,  die  mittlere  aber  einen  geistlichen  Classenlehrer  mit  500 
Thlrn. ,  und  die  oberste  ebenfalls  einen  geistlichen  Classenlehrer  mit 
600  Thlrn.  Besoldung  haben  niuss.  Ihnen  wird  noch  ein  Zcichnungs  - 
und  Französischer  Sprachlehrer  mit  einer  Besoldung  von  250  Thlrn.  bei- 
gegeben. Die  geistlichen  Lehrer  haben  zugleich  Caplansdicnste  in  der 
Stadt  zu  versehen.  Der  Lehrkreis  des  neuen  Pädagogiums  umfasst 
yorschriftsmässig  Deutsche,  Lateinische,  Griechische  u.  Französische 
Sprache,  Religion,  Geographie,  Geschichte,  Naturgeschichte,  Arith- 
metik, Zeichnen  und  Schönschreiben.  Ueber  die  weitere  Einrichtung, 
über  Ordnung  und  Ausdehnung  oder  Verhältniss  all  dieser  Lehrgegen- 
fetändc  im  Schulplan  ist  nichts  öffentlich  ausgesprochen,  was  die  Schul- 


262  Schul-  und  Universitätsnachrichten, 

nianncr  um  so  mehr  zu  bedauern  Ursache  haben,  da  im  Grossherzo«-- 
thum  Baden  keine  höhere  Bildungsanstalt  his  jetzt  mit  der  andern  völ- 
lig übereinstimmend  eingerichtet  ist ,  und  doch  vier  Lyceen  und  sechs 
Gymnasien  nebst  einer  grossen  Anzahl  Pädagogien  im  Lande  sich 
finden. 

Tnomv.  Am  Gymnas.  ist  dem  Lehrer  Dr.  TVernicke  die  durch 
Schirmer's  Abgang  [Jbb.  VI  S.  130]  erledigte  Oberlehrerstelle,  die  da- 
durch erledigte  Unterlehrerstelle  aber  dem  Schulamtscand.  Paul  über- 
tragen  worden. 

Tübingen.  Die  Würtembergische  Kammer  der  Abgeordneten  hat 
am  23  Jan.  die  Fundirung  der  Universität  mit  der  Summe  von  jährli- 
chen 80000  Fl.  beschlossen  und  zugleich  bestimmt,  dass  die  Ersparnisse 
von  dieser  Summe  auf  die  einzelnen  Institute  der  Universität  verwen- 
det werden  sollen.  Diese  Summe  soll,  insoweit  sie  nicht  durch  das 
Einkommen  aus  dem  Stiftungsfonds  der  Universität  an  Grundeigenthum, 
Gefällen  und  Kapitalien  gedeckt  ist,  in  einer  jährlichen  Rente  auf  die 
Gesammtheit  der  Staatseinnahme  angewiesen  werden.  Die  unter  der 
genannten  Summe  nicht  in  Berechnung  genommene  Erhaltung  der  für 
die  Zwecke  der  Universität  nöthigen  Gebäude  wird,  mit  Ausnahme  der 
Gebäude  des  Klinikums ,  auf  den  allgemeinen  Baufonds  übernommen. 
Pensionen  der  Universitätslehrer  und  Beamten,  vorübergehende  Stipen- 
dien für  Kameralisten  und  die  für  einige  Jahre  ausgesetzten  ausseror- 
dentlichen Fonds  zur  Anschaffung  eines  chemischen  Apparats  trägt  die 
Staatscasse.  Dieselbe  tritt  auch  so  lange,  bis  der  Norinalstand  der 
Universität  in  den  Personen  und  Gehalten  hergestellt  ist,  für  den  die 
Normalsumme  übersteigenden  Betrag  in  das  Mittel.  Der  Stiftungsfonds 
der  Universität  bleibt  ihr  Eigenthum  und  kann  nur  unter  Bedingungen, 
welche  dessen  Erhaltung  in  seiner  Substanz  sichern ,  von  der  Finanz- 
verwaltung in  Pacht  genominen  werden  (was  seit  der  Uebergabe  des 
Gesetzentwurfes  geschehen  ist).  Ebenso  behalten  die  einzelnen  Insti- 
tute und  Facultäten  der  Universität  ihr  bisheriges  besonderes  Eigen- 
thum. Die  Fundirung  nach  dem  gegenwärtigen  Gesetz  tritt  jedoch  erst 
mit  dem  Jahr  18|-2  in  Wirksamkeit,  da  die  vorjährige  Kammer  bis 
dahin  den  Etat  der  Universität  festgestellt  hat. 

Warschau.  Nach  dem  Jahresbericht  des  Rectors  der  LTnivcrsität, 
von  Szamiawski ,  wurden  im  verflossenen  Universitätsjahre  638  Studen- 
ten immatricilirt,  wovon  28  den  theologischen,  331  den  juristischen 
u.  staatswirthschafilichen ,  110  den  medicinischen ,  60  den  philosophi- 
schen Studien  und  103  den  schönen  Wissenschaften  und  Künsten  sich 
widmen  wollten.  Sc.  Maj.  der  Kaiser  und  König  übersandten  der  Univ. 
einen  Indischen  Elephanten  zum  Geschenk,  und  wiesen  einen  bedeu- 
tenden Fonds  zum  Ankauf  von  60  anerkannten  Kunstgemälden  an,  wel- 
che als  Modelle  zum  Copieren  dienen  und  den  ersten  Anfang  einer  Bil- 
dergallerie  bilden  sollen. 

Wertheim.  Der  Director  des  hiesigen  Gymnasiums ,  Faktisch, 
hat  den  Charakter  und  Rang  als  Hofrath  erhalten. 


Beförderungen  und   Ehrenbezeigungen.  263 

Wetzlar.  Der  Oberlehrer  Dr.  Wieäasch  am  Gymn.  hat  das  Prä- 
dicat  Professor  erhalten.  Der  Ileligionsunterr.  am  Gymn.  ist  dem  Ober- 
pfarrer Nebe  gegen  eine  jiihrl.  Remuneration  vonlSOThlrn.  übertragen. 

Wiev.  Der  Hofrath  und  IlofdoIImctscher ,  Ritter  von  Hammer, 
ist  von  der  Gesellschaft  der  AÜerthunisforscher  der  Norniandie  zu  Caen 
zum  Mitgliede  ernannt  worden. 

Wittenberg.  Der  Rector  des  Gymn.,  Professor  Dr.  Spitzner, 
hat  zum  Andenken  der  Einweihung  des  neuen  Schullocals  dem  dasigen 
Magistrat  50  Thlr.  Übermacht,  deren  Zinsen  zum  Bessten  des  Gymn. 
verwendet  weiden  sollen.  Gleichzeitig  hat  der  Subconrector  Il'ensch 
sich  bereit  erklärt,  jährlich  2  Thlr.  als  Prämie  zum  Ankauf  eines  Buchs 
für  denjenigen  Primaner  zu  verwenden ,  welcher  an  einem  von  dem 
Rector  zu  bestimmenden  Tage  die  besste  Lateinische  Rede  über  ein 
vom  Rector  oder  von  dem  Geschenkgeber  zu  ertheilendes  Thema  hal- 
ten wird. 

Würzbvrg.  An  der  hiesigen  Studienanstalt  erschien  zum  Schlüsse 
des  Studienjahrs  18§J-  vom  Professor  Franz  Xaver  Eisenhof  er  ein  Pro- 
gramm: über  die  grammatische  Periode.  Würzburg,  gedr. 
bei  Becker.  26  ( 16 )  S.  4.  Die  Lycealclasse  zählte  zu  Anfange  des 
Schuljahrs  36  zu  Ende  desselben  35  Candidaten,  und  in  ihr  lehrten  der 
Caplan  im  Julius  -  Spitale  Joseph  Grube  (zugleich  Religionslehrer  der 
5n  Gymnasialclasse)  philosophisch- christliche  Religionslehre  ;  der  Pri- 
vatdocent  bei  der  Universität  Dr.  Johann  Bickel  (zugleich  Religionsleh- 
rer der  drei  untern  Gymnasialclassen)  Anthropologie,  Logik,  Metaphy- 
sik und  Lateinische  Literatur;  der  Lniversitätsprofessor  Dr.  Peter  lii- 
charz  Griechische  Literatur  und  Weltgeschichte;  der  Prof.  der  Mathe- 
matik am  Gymnasium  Dr.  Carl  Georg  Christian  von  Staudt  Mathema- 
tik. In  den  fünf  Gymnasialclassen  sassen  zu  Anfang  des  Studienjahrs 
267,  zu  Ende  desselben  233  Schüler.  Gymnasiallehrer  waren  für  V(I)  :  der 
Professor  und  funetionirende  Studiendirector  Fr.  X.  Eisenhof  er ,  und 
als  Aushülfslehrer  der  Lehramtsaspirant  Johann  Georg  Schriefer ;  für 
IV  (II):  der  Professor  Georg  Michael  Breitinger,  zugleich  erster  Re- 
ctoratsassessor  und  Inspector  der  Latein.  Vorbereitungsclassen;  für  III: 
der  Prof.  und  zweite  Rectoratsassessor  Franz  Joseph  Dömling;  für  II: 
der  Prof.  Dr.  Valentin  Maier;  für  I:  der  Prof.  Dr.  Johann  Georg 
Weidmann.  Unterricht  im  Französischen  ertheilte  Carl  Corti,  im 
Zeichnen  A.  H.  Kohler,  in  der  Tonkunst  das  kön.  Musikinstitut.  Zum 
Schlüsse  des  Studienjahres  18§^  (d.  7  Sept.)  lieferte  Breitinger  als  Pro- 
gramm Eine  kleine  A  ehrenlese  aus  den  Briefen  desL. 
Ann.  Seneca.  15  (9)  S,  4.  In  der  Lycealclasse  wurde  durch  kön.  Ver- 
ordnung vom  6  Nov.  1826  der  Unterricht  für  dieses  Studienjahr  ausge- 
setzt und  die  Schüler  der  obern  Gymnasialclasse,  welche  das  Gymna- 
sialabsolutorium  erhielten ,  wurden  an  die  Universität  zum  zweijähri- 
gen Studium  der  allgemeinen  Wissenschaften  gewiesen.  Die  fünf  Gy- 
mnasialclassen zählten  zu  Anfang  des  J.  264  (47,  53,  43,  56,  65),  zu 
Ende  252  (45,  52,  41,  54,  60)  Schüler.  Die  Gymnasiallehrer  blieben 
dieselben.  Vgl.  jedoch  Jbb.  V  S.  218. 


266  Universitätsnach  richten. 

Rostock  im  Wint.  1827  33  akad.  Lehrer,  als  23  ord.  h.  2  ausscr- 
ord.  Proff.  u.  8  Privatdd.,  5  Theol.,  6  Jur. ,  6  Med.,  16  Philo«?. 

Spanien  im  J.  1826  13677  Stud.  Vgl.  Jhh.   III,  2  S.  123. 

Tübingen  im  Wint.  1827  815  Stud.,  darunter  46  Ausländer,  216 
Protestant,  u.  143  kath.  Theol. ,  102  Jur. ,  140  Medic. ,  Pharmaceuten 
u.  Chirurgen,,  176  Philos.  und  38  Cameral. 

Würzburg  im  Sommer  1827  613,  im  Winter  640  Studierende 
[163  kath.  Theol. ,  124  Jur.  u.  Cameral. ,  156  Med.  u.  197  Philos.]. 

Utrecht  im  J.  1827   498  Studierende. 

UpsAtA  im  Herbst  1827  1520  Studierende,  nänil.:  7  Ausländer, 
141  Adelige  ,  358  Predigersöhnc ,  229  Bauernsöhne ,  264  Söhne  nicht- 
adel.  Civilbeamten ,  68  Söhne  nichtadel.  Militärs,  199  Bürger-  und 
Handwerk  e  ohne. 


Angekommene     Briefe. 

T  om  31  Jan.  Br.  von  IL  a.  M.  [Ich  werde  sehen  E.  anderswo 
unterzubringen .] 

Vom  7  März  Br.  v.  G.  a.  K.  [Abhandlungen  nehmen  die  Jahrbü- 
cher unter  den  auf  dem  Umschlag  angegebenen  Beschränkungen  sehr 
gern  auf;  mehrere  eingesendete  entsprachen  aber  den  zu  machenden 
Forderungen  nicht.     Die  versprochene  wird  sehr  willkommen  seyn.] 

Vom  24  März  Packt  von  W.  a.  M.  ,  mit  Lloyd's  Dictionary 
etc.  [Freundlichen  Dank  für  die  Beilagen  und  die  Versicherung  mög- 
lichst schneller  Beachtung.] 

Vom   27  März  Br.  v.  O.  a.  G. 

Vom  30  März  Br.  v.  Th.  S.  a.  H.  [  Freundlichen  Dank.  Der 
Wunsch  wird  berücksichtigt  werden.] 


Zur    Recension   sind    folgende   Werke    versprochen 
worden. 

Urelli:  Inscriptionum  Latin,  amplissima  collectio.  —  Curtius  Rufus 
von  hünemann.  —  Van  Dam  :  Specinien  liter.  inaug.  in  Cicer.  orat. 
pro  Sextio.  —  Die  Programme  zu  Horaz  von  Voss  und  Herbst.  — 
Persii  satirae  von  Plum.  —  Tacitus  Werke  verdeutscht  von  Herrmann. 
Taciti  Agricola  von  Hof  man  -  Peerlkamp.  Die  Programme  zu  Tacitus 
von  Altenburg ,  Greverus ,  Hess  und  Schober.  —  Krebs:  Anleitung 
zum  Lateinischschrciben ,  5e  Aufl.  —  Xenophontis  Memorabilia  von 
Herbst.   —    Sillig :   Catalogus  artificuin. 


Inhalt 

von  des  ersten  Bandes  zweitem  Hefte. 

Lucilii  Aetna.  Recens.  etc.  Fr.  Jacob.  —  Vom  M.  Sillig  in  Dresden.       S.  141  —  160 
Piatonis  Meno.  Prolegg.  et  commentt.  illustr.  G.  Stallbaum.  —  Vom  Dr. 

IVex  in  Pforta 160—175 

G.  de  Humboldt:    Lettre  ä  M.  Abel- Remusat,    de   la  nature  des  formes 

grammaticales  etc.  —  Vom  Dr.  Bach  in  Oppeln.     ....  175  —  190 

Krebs :  Lateinisches  Lesebuch.  —  Vom  Oberlehrer  Dr.  Bonnell  in  Berlin.  190  —  194 

Burchard:  Lateinische  Schulgrammatik.  —  Von  demselben.      .  .  .  194  —  199 

Hanhart:  Lateinisches  Lesebuch.  —  Von  demselben.       ....  199  —  202 

Philippi:  Lateinisch-Deutsche  Sprachübungen.  —  Von  demselbea.       .  .  202  —  204 

Jf'üllner :  De  ejelo  epico  poetisque  cyclicis.  —    Vom  Oberlehrer  Dr.  Bach 

in  Oppeln 204  —  214 

Zur  öffentlichen  Prüfung  der  Zöglinge  des  Domgymn.  in  Halberstadt  1826  ladet 

ein  Maas.  —  Vom  Director  Müller  in  Cöslin 214  —  217 

Nadermann :  Diesen,  de  oda  Horat.  XIV  lib.  III.  —    Von  demselben.        .  217  —  218 
Döderlein :  Lectionum  Homeric.  spec.  I.  —    Vom  Repetent  Dr.    Wals  ans 

Tübingen.  218  —  221 

Leber  9tüv  iv  yovvaot  y.ÜTai.  —     Von  demselben.             ....  221  —  223 
Agathiae  historiar.  libb-  V.  Recens.  Niebuhr.  —  Vom  Professor  M.  Wun- 
der in  Grimma. 223  —  230 

Cicer.  Cato  Major.    Herausgeg.  von  Billerbeck.  \   Vom  Director  Müller  in 

Cicer.  Laelius.   Herausgeg.  von  Billerbeck.  >  Cöslin.  .         ,  230  —  233 

Statu  libb.  V.  Silvarum.  Recens.  Markland.  —   Vom  M.  Jahn  in  Leipzig.  233  —  237 

Miscellen 237  —  244 

Todesfälle » 244  —  245 

Schul  -  und  Universitätsnachrichten  ,    Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  245  —  266 


«S1S1§SS£2£H2SS11E2SS22£22121EM2£1SS*! 


^W^i^lii^ 


JAHRBUCHER 

FÜR 

PHILOLOGIE  und  PÄDAGOGIK. 


Eine  kritische  Zeitschrift 

in  Verbindung  mit  einem  Verein  von  Gelehrten 

herausgegeben 

von 

M.   Joh.  Christ.  Jahn. 


Di'itter   Jahrgang. 


Erster  Band.     Drittes   Heft. 

Oder  der  ganzen  Folge 

Sechster   Band.     Drittes   Heft. 


Leipzig, 

Druck  und  Verlag  von  B.  G.  Teubner. 


18     2     8. 


Si   quid   novisti  rectius   istis, 
Candidus  imperti ;    si  non,    his   ntere  mecum. 


Griechische    Litteratur. 


Grundzüge  zur  Metrik  der  Griechischen  Tragi- 
k  e  r.  Von  A.  Mundt.  Berlin ,  Kikolaische  Buchhandlung.  1826. 
VI  und  62  S.  gr.  8.  6  Gr. 

[Vgl.  Jahrbh.  Bd.  V  S.  377.] 

.Herr  Mundt  beginnt  die  kurze,  fast  nachlässig  geschriebene 
Vorrede  mit  den  Worten  :  „Der  Verfasser  glaubte  mit  Gegen- 
wärtigem einem  wirklichen  Bedürfnisse  unserer  gelehrten  Schu- 
len abzuhelfen.  Es  ist  dem  Lehrer,  auch  bei  dem  besten  Wil- 
len, nicht  möglich,  auf  eine  nähere  Erläuterung  der  Vers- 
inaasse einzugehen.  Der  eigentliche  Zweck,  weshalb  er  mit 
seinen  Schülern  die  Tragiker  liest,  und  die  beschränkte  Zeit 
verbieten  es  ihm.  Daher  ist  nichts  häufiger ,  als  dass  der  lyri- 
sche Theil  des  Dichters ,  wo  die  gewöhnlichen  Verse  aufhören, 
ganz  wie  Prosa  betrachtet  und  gelesen  wird,  wodurch  dem  Schü- 
ler jene  geistige ,  den  jungen  Sinn  an  Wohllaut  und  Melodie  ge- 
wöhnende Musik  der  Alten  gänzlich  verloren  geht.  Diesem,  so- 
weit es  möglich  ist,  abzuhelfen,  fehlt  ein  deutliche  Kürze  mit 
Wohlfeilheit  vereinendes  Handbuch ,  welches  die  bei  den  Tragi- 
kern üblichen  Metra  erläutert,  woraus  der  Schüler  sich  mit 
Leichtigkeit  selbst  unterrichten  und  Ruth  holen  könnte.'"' 

HiegegenistDreierlei  zusagen.  1)  Wenn  sich  der  Gymna- 
siast selbst  für  die  Unterabtheilungen  der  Schulstudien 
einzelne  Lehrbücher  anschaffen  soll,  wo  wird  das  Anschaffen 
enden*?  und  wie  kann  er  eine  so  grosse  Masse  von  Büchern  in 
die  Klasse  mitbringen?  Die  Grammatiken  vonMatthiä,  O.Schulz, 
ein  Horaz,  etwa  der  Baxter  -Gesner-Zeune -Bothische,  oder 
auch  der  Döringsche,  eine  Uiade,  Lacroix's  Trigonometrie, 
Vega's  Logarithmen  und  eine  Bibel  nebst  den  nöthigen  Heften 
kann  er  gar  leicht  an  demselben  Vormittag  brauchen;  und  doch 
hat  in  grösseren  Städten  mancher  Gymnasiast  täglich  mehr  als 
eine  Deutsche  Meile  ins  Gymnasium  und  wieder  nach  Hause 
zu  gehn.   Sollen  wir  ihm  zu  diesen  und  anderen  unerlässlichen 

18* 


270  Griechische  Litt  erat  in 

Büchern  noch  eine  allgemeine  Griechische  Metrik ,  und  eine 
zweite  für  die  Griechischen  Tragiker,  eine  Lateinische  und 
eine  Deutsche  Metrik  aufbürden'?  Und  wenn  vollends  jeder 
Lehrer  in  seinem  Fach  dasselbe  thun  wollte!  —  Es  wird  hier 
wohl  nicht  der  unrechte  Ort  sein  einmal  auf  diesen  Uebelstand 
aufmerksam  zu  machen,  den  man,  wie  es  das  Ansehn  hat, 
nicht  sieht  oder  nicht  sehen  will.  Die  Folgen  desselben  sind 
unschwer  zu  erkennen:  der  Schüler  bringt  dies  und  jenes  Buch 
nicht  mit  in  die  Klasse ,  oder  er  nimt  es  von  dort  nicht  wie- 
der mit  nach  Hause:  in  beiden  Fällen  leiden  Vorbereitung  und 
Wiederholung  darunter.  Ausserdem  sind  der  Jugend  wenige 
hinreichende  Bücher,  die  sie  gründlich  kennen  lernt,  sowohl 
für  ihre  wissenschaftliche  als  für  ihre  Charakterbildung  weit 
zuträglicher  als  eine  Menge  Bücher  zum  Durchblättern  und  Nach- 
schlagen. Ich  habe  diesen  Gegenstand  schon  1821  in  einer  be- 
sonderen, auch  in  den  Buchhandel  gekommenen  Schrift  „über 
die  Einheit  de?'  Schule"  behandelt.  Hier  daher  nur  so  viel.  Soll 
der  Schüler  mit  den  erforderlichen  Büchern  versehn  werden,  und 
sollen  diese  Bücher  nicht  dies  und  jenes  zwei- und  dreimal,  ande- 
res aber  gar  nicht  lehren,  so  darf  man  sie  nicht  von  allen  En- 
den Deutschlands  zusammensuchen  —  denn  es  passt  natürlich 
keins  zum  andern,  weil  keins  mit  Rücksicht  auf  das  andere 
ausgearbeitet  ist  —  vielmehr  sind  sämmtliche  Schulbücher  ei- 
ner Lehranstalt,  und  namentlich  auch  die  Wörterbücher,  nach 
Einem  umfassenden  Lehrplane  zu  entwerfen.  Das  Format  an- 
langend ,  dürfte  ein  mittleres  Quart  —  und  zwar  für  sämmtli- 
che Bücher  ganz  dasselbe  —  dem  Oktavformate  vorzuziehen 
sein.  Abgesehn  davon,  dass  sich  die  Dicke  der  Bände  hie- 
durch  vermindert ,  entsteht  auch  für  manchen  Gegenstand  der 
nöthige  Ueberblick  des  Zusammengehörigen,  ohne  dass  man 
zu  den  unbequemen  eingehefteten  Foliotabellen  seine  Zuflucht 
zu  nehmen  braucht. 

2)  Der  Zeitaufwand,  den  die  Metrik  erfordert,  soweit  sie 
Lehrgegenstand  der  Schulen  sein  darf,  ist  nicht  so  gross,  als 
der  Hr.  Verf.  nach  seiner  obigen  Aeusserung  zu  glauben  scheint. 
Wo  er  es  aber  dennoch  ist ,  da  trägt  gewiss  das  ungeübte  Ohr 
der  jungen  Leute  die  Schuld,  und  die  Schuld  dieser  Schuld 
das  Gymnasium,  das  die  Uebung  des  Ohres  und  der  mit  ihm  in 
Wechselwirkung  stehenden  Sprachorgane  in  den  Lese-  und  De- 
klamirstunden  und  überhaupt  in  den  sprachlichen  Lehrstunden 
der  unteren  und  mittleren  Klassen  versäumt  und  es  so  an  der 
nöthigen  Vorbereitung  für  die  oberen  fehlen  lässt.  Tertianer, 
die  —  etwa  nach  dem  zu  diesem  Behuf e  unter  dem  Titel  ,,//e- 
'phaestion"  geschriebenen  Lehrbüchlein  —  in  Deutschen  Tro- 
chäen, Iamben  und  Hexametern  geübt  werden,  wozu  Eine, 
in  zahlreichen  Klassen  zwei  Stunden  monatlich  hinreichen,  fas- 
sen als  Primaner  mit  Leichtigkeit  jeden  Rhythmus  der  Griechi- 


MuncU :  Grundzüge  zur  Metrik  der  Griccli.  Tragiker.  211 

sehe»  Tragiker  auf,  so  dass  ihnen  nur  der  Vortrag  schnell  und 
wiederholentlich  wechselnder  Rhythmen  Mühe  verursacht. 
Diese  Mühe  heht  aber  kein  Unterricht,  sondern  nur  Ucbung, 
indem  der  Schüler  die  —  aucli  metrisch  erläuterten  —  Chor- 
gesänge auswendig  lernt  und  in  der  Klasse  deklamirt. 

Das  hier  Gesagte  bitte  ich  nicht  als  einen  wohlgemeinten 
aber  ungeprüften  Vorschlag  anzusehn,  sondern  als  das  sichere 
Ergebniss  vieljähriger  eigener  Erfahrung.  Uebrigens  erkläre 
ich  mich  nicht  gegen  ein  Lehrbuch  der  Verskunst,  sondern  Hin- 
gegen ein  Lehrbuch  der  Verskunst  der  Griechischen  Tragiker. 
Ein  Griechische,  Kömische  und  Deutsche  Verskunst  umfassen- 
des Handbuch  ,  durch  welches  in  den  Grammatiken  der  Ab- 
schnitt über  Metrik  erspaart  wird,  scheint  mir  vielmehr  sehr 
wünschenswerth. 

3)  Wie  überaus  speciell  auch  der  Zweck  des  vorliegenden 
Buches  ist ,  so  hat  ihn  doch  der  Hr.  Verf.  entweder  gar  nicht 
oder  nur  sehr  unvollkommen  erreicht ,  indem  sein  Unterricht 
theils  mangelhaft ,  theils  gar  unrichtig  ist.  Folgende  Bemer- 
kungen werden  dies  zur  Genüge  darthun,  ohne  Hrn.  M.  zu 
kränken,  der  vielleicht  ein  angehender  Schulmann  ist,  und  über 
dessen  anderweitiges  Verdienst  weder  sein  Büchlein  noch  mein 
Urtheil  abzusprechen  gestattet. 

Schon  §  1  ist  höchst  bedenklich  :  „Rhythmus  ist  eine  in 
bestimmten  ,  gleichmässigen  Abwechslungen  hinschwebende  Be- 
wegung,  deren  einzelne  Theile  zu  einer  gewissen  Idee  zusam- 
mengeführt sind,  und  auf  diese  nach  dem  Verhältniss  ihrer 
Kräfte  zusteuern.  Dadurch  entsteht  die  reizendste ,  harmoni- 
sche Einheit  in  Tanz,  Musik,  Sprache  und  Metrum,  welche 
alle  in  dieser  Hinsicht  von  einem  ttnd  demselben  Begriffe  aus- 
gehn.  Nur  eines  davon  ist  das  Allgemeinere ,  nämlich  die  Mu- 
sik ,  in  welcher  alle  übrigen  einen  geistigen  Vereinigungspunkt 
finden.1'''  —  Ich  enthalte  mich  aller  Erörterung  einer  für  schwie- 
rig angesehenen,  und  wenigstens  sehr  verschieden  gegebenen 
Erklärung  des  Rhythmus ;  aber  das  hier  Gesagte  kann  wohl 
niemand  genügen,  am  wenigsten  Anlangern.  Wie  wunderlich 
filmt  sich  das  „hinschwebe  nd'-1'  aus,  wodurch  ja  gerade  eine 
ungegliederte ,  ununterbrochene  Bewegung  bezeichnet  wird  ! 
wie  wunderlich  das  „zusammenführen,"  welches  fast  unwider- 
stehlich an  Körperliches  zu  denken  zwingt !  wie  wunderlich  der 
Ausdruck :  „nach  Verhältniss  der  Kräfte  auf  eine  Idee  zusteu- 
ern"\  Und  die  zweite  Periode  —  ist  sie  besser  ausgedrückt'? 
Welcher  Schüler  kann  das  ohne  Lehrer  gehörig  verstehn*?  und 
welcher  Lehrer  nicht  in  kürzerer  Zeit  eine  bessere  Erklärung 
geben  als  diesen  Paragraphen  erläutern?  —  Die  hinzugefügte 
Ableitung:  §v&nog  von  geca,  qvbco  ist  nicht  gewiss,  und, 
nach  meiner  Ueberzeugung,  falsch.  Die  Alten  leiten  Qv&fios 
mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  von  Qva  (eqvco)  ab.    —    §2 


272  Griechische  Liitcratur. 

heisst  es :  „die  einzelnen  Theile  desselben"  (es  geht  Vers  und 
Metrum  vorher)  „nennt  man  Fussel  Hiernach  sind  also  auch 
die  einzelnen  Längen  und  Kürzen  Füsse.  Weiter :  „Ein  Fuss, 
welcher  in  der  Arsis  steht ,  hat  den  rhythmischen  Accent  oder 
Ictus."  Zwar  kann  ein  ganzer  Fuss  in  der  Arsis  stehn,  aber 
den  Ictus  hat  nur  die  in  der  Arsis  stehende  Sylbe  des  einzelnen 
Fusses.  Wollte  man  aber  auch  dem  Hrn.  Verf.  dies  zugeben, 
so  durfte  er  doch  den  Ictus  einzelner  Sylben  nicht  übergehen. 
—  In  §  3  erklärt  Hr.  M.  im  Deutschen  die  Auflösung  der  Länge 
in  Kürzen  für  unmöglich;  er  meinte  aber  offenbar  nur  die  Auf- 
lösung der  betonten  Länge ;  denn   warum  man  z.  B.  lesbar  ( — 

— )  nicht  in  leserlich  ( — ^J)  auflösen  könnte,  ist  gar  nicht  ab- 
zusehn.    —    §4  werden  die  Füsse  aufgezählt  und  —  was  An- 

dere  mit  Recht  vermieden  haben  —  sämmtlich  betont,  z.  B.  *»  ~, 

,  obgleich  die  Betonung  ^y, ,     eben    so    richtig 

wäre.  —  §  5:  „Werden  mehrere  Füsse  unter  einander'-''  (unter 
einander?)  „zusammengestellt,  so  entsteht  eine  Reihe  {ordd), 
mehrere  Reihen  bilden  eine  Strophe."  Und  was  bildet  denn  nun 
den  Vers?  Auch  musste  nicht  gesagt  werden,  dass  man  die 
Reihen  messe,  indem  man  zwei  und  zwei  Füsse  zusammenfasse, 
obschon  sich  aus  dem  Nachfolgenden  die  nöthige  Beschränkung 
ergiebt.  Was  es  heisse ,  der  Anapäst  werde  nach  Dipodien  ge- 
messen, und  gewinne  dadurch  (mit  dem  Daktylus  verglichen) 
viel  an  Mässigung ,  werden  die  Leser  wohl  mit  nicht  mehr 
Sicherheit  angeben  können  als  ich.  —  Gleich  darauf,  §  6, 
heisst  es :  „Bei  künstlichen  Rhythmen  achtet  man  vorzüglich  dar- 
auf passende  Versfiisse  als  Einleitung  oder  Schluss  zu  wählen. 
Im  ersteren  Falle  heisst  ein  solches  Versglied  Basis,  im  lezte- 
ren  Katalexis."  —  Ich  lasse  mir's  gefallen,  dass  der 
Schüler  nach  beendigter  Lesung  des  ganzen  Buches  die  Einlei- 
tung wiederhole,  glaube  aber,  dass  er  aus  dergleichen  Erklä- 
rungen auch  dann  nichts  lernen  werde  als  —  sich  mit  Unver- 
dautem begnügen.  Der  kürzeste  und  sicherste  Weg  in  diesen 
Dingen  ist,  sie  an  dem  ersten  vorkommenden  Falle  zu  lehren, 
beim  zweiten  und  dritten  zu  erweitern  und  einzuprägen ,  und 
zulezt,  wenn  des  Schülers  Kenntniss  eines  Gegenstandes  einen 
hinreichenden  Umfang  gewonnen  hat ,  volle  Ordnung  und  Voll- 
ständigkeit hineinzubringen;  denn  so  viel  Ordnung  schon  das 
Bruchstück  zulässt ,  darf  auch  diesem  nicht  versagt  werden.  — 
§7,  wo  von  den  verschiedenen  Versschlüssen  die  Rede  ist, 
fehlt  die  Unterscheidung  des  xccTaXrjKUKÖv  Big  diövllaßov  und 
slg  CvAlccßijv.  Hieraus  ergiebt  sich  die  Unvollkommenheit  der 
Erklärung:  „den  überzähligen  Fuss  nennt  man  Ueberschlag- 
sylbe."  —  §  8  erklärt  der  Hr.  Verf.  die  Caesur  so ,  dass  sie  der 


Munclt:   Grundzüge  zur  Metrik  der  Griech.  Tragiker.  213 

Widerstreit  des  Metrums  und  der  Rede  sei.  Allein  diese  Er- 
klärung ist  viel  zu  weit.  Oder  ist  etwa  auch  der  Widerstreit 
der  Wortbetonung  und  der  metrischen  Betonung  Caesur'?  Me- 
trische Betonung  kann  —  wenigstens  Hr.  M.  nicht  abweisen,  da 
6*  oben  das  Schema  der  Füsse  betont  hat.  Auch  das  ist  nicht 
ganz  zu  billigen,  dass  die  Theilung  eines  Worts  durch  zwei 
Versfüsse  Caesur  genannt  wird.  Endlich  ist  es  auch  höchst 
unnatürlich,  mit  dem  Hrn.  Verf.  anzunehmen,  dass  in  dem 
Verse 

7tQog  öoftovg  (3TSl%ovtcc,  rtccvöcö  (]  xovg  naosötcörag  yoovg 
der  Abschnitt  den  Sinn  des  Ganzen  auffallend  hemme  und  durch 
eine  lange  Pause  aus  einander  ziehe.  Ab-  und  Einschnitte, 
die  mit  dem  Sinn  der  Worte  streiten,  mussten  vielmehr  vom 
Schauspieler  so  leise  und  wenig  störend  als  möglich  angedeutet 
werden. 

Nach  dieser  Einleitung  folgen  die  Grundzüge  selbst.  Hier 
heisst  es  gleich  §  1 :  „Demgemäss  hat  sich  ein  stehendes  Vers- 
maass  für  sie1-1"  (die  Handlung)  „gebildet,  welches  nur  dann  un- 
terbrochen ivird ,  wenn  ein  Anhauch  von  der  Lyrik  des  Chors 
in  den  Dialog  hineinweht.''''  Was  soll  ich  es  verhehlen?  diese 
Art  von  Metaphern  in  Lehrvorträgen,  welche  ihrer  allgemeinen 
und  besonderen  Natur  nach  die  grösste  Einfachheit  und  Deut- 
lichkeit fordern,  ist  zu  aller  Zeit  fehlerhaft  gewesen,  aber 
jezt,  wo  man  von  mehr  als  Einer  Seite  darauf  denkt,  das 
Denken  der  Anderen  aus  der  Gewohnheit  zu  bringen  und  ein 
blaues  Dunstwesen  dafür  einzuführen,  damit  jedes  Ding  alles 
und  auch  nichts  sei  — jezt  ist  diese  Manier  vollends  Gift.  Es 
ist  so  leicht  und  so  sehr  an  der  Tagesordnung  sich  durch  un- 
bestimmte ,  zerfliessende  Bilder  ein  geistreiches  Ansehn  zu  ge- 
ben, statt  bündig  zu  denken,  dass  wir  unsere  ohnehin  ziemlich 
denkscheue  Jugend  vielmehr  zu  der  weit  heilsameren  Kyriole- 
xie  ermuntern  als  ihr  das  entgegengesezte  Beispiel  geben  soll- 
ten. Wie  musterhaft  ist  in  dieser  Hinsicht  der  Stil  in  Her- 
mann's  und  Böckh's  metrischen  Werken!  —  §  2.  Da  Hr.  M.  nur 
von  den  Yersmaassen  der  Griechischen  Tragödie  handeln  will, 
so  musste  er  entweder  die  Benennung  Senar  ganz  übergehn, 
oder  den  Senar  vom  Trimeter  sorgfältig  unterscheiden.  Den 
„mächtigen  Auftritt ,"  der  ihm  hier  beigelegt  wird ,  hat  er  an 
und  für  sich  keinesweges.  Oder  was  ist  Mächtiges  zu  hören  an 
dem  Verse : 

itakai  jröV  löri  xovx>  e^iol  dsdoypsvovl 
Die  nun,  folgende  nähere  Angabe  der  Regeln  des  Trimeters  ist 
in  gleichem  Grade  fehlerhaft  und  mangelhaft,  und  doch  war 
es  dem  Schüler  besser  sich  eine  gründliche  Kenntniss  der  gang- 
barsten ,  als  eine  oberflächliche  aller  Versmaasse  zu  erwerben. 
Den  Daktylus  gestattet  Hr.  M.  „an  allen  den  Stellen,  wo  der 
Spondeus  Stattfindet,"  den  Anapäst  „nur  im  ersten  und  vor- 


27-1  Griechische   Litteratur. 

letzten  Fusse."  Nichts  wird  gesagt  von  Porson's  Observation 
über  den  Kretischen  Schluss,  nichts  von  Wunder' s  über  den 
Tribrachys  des  vierten  Fusses ,  nichts  von  der  Absicht ,  in  wel- 
cher die  dreisylbigen  Füsse,  zumal  verdoppelt  und  verdrei- 
facht, gebraucht  werden,  nichts  vom  Unterschiede  der  älteren 
und  der  jüngeren  Tragödie.  —  Nicht  besser  wird  §  4  der  tro- 
chäische Tetrameter  behandelt.  §  5  soll  Aeschylus  das  Gross- 
artige und  Pomphafte  seines  Trimeters  durch  Spondeen  bewirkt 
haben.  Hierin  dürften  ihm  Sophocles  und  Euripides  kaum  nach- 
stehn,  wohl  aber  in  dem  Ausdruck  seiner  kühnen  Gedanken 
durch  eben  so  kühn  gebildete  kolossale  Wörter  und  ungewöhn- 
liche Wortverbindungen  und  durch  den  austeren  Charakter  der 
Composition,  den  Dionysius  ihm  ,  wie  dem  Pindar  und  Thucy- 
dides  beilegt. 

Mit  §  7  fängt  der  Hr.  Verf.  an  die  lyrischen  Versarten  ab- 
zuhandeln, und  zwar  —  was  wohl  nicht  zu  billigen  ist  —  zu- 
erst die  logaödischen.      Sophokl.  Ant.  351  —  353  giebt  er  als 
anapästisch-logaödisch   in  folgender  Gestalt: 
Xa6iuv%Bvu  -fr'  ijctiov  vza^sxat,  d(i  - 
(pikocpov  £,vy6v,  ov  - 
quqv  t'  ädprjtci  tccvqov. 

Erst  §  10  folgen  die  rein  -  daktylischen  Versarten,  wobei 
der  Hexameter  bloss  als  heroischer  betrachtet ,  und  dennoch 
der  bukolischen  Caesur  nicht  einmal  gedacht  wird.  Wie  S.  14 
der  Hr.  Verf.  von  den  Versen 

ßo6TQv%ov  dfijtBtdöas  hcarov  kcctix  nvBv^arcc  hbXtcel 

[lOVÖUV,    iv  a  %CIQLTSS  %OQ07tOlOl 

sagen  konnte:  „Wiederum  ein  iambischer  {in  Anapästen  ausge- 
hender} Schlusspunkt^  ist  schwer  zu  begreifen,  wenn  man  nicht 

t 
annimt,  er  habe  [tovöav  Iv  als  Antibacchius  ( ~)  gemes- 
sen; einige  ähnliche  Uebereilungen  berechtigen  allerdings  zu 
dieser  Annahme.  Eben  so  unbegreiflich  sind  die  unmittelbar 
darauf  folgenden  Worte:  „Ein  solcher  ist  natürliches  Bedürf- 
nisse Was  denn  für  einer?  und  wann?  ein  iambisch- ana- 
pästischer? Hier  sind  aber  weder  Iamben  noch  Anapästen. 
Und  wenn  sie  wirklich  hier  wären ,  so  sind  sie  doch  in  hundert 
anderen  Schlüssen  nicht.  So  höchst  bedenklich  ist  es  Not- 
wendigkeiten nachweisen  zu  wollen,  wo  dem  Dichter  mehrere 
gleich  passende  Formen  vergönnt  sind. 

§  11  wird  wieder  zu  den  Iamben  übergegangen.  Den  Vers 
sqcotbs  vjiIq  [isv  äyuv  mit  dem  Hrn.  Verf.  für  einen  iambischen 
zu  nehmen ,  dazu  berechtigt  die  unmittelbare  Folge  eines  iam- 
bischen Verses  keinesweges.  Nun  folgen  in  demselben  Para- 
graphen die  asynartetischen  Iamben,  „rf.  h.  solche,  die  nicht 
ganz  fest  zusammenhängen.  —  Es  zerfallen  diese  Verse  in  zwei 
Theile,    welche  durch    eine   gewisse   Kluft  von   einander  ge- 


Mundt:  Grundzüge  zur  Metrik  der  Griech.  Tragiker.  275 

trennt  smd.u  Wie  hängen  sie  nicht  fest  zusammen?  und  was 
für  eine  Kluft  ist  diese  gewisse  Efctft?  Warum  folgte  doch  Hr. 
M.  nicht  lieber  seinen  Vorgängern'?  Waren  sie  ihm  zu  gering'? 
oder  glaubte  er  dadurch  zumPlagiarius  zu  werden'?  —  Wie  zu 


dem  hier  angegebenen  Schema  vj  —  ^ ~  —  o der 

Vers  leo  ico  Öco^lu  ,  Öco^a  aal  tiqÖ^iov  passen  solle,  ist  nicht  ab- 
zusehn.  Ob  dieser  Vers  ein  asynartetus  sei  oder  nicht,  dar- 
über will  wenigstens  ich  nicht  streiten;  Hephaestiou  und  Her- 
mann kennen  ihn  nicht  als  solchen,  wiewohl  lezterer,  den  hier 
Hr.  31.  nachlässig  absein  ich ,  ihn  im  Abschnitt  von  den  Anti- 
spasten  anführt,  Elem.  metr.  S.  232;  Epitom.  §  222.  Es  sei 
vergönnt  meine  eigene  Ansicht  von  diesem  Verse  mitzutheilen. 
Brunck,  Hermann,  Bothe,  Reisig,  Wunder,  und  G.  C.  W. 
Schneider  nehmen  ihn  für  ein  doppeltes  iambisches  Penthemi- 
meres ,  Elmsley  für  einen  Diiambus ,  Creticus  und  Bacchius. 
Ich  meinestheils  habe  ihn  immer  für  eine  iambischeDipodie  mit 
nachfolgendem  Ithyphallicus  gehalten,  und  finde  auch  jezt  noch 
keinen  Grund  meine  Ansicht  zu  ändern  *).  Ich  stüze  mich  aber 
auf  Dreierlei:  1)  Der  Ithyphallicus  ist  in  dieser  Gattung  von 
Versen  —  man  nenne  sie  nun  asynartetische  oder  anders  —  fast 
herrschend.  Man  vergleiche  Hermann  a.  a.  0.  oder  Ilephaestion 
c.  15.  2)  Die  Verbindung  der  Thesis  mit  der  Thesis  hat  etwas 
Unangenehmes.  Vergl.  Böckh  de  Metrr.  Pind.  §  175  f.  Ihr 
etwaniger  Gebrauch  lässt  eine  absichtliche  Nachahmung  der 
Erschlaffung ,  Rathlosigkeit  und  ähnlicher  Zustände  voraus- 
sezen.  Mit  dergleichen  hat  aber  z  B  des  Sophocles  heiterer 
Preisgesang  auf  Kolonos,  in  welchem  dieser  Vers  sechsmal  vor- 
kommt, durchaus  nichts  zu  thun.  Hicnach  würde  es  unpas- 
send sein  die  fünft'  und  sechste  Sylbe  in  diesem  Vers  als  dop- 
pelte Thesis ,  passend ,  sie  als  doppelte  Arsis  zu  betrachten. 
3)  Nicht  nur  in  diesen  sechs  Steilen  ■ —  Eine  ausgenommen, 
auf  die  ich  nachher  zurückkomme  —  sondern  auch  in  sechs  an- 
deren aus  der  Antigone,  in  zehn  Stellen  aus  dem  Agamemnon 
und  in  vier  Stellen  aus  den  Herakliden ,  welche  sämmtlich  von 
Reisig  zu  Oed.  Col.  694  angeführt  werden,  ist  die  fünfte  Sylbe 
dieses  Versmaasses  stets  eine  Länge,    die  sechste  stets  eine 


*)  Lange  hab'  ich  mich  vergebens  nach  einem  Gewiihrsinanne 
umgesehn.  Endlich  finde  ich  noch  nach  dem  Thor'schlusse  zu  Euri- 
pid.  Orest.  968 ,  979  Barn. : 

CTQatrjlaTtov  EkXäSog  not    ovtcav 
ßgoreöv  d'  (f  nag  c'cGzü&fxrjTOs  alcov.  — 

die  Erläuterung   des   freilich  nicht  hoch  anzuschlagenden  Scholiasten: 
ro    tu.  dovvuQt7]Tov    f£   iafißiKjjg    ßüötcos    koci  Tqo%KiKov    i^vcpc^liyiov. 


276  Griechische  Litte  rat  ur. 

Kürze.  Elmsley  zu  Oed.  Col.  700  fügt  noch  sechs  Stellen 
ans  dem  Agamemnon  hinzu  mit  dem  Bemerken :  „Si  me- 
liores  libros  consuluisset  Reisigius,  non  decem,  sed  sede- 
eim  ese?npla  in  Aeschyli  Agamemnone  reperisset."  Allein 
Reisig  sagt  ja  am  Schlüsse  seines  Citates  ausdrücklich:  „et 
identidem  ibidem."  Uebrigens  hat  sich  Elmsley  selber  nicht 
die  Mühe  gegeben,  die  von  ihm  angeführte  Blomfieldsche  Aus- 
gabe genau  anzusehn;  denn  schon  ein  flüchtiger  Blick,  den 
ich  darauf  werfe  —  ich  habe  aber  die  zweite  1822  zu  Cam- 
bridge erschienene  Originalausgabe  vor  Augen  —  bietet  noch 
folgende  von  Elmsley  übersehene  Verse,  welche  ich  in  der  Ord- 
nung, wie  sie  einander  entsprechen,  hersezen  will. 

188)  vecov  xe  %a\  7tEi6[idxcdv  äcpEiÖEig 

201  itEKvov  dccl%G> ,  öoficov  dyaX^ia  — 

399) Tad'    EVVETtOVXEg   66[10V  TtQOCpljXCCL 
41o{^T£OOlg    ÖttCcdoLQ   VTtVOV  KtXbV&OlS 

1425)ftöAot  xov  cchl  cptgov ö'  iv  rjplv 
144G|jtoaTos  x'  löoxpv%ov  8%  yvvawäv — 
1508 \d^ri%ava ,  cpoovxidcov  ÖTSQTj&sig 
1531 S  övsLÖog  tfxEt  xod'   dvx'  ovEidovg  — 
1510)  ona  xodTtcopai ,  %lxvovxog  o'ixov 
1539)qpfp£t  (pSQOvr',  ekxlvei  d'  6  aaivcav  — 
1512)  xov  al^axriQov'  ipsxäg  dl  l^yEi 
VbWSTtci&zlv  xov  sg^avxa'  &e6{ilov  ydg  — 
Auch     in    anderen    Tragoedien    gebraucht   Aeschylus    diesen 
Vers.     Sept.  c.  Th.911,  922;  912,  923;  916,  600  Dind.    Mit 
Auflösung  der  ersten  Länge  hat  ihn  Sophokles  in  der  Elektra 
152,  110;  153,  171  Wund.: 

Ingos  ö  xi  6v  xcöv  evöov  Ei  rtEgiööd 
[ZBvg,  ög  iepoga  ndvxu  aal  xgaxvvEi  — 
loig  6(io&ev  si  nal  yovä  £,vvcu[iog 
\co  xov  vnsQaXyfj  ibkov  ve^iovöu  — 
Warum  sollten  nun  in  so  zahlreichen  Stellen  niemals  die  For- 
men 


vorkommen,  wenn  beide  Theile  iambisch  wären?    Die  Mes- 
sung 


dagegen ,  welche  schlechterdings  die  fünfte  Sylbe  kurz ,  und 
die  sechste  lang  fordert,  erklärt  jene  Itegelmässigkeit  auf  das 
genügendste. 


Mundt:  Grundzüge  zur  Metrik  der  Griech.  Tragiker.         277 

Ich  komme  jezt  auf  die  oben  angedeutete  Ausnahme ,  Oed. 
Col.  702: 

tb  [isv  zig  ovze  veog  ovze  yrjQy, 

wo  Hermann  ov  vkog  schreibt,  während  Elmsley,  Reisig,  Wun- 
der die  Porsonsche  Schreibung  ov  vsagog  aufnahmen,  welche 
sich  auf  die  ältere  Lesart  ovze  vsagog  stüzt.  Ov  vsagog  halte 
auch  ick  für  das  ächte:  denn  einmal  passt  es  in  das  von  mir 
wahrscheinlich  gemachte  Metrum,  und  zum  andern  enthält  die 
Auflösung  des  Trochäus  in  einen  Tribrachys  hier  eine  ange- 
nehme Malerei  der  jugendlichen  Hize  des  Xerxes  im  Gegen- 
saz  zu  dem  bejahrten  Archidamus.  Ov  viog  entspricht  den 
so  zahlreichen  Versen  in  diesem  Metrum  nicht.  Electr.  1097, 
worauf  Hermann  verweist ,  hat ,  nach  dem  von  ihm  aufgenom- 
menen Zrjvog  den  erforderlichen  Trochäus;  und  Philoct.  1217: 
davaolg  ägayog'  Uz'  ovÖsv  slpl,  ist  wegen  des  pyrrhichischen 
Auftaktes  und  des  Unterscheidungszeichens  nach  agayog  doch 
von  zu  geringer  Aehnlicbkeit.  Nach  meinem  Gefühl  muss  Uz' 
ovdev  slfii  allein  den  Schlussvers  bilden,  um  die  an  Vernichtung 
gränzende  Verzweiflung  auszudrücken.  Aus  eben  diesem  Grunde 
scheint  mir  Sophokles  auch  den  Gedanken  selbst  auf  so  wenige, 
winzige  Worte  beschränkt  zu  haben.  Auch  neuere  Meister 
drücken  inneren  Schmerz ,  Niedergeschlagenheit,  dumpfe  Ver- 
zweiflung und  ähnliche  Seelenzustände  auf  eben  diese  Art  aus. 
Händel,  in  so  Vielem  bewundernswerth,  ist  es  nicht  weniger 
im  Ausdruck  solcher  Gefühle.  Man  vergleiche  nur  in  seinem 
Judas  Maccabäus  gleich  den  ersten  Chor  und  später  die  Arie : 
„Du  sinkst,  ach  armes  Israel^  mit  dem  sich  daran  schliessen- 
den  Chorgesange ;  und  eben  so  im  Samson  und  im  Said  die 
Chöre:  „/Ar  Thränen ,  fliesst !u  und:  „Klagt,  jammert  laut!" 
—  Auch  Electr.  137  und  152  wird  Strophe  und  Antistrophe  von 
diesem  iambischen  Penthemimeres  beschlossen.  Einige  andere 
Verse,  die  man  noch  hieher  ziehn  könnte,  wie  Aj.  706  und 
719,    haben  meines  Erachtens   einen    logaödischen   Ausgang: 

—  >->  ^  —  ^ .  Antig.  806  und  823:   rjxovtia  drj 

Xvygoxdzav  6Xiö%ai ,  misst  auch  Wunder  nicht  anders.  Obi- 
gen Versen  ist  folgender  nicht  unähnlich:  >-> ~ — ^ , 

den  man  so  zu  messen  pflegt :  <-> ^  —  - .In  Er- 
wägung des  bisher  Gesagten,  und  dass  die  vierte  und  fünfte 
Sylbe  dieses  Verses  stets   einen  Trochäus  bilden,   würd'  ich 

ihn  lieber  so  messen  :     ~ | —  ~  —  o Mit   einem 

Amphibrachys  oder  Amphibacchius  kann  er  nicht  anfangen, 
weil  er  sonst  von  einem  iambischen  Dimeter  nicht  zu  unter- 
scheiden wäre.     Weniger  hat  man  auf  diese  Beschränkung  zu 


278  Griechische   Litte  rat  m. 

achten ,  wo  statt  des  Trochäus  ein  Daktylus  eintritt ,  wie  Oed. 
Col.  518: 


XQy^G),  £ev',  oqQov  ukovö^    ccxovöcu. 

Diese  meine  ahweichende  Ansicht  hindert  aher  nicht  zu  erken- 
nen, dass  unter  gewissen  Umständen  diese  angeführten  Verse, 
gleich  vielen  anderen,  eine  doppelte  Messung  gestatten,  über 
welche  der  Inhalt  und  die  ganze  Anordnung  eines  Gesanges 
entscheiden. 

Nach  dieser  Avissenschaftlichen  Erörterung,  kehre  ich  zu 
dem  vorliegenden  Werklein  zurück.  §  12  stelm  als  Beispiele 
trochäischer  Dimeter  die  Verse : 

iTtuQ&kvoiöt   &qßuLCCl6l, 

\yalav ,  a  viv  bvülotöi  — 
und  ein  aus  sieben  Längen  bestehender  Vers  wird  ein  iambi- 
scher  genannt,  indem  Hrn.  M.  steigende  Spondeen  geradezu  als 
Iamben  gelten.  Von  trochäischen  Systemen,  und  früher  schon 
von  iambischen  kein  Wort.  Eben  so  wenig  wird  der  Ithyphal- 
licas  vom  dimeter  brachycatalectus  unterschieden.  Als  trochäi- 
sche Asynarteten  erhalten  wir  aus  Oed.  It.  1208:  a  {leyag  At- 
ft^v  avtög  tJqxeöe,  während  der  gleich  folgende  Vers:  naiöi 
aal  natQi,  drei  gleiche  Verse  anzunehmen  räth,  womit  die 
Antistrophe  genau  übereinstimmt.  Gleiche  Messung  ertheilt 
Hr.  M.  den  Worten:  %bv  öov  dal^ova^   %6v  <5ov ,  d>  xKä^iav. 

Den  Vers  —  ~ ~  ^  —  *-  <~ theilt  er  nach  der 

fünften  Sylbe,  obgleich  ausser  anderen  Gründen  schon  die 
Länge  der  vierten  Sylbe  den  daktylischen  Ausgang  anräth.  Den 
Uebergang  aus  Trochäen  in  Daktylen  nennt  Hr.  M.  eine  Auflö- 
sung. Was  an  dieser  Behauptung  wahr  sein  mag,  gebort  der 
Musik  an  und  kann  vom  Schüler  aus  vorliegendem  Büchlein  nicht 
gelernt  werden.  —  §11  erhalten  wir  den  bekannten  Iambele- 
gus  unter  der  Benennung  eines  „Alcäischen  Hyperhatalektus." 

—  §  15  wird  von  den  überall  bedenklichen  ischiorrhogischen 
Jamben  gehandelt,  und  dann,  wider  den  Zweck  des  Buches, 
eine  Einschaltung  über  den  Choliambus  gemacht.  —  §  17  folgt 
der  Anapäst  und  das  anapästische  System.  Wiesich  aber  die  Sy- 
steme von  den  Versen  unterscheiden,  erfährt  der  Schüler  nicht, 
und  eben  so  wenig  die  bei  wechselnden  Anapästen,  Daktylen 
und  Spondeen  zu  beobachtenden  Regeln.  Wenn  der  Hr.  Verf. 
in  Solger's  Sophokles  die  statt  der  Anapaesten  gebrauchten  Da- 
ktylen, wie:    „Ehe  die  Zeit  naht"  und  „Wider geschlagenes," 

—  ~  o  — uv-,  tadelt,  weil  unsere  Kürzen  keinen  Accent  dul- 
den, so  ist  das  früher  auch  meine  Meinung  gewesen.  Je  öfter 
ich  aber  die  anapästischen  Systeme  betrachtet  habe,   und  je 


Mundt :  Grundzüge  zur  Metrik  der  Griech.  Tragiker.  271) 

mehr  ich  die  gewaltige  Verschied enheit  der  antiken  Metrik  und 
der  unsrigen  einsehe,  desto  stärker  wird  mein  Zweifel,  oh  die 
Alten  die  hürzen  des  Daktylus  auch  wirklich  betonten.  Mir 
scheint ,  sie  trugen  ein  anapästisches  System  mit  eingemischten 
Daktylen  so  vor: 


Um  den  Uebergang  aus  steigenden  in  sinkende  Füsse,  und  um- 
gekehrt, zu  erleichtern,  werden  die  Daktylen  fast  regelmässig 
durch  Spondeen  von  den  Anapästen  getrennt.  Die  Spondeen 
sind  nämlich  in  Ansehung  der  Betonung  völlig  indifferent,  wenn 

sie  gleich  nach  Daktylen  mehr  sinkend  ( ),  nach  Anapästen 

mehr  steigend  ( )  gehört  werden,  welches  also  nicht  in  ih- 
nen selbst  liegt,  sondern  in  dem  so  oder  so  angeregten  und  der 
einmal  erhaltenen  Richtung  folgenden  Gefühle.  Bei  den  Grie- 
chen, die  den  Sylbenwerth  nur  hörten,  nicht  mit  dem  Ver- 
stände berechneten ,  wie  unsere  Prosodie  thut ,  mochte  daher 
der  Spondeus  überall  gleichschwebend  sein  und  weder  steigen 
noch  sinken.  Ich  finde  keinen  Anstoss  anapästische  Systeme 
nach  dieser  Ansicht  zu  recitiren ;  und  selbst  in  Deutscher  Spra- 
che ,  so  sehr  hier  das  Herkommen  entgegensteht,  missfällt  die- 
ser Vortrag  meinem  Ohre  durchaus  nicht. 

Manches  vollendet  sich,  wenn  es  de?'  Himmlischen 
Mathschluss  so  will;  und  der  Sterblichen  Wiz 
Niemals  hemmt  er  es,  oder  beschleunigt  es. 
Drum  fort  mit  der  Sorg  um  der  Zukunft  Nacht ! 

Zeus  sei  dein  Hort,    und  die  Götter. 
§  18  handelt  vom  Kretikus ,  dessen  hier  gegebene  Form 

—  ~  — ,  statt  —  o  — ,  um  so  weniger  genügt,  da  kein  Beispiel 

der  Auflösung  beider  Längen  gegeben  ist.  —  §  19  kommt  der 
Hr.  Verf.  auf  den  Choriambus,  ohne  jedoch  des  choriambischen 
Systems  zu  gedenken;  §  20  auf  den  Glykonischen  Vers,  der 
seine  Cäsur  gern  nach  der  ersten  ulrsis  haben  soll,  eine  Be- 
merkung, welche  schon  die  im  Buche  selbst  angeführten  Bei- 


280  Griechische  L  i  1 1  e  r  a  t  u  r. 

spiele  widerlegen.   Vom  Systeme  ist  wiederum  niclit  die  Rede. 
Daher  gelten  denn  auch  folgende  Verse  für  Glykonische: 
XQEktg  löta^ivca.  %ag   %o- 
zs,  näg  dvguoQog  avzs%Et', 
während  sie  sich  dem  Ohre  von  selbst  als  ein  einziger  choriam- 
bischer darstellen.     Meines  Bedünkens  mussten  hier  und  über- 
all solche  Beispiele  gewählt  werden ,  gegen  die  kein  Metriker 
und  kein  Herausgeber  Griechischer  Tragoedien  etwas  einzu- 
wenden hat.  —  Was  §  21  vom  Glyconeus  polyschematistus  ge- 
sagt wird,  ist  ein  blosses  Aggregat,  keine  entwickelnde  Dar- 
stellung der  verschiedenen  Formen.     Den   Namen  anlangend, 
soll  diese  Versart  mit  „yhvxvg,  süss,  lieblich'-''  zusammenhält- 
gen.    Ist  denn  der  Dichter  Glykon  so  unbekannt,  dem  Hephae- 
stion  ausdrücklich  die  Erfindung  dieses  Verses  beilegt? 

Nach  dem  bisher  Gesagten  wird  wohl  niemand  erwarten, 
dass  auf  gleiche  Weise  auch  die  in  §§  22  —  43  folgenden  Vers- 
arten durchgegangen  werden:  sie  sind  weder  schlechter  noch 
besser  als  jene  behandelt.  Nur  das  bemerke  ich  noch  ,  dass 
die  Anordnung  des  Ganzen  nicht  recht  bequem  ist  und  auch  im 
Einzelnen  hin  und  wieder  die  Ordnung  vermisst  wird.  So  ist 
z.  B.  §  41  die  zweite  Hälfte  des  Pentameters  als  eine  besondere 
Versart  betrachtet,  da  sie  doch  als  das  bekannte  dactylicon 
penthemimeres  schon  §  10  ihren  Plaz  finden  musste. 

Was  dem  Aufänger  am  meisten  noth  thut,  das  vermisst 
man  in  diesem  Büchlein  ganz ,  nämlich  eine  Anleitung ,  die  ihn 
dahin  bringt  richtige  Verse  auf  verschiedene  Weise  zu  messen 
und  die  passendste  Messung  auszuwählen,  fehlerhafte  aber  als 
solche  zu  erkennen  und,  wo  möglich,  zu  verbessern.  Demnach 
kann  ich  mich  nicht  überzeugen,  dass  der  Hr.  Verf.  für  jezt 
diejenige  Kenntniss  besize,  welche  seine  Aufgabe  voraussezt: 
wie  hätte  er  wohl  sonst  die  allgemeinen  Merkmale  verschwie- 
gen, woran  man  das  Ende  der  die  Strophen  bildenden  einzel- 
nen Verse  und  Systeme  erkennt?  und  eben  so  wenig  kann  ich 
sein  Lehrbüchlein  empfehlen;  vielmehr  wünsch'  ich,  dass  er 
es  recht  bald  durch  eine  gediegnere  Arbeit  in  Vergessenheit 
bringen  möge.  Vor  allem  möge  die  liebe  Jugend  es  unberührt 
lassen;  denn  es  sind  Fehler  darin,  die  wenigen  Primanern  ent- 
gehn  würden ,  und  Jünglinge  sind  gerade  am  wenigsten  geneigt 
dergleichen  zu  entschuldigen.  Ich  habe  z.  B.  Mühe  gehabt  ein 
vor  anderthalb  Decennien  erschienenes  Deutsch  -  Griechisches 
Exercitienbuch  von  meinen  Schülern  durchübersezen  zu  lassen, 
sobald  sie  dem  Herausgeber  seine  Schwäche  im  Accent  und  ei- 
nigen andern  Theilen  der  Grammatik  abgemerkt  hatten. 

Papier  und  Druck  sind  gut,  die  massigen  Druckfehler  aber 
nicht  sämmtlich  angezeigt. 

Friedrich  August  Gotthold. 


XevocpävToq  'AnofivrjftovsvficcTa.  Edid.  Herbst.  281 

BevocpcovTOS  IdaotiVTjllOV&vpäteti  Recogniwit  et  illustra- 
vit  G.  A.  Herbst ,  Philos.  Dr. ,  scbolae  Bernbtirgensis  Collega. 
Halis  Saxonum,  e  libraria  Antoniana.  MDCCCXWH.  XII  und  364  S. 
8.    lThlr. 

[Vgl.  Jbb.  Bd.  V   Hft.  4,  bibliogr.  Verzeicbn.  S.  10.] 

Der  Herausgeber  berechnete  laut  der  Vorrede  seine  Ar- 
beit vornehmlich  für  Anfänger  im  Griechischen,  welche  vorlie- 
gende Schrift  des  Xenophon  zum  Gegenstande  ihres  Privatstu- 
diums wählen,  oder  wenigstens  für  solche  Leser,  die  noch 
nicht  viel  weiter  gekommen  sind ,  als  dass  sie  aufgehört  haben, 
Anfänger  zu  seyn.  Für  die  Bedürfnisse  dieser  schien  ihm  in 
keiner  der  bisherigen  Ausgaben  gesorgt  zu  seyn.  Ausgaben  des 
blossen  Textes  fand  er  für  den  Anfänger  nur  dann  zweckmä- 
ssig, wenn  sie  unter  der  Leitung  eines  tüchtigen  Lehrers  gele- 
sen werden.  In  den  grösseren  Bearbeitungen  ist  nach  seiner 
Ansicht  die  Verbal- und  Real -Erklärung  nicht  so  vollständig, 
wie  es  für  die  von  ihm  in's  Auge  gefasste  Klasse  von  Lesern  zu 
wünschen  wäre.  Seine  Absicht  gieng  daher  dahin,  aus  den  Vor- 
arbeiten der  grösseren  Ausgaben,  was  für  den  Anfänger  brauch- 
bar ist,  auszuheben,  und  den  Text  ihm  zugänglich  zu  machen. 
Rec.  kann  ein  solches  Unternehmen  nur  verdienstlich  nennen. 
Nicht  ein  jeder  Jüngling  hat  das  Glück  einen  tüchtigen  Lehrer 
zu  finden ,  und  auch  der  Lehrer  kann  seinem  Schüler  selten  so 
viele  Zeit  widmen,  dass  es  ihm  nicht  erwünscht  seyn  müsste, 
wenn  seine  persönliche  Nachhülfe  bei  dem  Lesen  eines  Schrift- 
stellers durch  eine  angemessene  Bearbeitung  wenigstens  zum 
Theile  ersetzt  wird.  Besonders  aber  dürfen  sich  Schüler  und 
Lehrer  Glück  wünschen,  dass  die  Ausführung  dieses  Unterneh- 
mens gerade  in  die  Hände  eines  ihm  so  gewachsenen  Mannes 
gekommen  ist,  als  welchen  der  Herausgeber  sich  gezeigt  hat. 
In  dieser  Ausgabe  ist  wirklich  nicht  bloss  für  den  Schüler  ge- 
sorgt, sondern  auch  der  Lehrer  kann  daraus  noch  lernen,  und 
selbst  Xenophon  hat  durch  sie  gewonnen.  Um  so  mehr  hofft 
Rec.  Entschuldigung  zu  finden,  wenn  er  bei  der  Anzeige  der- 
selben etwas  länger  verweilt. 

Zuerst  von  dem  kritischen  Theile  vorliegender  Bearbei- 
tung der  Apomnemoneumata. 

Nach  dem  Gesagten  konnte  es  die  Absicht  des  Herausge- 
bers nicht  seyn,  eine  durchgreifende  Berichtigung  des  Textes 
zu  liefern.  Uebrigens  wollte  er  keineswegs  bloss  bei  dem  bis- 
herigen stehen  bleiben,  sondern,  wo  der  vorhandene  kritische 
Apparat  etwas  Besseres  darböte,  oder  wo  ihm  eigene  oder  frem- 
de Conjecturen  richtig  dünkten ,  sie  ohne  Bedenken  in  den 
Text  aufnehmen.  An  manchen  Orten  ist  der  Text  des  S  tep  ha- 
rt us,  wo  Neuere  ihn  verlassen  hatten,  wieder  hergestellt,  z.  B. 
1 ,  2,  12  an  der  Stelle  des  von  Sehn  eider  eingeführten  als- 


282  Griechische  Littcratur. 

nxlöxatog  das  alte ,  für  einen  Tyrannen  passendere  itlsovEttxt- 
öxaxog;  das  von  Ernesti,  Schütz  und  Schneider  mit 
Unrecht  verstossene  itEol  rot)g  ftsovg  I ,  1 ,  20 ;  das  von 
Schneider  verworfene  ovxsyccQ  ovxs  tycoys  avxög  I,  2,  31 
nach  Bornemann  zur  Apologie  §24;  das  von  Zeune,  Weis- 
ke  und  Schneider  geänderte  EJisidr)  o^oAoy^öatro  I,  2,  57, 
wo  ührigens  das  Activum  6/uoAoy^öat,  auf  welches  auch  zwei 
Pariser  Handschriften  führen,  um  so  eher  vorzuziehen  seyn 
möchte,  da  auch  das  vorhergehende  inudr}  mit  onokoyrjöaLTO 
in  87CidLO(ioXoy^6cato  zusammenschmolz,  und  diess  mit  dem 
folgenden  td-ehen  so  leicht  geschehen  konnte;  ferner  das  von 
Ernesti  in  ysvo^ieva  verwandelte  yiyvotiEva  I,  4,4;  das 
von  Zeune  abgeänderte  IniöxaGw  1 ,  5,  2;  das  von  einigen 
Neueren  versetzte  zva%ü6&ai  III,  14,  7;  das  von  Zeune 
ohne  Noth  durch  Einschaltung  eines  7}  verdeutlichte  nküa  xav 
(pvtäv  IV,  3,  10;  das  nach  Reiske  von  Schütz  und 
Schneider  in  rj  verwandelte  sl  vor  advvaxovfisv  IV,  3,  12, 
und  noch  so  vieles  Andere ,  was  hier  übergangen  werden  muss. 
Anderswo  ist  der  gewöhnliche  Text  aus  den  Handschriften  und 
alten  Ausgaben  verbessert.  So  ist  an  die  Stelle  des  seit  Ste- 
phanus  im  Texte  stehenden  antQ  dXüL^onBQOvg  rtoisl,  III, 
3,  7,  das  schon  von  Morus  und  Schütz  vertheidigte  alte 
sYrtEQ  ccXxiiiatEQOvg  Ttoiüv;  statt  des  früheren  öv^ßovXsvetv 
und  des  sichtbar  erst  neu  gemachten  öv^ißovXsvöeig,  III,  6,  10, 
das  in  mehrern  Pariser  Hand  schrr.  sich  findende  6v[ißovXsv<3siv; 
statt  des  bisherigen  xo  ye  lipoü ,  III,  8,  7,  aus  den  Margina- 
lien des  Victorius  xo  xs  Kt^,ov  gesetzt  worden  u.  s.  w.  Beson- 
ders sind  die  von  Dindorf  im  Texte  vorgenommenen  Verbesse- 
rungen fleissig  benutzt.  Dahin  gehört  die  Beibehaltung  von 
%Qog8ovvai  I,  2,  29,  wofür  Schneider  nexadovvat  wollte; 
die  Aufnahme  von  itoogxvijö&ai  I,  2,  29,  coli.  Buttmann  ad 
Plat.  Gorg.  p.  522 ;  von  al6%vv£xcu  und  oktal  1 ,  2 ,  32 ;  die 
Auslassung  von  {ilv  bei  xccvxa  ovv  I,  2,  55;  die  Wiederher- 
stellung des  Plurals  ädsXyovg  II,  3,  1;  die  Austilgung  des  Ar- 
tikels vor  äoxovvxa  II,  3,  2,  so  wie  vor  xö  fiixgov  a&ov  III, 
11,  7  u.  s.  w.  Nach  Conjecturen  ist  theils  beibehalten,  theils 
neu  aufgenommen:  voydöuv  I,  2,  42  nach  Reiske' s  Vor- 
schlag für  Ivö^iGav ;  avxovg  xs  für  avxolg  xs  II ,  1 ,  9  nach 
demselben;  olg  ol  für  dg  oi  III,  4,  12  mit  Ernesti;  sv  xs 
itQ<xxx£iv  für  ovt£  TCQttXxsiv  IV,  1,  5  mit  Leonclavius;  ys- 
vo[ievag  IV,  1,  3  für  yiyvo^evag  nach  Schneiders  Vermu- 
thung  u.  a.  Weit  entfernt,  an  Conjecturen  der  Art  sich  zu  sto- 
ssen,  wie  der  Herausgeber  in  der  Vorrede  zu  fürchten  scheint, 
wird  man  vielmehr  in  der  gerechten  Würdigung,  die  ein  Bear- 
beiter der  Alten  ihnen  angedeihen  lässt,  den  Beweis  finden, 
dass  er ,  um  die  Art  und  Weise  der  alten  Sprache  und  ihrer 


XevocpcavTOs  'Anofivrjuovsvnara.  Edid.  Herbst.  283 

Heroen  zu  erkennen,    ausser  den  Handschriften  noch  andere 
Hülfsquellen  in  sich  selbst  hat. 

Die  Zahl  dieser  Verbesserungen  hätte  leicht  grösser  wer- 
den können.  So  wäre  das  unnöthige  avxovg  1 ,  2 ,  49  nach 
Matthiä,  ausf.  Gramm.  §  034,  1,  das  eben  so  unnöthige  xrjg 
in  ijzrcov  xrjg  xcov  evavxlav  III,  6,  8  zu  tilgen,  das  unschuldige 
egcoxa  yovv  xal  aTtoxgivov^iaL  I,  4,  8,  vgl.  Conviv.  5,  2,  wieder 
aufzunehmen,  7Jyrjö6fie9a  I,  5,  2  für  r}yrjGcdiJiS&'  av  wieder 
herzustellen  gewesen.  Namentlich  würde  eine  genauere  Ab- 
wägung des  Werthes  der  Handschriften  und  anderer  kritischer 
Hülfsmittel ,  wie  der  Uebersetzung  des  Bessario  und  der  Cita- 
tionen  des  Stobäus  und  Klemens  auf  eine  Menge  Verbesserun- 
gen geführt  haben.  Allein,  wie  schon  bemerkt,  es  konnte  die 
Absicht  des  Herausgebers  nicht  seyn,  überall  zu  helfen,  und 
wir  nehmen  daher  dankbar  an,  was  er  in  diesem  Stücke  gelei- 
stet, ohne  uns  an  dem  zu  stossen,  was  er,  wie  seine  Vor- 
gänger, unberührt  gelassen  hat.  Nur  über  Einzelnes ,  was  er 
selbst  berührt  hat,  mögen  hier  einige  Bemerkungen  folgen. 
Gleich  I,  2,  53  ist  r£  nach  Gvyyevoöv  auch  hier  getilgt,  und 
dabei  bemerkt,  dass  xal  vor  sieg}  qp/Aov  sich  auf  xal  vor  negl 
naxigav  beziehe.  Aber  warum  sollen  hier  die  qpi'Aoi  eine  ei- 
gene Klasse  bilden,  da  sie  doch  im  Vorhergehenden  so  gut,  wie 
die  övyyevetg  an  die  naxigeg  angereiht  sind?  Warum  sollen 
sie  nicht  lieber  mit  Ttaxegeg  xe  xal  övyyevetg  als  solchen ,  die 
schon  erwähnt  sind,  dem  xal  itgog  xovxoig  ye  gegenüberste- 
hen'? Man  könnte  meinen,  der  Herausgeber  habe  die  Verbin- 
dung von  xal — xe  gescheut.  Allein  gerade  diese  vertheidigt 
er  zu  IV,  2,  28.  Rec.  weiss  ihm  hierin  nicht  beizustimmen  ;  an 
allen  Stellen,  auf  die  zu  IV,  2,  28  verwiesen  wird,  bezieht 
sich  xe  auf  ein  folgendes  Kai,  ausgenommen  de  rep.  Laced.  15, 
3,  wo  ein  Satz  mit  de,  also  doch  immer  etwas,  worauf  sicli  xe 
beziehen  kann,  nachfolgt.  Nichts  desto  weniger  hält  er  xe  in 
unserer  Stelle  für  richtig.  Es  ist  nur  statt  des  gewöhnlichen 
övyyevcov  xe  xal  cpllav  durch  eine  leichte  Anakoluthie  die  wie- 
derholte Präposition  gesetzt.  Eine  solche  Anakoluthie  findet 
auch  in  den  übrigen ,  ebenfalls  zu  Hülfe  gerufenen  Stellen  un- 
serer Schrift  statt,  wo  xal  mit  einem  folgenden  xe  in  Einem 
Satze  pro  simplici  copula  stehen  soll.  Leicht  und  unbedeutend 
ist  das  Anakoluthon  I,  2,  57,  wo  ayaftovg  mit  Unrecht  auch 
in  dieser  Ausgabe  getilgt  ist;  denn  dasselbe,  was  als  neues 
Prädicat  zu  xovg  ^ev  dyaftöv  xi  noiovvxag  nachfolgen  soll,  wird 
hier  nur  als  Folgerung  aus  dem  Vorhergehenden  vorgetragen: 
dass  also,  wer  thätig  sei,  gut  sei,  oder  thätig  seyn  so  viel  hei- 
sse,  als  gut  seyn.  Eben  so  entspricht  dem  xal  xoivij  ä.g%ovöi 
t£,  IV,  4,  1,  ein  folgendes  xal  bei  xal  noxe  tiuöxaxrjg  yevofie- 
vog  ,  nur  dass  statt  eines  xal  avxog  xaxa  xovg  v6{iovg  ap^ov  g 
ein  snepelier  Fall  mit  dem  Verbum  finitum  angeführt  ist.    Be- 

Jahrb.  f.  Phil.  u.  Jfädag.  Jahrg.  III.  Heft  3.  J() 


284  Griechische  Litteratur. 

deutender  wäre  das  Anakoluthon  IV,  2,  28,  wenn  man  dort 
den  Infinitiv  ngotöraöftai  behält,  und  am  bedeutendsten  bei  xul 
TaXXa  xs,  oöcc,  II,  3, 19,  wo  man  zu  einer  völligen  Abbrechung 
und  Unterdrückung  eines  folgenden  %u\  vielmehr  seine  Zuflucht 
nehmen  müsste.  Aber  gerade  diese  Stelle  ist  in  kritischer  Hin- 
sicht unsicher.  Zu  1 ,  1 ,  6  wird  äv  bei  oitog  äv  verworfen, 
quia  futuri  optativus  cum  äv  junctus  in  rem,  quae  futuro 
quodam  tempore  possit  habere  eventum,  non  vere  habitura 
cogitetur,  cadit.  Gerade  darum  könnte  man  es  hier  passend 
finden.  Es  ist  ja  nicht  von  dem  die  Rede,  wie  eine  wirklich  zu 
Stande  kommende  Unternehmung  wirklich  ausfallen  werde,  son- 
dern im  Gegensatze  von  ävayxaia  sind  xä  udqla  öxcog  etc.  sol- 
che Unternehmungen,  die  man  eben  so  gut  lassen,  als  in's  Werk 
setzen  kann,  und  die  man  nur  dann  in's  Werk  setzt,  wenn  mau 
einen  guten  Erfolg  hoffen  zu  können  glaubt.  Daher  ist  oitcog 
äv  ä7Coß)]öOiVTo ,  wie  sie  ausfallen  würden  unter  einer  gewissen 
Bedingung,  nemlich  wenn  man  sie  in's  Werk  setzte.  In  der 
Stelle  c.  3,  2,  die  man  gewöhnlich  für  die  Auslassung  von  äv 
anführt ,  war  kein  solcher  Anlass  vorhanden ,  die  Partikel  äv 
beizufügen.  Im  Folgenden  1 ,  1 ,  Iß  ist  äv  usl  disXiysxo  rich- 
tig aufgenommen;  dass  all  bei  äv  steht,  darf  nicht  auffallen; 
so  steht  auch  ztolXäv.ig  dabei  IV,  1,2,  und  äst  selbst  bei  Ari- 
stoph.  in  den  Vögeln  v.  1601:  äXxvovldag  d'  äv  rjysd''  rjuigag 
uil.  Aber  eben  so  wäre  auch  iv^vj.icö^id'a  yäg ,  äv  scprj,  I,  7, 
2,  aus  zwei  Pariser  Handschrr.  aufzunehmen  gewesen,  da  in  sol- 
chem Zusammenhange  an  eine  willkührliche  Einschiebung  der 
Partikel  nicht  zu  denken  ist,  wohl  aber  die  Auslassung  sich 
leicht  erklärt,  vgl.  Stallbaum  ad  Plat.  Crit.  p.  52,  D ;  Heindorf, 
ad  Phaedon.  p.  87,  B.  Bei  II,  2,  1  könnte  das  alte  xov  ys  wo- 
für hier  xovxov  ys  aufgenommen  ist ,  so  wie  xo  ys  III ,  10,  4, 
wofür  aus  dem  einzigen  Voss.  1  xovzo  ys  gelesen  wird ,  in  den 
aus  Plato  Euthyd.  p.  291,  A,  Polit.  p.  305,  C  von  Matthiä  § 
246  angeführten  Stellen  Schutz  zu  finden  scheinen ;  allein  diese 
letzteren  Stellen  selbst  sind  unsicher,  da  in  der  ersten  wenig- 
stens ein  Codex  xoöi  hat,  in  der  letzteren,  wie  es  scheint,  alle, 
undRec.  stimmt  daher  dem  Herausgeber  an  beiden  obigen  Stel- 
len bei,  bei  III,  10,  4  nicht  wegen  des  Voss.  1,  sondern  trotz 
desselben.  In  IV,  2,  6  ist  nach  überwiegenden  Auctoritäten 
(irj  vor  TCiLQävTui  zu  setzen,  und  ov  vor  jca&'  savxovg  zu  tilgen. 
6vvs%s6xaxa  kann  zwar  nicht  durch  naQa%Qfj[iu  erklärt  werden, 
aber  doch  durch  continuo ,  etiam  abseilte  praeceptore ,  und 
wird  also  durch  das  folgende  aal  xa&'  savxovg  näher  bestimmt. 
Dagegen  passt  nsiQävxat  jetzt  um  so  besser,  da  man  ohne  die 
Negation  eher  noiovöi  erwartet  hätte.  In  IV,  2,  10  ist  wohl 
das  in  den  beiden  ältesten  Edd.  und  zwei  Handschrr.  fehlende 
nävxa  aus  Conviv.  3 ,  5  herübergekommen ,  wie  aus  demselben 
Stelle  die  Variante  Kya&tti  yivavxai  xal  rig  d.  ß.  II  ]  2 ,  7  her- 


Xt vocfMvzog  'A7to(ivr]fiOV8V{xara.  Edid.  Herbst.  285 

rührt.     Bei  weitem  überwiegende  Auctoritäten  fordern  auch  I, 

4,  18  die  Aufnahme  von  avxovg  Btach  ejzifisfalö&ai.  Die  Va- 
riante avxö,  die  nach  %eiov  sich  leicht  erklärt,  und  die  gänz- 
liche Auslassung  in  den  Excerptensammlungen  aus  unserer  Schrift 
kann  dagegen  nicht  in  Betracht  kommen ,  wenn  man  auch  von 
dem  sonstigen  Werthe  der  abweichenden  Handschrr.  ganz  abse- 
hen will.  Wohl  aber  spricht  für  die  Beibehaltung  des  Prono- 
mens auch  der  Umstand,  dass  dadurch  ein  Homoeoteleuton  mit 
§  17  vermieden  wird. 

Von  den  früher  mit  allzugrosser  Bereitwilligkeit  aufgenom- 
menen Conjecturen  hat  der  Herausgeber  zwar  manche  zurück- 
gewiesen, z.  B.  xccl  xi]g  xäv  xoiväv  7tgdt,e(og  II,  4,  6,  das  von 
Schneider   eingesetzte    %%r)    mit    folgendem    ticoXbi   II,    5, 

5,  das  von  Ernesti  vorgeschlagene  jitTtvö^ai  II,  6,  31,  und 
andere,  die  zum  Theile  schon  oben  genannt  sind.  Doch  ste- 
hen noch  mehrere,  die  nicht  zu  halten  seyn  möchten,  und  ei- 
nige sind  neu  hinzugekommen.  Nur  über  die  letzteren  kann 
hier  gesprochen  werden,  dafür  die  Aufnahme  der  übrigen  der 
Herausgeber  weniger  verantwortlich  ist.  Vor  Allem  gehört  hie- 
her  die  Austauschung  von  xoluöe  diukty6(iEvog  1,7,5  und 
xoiavxcc  llycov  II,  1,  1.  Was  zur  Verteidigung  dieser  Aen- 
derung  vorgebracht  wird,  hat  unleugbar  grossen  Schein.  Doch 
ist  zu  bemerken,  dass  xoiogÖE  bei  Xenophon  so  wenig,  als  bei 
anderen  Schriftstellern  ubique  ad  sequentia  respicit.  Die  im 
Lexicon  Xenophonteum  aufgeführte  Stelle  Cyrop.  111,  3,  35 
und  38:  Iv  rä  xotcoÖE,  heisst  doch  schwerlich  etwas  Anderes, 
als  in  dem  eben  jetzt  vorliegenden  Falle.  Und  so  könnte  auch 
xoiccÖE  das  eben  jetzt  Dargelegte  seyn.  Ferner  öiakEyö^Evog 
setzt  nicht  nothwendig  voraus,  dass  das,  worauf  es  sich  be- 
zieht, auch  in  der  Form  einer  Unterredung  müsse  vorgetragen 
seyn,  wenn  es  nur  dem  Inhalte  nach  aus  einer  Unterredung 
stammt,  und  in  diesem  Sinne  findet  sich  diahEysöftcci  wirklich 
auch  II ,  4,  1.  Endlich  braucht  man  xoluvxcc  kiycov  nicht  auf 
das  Nachfolgende  zu  beziehen;  vielmehr  geht  es  auf  das  Vor- 
hergegangene ,  wie  denn  ohnehin  die  einzelnen  Bücher  unserer 
Schrift  sich  nicht  so  streng  von  einander  scheiden  lassen  ,  und 
man  sieht  nun  ein,  warum  vorher  xoiccde  steht,  nemlich  um 
das  Zunächstvorhergegangene  von  dem  Vorhergegangenen  über- 
haupt zu  unterscheiden.  Damit  fällt  nun  freilich  auch  eine 
Conjectur  des  Herausgebers:  yvovg  ydg  xiva,  II,  1,  1.  Denn 
yvovg  ÖE  bringt  jetzt  nicht  mehr  den  Beweis  für  das  Vorher- 
gehende nach,  wie  sonst  ydg ,  sondern  behält  seine  volle  ad- 
versative Bedeutung:  als  er  aber  bemerkte,  dass  dennoch  etc.. 
Auch  Ivikvaixi,  ort  Gv  ov%  ogäg  I,  3,  13  giebt  wohl  eineu 
besseren  Sinn,  als  das  von  dem  Herausgeber  hier  gesetzte  ort, 
und  ohnehin  pflegt  oöxcg  in. einem  rein  adjektivischen  Relativ- 
satze nicht  vorzukommen ,  so  dass   das  unveränderte  ö  6v  aus 

19* 


286  Griechische  Litteratur. 

Stobäus  noch  hesser  gewesen  wäre.  Das  von  Schneider  vor- 
geschlagene {iixqcjv  diapccQrdvovTccg  III,  9,  7,  welches  hier 
im  Texte  steht ,  heisst :  wer  Kleines  nicht  trifft ,  wer  in  Klei- 
nigkeiten das  Rechte  verfehlt.  Diess  gibt  keinen  Gegensatz  zu 
dem  Vorhergehenden,  wo  von  Fällen  die  Rede  ist,  in  welchen 
einer  seine  Grösse,  Stärke  und  Aehnliches  weit  überschätzt. 
Diesen  Gegensatz  gibt  nur  das  alte  hixqov  dia^aQxävovxag.  In 
der  Stelle  y6&av6{ir]V  IV,  8,  7  kann  wohl  nichts  anstössig 
seyn,  als  dass  das  Imperfect  mit  dem  Perfect  verbunden  ist. 
Allein  warum  soll  der  Grieche  nicht,  wie  der  Deutsche,  sagen 
können:  diess  fühlte  ich  bisher  und  noch  nie  habe  ich  mich  von 
dem  Gegentheile  überzeugt  ?  Die  Conjectur  von  W  e  i  s  k  e  möch- 
te daher  mehr  scheinbar,  als  richtig  seyn,  wenn  er  alö&avo- 
{ibvos  lesen  möchte. 

Die  schon  von  früheren  Bearbeitern  der  Apomnemoneumata 
eingeführten  Klammern  für  verdächtige  Stellen  finden  sich  auch 
hier  wieder,  und  zwar  vermehrt,  und  zum  Theile  verändert. 
Da  der  Herausgeber  fast  überall,  auch  wo  er  die  früher  schon 
eingeführte  Klammer  beibehielt,  seine  Gründe  angibt,  und 
zeigt,  dass  er  sie  nicht  der  blossen  Ueberlieferung  zu  Liebe 
beibehalten,  so  glaubt  Rec.  ihm  nicht  Unrecht  zu  thun,  wenn 
er  ihn  auch  für  die  bloss  beibehaltenen  verantwortlich  macht, 
nnd  hier  die  wichtigeren  Stellen  dieser  Art  einer  Prüfung  un- 
terwirft. Denn  zum  Voraus  lässt  sich  dieses  Verfahren  bei  ei- 
nem Buche  von  so  populärem  Inhalte,  wie  unsere  Schrift,  nicht 
verwerfen.  Nur  nach  Ansicht  der  einzelnen  Stellen  kann  man 
entscheiden.  Ueber  solche  nun ,  wie  xal  rd  xeXevo^bvov  ixa- 
vöv  TtoisZv,  II,  10,  3,  worauf  zuerst  Schütz  aufmerksam 
machte,  xal  diaXsxtixcoTätovg ,  IV,  5,  12,  wo  erst  der  Heraus- 
geber den  Fehler  zeigte,  und  xal  ßtaLÖTazog,  I,  2,  12,  wel- 
ches hier  ganz  weggelassen  ist,  wird  wohl  jedermann  einver- 
standen seyn.  Aber  bei  1,4,  II:  xal  oipiv  xal  äxorjv  xal 
öto^icc  BVE7iOi7]öav,  ist  wohl  weiter  nichts  zu  sagen,  als  dass 
die  Worte,  wie  sie  jetzt  dastehen,  unverständlich  sind,  dass 
keine  der  bisherigen  Erklärungen  befriedigt,  und  mehr  hat 
der  Herausgeber  auch  nicht  dagegen  geltend  gemacht.  Daraus 
folgt  aber  nicht,  dass  sie  unecht  sind,  sondern  nur,  dass  die 
richtige  Erklärung  abzuwarten  ist.  Die  Varianten  über  diese 
Stelle,  namentlich  die  bei  Victorius  geben  Hoffnung,  dass  aus 
Handschriften  hier  geholfen  werden  wird.  In  der  Stelle  Sönsg 
nogvovg,  I,  6,  13,  braucht  man  nicht  an  eine  Beziehung  auf 
aöavrag  zu  denken,  welches  zu  erklären  die  Worte  eingesetzt 
worden  seyn  sollen.  Man  erkläre  Sötisq  durch  gleichsam,  und 
es  gibt  einen  guten  Sinn :  sie  werden  mit  dem  Namen  Sophi- 
sten als  eine  Art  von  Lohnhurern  bezeichnet.  In  II ,  1,  1  passt 
itgog  mi,&Vfitav  allerdings  nicht  zu  Qtyovg  xal  ftäXnovg  xal  ito- 
vov,  aber  es  passt  doch  zu  dem,  was  zunächst  folgt,  cirov  xal 


XsvotpmvTog  'AnouvrifiaviVficcra.  Edid.  Herbst.  287 

TLoxov  etc.  Es  lässt  sich  daher  wohl  durch  Annahme  eines 
Zeugma  vertheidigen.  In  III,  4,  12:  zo  de  {isyiözov —  zu 
xoivu,  wird  weiter  kein  Grund  angegeben,  warum  diese  Worte 
eingeklammert  sind.  Denn  dass  bei  Stobäus  auch  das  Uebrige 
fehle,  würde,  wenn  es  als  Beweis  zu  nehmen  wäre,  zu  viel  be- 
weisen. Der  Grund  kann  daher  wohl  in  nichts  Anderem  liegen, 
als  dass  der  Herausgeber  mit  Schneider  in  dr  Stelle  eine 
unnütze  Wiederholung  findet.  Allein  dieses  fällt  weg,  sobald 
man  zwischen  aXkoig  ziölv  aVfrocojroig  %q(ovzul  und  oV  ukkav 
piv  dv&QCQTtav  za  lötu  noürzizai ,  6V  ukkav  de  zu  xotvä  un- 
terscheidet, wie  denn  auch  beides  wirklich  verschieden  ist. 
Durch  öV  ukkcov  [ilv —  6V  ukkcov  de  wird  nur  im  Allgemeinen 
ausgedrückt,  es  seien  keine  anderen  Menschen.  Diess  könnte 
auch  heissen,  es  seien  nicht  verschiedene  Personen  gleichen 
Standes;  derselbe  Freie,  der  zu  xoivü  besorge,  besorge  auch 
zu  'idiu.  Durch  ov  ycio  ukkoig  ztdlv  wird  zugegeben,  dass 
zwar  die  öffentlichen  Angelegenheiten  durch  Freie,  die  häus- 
lichen durch  Sklaven  besorgt  werden;  aber,  wird  behauptet, 
diese  sind  doch  nicht  Menschen  anderer  Art,  als  die  Freien; 
sie  sind  als  Menschen  dasselbe ,  was  die  Freien  sind.  In  so  fern 
wird  dieses  durch  jenes  sehr  gut  eingeleitet.  Am  häufigsten 
traf  die  Klammer  das  vierte  Buch.  Der  Herausgeber  spricht 
sich  besonders  gegen  die  Worte  (puöi  de  zivig  —  dt,du%6vzav> 
IV,  4,  5,  aus;  wenigstens  müsse  man  hier  tpuöl  öh  zivsg  tilgen. 
Allein,  was  ihn  hier  stört,  ist  ein  blosses  Anakoluth.  Statt 
tÖ  [tri  ujtOQslv,  cpüvui  öi  zlvuq  wird  fortgefahren,  wie  wenn 
ort  —  UTioQEi  vorangegangen  wäre,  ganz  wie  III,  13,  1:  ytkolov 

TO  Opyt^Eöfrai,     Ott    Ö£   3lSQl£zV%£g,    ZOVZO    ÖS    kVTCEl,    wo 

die  Variante  des  Vict.  A.  gegen  die  Uebereinstimmung  aller  übri- 
gen Handschrr.  und  Edd.  nicht  in  Betracht  kommen  kann.  Frei- 
lich ist  an  unserer  Stelle  der  Fall  in  so  fern  wieder  verschieden, 
als  nun  nicht  im  Verbum  finitum  fortgefahren  wird ,  sondern 
wieder  ein  Infinitiv  kommt.  Allein  warum  sollte  dieser  noth- 
wendig  mit  zo  in  Verbindung  zu  bringen  seyn?  Es  ist  ja  über- 
haupt oratio  obliqua.  In  IV,  8,  3  findet  der  Herausgeber 
nichts  als  Declamationen  und  Spitzfindigkeiten,  und  lässt  Xe- 
nophon  von  §  2  gleich  auf  §  4  übergehen.  Hier  muss  zugege- 
ben werden,  dass  der  sonst  einfach  und  fast  mit  Verleugnung 
aller  Subjectivität  erzählende  Xenophon  mit  einem  Male  hier  in 
Affect  geräth.  Aber  eine  solche  Steigerung  ist  gerade  an  dem 
Orte  natürlich,  wo  er  von  dem  Tode  seines  Lehrers  spricht. 
Die  Spitzfindigkeit  hingegen  ist  kaum  viel  grösser,  als  in  man- 
chen Argumentationen,  die  er  den  Sokrates  entwickeln  lässt. 
Mehr ,  als  eine  solche  Spitzfindigkeit ,  ist  auch  IV,  8,  9  nicht, 
wo  hier  die  Worte  näg  ovx  u16%q6v  %u\  tö  uÖlxcog  oziovv  noi- 
ilv  eingeklammert  sind.     Sokrates  schreitet  nur  von  Splitter  zu 


2S8  Griechische  Litteratur. 

Splitter  fort;  eia  Unterschied  findet  aber  zwischen  ddixslv  und 
ddixcog  örtot)v  7tocelv  allerdings  statt. 

Unter  den  ganz  ausgelassenen  Stellen  ist  auch  IV,  6,  6: 
ovxovv  o'i  ys  xd  dixcua  —  tycoy'  eyr}.  Diese  Worte  wiederholen 
sich  im  Folgenden  wieder;  also,  schliesst  man,  waren  sie  frü- 
her uunöthig;  folglich  unecht.  Mit  gleichem  Hechte  könnte  man 
bei  der  bisherigen  Ansicht  von  der  Stelle  noch  Mehreres  weg- 
werfen. Allein  die  Argumentation  geht  nicht,  wie  es  in  der 
vorhergehenden  über  svöeßeca  der  Fall  ist,  geradezu  darauf 
aus,  zu  zeigen,  dass  dlxcciog  so  viel  ist,  als  6  eidcog  rä  rtsgl 
xovg  av&Qänovg  vop.i[ia.  Den  Begriff  ölxaiog  hat  ja  Sokrates 
noch  gar  nicht.  Er  leitet  daher  vor  Allem  seinen  Schüler  von 
dem  Begriffe  der  Bvöeßsta  aus  auf  den  demselben  im  Verhält- 
nisse zu  den  Menschen  entsprechenden  Begriff  diaaiog,  und 
erst,  wie  er  ihn  hat,  zeigt  er,  dass  die  duicaoövvT]  im  Wissen 
besteht.  Jener  Satz  ist  also  in  diesem  Zusammenhange  unent- 
behrlich. Mit  grösserem  Rechte  ist  xo  Ss  xal  ccsqcc  —  dvex- 
(pgaGrov,  IV,  3,  7,  ausgelassen,  welches  sichtbar  bloss  dazu 
eingeschoben  ist,  um  an  die  Erwähnung  von  Erde,  Wasser  und 
Feuer  auch  noch  die  Luft  als  viertes  Element  anzureihen. 

Beider  dem  Texte  beigefügten  scripturae  discrepantia  potior 
hätte  vielleicht  da  und  dort  mehr,  anderswo  weniger  gegeben 
werden  können.  Im  Ganzen  istjedochdieMittelstrassegut  gehal- 
ten. Ausser  Stellen,  wo  die  Quellen  des  Herausgebers  nicht 
rein  waren,  ist  dem  Rec.  nur  Eine  Stelle  darin  aufgefallen,  die 
in  Zukunft  zu  berichtigen  seyn  wird,  nemlich  II,  4,  4,  wo  aus 
Voss.  1,  Vind.  2,  Paris.  A  Exiftsöav  angeführt  ist.  Bei 
Schneider,  aus  dem  dieses  ohne  Zweifel  genommen  ist, 
werden  jene  Handschrr.  für  die  Variante  iftEöav  angeführt,  und 
das  unmittelbar  auf  dieErwähnung  der  Handschrr.  folgende  Ixi- 
&£6uv  gehört  als  Conjectur  dem  Brodaeus  an. 

In  der  Interpunction  folgte  der  Herausgeber  laut  der  Vor- 
rede 1)  in  d  orten,  bemerkt  jedoch,  dass  er  nicht  selten  von 
ihm  abgewichen  sei.  Wirklich  ist  diese  Ausgabe  auch  von  Sei- 
ten der  Interpunction  vor  manchen  der  früheren  zu  empfehlen. 
Doch  möchte  Einiges  noch  zu  verbessern  seyn.  Rec.  will  nur 
Weniges  anführen.  In  I,  2,  6  ist  wohl  nach  xvgavvLxovg  statt 
des  Kolon  ein  Komma,  und  nach  övEidog  statt  des  Komma  ein 
Punct  zu  setzen.  *H6l6öov  (ilv  xo  gehört  am  natürlichsten  zu 
kxlEyouEVOV ,  und  mit  tovto  drj  beginnt  dann  ein  neuer  Satz, 
wie  §  58  mit  xccvxcc  Örj  avxov  sfyysiö&ai.  Dass  kein  'Oprigov  öh 
rö  folgt,  wird  gegen  diese  Erklärung  nicht  eingewendet  wer- 
den. In  II,  1,  22  ist  statt  alevdtQiov  yvösi,  XEX0ö^i7j^8vr]V,  mit 
dem  Komma  nach  qpvßffc,  lieber  mit  Victorius,  Stephanus 
und  L  eonclavius  zu  interpungiren  iXzv&igiov ,  cpvöEL  xexo- 
6at]^isv7]v ,  mit  dem  Komma  vor  cpvöti.  Schon  wegen  des  vor- 
hergehenden rpuvrjvui  kann  kfav&tgiog  nur  eine  Eigenschaft  der 


Xsvocpdivzos  'Anoiivrjtiovtvfiaza.   Edid.  Herbst.  289 

Gestalt  bezcicliiicn.  Ist  aber  dieses,  so  erscheint  cpvösi  völlig 
überflüssig  neben  demselben,  da  es  durch  das  zu  eXav&SQiog 
so  gut,  als  zu  £V7iQ£nrjg  gehörende  iösiv  schon  hinreichend  be- 
stimmt ist.  Wohl  aber  erhält  cpvösi  seine  gute  Bedeutung  durch 
die  Verbindung  mit  xsxoö^ijfisvTjv,  mit  welchem  es  den  Gegen- 
satz bildet  zu  xsxalkco7iiö^svr]v ,  coörs  —  sqv&qoteqccv  xov  ov- 
rog,  oO'O'orEpav  trjg  cpvötag  sivai.  vgl.  Aelian.  V.  H.  XIII,  1: 
dkV  rjv  cpvösag  sgyov  t;  %qoicc,  Herodian.  I,  7:  ij  Tsxöynq  cpv- 
ösi £,av&)] ,  Themist.  Or.  24.  Gelegentlich  ist  hier  noch  zu  be- 
merken, dass  im  Folgenden  xsxoö^irjpis'v^v  to  öä^ia  xa&ctQio- 
Trjta,  wie  hier  in  den  Text  aufgenommen  ist,  nicht  wohl  ge- 
sagt werden  kann,  da  xaftuQiörrjg  keine  Eigenschaft  der  Seele 
ist,  die  sich  im  Körper  so  manifestirt,  wie  die  öcoyaoövvi]  im 
dp^ua,  oder  die  ulöcog  in  den  Augen.  Wohl  aber  ist  die  xcc- 
ftapor^g  an  dem  Körper  bemerklich ;  nur  ist  dieses  nicht  von 
dem  corpus  a  sordibus  mwidum,  sondern  von  dem  corpus  non 
fucatum  zu  verstehen,  welche  Bedeutung  xu&ccQog  auch  in  der 
angeführten  Stelle  des  Oeconomicus  hat.  Noch  eine  Stelle,  wo 
die  Interpunction  zu  ändern  seyn  wird,  ist  II,  1,  28,  wo  trj  yveo- 
/i>;  v7t7]Q£i8lv  von  dvvatog  sivai  abhängig  gemacht,  und  daher 
von  diesem  durch  kein  Unterscheidungszeichen  getrennt  ist. 
Dass  Xenophon  so  nicht  gesprochen  haben  kann,  lehrt  die  Ver- 
gleichung  von  Oecon.  17,  7:  tovto  (ilv  (isXst^g  dsltcci,  äöJtsg 
rolg  xi&agiötaig  rj  #ap,  oncog  dvvrjzca,  vtitjqstslv  trj  yvcjfiy. 
So  verstand  ihn  auch  Cicero  de  Off.  1 ,  23 :  Kxercendum  cor- 
pus et  ita  afficiendum  est,  ut  obedire  consilio  et  rationi  possit, 
welche  Stelle  schon  Victorius  zu  der  unsrigen  verglich.  Das 
Komma  ist  also  nach  dvvatog  sivai  zu  setzen,  und  nach  vicn- 
gsrsiv  zu  tilgen.  Auch  §  18  möchte  daher  xal  rolg  öduaöi  xal 
xcäg  Tl)V%cäg  mit  dvvatol  zu  verbinden  seyn,  und  nicht  mit  dem 
Verbum  flnitum,  wie  Matthiä  §42-4,  4  will.  Ebenso  kehrt 
§  31  advv atot,  rolg  öcopaöi  wieder. 

Der  zweite  Theil  der  Verdienste  des  Herausgebers  um  sei- 
nen Schriftsteller  besteht  in  der  exegetischen  Behandlung. 

Für  diesen  Zweck  hat  er ,  was  er  aus  Xenophon  und  an- 
deren griechischen  und  lateinischen  Schriftstellern  so  wie  aus 
den  Schriften  neuerer  Philologen  schöpfen  konnte ,  fleissig  zu- 
sammengesucht, ohne  jedoch  in  den  Fehler  zu  grosser  Weit- 
schweifigkeit zu  fallen,  oder,  was  fremdes  Eigenthum  ist,  sich 
selbst  zu  vindiciren.  Bei  grammatischen  Bemerkungen  ist  nicht 
bloss  auf  die  besten  vorhandenen  Lehrbücher,  sondern  auch 
auf  gelehrte  Commentare  verwiesen,  um  den  Anfänger  über 
das  Schulmässige  zu  erheben,  und  dem  Weitergekommenen  das 
Fortschreiten  zu  erleichtern.  Bei  Gegenständen  aus  der  athe- 
nischen Geschichte,  Gerichtsverfassung,  Staatsverwaltung  und 
dergl.  sind  die  Werke  von  Meier,  Schümann,  Böckh  und 
Anderen  zu  ßathe  gezogen;  von  den  vorhandenen  Commentaren 


290  Griechische   Litteratur. 

vorzüglich  die  Bemerkungen  von  E r n e s t i ,  Ilindenburg, 
Weiske  und  Schneider.  Auch  die  schätzbaren  Beiträge 
von  Jacobs  im  Socrates ,  ob  sie  gleich  im  Verzeichnisse 
der  Ausgaben  und  Anmerkungen  zu  unserer  Schrift  so  wenig  als 
Weiskes  Ausgabe  stehen,  sind  nicht  unberücksichtigt  ge- 
blieben. Wenn  nun  Rec.  das  Gute,  was  hier  sich  findet,  ein- 
zeln herausheben  wollte,  so  würde  er  die  Grenzen  einer  Re- 
cension  überschreiten  müssen.  Er  beschränkt  sich  daher  darauf, 
was  ihm  zweifelhaft  schien,  anzuzeigen. 

Um  von  der  grammatischen  Erklärung  auszugehen,  so 
macht  der  Herausgeber  noogöovvui  I,  2,  29  richtig  von  dso- 
{ibvov  abhängig;  aber  [irjdsvog  dya%ov  mit  jioogdovvai  zu  ver- 
binden als  genitivus  partitivus,  möchte  kaum  zu  billigen  seyn, 
da  der  Gedanke  an  eine  Theilung  gar  nicht  hieher  passt.  Frei- 
lich weiss  Rec.  für  den  Augenblick  auch  nicht  zu  helfen,  au- 
sser dass  ihm  einfällt,  ob  vielleicht  ^devog  dya&cc,  noch  oben- 
drein Dinge,  die  zu  nichts  gut  sind,  zu  lesen  sei,  wie  III,  8,  3: 
nvQStov  dyctftov ,  und  o  ^irjdsvog  dya&ov  löxiv.  Bei  I,  2,  54 
wird  sccvtov  6  ndvxcov  ^idhöxa  cpiXü  durch  o  Ttdvxav  xcov  iav- 
xov  ^idhöxa  (ptKiX  erklärt.  Aber  hier  ist  erstlich  der  Artikel 
twv  hereingekommen ,  ohne  dass  man  weiss,  woher.  Sodann 
wenn  der  Körper,  wie  diess  nicht  wohl  anders  gemeint  seyn 
kann,  als  Theil  und  nicht  alsEigenthum  des  Menschen  betrach- 
tet wird ,  so  sieht  man  nicht  ein ,  wie  von  Ttdvxav  eccvtov  die 
Rede  seyn  kann ,  da  doch  nur  zwei  solche  Theile  existiren. 
Schon  der  Parallelismus  mit  xo  öcöfia  xov  oixsioxdxov  ccv&qco- 
nov  lehrt  hier,  dass  eccvtov  zu  ödpaxog  oder  wenigstens  nicht 
in  den  Nebensatz,  sondern  wie  das  folgende  ccvxc5v  in  den  Haupt- 
satz gehört.  Bei  1,7,5  erklärt  der  Herausgeber  den  Artikel 
in  xov  ov  iiixQov  aus  den  Beispielen,  wo  das  Praedicat  bei  den 
Verbis  nominandi  den  Artikel  hat.  Daraus  würde  nur  folgen, 
dass  es  hier  ov  xov  ^ll%qov  ,  ov  xov  eld%i6xov  heissen  könnte; 
aber  6  ov  [iixodg  sagte  wohl  schwerlich  ein  Grieche  in  solcher 
Verbindung,  xovxeov,  II,  4,  7,  wird  als  genitivus  partitivus 
zu  evsoyexGJv  gezogen.  Uie  Construction  scheint  vielmehr  zu 
seyn:  quod  attinet  ad  ea,  quae  nianus  etc.  (so  dass  a  —  VTttjQE- 
xovöi  absolute  stände,)  ovÖsvög  xovxav  (sc.  xc5v  %£iqojv,  äxcov, 
6<p&(xknG)v)  (piXog  eveoysxcöv  kEintxai ,  der  Freund  steht  mit 
seinen  Diensten  keinem  von  diesen  nach.  Bei  II,  5,  5  kann  xo 
TtXüov  so  wenig  majorem  pretii  partem  bedeuten,  als  es  diese 
Bedeutung  in  den  angeführten  Stellen  hat.  Anab.  VII,  6,  16 
ist  der  Sinn:  um  euch  nicht  mehr  geben  zu  dürfen,  wenn  er 
mir  weniger  gäbe,  nicht  aber:  um  euch  nicht  den  grössten 
Theil  geben  zu  dürfen.  Bei  Homer  leiten  Achills  Hände  nicht 
den  grössten  Theil  des  Krieges,  sondern  nur  einen  grösseren, 
als  Agamemnon ,  und  dennoch  ist  sein  Ehrengeschenk  kleiner, 
als  das  des  letzteren.  So  steht  bei  Xenophon  Mera.  I,  6,  9: 
Tioxiga  rt  jiXelav  ö^oAr),  wer  hat  mehr  Müsse,  nicht:  wer  hat 


Xtvocpcövrog  'AitofivrjfiovBvutxTa.  Edid.  Herbst.  291 

den  grössten  Theil  der  Müsse?  wo  man  mit  Unrecht  die  Va- 
riante «v  sl'rj  Tthelcov  vorgezogen  hat.  Ganz  ähnlich  mit  unse- 
rer Stelle  wegen  des  Genitiv s  ist  III ,  9,  9:  Ttgä^ovxccg  xd  /3sA- 
xiw  tovxgjv ,  um  Besseres,  als  dieses  zu  thun,  wo  Niemand 
meliorem,  komm  partem  übersetzen  wird.  Bei  II,  7,  4  wird 
zu  vij  A tu  supplirt  ovx  alö%QOV  aus  dem  Vorhergehenden  ovxovv 
alöxQov.  Allein  die  Beispiele,  mit  welchen  diess  gerechtfer- 
tigt wird,  sind  ganz  anderer  Art.  Bei  ovx  dvögeloi  hol,  IV, 
6,  10,  oder  ovx  äv&töTCcGcci ,  Conviv.  5,  1,  gehört  die  Nega- 
tion zum  Verbum ,  in  unserer  Stelle  gehört  sie  zur  Frage.  An 
jenen  Stellen  wird  daher  die  Frage  durch  vrj  4La  bejaht,  an 
der  unsrigen  würde  sie  durch  vrj/Jiu  verneint  werden.  Unsere 
Stelle  ist  vielmehr  zu  vergleichen  mit  §  14,  wo  vca  pä 
<dlu  offenbar  nicht  dazu  dient ,  ftavfiaöxöv  TtOLtlg  zu  bejahen, 
sondern  mir  einen  Theil  des  vorhergehenden  Satzes:  rjfilv  psv 
ovdsv  diöag,  xä  ds  xvvl  —  [isxccdidag  ov7CEQ  avxög  &%ug  6t- 
rov ,  allerdings  macht  er  es  so,  wie  du  sagst;  aber  er  thut 
recht  daran;  denn  u.  s.  w.  So  bejaht  auch  an  unserer  Stelle 
vr\  Aia  nur  den  letzten  Theil  der  vorhergehenden  Frage:  xo 
ixüvov  y\v  —  zvnoQÜv ,  ö£  de  —  Iv  dnogiu  tivca.  allerdings 
geht  es  jenem  gut,  und  mir  schlecht;  aber  diess  ist  kein  Wun- 
der. Bei  III,  1,  8  wird  auf  die  Bemerkung  zu  I,  2,  23  ver- 
wiesen, wo  es  heisst:  nonraro  etiam  subjectum  caret  articulo. 
Allein  doiöxovg  ist  hier  nicht  Snbject,  sondern  Prädicat,  wie 
in  der  angeführten  Stelle  der  Cyropädie :  xovg  Ttocbxovg  dglöxovg 
ösl  xäxxuv,  ist  so  viel,  als  ovg  jtocoxovg  xdxxu  xig,  oder  rovg 
TtQcoxovg  xaxxo^iivovg  doiöxovg  ötitivui,  ganz  wie  II,  1,  30: 
xag  öxgco^vdg  {icdctxdg  itaou6x£vd£r].  Bei  III,  5,  8  wird  av 
tiyov  für  einen  Indicativus  imperfecti  pro  optativo  erklärt.  Hier 
würde  der  Optativ  gar  nicht  passen.  Der  Zwischensatz  richtet 
sich  im  Modus  nach  seinem  Hauptsatze,  und  hat  daher  bei  si 
mit  dem  Indicativ  des  Imperfects  oder  Aorists  in  Bedingungs- 
sätzen, in  welchen  eine  nicht  stattfindende  Bedingung  gesetzt 
wird,  so  gut  den  Indicativ  des  Imperfects  oder  Aorists  bei  sich, 
als  in  optativischen  Bedingungssätzen  den  Optativ.  Die  Stelle 
Hl,  9,  4  wird  für  einen  locus  negligenter  conscriptus  erklärt. 
Sie  ist  ganz  einfach  und  klar:  xöv  yiyväöxovxa  und  xov  sldoxct 
sind  Subjecte,  xQ^ö^av  und  sv^aßelö^ai  die  Verba  dazu,  und 
öocpov  xs  xa\  öcocpQOva  ist  Apposition  zum  Subjecte :  wer  das 
Gute  wisse,  bediene  sich  desselben,  und  wer  das  Schimpfliche 
kenne ,  meide  es ,  beides  in  sich  vereinigend  den  Weisen  und 
den  Besonnenen.    Anderes  muss  hier  übergangen  werden. 

Ueber  die  Worterklärung,  die  hier  nicht  minder  mit  Sorg- 
falt behandelt  ist,  hat  Rec.  Folgendes  nachzutragen.  Bei  I,  1, 
7  sollen  na^rj^axa  res,  quas  discere  licet,  seyn,  und  die  Con- 
struction  wäre  demnach:  utdvxa  xa  xoiavxa  üvai  [icc&tftiaxcc. 
Allein  fia^^a  kann  seiner  Form  nach  nicht  wohl  das  Lernbare 


292  Griechische  Litteratur. 

seyn,  sondern  das  Gelernte,  die  Kunst,  Wissenschaft.  So 
heisst  die  GayQOövvn  in  der  Cyropädie  ein  /ua*b;^a,  nicht  so- 
fern sie  lernbar,  sondern  sofern  sie  eine  Frucht  der  Erziehung 
und  des  Unterrichts  ist.  Um  jenen  Sinn  zu  bekommen,  müsste 
man  daher  annehmen,  [la&quara  sei  an  die  Stelle  von  p,a&rj- 
td  getreten,  wie  für  fu^ra  III,  10,  5  früher  fw^ua-r«